Am Dienstagabend begannen in ganz Deutschland 24-stündige Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie. Nach Angaben der IG-Metall stand am Mittwoch in 80 Betrieben mit rund 68.000 Beschäftigten die Produktion still. Bis Freitagabend sollen bis zu 200 weitere Betriebe für 24 Stunden bestreikt werden. Insgesamt könnten sich bis zu 500.000 Arbeiter an den Ausständen beteiligen. Das sind die größten Streiks der Branche seit 15 Jahren.
Die Streiks sind von einem offensichtlichen Widerspruch geprägt. Während es unter den Beschäftigten eine enorme Wut über die Bereicherung der Konzerne und die immer schlechteren Arbeitsbedingungen gibt, setzt die Gewerkschaft alles daran, eine breite Mobilisierung zu verhindern und die Streiks ins Leere laufen zu lassen.
Die IG Metall hat ihre ursprüngliche Forderung nach sechs Prozent mehr Lohn längst aufgegeben und ist dem provokativen Drei-Prozent-Angebot der Konzerne schon auf 3,6 Prozent entgegengekommen. Zudem hat sie die Bereitschaft signalisiert, die 35-Stunden-Woche weiter auszuhöhlen. Sie hat die Streiks nur ausgerufen, um Dampf abzulassen und dann eine miese Vereinbarung mit den Arbeitgebern zu schließen.
„Unser Ziel ist weiterhin ein Ergebnis ohne Flächenstreiks“, sagte Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, am Mittwoch in Frankfurt. „Die IG Metall ist nach wie vor an konstruktiven Lösungen am Verhandlungstisch interessiert. Unsere Tür steht offen für weitere Gespräche.“
Doch die Arbeiter gingen bei den Abstimmungen zum Streik nicht von einem solchen Deal, sondern von ihrer Wut über Jahre des Lohnverzichts aus. Sie stimmten in den einzelnen Betrieben mit überwältigenden Mehrheiten für den Ausstand. Im Mercedes-Benz-Achsenwerk Kassel votierten 98 Prozent der Beschäftigten für Arbeitskampfmaßnahmen. Bei AVO Carbon, einem Autozulieferer in Frankfurt/Main, stimmten 95,5 Prozent der IGM-Mitglieder dafür, am Donnerstag für 24 Stunden die Arbeit niederzulegen. Auch bei den Grillo-Werken in Duisburg lag die Zustimmung bei fast 100 Prozent.
Die IG Metall begegnet dieser radikalen Stimmung, indem sie alles daran setzt, die Streiks zu vereinzeln und eine größere Mobilisierung zu verhindern. In einer logistischen Höchstleistung hat sie die 24-stündigen Streiks über drei Tage verteilt und dabei darauf geachtet, dass nicht zu viele Betriebe aus einer Region zur gleichen Zeit streiken. Die Gewerkschaft hält zwar zahlreiche Mini-Kundgebungen zu Beginn von Streiks an bestimmten Betrieben ab, beschränkt diese aber auf einen oder sehr wenige Betriebe.
Beim Maschinenbauer Coperion in Stuttgart trafen WSWS Reporter nur auf kleine Streikposten. Ein Gewerkschaftsfunktionär, der seinen Namen nicht nennen wollte, erklärte, dass es für die IG Metall sehr schwer sei, Arbeiter für den Streikposten zu gewinnen. Wie alle Streiks am Mittwoch, wurde der Ausstand nach 24 Stunden beendet. Als die Arbeiter bei Coperion am Mittwochabend die Arbeit wieder Aufnahmen, rief die Gewerkschaft die Arbeiter des Bosch-Werkes im gleichen Stadtteil zum Streik auf, der dann wiederum bis Donnerstagabend andauern soll.
Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Streikposten in der Vakuumschmelze Hanau. Der Traditionsbetrieb galt mal als Vorzeigebetrieb der Gewerkschaft, aber auch dort hat die IG Metall massiv an Einfluss verloren. Vor drei Jahren hatte sie mit dem US-Mutterkonzern OM Group den Abbau von weiteren 200 Arbeitsplätzen vereinbart, so dass heute nur noch 1.400 Beschäftigte dort arbeiten. Auch hier war die Zustimmung zum Streik nahezu einhellig, die Präsenz am Streikposten aber sehr gering.
Im wachsenden Widerspruch zwischen Gewerkschaften und Beschäftigten drückt sich eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung aus. Arbeiter sind nicht nur mit der Rücksichtslosigkeit des einen oder anderen Unternehmers, sondern mit einer internationalen sozialen Konterrevolution konfrontiert, die von den Unternehmen, dem Staatsapparat und sämtlichen Parteien vorangetrieben wird. Die Gewerkschaften stehen in dieser Auseinandersetzung auf der Seite der Unternehmen.
