Es ist nun ein Jahr her, dass ein Neonazi-Aufmarsch in der Stadt Charlottesville in Virginia bei Arbeitern und Jugendlichen auf der ganzen Welt Abscheu und Entsetzen auslöste. Die Nazis veranstalteten Fackelzüge, skandierten „Juden werden uns nicht ersetzen“, zeigten den Hitlergruß, schwenkten Hakenkreuzfahnen und marschierten in Ku-Klux-Klan-Uniformen auf. Einer der Faschisten rammte ein Auto in eine Gegendemonstration, ermordete eine Frau und verletzte 35 weitere Menschen.
Anfang dieses Jahres kündigten die Organisatoren der Kundgebung in Charlottesville, bekannt als „Unite the Right“, eine weitere Demonstration zu ihrem Jahrestag am 12. August an, diesmal in Washington D.C. Daraufhin riefen über ein Dutzend linke Organisationen und zahlreiche Prominente, darunter Whistleblower Chelsea Manning, zu einer Gegenkundgebung am selben Tag auf.
Am Dienstag nun gab Facebook im Rahmen einer Kampagne zur Blockade „spalterischer“, „Gewalt befürwortender“ und „extremistischer“ Aktivitäten in Zusammenarbeit mit den US-Geheimdiensten bekannt, dass es nicht die Nazi-Kundgebung blockiert hat, sondern eine Veranstaltungsseite für die Gegendemonstration.
Facebook begründete sein Vorgehen damit, dass der Gegenprotest von einer Gruppe ins Leben gerufen worden sei, die Anzeichen von „unauthentischer Aktivität“ zeigte, eine Behauptung, die sich weder auf Details noch auf Beweise stützt.
Die Erklärungen, die das Vorgehen von Facebook begleiten, machen deutlich, dass die Blockade der Gegendemonstration ein bewusster Versuch ist, linke politische Ansichten zu unterdrücken und zu kriminalisieren und einen weitreichenden, gefährlichen Präzedenzfall zu schaffen.
Im Blog-Beitrag von Facebook, in dem die Blockade bekanntgegeben wurde, wurde neben 32 weiteren Berichten eine Analyse des Thinktanks „Atlantic Council“ zitiert. Darin wird festgestellt, dass alle von Facebook zensierten Seiten linksgerichtet waren: gegen Polizeigewalt, gegen Angriffe auf Immigranten und gegen die Förderung faschistischer Gruppen durch die Trump-Administration.
Im Bericht des Atlantic Council heißt es, dass die von Facebook geschlossenen Seiten „die Linke des politischen Spektrums“ ansprechen sollten und „versuchten, Spaltungen zu fördern und Amerikaner gegeneinander auszuspielen“.
Die betreffenden Seiten hätten „Proteste gegen [die Einwanderungsbehörde] US Immigration and Customs Enforcement (ICE), die geplanten Steuersenkungen von US-Präsident Donald Trump“ und „Proteste gegen Trumps Einreiseverbot für Muslime“ gefördert.
Sowohl der Post von Facebook als auch der Bericht des Atlantic Council wimmeln von Orwellscher und autoritärer Sprache. Facebook maßt sich an, darüber zu entscheiden, was „unauthentische Aktivität“ ist –ein Begriff, der so weit gefasst ist, dass er alles bedeuten kann. Und wer gab Facebook das Recht, Seiten zu schließen, die „Spaltungen fördern“? Als ob es solche Spaltungen nicht längst gäbe und sie erst „gefördert“ werden müssten – in einer Gesellschaft, die durch ein historisch beispielloses Maß an sozialer Ungleichheit gekennzeichnet ist!
Diese Fragen waren Themen einer Anhörung des Geheimdienstausschusses des Senats am Mittwoch, auf der „Sicherheitsfirmen“ und eng mit den US-Geheimdiensten verbundene Thinktanks befragt wurden.
Renee DiResta ist Forschungsleiterin bei New Knowledge, einem Beratungsunternehmen, das behauptet, den Ruf von Unternehmen vor so genannten „verdächtigen Communitys“ zu schützen. Sie sagte, „bösartige Erzählungen“ gebe es „schon sehr lange“, aber in „heutigen Einflussoperationen“ werde die „Propaganda von unseren Freunden geteilt, oft in Form von hochwirksamen, teilbaren, eingängigen Memen“.
„Desinformation, Fehlinformation und Social-Media-Hoaxes haben sich von einem Ärgernis zu einem Informationskrieg mit hohen Einsätzen entwickelt“, behauptete sie.
