Perspektive

Eine Krisenwoche in der zunehmend gestörten US-Politik

Das Weiße Haus und der US-Staatsapparat sind in der Krise, und diesbezüglich brachte jeder einzelne Tag der letzten Woche einen neuen Höhepunkt. Die Trump-Administration ist von inneren Spannungen zerrissen, während die Medien, Teile des militärisch-geheimdienstlichen Apparats und die Demokratische Partei eine Palastrevolte anzetteln.

Am Dienstag, den 4. September, kamen erste Berichte über Bob Woodwards neues Buch heraus. Darin stellen führende Trump-Berater die Intelligenz und sogar die Zurechnungsfähigkeit des Präsidenten in Frage. Offenbar bemühen sie sich hinter den Kulissen, seine gefährlichsten Befehle unschädlich zu machen – so zum Beispiel seine Forderung nach einem Mord an dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad. Dieses Vorgehen von Trumps Beratern bezeichnet Woodward als „administrativen Coup d'État“, d.h. sie verweigern ihm den Gehorsam und gehen nach eigenem Gutdünken vor.

Am nächsten Tag veröffentlichte die New York Times einen für die Donnerstagsausgabe geschriebenen Kommentar, in dem sich ein anonymer „hoher Verwaltungsbeamter“ als Sprecher einer Kabale von Spitzenbeamten bezeichnete. Diese Leute sehen ihre Aufgabe darin, Trump in Schach zu halten. „Wir sind der wahre Widerstand“, behauptete der Beamte, der gleichzeitig deutlich machte, dass er die Hauptelemente des rechtsgerichteten Regierungsprogramms für richtig halte.

Am Freitag schaltete sich Barack Obama mit einer Art Wahlkampfrede ein. Das ist ein für einen Ex-Präsidenten ungewöhnliches Verhalten bei der ersten Wahl nach seinem Ausscheiden. Er bezeichnete die Trump-Administration als „radikal“ und „nicht normal“. Er forderte Republikaner, Konservative und christliche Fundamentalisten auf, im November für demokratische Kandidaten zu stimmen. Damit würden sie in Washington wieder „Vernunft walten lassen“. Als Gegengewicht gegen Trump sollten sie eine Demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus installieren.

Präsident Trump zahlte in gleicher Münze heim. Am Montag griff er seinen eigenen Generalstaatsanwalt, Jeff Sessions, an, weil er die Ermittlungen des Justizministeriums gegen zwei republikanische Kongressabgeordnete zugelassen habe. Die beiden stehen wegen kriminellen Börsenbetrugs und -diebstahls unter Anklage. Am Dienstag prangerte er das Woodward-Buch als reine Erfindung an, und am Mittwoch nannte er den New York Times-Kommentar einen Akt des Verrats. Am Donnerstag erklärte er auf einer Wahlkampfkundgebung in Montana, dass seine Anhänger im November Republikaner wählen müssten, um ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn zu verhindern. Am Freitag verlangte er von Session über Twitter, das Justizministerium müsse eine Untersuchung gegen die New York Times einleiten, um den anonymen Schreiber zu identifizieren.

Führende Trump-Berater – Stabschef John Kelly, der Nationale Sicherheitsberater John Bolton, Pressesprecherin Sarah Huckabee Sanders und Schwiegersohn Jared Kushner – sollen sich am Donnerstag mit Trump getroffen haben, um ihn davon zu überzeugen, dass keiner von ihnen der anonyme Autor des Kommentars gewesen sei, und dass er seinem inneren Kreis noch vertrauen könne. Etwa zwei Dutzend Spitzenbeamte gaben offizielle Erklärungen des gleichen Inhalts ab.

Es gibt in der modernen amerikanischen Geschichte keinen Präzedenzfall einer derart gestörten kapitalistischen Regierung in einem krisenhaften Staat. Wie ist das zu erklären? Welche Richtung wird die Krise nehmen?

Es wäre oberflächlich, die Antwort darauf in der Persönlichkeit von Donald Trump zu suchen. Selbst Obama gab in seiner Rede in Illinois zu, dass Trump nicht die Ursache, sondern lediglich ein Symptom tieferer Prozesse sei. Aber Obama vertuschte natürlich seine eigene Rolle und stellte seine Präsidentschaft als acht Jahre heldenhaften Bemühens zur Behebung der durch den Finanzcrash 2008 verursachten Schäden dar. Allerdings hatten sich am Ende dieser acht Jahre die Wall Street und die Finanzoligarchie vollständig erholt und erfreuten sich eines Rekordvermögens, während die arbeitende Bevölkerung ärmer war denn je. Diese wachsende soziale Kluft ermöglichte im November 2016 die Wahl des milliardenschweren Betrügers und Demagogen.

Es ist diese tiefe soziale Krise, die den politischen Kämpfen in Washington zugrunde liegt. Natürlich gibt es politische Unterschiede zwischen den beiden Fraktionen der Herrschenden. Sie sind zum Beispiel in der Außenpolitik tief gespalten: Wie soll man mit dem Scheitern der US-Intervention in Syrien und im Nahen Osten umgehen? Und was ist mit dem Kampf um die globale Vorherrschaft des US-Imperialismus? Soll man zuerst Russland, oder doch eher erst China angreifen? Die wichtigste Passage in Obamas Rede war seine Kritik an der Republikanischen Partei: Indem sie Trumps angebliche „Weichheit“ gegenüber Putin toleriere, habe sie ihre antikommunistischen Wurzeln im Kalten Krieg verraten.