Das internationale Ausmaß der sozialen Angriffe wurde vor allem bei den Protesten gegen den deutschen Großkonzern Siemens deutlich, der nicht nur wegen der Tarifrunde, sondern wegen der geplanten Massenentlassungen im Fokus steht.
Eine Delegation von Siemens-Beschäftigten aus Görlitz radelte in einem Fahrrad-Corso fast 750 Kilometer weit nach München, um gegen die geplante Stilllegung ihres Werkes zu protestieren. Sie wurden am Mittwoch von mehreren hundert Siemens-Arbeitern aus anderen Standorten begeistert begrüßt und reihten sich in einen Spalier ein, durch das die Teilnehmer der Siemens-Hauptversammlung in der Münchner Olympiahalle gehen mussten. Am selben Tag demonstrierten Siemens-Mitarbeiter in Frankfurt.
Am Dienstag erklärte Siemens-Chef Joe Kaeser auf der Aktionärsversammlung, dass er trotz der zunehmenden Proteste an seinem Stilllegungsprogramm festhalten werde. Zum angekündigten „harten Sparprogramm“ gebe es keine Alternative, betonte er. Gleichzeitig verteidigte Kaeser seine lobenden Worte für US-Präsident Donald Trump. Kaeser wörtlich: „Ich fühle mich nicht schlecht dabei, dem Präsidenten zu seiner Steuerreform zu gratulieren.“
Während dem Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos hatte der amerikanische Präsident in der vergangenen Woche die Vorstandsvorsitzenden von 15 deutschen und europäischen Konzernen geladen. Siemens-Chef Kaeser durfte direkt neben Trump Platz nehmen und sprach als erster: „Weil Sie so erfolgreich waren mit der Steuerreform, haben wir uns entschlossen, unsere nächste Generation von Gasturbinen in den USA zu entwickeln.“ Trump: „Oh, das ist eine große Sache. Das ist fantastisch.“
Kaeser, der auch gute Kontakte ins Kanzleramt unterhält und die Bildung einer Großen Koalition unterstützt, ließ keinen Zweifel daran, dass er von der künftigen Bundesregierung eine vergleichbare Steuerreform im Interesse der Unternehmer und Superreichen erwartet. Vor den versammelten Aktionären in der Münchner Olympiahalle betonte er, als Chef eines Weltkonzerns müsse er die globale Unternehmensstrategie ständig darauf ausrichten, wo die besten Produktionsbedingungen existieren.
SPD und CDU bereiten sich in den Koalitionsverhandlungen darauf vor, das Programm von Trump auch in Deutschland durchzusetzen. Sie planen eine Regierung der Sozialangriffe, des Militarismus und der Staatsaufrüstung, die das rechteste Programm seit dem Ende des Naziregimes umsetzt. Die großen Gewerkschaften haben längst ihre Unterstützung für dieses Projekt verkündet.
Das wird auch an den Betrieben diskutiert. Ein Kollege, der seit fast 40 Jahren in den ebefalls bestreikten Grillo-Werken in Duisburg beschäftigt ist, erklärte: „Ich erwarte da gar nichts von der Großen Koalition, erst recht keine sozialen Verbesserungen. Viele fühlen sich verraten. Das ist ja auch der Grund, weshalb jetzt die AfD im Bundestag sitzt. Und jetzt wird es weiter so gehen.“ Ein Kollege pflichtet ihm bei: „Am Anfang erklärt die SPD, sie gehe in die Opposition, jetzt geht sie wieder in die Große Koalition. Mehr kann man sein Gesicht doch gar nicht verlieren.“
Am BMW-Werk in Berlin, das am Freitag bestreikt werden soll, treffen Reporter der WSWS den 34-jährigen Leiharbeiter Simon. Er weiß noch nicht, ob er zum Streik gehen wird. Man habe es den Leiharbeitern freigestellt, ob sie zuhause bleiben oder zum Streikposten kommen. Die Leiharbeiter sind von den gegenwärtigen Tarifverhandlungen nicht betroffen, weil die Gewerkschaften für sie eigene, sehr viel schlechtere Tarifverträge festgelegt haben. In dieser wachsenden Gruppe von Arbeitern ist die IG Metall daher besonders verhasst.
Simon unterstützt die Forderung nach Neuwahlen und ist empört darüber, dass die abgewählte Koalition hinter verschlossenen Türen die neue Regierung plant. Die Arbeiter schafften den Reichtum für eine Minderheit und würden selbst immer weniger erhalten, beklagt er.
Die Perspektive der SGP, Arbeiter international im Kampf gegen die sozialen Angriffe zu vereinen, begeistert ihn. „Genau das ist es!“, ruft er aus. Die Berichte von spontanen Streiks gegen die Gewerkschaft in Rumänien hört er mit großem Interesse. „Es ist so schade, dass man darüber so wenig hört“, sagt er und nimmt gleich einen ganzen Stoß von Flugblättern der SGP mit, um sie unter Kollegen zu verteilen.