Der Koalitionsvertrag, auf den sich CDU, CSU und SPD am 7. Februar geeinigt haben, legt die Grundlage für die rechteste deutsche Regierung seit dem Fall der Nazi-Diktatur. Die Große Koalition, die auf seiner Grundlage gebildet werden soll, vertritt die Interessen der Banken, Konzerne und Superreichen. Sie wird die Angriffe auf die Arbeiterklasse fortsetzen und nach innen und nach außen massiv aufrüsten. Ihre Politik führt unweigerlich zu Krieg und Diktatur.
Die Sozialistische Gleichheitspartei lehnt eine solche Regierung ab und fordert Neuwahlen. Die Große Koalition hat keine demokratische Legitimation. Sie wurde am 24. September abgewählt und wird inzwischen von weniger als einem Drittel der Wähler unterstützt. Sie ist das Ergebnis einer Verschwörung von Banken und Wirtschaftsverbänden, Militärs, Geheimdiensten und bürgerlichen Parteien, die seit viereinhalb Monaten abgeschirmt von der Öffentlichkeit verhandeln und intrigieren, um eine rechte Regierung an die Macht zu bringen.
Die Arbeiterklasse hat ein Recht zu wissen, was die Große Koalition im Schilde führt. Das gilt nicht nur für den Koalitionsvertrag, dessen wirklicher Inhalt von Medien und Parteien gezielt beschönigt, vertuscht und verfälscht wird, sondern auch für die weitreichenden Absprachen und Vereinbarungen, die hinter den Kulissen getätigt wurden. Die SGP fordert deshalb, dass alle geheimen Protokolle und Teilnehmerlisten der Koalitionsgespräche veröffentlicht werden.
Auch die 450.000 SPD-Mitglieder, die in den kommenden Wochen über den Koalitionsvertrag abstimmen, haben ein Recht zu wissen, was wirklich vereinbart wurde. Sie müssen verlangen, dass alle Einzelheiten der Koalitionsverhandlungen auf den Tisch kommen. Sonst lassen sie sich als Stimmvieh missbrauchen, das eine Politik absegnet, deren Inhalt und Folgen es weder kennt noch abschätzen kann.
Bereits eine flüchtige Lektüre des Koalitionsvertrags zeigt, dass viele Vereinbarungen, die auf heftigen Widerstand stoßen würden, nur angedeutet sind. So heißt es darin, Deutschland habe „ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen“ über Kernwaffen teilzuhaben. Das kann im Klartext nur bedeuten, dass die Große Koalition selbst Atomwaffen will.
Was wurde hier vereinbart? Gibt es Pläne für den Bau einer deutschen Atombombe? Gibt es Absprachen mit Präsident Emmanuel Macron über eine deutsche Beteiligung an der französischen „Force de Frappe“? Macrons Vorvorgänger Nicolas Sarkozy hatte bereits 2007 eine solche Beteiligung angeboten, was Bundeskanzlerin Angela Merkel aber damals noch abgelehnt hatte.
Der Koalitionsvertrag bekennt sich außerdem zu den „vereinbarten Nato-Fähigkeitszielen“ und zur „bestmöglichen Ausrüstung“ für die „Soldatinnen und Soldaten“ der Bundeswehr. Doch während er die Kosten aller anderen Bereiche sorgfältig durchrechnet und quantifiziert, fehlen hier jegliche Zahlenangaben, obwohl es sich um ungleich größere Beträge handelt.
Was genau wurde hier vereinbart? Offenbar will die Große Koalition das Nato-Ziel von 2 Prozent des BIP erreichen, was einer Verdoppelung des Militärhaushalts auf jährlich 70 bis 80 Milliarden Euro entspricht. Welche Kürzungen bedeutet dies angesichts der Verpflichtung auf einen ausgeglichenen Haushalt und dem Verzicht auf jegliche Steuerhöhungen für die Reichen? Was sind die Folgen für die Sozialausgaben und die geplanten Mehrausgaben, die sich für die ganze Legislaturperiode auf 46 Milliarden Euro, also knapp 12 Milliarden im Jahr belaufen? Wurde bereits eine neue Agenda-Politik vereinbart?
Man kann Dutzende ähnliche Passagen anführen, bei denen der Koalitionsvertrag den Leser offensichtlich im Unklaren lässt oder gezielt hinters Licht führt.
Hinzu kommt eine intensive Kampagne der Medien und der Führung der SPD, den reaktionären Charakter des Koalitionsvertrags zu verschleiern. Über die militärischen und außenpolitischen Ziele, die seinen Schwerpunkt ausmachen, berichten sie kaum. Stattdessen werden sekundäre Fragen aufgebauscht und homöopathische Trostpflaster, wie die Erhöhung des Kindergelds um 25 Euro im Verlauf von vier Jahren (!), zu sozialen Wohltaten verklärt.
Dabei atmet jede Zeile des 177-seitigen Vertrags den Geist der Geheimdienste, der Militärs und der Thinktanks, die seit Jahren für eine Wiederbelebung des deutschen Militarismus und für eine europäische Großmachtpolitik werben. Im Mittelpunkt stehen die Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Außen- und Großmachtpolitik und die Verwandlung der Europäischen Union in ein waffenstarrendes Militärbündnis in enger Zusammenarbeit mit Frankreich.