In Bezug auf „gefälschte“ Anzeigen in der Zeit vor der Präsidentschaftswahl 2016 bemerkte sie, dass diese „auf die Linke abzielten“, um „Außenministerin Clinton im Vergleich zu den Kandidaten Jill Stein oder Senator Bernie Sanders in ein schlechtes Licht zu rücken“.
Sie bemerkte, dass solche „Einflussoperationen“ zunehmend „ideologisch Rechtgläubige“ und „nichtstaatliche Extremisten“ ansprechen würden. Mit anderen Worten, sie richten sich an Menschen, die das kapitalistische System satt haben und nach einer sozialistischen oder linken Alternative suchen – was bedeutet, dass solche Vorstellungen „extremistisch“ sind und kriminalisiert werden müssen.
Ein weiterer Teilnehmer der Anhörung, John W. Kelly, sagte, dass „Extremisten“ über „automatisierte Benutzerkonten“ „25 bis 30 mal so viele Nachrichten pro Tag produzieren“ würden wie „echte politische Mainstream-Konten“.
Es zeichnet sich ein klares Muster ab, das die lange Tradition des amerikanischen Antikommunismus wieder aufleben lässt: „Agitatoren von außen“ als Quelle von „sozialen Unruhen“ zu bezeichnen. Jede kapitalismuskritische Sichtweise soll als „unauthentische Einflussnahme“ von „Extremisten“ gebrandmarkt werden, die vom Staat und den Technologiemonopolen unterdrückt werden muss.
Dabei finden sich die mit der Demokratischen Partei und den Geheimdiensten verbandelten Fraktionen des Staates, die sich mit Trump einen erbitterten Fraktionskampf um außenpolitische Fragen liefern, im Bündnis mit dem Weißen Haus wieder, wenn es gegen das Entstehen einer linken politischen Opposition geht. Konkret nehmen sie gemeinsam Gegendemonstranten gegen eine faschistische Kundgebung ins Visier und verteidigen und legitimieren dadurch die Faschisten.
Die Bestrebungen aller Fraktionen des politischen Establishments der USA, die politische Opposition zu delegitimieren und zu kriminalisieren, sind in Klasseninteressen begründet. Nach Jahrzehnten der kontinuierlichen Umverteilung nach oben kontrollieren heute drei Menschen so viel Vermögen wie die untere Hälfte der amerikanischen Gesellschaft zusammengenommen. Jeff Bezos, der reichste Mann der Welt, besitzt ein Nettovermögen von 143 Milliarden Dollar.
Diese Finanzoligarchie, umgeben von den obersten 10 Prozent der Besserverdienenden, die zusätzlich vom Aktienboom profitierten, fühlen sich von einer wütenden und feindlichen Arbeiterklasse bedroht, die sich zunehmend einer sozialistischen Perspektive zuwendet.
Vor dem Hintergrund stagnierender oder sinkender Reallöhne, endloser Kürzungen bei Gesundheitsversorgung und Renten und dem Auslaufen einer Reihe von großen Tarifverträgen in den nächsten Monaten entwickeln sich die Voraussetzungen für einen Ausbruch militanter Arbeiterkämpfe, wie man sie seit den Sitzstreiks der 1930er Jahre nicht mehr erlebt hat. Das Wachstum des Klassenkampfs bringt die Arbeiter in direktem Konflikt mit den Gewerkschaften, auf die sich die herrschende Klasse seit Jahrzehnten verlassen hat, um den Klassenkampf zu unterdrücken und die Umverteilung des Reichtums zu erleichtern.
Unter diesen Bedingungen sieht die herrschende Elite die Kriminalisierung und Unterdrückung der unabhängigen politischen Opposition als unabdingbare Notwendigkeit für die Verteidigung und den Ausbau ihrer sozialen Privilegien an. In diesem Klassenkampf auf Leben und Tod ist die Schaffung eines Apparats der Massenzensur durch Facebook, Google und Twitter eine wichtige Waffe in den Händen der herrschenden Elite.
Der Ausbruch von Arbeiterkämpfen, die die Oligarchie so fürchtet, ist auch die einzige Grundlage für die Verteidigung demokratischer Grundrechte. In ihren kommenden Kämpfen werden die Arbeiter in den USA und weltweit die Forderung nach einem freien und offenen Internet und nach Redefreiheit als Teil einer Massenbewegung aufgreifen, um das kapitalistische System zu stürzen und eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen.