SPD unterstützt Unionsvorschlag für Konzentrationslager in Deutschland

Am Dienstag haben führende Sozialdemokraten die reaktionäre Einigung im Streit zwischen CDU und CSU begrüßt. „Wir finden das deswegen gut, weil wir jetzt wieder auf der Ebene der Sacharbeit sind. Das haben wir in den letzten Wochen schmerzlich vermisst“, erklärte die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles am Vormittag. Der sozialdemokratische Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz lobte die Einigung zwischen den Unionsparteien mit den Worten: „Wir sind weg von der Psychologie und wieder bei der Sache.“

Am Abend vertagte sich dann zwar der Koalitionsausschuss ohne offiziellen Beschluss auf Donnerstag, aber Nahles und Scholz äußerten sich erneut positiv. Nahles zufolge befindet sich die Koalition auf einem guten Weg, man habe große Fortschritte in allen Themenbereichen gemacht. „Wir sind aber noch nicht ganz zusammen“, erklärte sie nach der Sitzung. „Wir brauchen noch etwas Zeit, um das präzise zu machen“, sagte Scholz.

Die SPD-Führung stellt sich damit de facto hinter die Flüchtlingspolitik von CSU-Innenminister Horst Seehofer, die unter anderem die Einrichtung von regelrechten Konzentrationslagern in Deutschland vorsieht. Am Montagabend hatten sich CDU und CSU darauf geeinigt, Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, an der deutschen Grenze festzuhalten und zu inhaftieren. Geplant ist die Einrichtung sogenannter „Transitzonen“, d.h. von Lagern und Gefängnissen für zehntausende Flüchtlinge direkt an der Grenze, die technisch nicht als deutsches Staatsgebiet gelten und ähnlich wie Guantanamo einen rechtsfreien Raum darstellen.

Im Herbst 2015 hatten führende Sozialdemokraten die Errichtung derartiger Zonen noch mit dem Verweis auf das US-amerikanische Gefangenen- und Folterlager abgelehnt. Die Vorschläge der Union hätten „mehr mit Guantanamo zu tun als mit dem Rechtsstaat“, erklärte etwa der damalige Berliner SPD-Chef Jan Stöß. Der frühere Bundesjustizminister und heutige Außenminister Heiko Maas (SPD) äußerte sich ähnlich. Er sprach in der Süddeutschen Zeitung von einem „Versuch, zehntausende Flüchtlinge an der Grenze in Haft zu nehmen“. Wer Transitverfahren einfach von Flughäfen auf Landesgrenzen übertragen wolle, schaffe „Massenlager im Niemandsland“.

Nun rechtfertigen die Sozialdemokraten die gleichen Maßnahmen, die an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte erinnern. Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel erklärte, dass die geplanten Lager heute anders zu bewerten seien als noch vor zweieinhalb Jahren. „Die Transitzonen 2015, da ging es pro Tag um 3000, 4000, 5000 Flüchtlinge“, sagte Gabriel vor einer Sondersitzung der SPD-Fraktion in Berlin. „Wir haben damals gesagt, wir wollen hier keine Stadien füllen und Leute festhalten. Wir reden heute über völlig andere Größenordnungen.“

Gabriels Argumentation ist zynisch und abstoßend. In Wirklichkeit geht es auch heute um Zehntausende, die von der Bundesregierung in Lager gesperrt werden sollen. Im laufenden Jahr sind bis Mitte Juni 18.349 Asylsuchende in Deutschland aufgenommen worden, die bereits in der europäischen Fingerabdruckdatei Eurodac erfasst waren. Im Durchschnitt sind das täglich 110 Menschen, die bereits in einem anderem Land registriert wurden und in den geplanten „Transitzonen“ interniert werden müssten.

Dass sich die deutschen Sozialdemokraten – und ihrem Schlepptau auch Linkspartei und Grüne – hinter die reaktionären Pläne der Union stellen und damit weitgehend die Flüchtlingspolitik der rechtsextreme AfD übernehmen, kommt nicht überraschend. Auf dem EU-Gipfel in Brüssel Ende vergangener Woche hatten die Große Koalition und andere europäische Regierungen mit sozialdemokratischer Beteiligung bereits die Einrichtung von ähnlichen Flüchtlingslagern in Nordafrika und in Europa beschlossen. Sie werden in der Gipfelerklärung euphemistisch als „Ausschiffungsplattformen“ und „kontrollierte Zentren“ zur „Umsiedlung und der Neuansiedlung“ bezeichnet.

