Während die Ablehnung der Großen Koalition wächst, trommeln die Gewerkschaften für eine Neuauflage des Regierungsbündnisses von CDU, CSU und SPD. Am Montag forderte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann die SPD auf, in förmliche Koalitionsverhandlungen mit den Unionsparteien einzusteigen. „Diese Große Koalition ist in der Summe besser als das, was wir mit Jamaika jemals erreicht hätten.“ Im Vergleich enthalte solch ein Bündnis „weit mehr Substanz“ für Arbeitnehmer, erklärte Hoffmann gegenüber dem Radiosender MDR aktuell.
Natürlich gebe es auch Schwachstellen, fügte der DGB-Chef hinzu. Man könne aber „doch nicht die Augen verschließen und sagen: Ich nehme das alles nicht und lasse das alles liegen“. Das wäre nicht angemessen. Hoffmann betonte, die Debatte in der SPD sei „total nachvollziehbar und ist auch richtig“. Er gehe aber davon aus, dass die Führung der SPD auf dem anstehenden Parteitag am 21. Januar eine klare Unterstützung bekomme.
Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Michael Vassiliadis, äußerte sich im Deutschlandfunk ähnlich. Er empfehle „der SPD, dass sie diese wichtigen Projekte für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach vorne bringt“. Das könne „man in der GroKo jetzt machen“. Opposition sei „keine Reha, in der man die besseren Möglichkeiten hat, eine programmatische Erneuerung vorzunehmen“.
Welche „Substanz“ und „programmatische Erneuerung“ die Gewerkschaften im Sinn haben, zeigt ein Blick in die am Freitag veröffentlichten „Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD“, die als Grundlage für eine Neuauflage der Großen Koalition dienen sollen. Inhalt des 28-seitigen Papiers sind nicht „wichtige Projekte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“, sondern programmatische Eckpunkte zur Bildung der rechtesten Regierung in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Die World Socialist Web Site hat die Ziele von Union und SPD bereits in den letzten Tagen ausführlich kommentiert: In der Flüchtlingspolitik wurde die Forderung der extremen Rechten nach einer Obergrenze übernommen und vereinbart, „dass die Zuwanderungszahlen die Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen werden“.
In der Sozial- und Finanzpolitik soll der Austeritätskursverschärft werden, der in den letzten Jahren Millionen von Arbeitern und Jugendlichen in Deutschland und ganz Europa in die Verzweiflung getrieben hat. Formulierungen wie, „Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit der EU im Kontext der Globalisierung stärken“ und „Wir wollen fiskalische Kontrolle in der EU vorantreiben“, sprechen Bände.
Im Innern wird der Staatsapparats massiv aufgerüstet, um die wachsende Opposition gegen soziale Ungleichheit, Militarismus und Krieg unter Kontrolle zu halten und notfalls brutal zu unterdrücken. Union und SPD wollen „die Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern ... um zusätzlich 15.000 Stellen ausbauen“ und „mindestens 2000 neue Stellen in der Justiz (Gerichte, Staatsanwaltschaften, Vollzugsbehörden)“ schaffen.
Außenpolitisch will die Große Koalition den deutschen Militarismus vorantreiben, dessen Rückkehr sie auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 verkündet hat. Damit die Bundeswehr die „ihr erteilten Aufträge in allen Dimensionen sachgerecht erfüllen kann, werden wir den Soldatinnen und Soldaten die bestmögliche Ausrüstung, Ausbildung und Betreuung zur Verfügung stellen“, heißt es im Papier. Außerdem kündigen Union und SPD eine Ausweitung der Kriegseinsätze der Bundeswehr in Mali, Afghanistan und in Syrien an.
In seinem Interview mit dem Deutschlandfunk unterstrich Vassiliadis, dass die Gewerkschaften diese militaristische Offensive voll unterstützen. Es sei „viel programmatische und wichtige Arbeit geleistet worden vom ehemaligen Außenminister [Frank-Walter Steinmeier], vom jetzigen Außenminister [Sigmar Gabriel]“, erklärte er. Damit stellt sich Vassiliadis hinter die aggressiven Großmachtpläne der beiden sozialdemokratischen Architekten der außenpolitischen Wende.
