Am 5. Juli waren genau einhundert Tage vergangen, seit die ecuadorianische Botschaft in London entschieden hatte, dem WikiLeaks-Gründer Julian Assange sein demokratisches Recht auf Kommunikation mit der Außenwelt vorzuenthalten. Außer seinen Rechtsvertretern darf er auch keine Besucher mehr empfangen. Die einzige Ausnahme hiervon war ein kurzer, ungeklärter Besuch von zwei Vertretern des australischen Konsulats.
Julian Assange hatte am 19. Juni 2012 in dem kleinen Londoner Botschaftsgebäude politisches Asyl beantragt. 2.767 Tage, d.h. mehr als sechs Jahre lang, hat ihm die britische Regierung den Zugang zu direktem Sonnenlicht und angemessener medizinischer Behandlung verweigert. Am 3. Juli, seinem 47. Geburtstag, lebte er unter Bedingungen, die von der Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen (Working Group on Arbitrary Detention) der Vereinten Nationen als „Freiheitsentzug“, „Verletzung seiner Menschenrechte“ und gleichbedeutend mit Folter bezeichnet wurden.
Die Gründe, aus denen Assange Asyl beantragt und er dieses von Ecuador mit Verweis auf das Völkerrecht erhalten hatte, haben sich nicht geändert. Obwohl er australischer Staatsbürger ist und ihm die Auslieferung an die Vereinigten Staaten droht, hat er keine Unterstützung von der australischen Regierung bekommen.
Im Juni 2012 versuchte Assange zum letzten Mal erfolglos, seine Auslieferung an Schweden durch einen juristischen Einspruch zu verhindern. In Schweden sollte er angeblich wegen des Vorwurfs sexueller Nötigung „befragt“ werden. Ihm ging es dabei jedoch nicht um das Verfahren in Schweden, sondern um die berechtigte Befürchtung, Schweden werde ihn an die USA ausliefern. Dort droht ihm wegen der Veröffentlichung von Dokumenten, die amerikanische Kriegsverbrechen und Intrigen der Geheimdienste und Diplomaten enthüllen, ein Verfahren wegen Spionage.
Die Gefahr eines Schauprozesses, einer langjährigen Haftstrafe oder sogar einer Hinrichtung Assanges in den USA ist real und sogar noch ernster geworden. Nachdem WikiLeaks im April 2017 brisante Enthüllungen über die Hackeroperationen und Verbrechen der CIA enthüllt hatte, erklärte der ehemalige CIA-Direktor und heutige Außenminister Mike Pompeo, die US-Regierung dürfe „nicht mehr länger zulassen, dass Assange und seine Kollegen das Recht auf freie Meinungsäußerung gegen uns einsetzen“. Trumps Justizminister Jeff Sessions erklärte mehrere Tage später, Assanges Verhaftung sei ein „vorrangiges“ Anliegen.
Im Mai 2017 beendete die schwedische Staatsanwaltschaft ihre „Untersuchung“ und zog die Forderung nach Assanges Auslieferung zurück, ohne dass es je zu einem Verfahren wegen sexuellem Missbrauch gekommen war. Die britische Regierung und Polizei machten jedoch deutlich, dass Assange trotzdem verhaftet werde, sobald er die Botschaft verlasse, da er gegen seine Kautionsauflagen verstoßen habe.
Letzte Woche schilderte Assanges Anwalt Geoffrey Robertson, ein bekannter Menschenrechtler, in welcher Gefahr Assange schwebt: „Wenn er die Botschaft verlässt, wird er verhaftet und wegen Verstoßes gegen seine Kautionsauflagen inhaftiert werden. In dieser Zeit wird der US-Außenminister einen Auslieferungsantrag stellen. Assange wird dann jahrelang aus dem Gefängnis heraus gegen seine Auslieferung an die USA kämpfen müssen, wo ihm eine Anklage wegen Spionage droht.“
Seit Ecuador am 28. März Assanges Kommunikation zur Außenwelt abgeschnitten hatte und im Vorfeld des sechsten Jahrestags seines Zwangsaufenthalts in der Botschaft, haben sich die Forderungen nach einem Ende der Verfolgung von Julian Assange wieder verstärkt. Er hat kein Verbrechen begangen. Im Gegenteil: Er ist der Herausgeber einer preisgekrönten Medienorganisation, die die Welt über zahlreiche Fälle von staatlichen Verbrechen, Wirtschaftskriminalität und Machtmissbrauch aufgeklärt hat.