Der Vertrag nennt Länder, Regionen und ganze Kontinente, die der deutsche Imperialismus wieder als seine Einflusszone betrachtet: Vom Westlichen Balkan über Russland, die Ukraine, die Türkei, Afghanistan, die „Region des Nahen und Mittleren Ostens, Golfregion und Nordafrika“, Afrika und Lateinamerika bis nach Asien.
Union und SPD haben vereinbart, die „aktuellen Auslandseinsätze der Bundeswehr“ zu verlängern und auszuweiten, „weitere Schritte auf dem Weg zu einer ‚Armee der Europäer‘ [zu] unternehmen“ und die „begonnene Erneuerung, Modernisierung und Erweiterung der Bundeswehr“ beschleunigt fortzuführen.
Der Austeritätskurs der Vorgängerregierungen, der Millionen von Arbeitern und Jugendlichen in Armut und Arbeitslosigkeit gestürzt hat, soll sowohl in Deutschland wie in Europa fortgesetzt werden. Der Vertrag bekennt sich zu einem ausgeglichenen Haushalt und zur Beibehaltung des europäischen „Stabilitäts- und Wachstumspakts“.
Innenpolitisch plant die Große Koalition die Errichtung eines Polizeistaats, um die wachsende Opposition gegen soziale Angriffe, Militarismus und Krieg unter Arbeitern und Jugendlichen zu unterdrücken. Der Maßnahmenkatalog umfasst 15.000 neue Stellen für die Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern und 2000 neue Stellen in der Justiz, die Aufrüstung der Polizei, die Ausweitung der Videoüberwachung, die Stärkung der Geheimdienste und die Erweiterung der Zensur über das Internet. Mit der Nominierung des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer zum Chef des Innenressorts, das nun Heimatministerium heißt, wird ein strammer Law-and-order-Kurs in der Innenpolitik garantiert.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
In der Flüchtlingspolitik übernimmt der Koalitionsvertrag den Kurs der rechtsextremen AfD. Die Zuwanderung wird auf jährlich 180.000 bis 220.000 begrenzt, Asylbewerber werden in zentralen Lagern kaserniert, Ausreisepflichtige konsequent abgeschoben und die Binnen- und europäischen Außengrenzen strikt abgeschottet.
Verschwörungen und geheime Absprachen hinter den Kulissen haben in Deutschland eine lange und unselige Tradition. Das Ende der Weimarer Republik war davon geprägt. Bereits drei Jahre vor Hitlers Machtübernahme stützten sich die Regierungen nicht mehr auf parlamentarische Mehrheiten, sondern auf Notverordnungen und Erlasse des Präsidenten. Wer die illegale Aufrüstung der Reichswehr anprangerte, wie Carl von Ossietzky, landete im Gefängnis.
Am 30. Januar 1933 ernannte dann eine Clique um Reichspräsident Paul von Hindenburg, die sich auf Industrielle, Militärs und anderen Reaktionäre stützte, Adolf Hitler zum Reichskanzler, obwohl seine Partei zwei Monate vorher eine empfindliche Wahlniederlage erlitten hatte.
Angesichts der tiefen globalen Krise des Kapitalismus, zunehmenden Konflikten mit den USA, China und Russland und wachsender Kriegsgefahr in Ostasien und dem Nahen Osten kehrt der deutsche Imperialismus zu den verbrecherischen Methoden der Vergangenheit zurück. Im Koalitionsvertrag wird dies deutlich ausgesprochen. „Neue Schwerpunktsetzungen der USA, das Erstarken Chinas und die Politik Russlands machen deutlich: Europa muss sein Schicksal mehr als bisher in die eigenen Hände nehmen“, heißt es dort.
Wir rufen alle SPD-Mitglieder, die in den kommenden Tagen über den Koalitionsvertrag abstimmen, dazu auf, ihn abzulehnen. Es darf auf keinen Fall zugelassen werden, dass die Große Koalition fortgesetzt wird, um Krieg und neue soziale Angriffe vorzubereiten.
Wirklich gestoppt werden, kann die rechte Verschwörung, die im Kern von allen Bundestagsparteien und weiten Teilen der europäischen Bourgeoisie unterstützt wird, allerdings nur durch die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms. Die Streiks in der Metall- und Elektroindustrie der vergangenen Wochen haben gezeigt, welch kämpferisches Potential in der Arbeiterklasse steckt. Doch die IG Metall hat alles getan, um die Streiks am Vorabend der Veröffentlichung des Koalitionsvertrags abzuwürgen. Der DGB und seine Einzelgewerkschaften zählen zu den stärksten Unterstützern der Großen Koalition und ihrer rechten Politik.
Die Sozialistische Gleichheitspartei wird in den nächsten Wochen eine intensive Kampagne in der Arbeiterklasse und an den Schulen und Universitäten führen, um die reaktionären Machenschaften der herrschenden Klasse aufzudecken und zusammen mit ihren Schwesterparteien in Frankreich und Großbritannien eine machtvolle sozialistische Bewegung in ganz Europa gegen Kapitalismus, Krieg und Diktatur aufbauen. Die Forderung nach Offenlegung aller geheimer Absprachen und nach Neuwahlen ist dabei ein wichtiger Schritt.