Julian Assange befindet sich in großer Gefahr. Äußerungen der ecuadorianischen Außenministerin deuten darauf hin, dass sich ihre Regierung womöglich darauf vorbereitet, dem WikiLeaks-Redakteur das 2012 gewährte politische Asyl zu entziehen und ihn den britischen Behörden zu übergeben, die ihn an die USA ausliefern würden.
Am 28. März hat Ecuador auf Druck der USA, Großbritanniens und anderer ein vollständiges Kontaktverbot für Assange verhängt. Er darf seither weder über das Internet noch per Telefon Verbindung zur Außenwelt aufnehmen, und seine Freunde und Unterstützer dürfen ihn nicht mehr besuchen. Seit 45 Tagen hat man nichts mehr von ihm gehört.
Die ecuadorianische Außenministerin Maria Fernanda Espinosa erklärte vergangenen Mittwoch in einem spanischsprachigen Interview, dass ihre Regierung und Großbritannien „die Absicht und das Interesse haben, dieses Problem zu lösen“. Man sei dabei, eine „abschließende Vereinbarung“ über Assange zu erzielen.
Wenn Assange dem britischen Staat in die Hände fällt, wird er an die USA ausgeliefert. Letztes Jahr erklärte US-Generalstaatsanwalt Jeff Sessions es zur „Priorität“, Assanges wegen Spionage vor Gericht zu stellen. Der damalige CIA-Direktor und heutige Außenminister Mike Pompeo bezeichnete WikiLeaks als „nichtstaatlichen feindlichen Geheimdienst“.
2010 hatte WikiLeaks Informationen veröffentlicht, die ihm vom damaligen Gefreiten Bradley [jetzt Chelsea] Manning zugespielt worden waren. Manning deckte Kriegsverbrechen auf, die amerikanische Streitkräfte im Irak und in Afghanistan begangen hatten. Außerdem veröffentlichte WikiLeaks in Zusammenarbeit mit einigen der größten Zeitungen der Welt Zehntausende von geheimen diplomatischen Mitteilungen, die die täglichen Intrigen des US-Imperialismus und zahlreicher anderer Regierungen enthüllten.
Daraufhin wurde Assange von der Obama-Regierung unerbittlich verfolgt. Im November 2010 wurde eine geheime Grand Jury einberufen und ein Haftbefehl gegen ihn erlassen. Der Verdacht lautete auf Spionage, was mit der Todesstrafe geahndet werden kann. Die damalige Labour-Regierung in Australien unter Premierministerin Julia Gillard warf Assange, der die australische Staatsbürgerschaft besitzt, den Wölfen zum Fraß vor. Sie weigerte sich, ihn zu verteidigen, und erklärte sich bereit, mit den USA zusammenzuarbeiten, um ihn festzunehmen und vor Gericht stellen zu lassen.
Am 19. Juni 2012 beantragte Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London Asyl. Er sollte damals an Schweden ausgeliefert wurde, wo ihm fälschlicherweise sexuelle Übergriffe vorgeworfen wurden, und von dort aus möglicherweise an die USA überstellt werden.
Seitdem sitzt er, inzwischen fast sechs Jahre lang, in einem kleinen Raum ohne direktes Tageslicht fest. Er durfte das Land nicht einmal zwecks medizinischer Behandlung verlassen, da die britische Regierung ihn wegen Verletzung der Kautionsbedingungen verhaften würde, sobald er den Fuß vor die Botschaft setzt.
Seit sechs Wochen und drei Tagen wird ihm sogar das Recht auf Kommunikation verweigert.
Jennifer Robinson, die in Großbritannien ansässige australische Anwältin, die Assange seit 2010 vertritt, sagte der Londoner Times in einem Interview in diesem Monat: „Sein Gesundheitszustand ist sehr schlecht. Er hat schon seit geraumer Zeit ein Problem mit seiner Schulter. Er braucht ein MRT (Magnetresonanztomographie), das nicht in der Botschaft durchgeführt werden kann. Er hat Zahnprobleme. Hinzu kommen die langfristigen Auswirkung, niemals an der frischen Luft zu sein, und seine Sehschwäche. Er könnte nicht weiter sehen als von hier bis zum Ende des Flurs.“
Der Versuch, Assange vor ein US-Gericht zu bringen, ist direkt mit der breit angelegten Kampagne des amerikanischen Staates und seiner Verbündeten verbunden, eine umfassende Zensur im Internet durchzusetzen. Haarsträubende Anschuldigungen über „russische Einmischung“ in die US-Wahlen 2016 und „Fake News“ wurden vorgeschoben, um zu fordern, dass Google, Facebook und andere Internetkonzerne den Zugriff auf Websites – einschließlich WikiLeaks und der World Socialist Web Site – blockieren, die kritische Kommentare und Enthüllungen über die herrschende Klasse und ihre Handlanger veröffentlichen.
