Seit nunmehr drei Wochen protestieren die Feuerwehrleute vor dem Berliner Rathaus gegen katastrophale Arbeitsbedingungen und Personalmangel. Ihr Protest findet viel Unterstützung. Die vor Kurzem gestartete Petition #BerlinBrennt hat bereits 63.000 Unterschriften erhalten. „Berlin brennt“-Aufkleber werden in allen Teilen Deutschlands verbreitet.
Mit ihrer Mahnwache machen die Feuerwehrleute auf die verheerenden Auswirkungen der rabiaten Sparpolitik des Berliner Senats auf lebenswichtige Bereiche der öffentlichen Versorgung aufmerksam. Bei der Feuerwehr fehlen über 1000 Stellen, die Bezahlung ist schlecht, es herrschen Zwölf-Stunden-Dienste bei einer 48-Stunden-Woche. Die Zahl der Notrettungseinsätze ist angesichts der schnell wachsenden Bevölkerung sprunghaft gestiegen. Die Arbeitshetze ist unerträglich. Die Wartezeiten auf einen Rettungswagen betragen innerhalb Berlins teilweise bis zu 40 Minuten.
Von der Sparpolitik sind alle Bereiche von öffentlichem Interesse betroffen. In der Pflege fehlen nach offiziellen Angaben 3000 Stellen. Die Teilprivatisierung der landeseigenen Krankenhäuser, die Reduzierung der Aufnahmekapazitäten durch Senkung der Bettenzahlen und Einsparungen beim medizinischen und Pflegepersonal führen zu Warteschlangen in den Notaufnahmestellen und zur Abweisung von Rettungswagen mit Patienten, die von überlasteten Intensivstationen nicht mehr aufgenommen werden.
Immer neue Kürzungsprogramme haben Berlin in die „Hauptstadt der Armut“ verwandelt. Es fehlen mindestens 3000 Lehrer zum neuen Schuljahr im August. Es fehlt an Erziehungspersonal, an Schul- und Kindergartenplätzen, vernünftig bezahlten Arbeitsplätzen und bezahlbaren Wohnraum, um nur einige Beispiele zu nennen. Jedes dritte Kind, insgesamt 175.000 Minderjährige leben von Hartz IV und sind arm. Jeder sechste Erwachsene ist von Armut bedroht. Verzweiflung und Elend sind nahezu an jeder Straßenecke zu sehen. Tausende Obdachlose leben auf den Straßen Berlins.
Um den Kampf der Feuerwehrleute und im gesamten öffentlichen Dienst zum Erfolg zu führen, müssen einige politische Tatsachen unumwunden ausgesprochen werden:
Erstens: Alle im Berliner Senat und im deutschen Bundestag vertretenen Parteien unterstützen die Politik der Haushaltskürzungen und des Sozialabbaus. Das gilt auch für die SPD, Die Linke und die Grünen, die derzeit in Berlin gemeinsam regieren.
Der soziale Kahlschlag in Berlin wurde vom „rot-roten“ Senat unter Klaus Wowereit (2001-2011) rasant vorangetrieben. Während die rot-grüne Bundesregierung von Gerhard Schröder die Steuern für die Reichen senkte, die Agenda 2010 verkündete und die Hartz-Gesetze verabschiedete, trat der Berliner Senat aus dem Arbeitgeberverband aus, um die Löhne und Gehälter im Öffentlichen Dienst um 12 Prozent zu reduzieren. Er strich die Anschlussförderung für Zehntausende Sozialwohnungen, verscherbelte die größte landeseigene Wohnungsgesellschaft GSW an internationale Immobilienspekulanten und privatisierte die Berliner Wasserbetriebe sowie zahlreiche Kliniken.
Das war Bestandteil einer internationalen Politik, die zur Folge hatte, dass die Zahl der Milliardäre und Millionäre weltweit explodierte. Inzwischen besitzen acht Milliardäre gleich viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung! Auf der anderen Seite hat die Zahl der Armen und prekär Beschäftigten sowie der Stress am Arbeitsplatz drastisch zugenommen. Schulen, Gesundheitsversorgung und öffentliche Infrastruktur zerfallen überall.
Man kann diese Entwicklung nicht stoppen und umkehren, ohne die Vermögen und die Macht der Spekulanten, Banken und der Reichen anzutasten – d.h. ohne für ein sozialistisches Programm zu kämpfen. Doch das lehnen die SPD, die Linke und die Grünen entschieden ab. Sie vertreten nicht die Interessen der Arbeiter, sondern die einer wohlhabenden Mittelschicht, die von der kapitalistischen Ausbeutung profitiert.
Das Geld für die Verbesserung öffentlicher Dienstleistungen und die Überwindung von Armut ist vorhanden, doch die Herrschenden stecken es in die Aufrüstung von Militär und Polizei, um sich auf zukünftige Kriege und die Unterdrückung des Klassenkampfs vorzubereiten.