Weltweit werden folgende Forderungen erhoben: Ecuador muss Assange wieder die Möglichkeit zur Kommunikation mit der Außenwelt geben. Die britische Regierung muss die Verfolgung eines geringfügigen Verstoßes gegen die Bedingungen seiner Kaution einstellen und ihm auf Wunsch die Ausreise aus Großbritannien erlauben. Die australische Regierung muss ihre unbestreitbar vorhandenen diplomatischen Vollmachten und juristischen Möglichkeiten nutzen, um die bedingungslose Freilassung eines australischen Staatsbürgers und Journalisten zu garantieren, der ungerecht behandelt wird.
Doch stattdessen setzen das politische Establishment in den USA, Großbritannien und Australien ihren Rachefeldzug gegen WikiLeaks und Assange fort.
Trumps Vizepräsident Mike Pence war vor zwei Wochen zu Besuch in Ecuador. Im Vorfeld seiner Reise forderten zehn der wichtigsten Senatoren der Demokratischen Partei, er solle die Regierung von Präsident Lenín Moreno drängen, Assange das Asylrecht abzuerkennen und ihn aus der Botschaft ausweisen.
Seine Äußerungen nach den Gesprächen mit Moreno deuteten nicht darauf hin, dass Pence ihn wegen dem Thema Asyl unter Druck gesetzt hat. Stattdessen scheint sich die Trump-Regierung damit zu begnügen, die ecuadorianische Regierung als Werkzeug zu nutzen, um Assange körperlich und geistig zu brechen. Deshalb enthält sie ihm sein Grundrecht auf Zugang und Kommunikation zur Außenwelt vor.
Die May-Regierung in Großbritannien unterstützt die Versuche, Assange zum Verlassen der Botschaft zu zwingen, indem sie keinen Schutz gegen eine Auslieferung an die USA garantiert.
Der britische Staatsminister für Europa und Amerika, Sir Alan Duncan, erklärte am 26. Juni in einer verlogenen Rede vor dem britischen Parlament: „Wir möchten versichern, dass er [Assange] eine humane und angemessene Behandlung erhalten würde, wenn er die Botschaft verließe. Unsere erste Priorität wäre sein Gesundheitszustand, der sich unserer Ansicht nach verschlechtert.“
Assanges Gesundheitszustand hat sich in den letzten sechs Jahren „verschlechtert“, weil die May-Regierung ihm nicht einmal erlaubt, die Botschaft kurzzeitig zu verlassen, um ins Krankenhaus oder zum Zahnarzt zu gehen. Was Duncan wirklich von dem WikiLeaks-Chef hält, machte er am 27. März deutlich. Damals bezeichnete er ihn als „erbärmlichen kleinen Wurm“, der sich „der britischen Justiz stellen sollte“.
Die oppositionelle Labour Party unter Jeremy Corbyn hat nichts unternommen, um Duncans Äußerung als Betrug zu entlarven. Und sie fordert erst recht keinen Schutz Assanges vor einer Auslieferung an die USA oder das Recht auf ungehinderte Ausreise aus Großbritannien.
Auch die australische Regierung von Premierminister Malcolm Turnbull ist nicht von ihrer feigen Kollaboration mit den USA abgerückt.
Assanges Vater John Shipton hatte letzten Monat schriftlich an Turnbull appelliert, die Befreiung seines Sohnes aus der ecuadorianischen Botschaft mit den notwendigen Schutzmaßnahmen zu unterstützen.