WikiLeaks wurde absurderweise als „pro-russisch“ angeprangert, weil es Informationen des Nationalkomitees der Demokratischen Partei der USA veröffentlicht hatte. Aus diesen Daten ging hervor, mit welchen undemokratischen Intrigen die Parteiführer die Kampagne von Bernie Sanders bei den Präsidentschaftsvorwahlen 2016 untergraben wollten. Außerdem veröffentlichte WikiLeaks Reden der Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton, die ihre engen Beziehungen zu den Banken und Unternehmen der Wall Street veranschaulichten.
Zur Rechtfertigung der Internet-Zensur behaupten US-Geheimdienste, dass die Informationen von russischen Agenten gehackt und an WikiLeaks geliefert worden seien, um Clinton zu schaden und Trump zu fördern, den Moskau angeblich als das „kleinere Übel“ unterstützte.
Auf diese hysterischen Anschuldigungen hin brach WikiLeaks mit seiner Tradition, keine Angaben zu seinen Quellen zu machen. Es bestritt öffentlich, dass Russland die Quelle der durchgesickerten Informationen war. Das hat die Fortsetzung der Kampagne nicht verhindert. Anhänger der Demokratischen Partei verstiegen sich sogar dazu, Assange als „nützlichen Idioten des Kremls“ zu bezeichnen. WikiLeaks wird für die Wahlniederlage von Hillary Clinton verantwortlich gemacht, deren wirklicher Grund darin bestand, dass Millionen Arbeiter von ihrer reaktionären, kriegstreiberischen Kampagne abgestoßen waren.
Dutzende Organisationen und Hunderte Einzelpersonen, die einst behaupteten, Assange und WikiLeaks zu verteidigen, sehen schweigend und tatenlos zu, wie die ecuadorianische Regierung vor dem Druck der Großmächte in die Knie geht und mit den britischen und amerikanischen Behörden zusammenarbeitet.
Die Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen für willkürliche Inhaftierungen, die im Februar 2016 Assanges Verfolgung als „eine Form der willkürlichen Inhaftierung“ verurteilte und seine Freilassung forderte, hat keine Stellungnahme zu seiner aktuellen Situation abgegeben.
In Großbritannien schweigen die Labour Party und ihr Vorsitzender Jeremy Corbyn zum Vorgehen Ecuadors. Sie erheben keinen Einspruch gegen die erklärte Absicht der konservativen Regierung, Assange zu verhaften, sollte er die Botschaft verlassen.
In Australien sind die derzeitige liberal-nationale Regierung und die Gewerkschaftsführung ebenso mitschuldig. Die australischen Grünen, die behaupteten, sich der Verfolgung von Assange zu widersetzen, haben keine Erklärung im Parlament abgegeben und keine Pressemitteilung herausgegeben, geschweige denn zu öffentlichen Protesten aufgerufen. Hunderte von Redakteuren, Journalisten, Akademikern, Künstlern und Anwälten im ganzen Land, die WikiLeaks 2010 und 2011 öffentlich verteidigt haben, sind verstummt.
Ähnlich ist die Lage in Europa und in den USA. Die so genannten Parteien der „Linken“ und die Gewerkschaften lassen den jüngsten bösartigen Vorstoß gegen Assange stillschweigend geschehen.
Auf der ganzen Welt halten die stalinistischen und pablistischen pseudolinken Organisationen den Mund, weil sie ihre schmutzigen Beziehungen zu den Parteien des politischen Establishments und den Gewerkschaftsapparaten nicht gefährden wollen.
Die World Socialist Web Site und das Internationale Komitee der Vierten Internationale verteidigen Julian Assange und WikiLeaks bedingungslos. Wenn es der herrschenden Elite gelingt, ihn vor Gericht zu zerren, wird sie an ihm ein Exempel statuieren und vorführen, was jemand zu erwarten hat, der gegen soziale Ungleichheit, Militarismus, Krieg und Polizeistaatsmethoden aufsteht. Das Gerichtsverfahren würde benutzt werden, um nach Möglichkeit jeden Dissens einzuschüchtern und zum Verstummen zu bringen.
Wenn Assange zu Gefängnis oder Schlimmerem verurteilt und WikiLeaks geschlossen würde, wäre das ein schwerer Schlag gegen die demokratischen Rechte der gesamten internationalen Arbeiterklasse.
Schließt euch dem Aufruf der WSWS und des IKVI an und fordert die sofortige Freilassung von Julian Assange!