In Griechenland betreibt die pseudolinke Syriza-Regierung, die ebenfalls die Gipfelerklärung von Brüssel unterzeichnet hat, seit langem sogenannte „Hot-Spots“ für Flüchtlinge. Ein Artikel in der aktuellen Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung beschreibt den bereits 2015 auf Lesbos eingerichteten „Hot-Spot“ Moria als schwer befestigte „Hölle“, die von außen einem Konzentrationslager gleicht: „Eisendraht verwoben zu Quadraten, bis zu vier, fünf Meter hoch. Über den Zaun ist Stacheldraht gerollt, an allen Eingängen ins Lager stehen Wachtürme und Wachleute, die Gewehre über die Brust geschnallt. Wer rein will, muss seinen Ausweis zeigen. Vor allem die Presse soll nicht einfach hinter diese Tore blicken.“

Nach den Plänen der Großen Koalition sollen derartige Lager nun auf ganz Europa ausgedehnt werden. Im Seehofers sogenanntem „Masterplan Migration“, der mit der Einigung zwischen CDU und CSU quasi zum Koalitionsprogramm erhoben wird, heißt es in Punkt 22: „Festigung der Strukturen an der Außengrenze: Unterstützung der Erstaufnahmezentren in Italien und Griechenland (Hotspots) durch ausreichend Personal der Mitgliedstaaten. Ausweitung des Hotspot-Konzepts in Italien.“

Und in Punkt 23 steht: „Entwicklung eines Standardmodells für europäische Erstaufnahmeeinrichtungen: Erarbeitung einer deutschen Initiative gegenüber der EU-Kommission zur Entwicklung eines Hotspot-Standardmodells. Dadurch Gewährleistung der Übertragbarkeit auf andere Regionen im Bedarfsfall.“

Die Einrichtung eines derartigen Lagersystems in Europa ist eine Warnung. Wie zur Zeit des Faschismus werden sie sich auch gegen politische Oppositionelle richten und letztlich gegen die Arbeiterklasse insgesamt. Die ersten Konzentrationslager wurden 1933 unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten errichtet, um Kommunisten, Gewerkschafter und andere politische Gegner Hitlers in einem rechtsfreien Raum einzusperren. In einer zweiten Phase von 1936 bis 1938 kamen dann Menschen hinzu, die nicht dem rassistischen Weltbild der Nazis entsprachen: Juden, Sinti und Roma, angebliche „Asoziale“ und „Arbeitsscheue“, Behinderte und Kriegsgefangene. Erst in einer dritten und vierten Phase von 1939 bis zum Kriegsende 1945 entstanden dann die Vernichtungslager, mit denen der Begriff KZ heute verbunden wird.

Seehofers „Masterplan“ steht in dieser braunen Tradition. Wie in den Dreißigerjahren kann die Politik der sozialen Konterrevolution und der Kriegsvorbereitung nur mit Diktatur durchgesetzt werden. Passagen aus dem „Masterplan“ lesen sich wie eine Abschrift aus den bürokratischen Vorschriften, mit denen die nationalsozialistische Terrorherrschaft organisiert wurde.

Punkt 36 fordert für Flüchtlinge etwa die „flächendeckende Anwendung der bereits gesetzlich bestehenden Verpflichtungen zu einer medizinischen Untersuchung, insbesondere bei übertragbaren Krankheiten, sowie vergleichbare verpflichtende Untersuchungen auch bei Personen, die nicht verpflichtet sind, in Aufnahmeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünften zu wohnen“.

Punkt 37 fordert den „Ausbau des Ausländerzentralregisters (AZR) zum alleinigen zentralen Ausländerdateisystem“. Außerdem soll das „Mindestalter für die Abnahme von Fingerabdrücken auf den Zeitpunkt der Vollendung des sechsten Lebensjahres“ herabgesetzt und der „Aufbau eines europäischen Kerndatensystems zur europaweiten Verifizierung und Überprüfung von Identitäten“ vorangetrieben werden.

Punkt 10 zielt auf den Aufbau eines Polizeistaats und fordert u.a. den „Ausbau und die Stärkung der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit“ sowie den „Ausbau des Verbindungsbeamten-Netzwerkes der Bundespolizei in den Herkunfts- und Transitländern“. Außerdem gehe es um die „Weiterentwicklung der zivilen VN- und EU-Polizei-Missionen in Herkunfts- und Transitländern zur Stabilisierung der Sicherheitslage in betroffenen Staaten“ und die „Bildung eines Personalpools zum Ausbau der deutschen Beteiligung an internationalen Polizeieinsätzen und somit Erleichterung der Entsendung in Auslandseinsätze“.

Das erklärte „politische Ziel“ sind die komplette Abriegelung der „Festung Europa“ und Massenabschiebungen in die Kriegsgebiete des Nahen und Mittleren Ostens. „Vollziehbar Ausreisepflichtige müssen unser Land zeitnah verlassen“, heißt es im Abschnitt „Rückkehr“. Und: „Der negative Abschluss eines Asylverfahrens muss gleichzeitig der Beginn des Abschiebungsverfahrens sein. Die Zahlen der freiwilligen Rückkehr und der Rückführung müssen deutlich gesteigert werden.“

Der „Masterplan“ der großen Koalition lässt keinen Zweifel daran, dass sich die Überwachungs- und Polizeistaatsmaßnahmen gegen die Arbeiterklasse insgesamt richten und darauf abzielen, die deutsche Großmacht- und Kriegspolitik gegen die wachsende soziale und politische Opposition durchzusetzen. „Diesem Masterplan liegt die Überzeugung zugrunde, dass unser Land seine Verantwortung nach Außen nur wahrnehmen kann, wenn zugleich der Zusammenhalt im Innern erhalten bleibt“, heißt es bereits in der Präambel.

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