Turnbull antwortete darauf mit ohrenbetäubendem Schweigen. Auch die etablierten Medien stellten der Regierung keine einzige Frage wegen Assanges Gesundheitszustand oder forderten auch nur eine Erklärung, warum ihn am 7. Juni zwei konsularische Vertreter besucht hatten. Es war der erste Besuch von Regierungsvertretern, seit er sein Asyl angetreten hatte.
Die australische Labor Party äußerte sich natürlich ebenfalls nicht. Als sie die Regierung stellte, hatte sie Assange als Verbrecher bezeichnet. Noch bezeichnender war jedoch das Schweigen der Parteiführung der Grünen und des unabhängigen Abgeordneten Andrew Wilkie, die sich früher als Verteidiger von WikiLeaks und Assange inszeniert hatten.
Nur einer ihrer parlamentarischen Vertreter erwähnte Assange: der grüne Senator Andrew Bartlett, der in wenigen Wochen zurücktritt. Am 28. Juni wies er in einer Debatte im Senat über undemokratische Gesetze gegen „ausländische Einmischung“ darauf hin, dass das Regierungsmitglied Andrew Hastie Assange und WikiLeaks als Beispiele für die Personen und Organisationen genannt hatte, die mit den neuen gesetzlichen Befugnissen unterdrückt werden sollen.
Bartlett nutzte eine seiner letzten Gelegenheiten, im Parlament zu sprechen, um der Stimmung von Millionen Menschen in Australien zumindest in begrenztem Ausmaß eine Stimme zu geben.
Bartlett betonte: „Ich möchte [Assange] kein Leumundszeugnis ausstellen, aber ich möchte betonen, dass er als australischer Staatsbürger ein Recht auf angemessene Unterstützung gegen eine offenkundige internationale Verschwörung von Regierungen hat, die ihn zum Schweigen bringen wollen. Er lebt seit Jahren in Isolation. Er wurde bereits praktisch zum Schweigen gebracht, weil er eine so große Gefahr für den Staat darstellt – nicht aber für die Bevölkerung oder für die Öffentlichkeit... Diese Gesetze sollen Menschen wie Julian Assange kriminalisieren und angreifen.“
In einem späteren Redebeitrag fragte Bartlett direkt nach: „Mr. Hastie erwähnt Julian Assange ausdrücklich. Bedeutet das, dass sich das Gesetz im Besonderen gegen seine Aktivitäten und diejenigen seiner Organisation richtet?“ Ein Minister der Regierung antwortete darauf: „Die Antwort lautet Nein.“
Die ehrliche Antwort auf diese Frage hätte jedoch „Ja“ lauten müssen.
Labor- und Koalitionsregierungen haben eine nach der anderen die Verfolgung von Assange und WikiLeaks unterstützt. Ursache dafür ist die vollständige Einbindung des australischen Imperialismus in die eskalierende geostrategische und militärische US-Konfrontation mit China. Die australische herrschende Elite lehnt unabhängige und kritische Medien genauso entschieden ab wie die amerikanische.
Es steht außer Frage, dass sich die neuen Gesetze gegen „ausländische Einflussnahme“ gegen Medienorganisationen richten, die ihnen zugespielte Informationen über amerikanische und australische Kriegspläne gegen China veröffentlichen. Sie könnten auch benutzt werden, um politischen Widerstand und Aktivitäten gegen Krieg zu kriminalisieren. Es muss als Drohung verstanden werden, dass diese Gesetze weltweit als Vorbild für andere Länder gefeiert werden.
Die Verfolgung von Assange und WikiLeaks ist ein bedeutendes Beispiel für eine umfassende Kampagne für Zensur und Unterdrückung oppositioneller Stimmen. Der Kampf für die Verteidigung von Assange ist untrennbar verbunden mit dem Kampf für die Aufklärung und Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse gegen die anhaltenden Angriffe auf grundlegende demokratische Rechte und gegen die Gefahr von Diktatur und Krieg.