Grundlegender sind jedoch die Sorgen, die beide Flügel der herrschenden Elite umtreiben: Die bevorstehende neue Wirtschaftskrise könnte mit der wachsenden sozialen Opposition von unten zusammenfallen. Zweifellos sind die landesweiten Lehrerstreiks und die Streikvoten der Industriearbeiter erste Regungen der amerikanischen Arbeiterklasse. Offensichtlich wächst unter Arbeitern die Wut über die Superausbeutung durch riesige Konzerne wie Amazon und Walmart und über die faulen Kompromisse, die ihnen die Gewerkschaften aufs Auge drücken.

Konfrontiert mit dem drohenden Ausbruch von Klassenkämpfen verlieren die Vorstandsetagen der Konzerne und Banken, aber auch des Pentagons und der CIA, das Vertrauen in den derzeitigen „Oberkommandierenden“, und sie fürchten, dass er den Test großer Ereignisse nicht bestehen werde.

JP Morgan Chase, diese erste Adresse des Big Business, veröffentlichte am Vorabend des zehnten Jahrestages des Börsencrashs 2008 einen internen Bericht. Darin warnte die Bank, dass eine weitere „große Liquiditätskrise“ möglich sei, und dass eine staatliche Rettungsaktion wie unter Bush und Obama soziale Unruhen hervorrufen werde. Davon sei „in Anbetracht der möglichen Auswirkungen von Zentralbank-Maßnahmen auf die Ungleichheit zwischen Kapitalbesitzern und Arbeitern“ auszugehen.

In dem Bericht heißt es, politische Explosionen könnten ein Ausmaß wie 1968 annehmen. Auch würde das Internet, das zur Verbreitung radikaler politischer Ansichten und zur politischen Selbstorganisation beitragen würde, eine solche Entwicklung beschleunigen. Die Bank warnt in ihrem Bericht: „Die nächste Krise dürfte auch zu sozialen Spannungen führen, die denen vor 50 Jahren, im Jahr 1968, ähnlich wären … Ähnlich wie 1968, bietet heute das Internet (Social Media, durchgesickerte Dokumente usw.) Tausenden Menschen uneingeschränkten Zugang zu Informationen … Das Internet bietet neben Informationen auch eine Plattform, auf der sich verschiedene soziale Gruppen bewusster, polarisierter und organisierter bewegen.“

Die herrschende Klasse reagiert auf diese Gefahr, indem sie die innerstaatliche Repression in großem Umfang aufrüstet. In dieser Hinsicht gibt es keinen Unterschied zwischen Trump und seinen Gegnern. Die heftigen Meinungsverschiedenheiten beziehen sich nur darauf, wer die Kontrolle über die repressiven Kräfte ausüben soll, die gegen die amerikanische Arbeiterklasse zum Einsatz kommen. Trump ist natürlich durch und durch ein autoritärer Charakter; er organisiert faschistische Angriffe auf eingewanderte Arbeiter und entwickelt Instrumente, die gegen die gesamte Arbeiterklasse eingesetzt werden können.

Seine Gegner, die sich den Methoden einer Palastrevolte bedienen, sind jedoch in keiner Weise bessere Demokraten. Sie stechen Informationen durch, verbreiten Schmierkampagnen in den Medien und organisieren alle Arten von Provokationen. Im Wesentlichen strebt die Demokratische Partei eine Zensur des Internets an. Siehe den Bericht von JP Morgan: Das Internet ist gefährlich, es dient „sozialen Gruppen“ (der Arbeiterklasse) als Plattform, um sich „bewusster, polarisierter und organisierter“ zu bewegen.

Die Kolumnistin Anne Applebaum (Washington Post), eine Trump-Kritikerin und schäumende Antikommunistin, schrieb am Sonntag: „Vielleicht haben wir auch unterschätzt, inwieweit sich unsere Verfassung, die im 18. Jahrhundert entworfen wurde, für die Anforderungen des 21. als unzureichend erweist.“

So versuchen Trumps politische Gegner, den Wahlkampf der Demokratischen Partei für die Kongresswahlen im November zu nutzen, um einen Polizeistaat vorzubereiten und diese Vorbereitungen gleichzeitig vor den Arbeitern zu verbergen. Die Verkleidung liefern eine Handvoll selbst ernannter linker und sogar „sozialistischer“ Kandidaten für das Repräsentantenhaus, viele aus dem Umfeld von Bernie Sanders, wie Alexandria Ocasio-Cortez und Ayanna Pressley.

Den politischen Inhalt bestimmt aber die viel größere Anzahl demokratischer Kandidaten, die direkt aus dem Militär- und Geheimdienstapparat stammen, fast drei Dutzend insgesamt. Wenn die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus übernehmen, werden diese Kräfte den Kurs der Partei bestimmen. Die Politik, die die Demokraten dann verfolgen, ist heute schon sichtbar an ihrer Anti-Russlandkampagne und der damit verbundenen Forderung nach einer Internet-Zensur.

Wie auch immer die bevorstehenden Zwischenwahlen ausgehen – sie werden weder die Krise in Washington lösen, noch die grundlegende Richtung der Politik ändern. Sie führt die Arbeiterklasse in explosive Konflikte mit der herrschenden Klasse, dem gesamten Staatsapparat und dem kapitalistischen System.

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