Die Neuauflage der Großen Koalition im Bund hat das größte Aufrüstungsprogamm seit Hitler und eine massive Aufstockung der Polizei vereinbart. Gleichzeitig hält der neue SPD-Finanzminister Olaf Scholz an der Politik der „schwarzen Null“ seines CDU-Vorgängers Wolfgang Schäuble fest. Das bedeutet, dass die Kosten der Aufrüstung durch weitere Kürzungen im öffentlichen Dienst und bei den Sozialabgaben bezahlt werden müssen.
Michael Müller, der Regierende Bürgermeister Berlins, wird seinem Parteifreund Scholz dabei nicht in den Rücken fallen. Bereits wenige Wochen nach der letzten Berlin-Wahl im Herbst 2016 hatte der neue rot-rot-grüne Senat ein massives Aufrüstungsprogramm für Polizei und alle Sicherheitsdienste beschlossen, das mehrere hundert Millionen Euro umfasst. Statt die soziale Lage zu verbessern, bereitet sich der Senat darauf vor, den Widerstand gegen die untragbaren Zustände gewaltsam zu unterdrücken.
Zweitens: Verdi und alle anderen Gewerkschaften stehen in dieser Auseinandersetzung auf der Seite des Senats und nicht der Arbeiter. Viele Verdi-Funktionäre besitzen das Parteibuch der SPD, der Linken oder der Grünen und stecken mit dem Senat unter einer Decke. Schon zu Wowereits Zeiten hatte Verdi-Chef Frank Bsirske die übelsten Kürzungen in persönlichen Gesprächen mit dem Regierenden Bürgermeister Wowereit vereinbart.
In ganz Deutschland herrschen im öffentlichen Dienst ähnlich üble Bedingungen wie bei der Berliner Feuerwehr. Doch Verdi setzt ihren gesamten Organisationsapparat ein, um zu verhindern, dass sich eine Rebellion gegen die katastrophalen Bedingungen im öffentlichen Dienst, in den Kliniken, Pflegeheimen und Schulen entwickelt. Dem dient auch ihre Taktik in der jüngsten Tarifrunde in den Kommunen und im Bund. Sie organisiert einzelne Warnstreiks, um Dampf abzulassen, mit der festen Absicht, in der dritten Verhandlungsrunde einen Abschluss zu vereinbaren, der nicht einmal die Inflationsrate deckt und den öffentlichen Arbeitgebern für zwei oder drei Jahre den Rücken freihält.
Drittens: Es wäre eine große Illusion zu glauben, der Senat werde unter dem Druck einer Mahnwache oder öffentlichen Petition nachgeben. Selbst wenn er sich zu einem taktischen Zugeständnis gezwungen sieht, wird er dies unweigerlich an anderer Stelle zwei- oder dreifach zurückholen.
Nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse, die alle Bereiche des öffentlichen Diensts und der Privatwirtschaft mit einbezieht, kann die soziale Konterrevolution stoppen. Das erfordert einen bewussten Bruch mit den Gewerkschaften und den Aufbau von unabhängigen Arbeiterkomitees, die den Widerstand organisieren und Kontakt zu Arbeitern in anderen Bereichen, Regionen und Ländern knüpfen.
Die Proteste der Berliner Feuerwehrleute sind Teil einer wachsenden internationalen Mobilisierung. In mehreren Bundesländern der USA streiken seit Monaten die Lehrer gegen schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne. Auch dort hat die zuständige Gewerkschaft versucht, die Streikbewegung abzuwürgen, doch die Lehrer haben sich widersetzt. In Frankreich kämpfen Eisenbahner, Müllarbeiter, Krankenhausbeschäftigte, Piloten sowie Studenten und Schüler gegen die Macron-Regierung, die im Schnelldurchgang eine französische Version der Hartz-Gesetze einführen will.
Um erfolgreich zu sein, braucht diese Bewegung ein sozialistisches Programm. Sie muss für Arbeiterregierungen kämpfen, die die Gesellschaft und die Wirtschaft nach den Bedürfnissen der Bevölkerung und der Beschäftigen organisieren, und nicht nach der Rendite der Aktionäre und Spekulanten.
Für eine solche Perspektive kämpft die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP). Im Wahlaufruf zur Bundestagswahl im vergangen Herbst schrieben wir: „Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der die Bedürfnisse der Menschen höher stehen als die Profitinteressen der Wirtschaft. Die großen Vermögen, Banken und Konzerne müssen enteignet und unter demokratische Kontrolle gestellt werden. Nur so können die sozialen Rechte aller gesichert werden. Dazu gehören das Recht auf einen angemessen bezahlten Arbeitsplatz, eine erstklassige Ausbildung, bezahlbaren Wohnraum, sichere Renten, eine sehr gute medizinische Versorgung und Zugang zu Kultur.“