Gabriel hatte erst vor wenigen Tagen in einem Spiegel-Interview erklärt: „In einer Welt voller Fleischfresser haben es Vegetarier sehr schwer“, und explizit die Wiederbelebung einer unabhängigen deutschen Kriegspolitik gefordert. Deutschland könne sich nicht mehr darauf verlassen, „dass Franzosen, Briten und allen voran die Amerikaner unsere Interessen in der Welt durchsetzen“. Das Vertrauen darauf, dass die USA Deutschland im Kriegsfall Beistand leisten, sollte man nicht überstrapazieren, so Gabriel. „In einer unbequemen Welt werden wir es uns als Europäer nicht mehr bequem machen können und auf die USA warten.“
Die Unterstützung der Gewerkschaften für die Wiederkehr des deutschen Militarismus und eine Neuauflage der Großen Koalition kommt nicht überraschend. Bereits Anfang 2013 hatte der damalige DGB-Chef Michael Sommer auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) den Schulterschluss mit der Bundeswehr geübt. Gewerkschaftsbürokraten wie Hoffmann und Vassiliadis sind selbst führende Sozialdemokraten und arbeiten bei den sozialen Angriffen auf die Arbeiterklasse eng mit der SPD-Spitze im Willy-Brandt-Haus zusammen.
Arbeiter und Jugendliche müssen die reaktionäre Politik der Gewerkschaften als Kampfansage verstehen. In der aktuellen Tarifauseinandersetzung in der Metall- und Elektroindustrie und bei den Protesten gegen Massenentlassungen und Werkschließungen bei Siemens und Bombardier stehen die Gewerkschaften nicht auf der Seite der Arbeiter, sondern auf der Seite der bürgerlichen Regierung und der kapitalistischen Konzerne.
Arbeiter, die für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und eine Verbesserung ihrer Löhne und Arbeitsbedingungen kämpfen wollen, müssen sich deshalb in unabhängigen Aktionskomitees organisieren und Kontakt zu protestierenden Arbeiter in anderen Ländern herstellen.
Überall in Europa rumort es unter der Oberfläche, und die Opposition gegen die von den Regierungen und Gewerkschaften verfolgte asoziale und militaristische Politik wächst. Ende des vergangenen Jahres rebellierten Ford-Arbeiter in Rumänien in einem wilden Streik gegen die vom Unternehmen kontrollierte Gewerkschaft und in den vergangenen Tagen streikten und protestierten zehntausende Arbeiter in Griechenland gegen den sozialen Kahlschlag und die Einschränkung des Streikrechts durch die pseudo-linke Syriza-Regierung.
Gleichzeitig fordert die Verteidigung von Löhnen und Arbeitsplätzen einen politischen Kampf gegen die von den Gewerkschaften unterstütze Große Koalition. Die Sozialistische Gleichheitspartei ruft dazu auf, die gegenwärtigen Warnstreiks und Proteste auszuweiten und zum Auftakt für eine breite politische Mobilisierung für Neuwahlen zu machen. Es darf auf keinen Fall zugelassen werden, dass Union und SPD ihre reaktionären Pläne in die Tat umsetzen.
Die SGP verstärkt ihre Kampagne für Neuwahlen und kämpft in der Arbeiterklasse für ein sozialistisches Programm. Dabei stehen folgende Forderungen im Zentrum:
• Nie wieder Krieg! Stoppt die Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Großmachtpolitik!
• Schluss mit Armut und Ausbeutung – für soziale Gleichheit! Die großen Vermögen, Banken und Konzerne müssen enteignet und unter demokratische Kontrolle gestellt werden.
• Verteidigt demokratische Rechte und das Recht auf Asyl! Nein zu staatlicher Aufrüstung und Überwachung!
• Weder Nationalismus noch EU-Diktatur! Für ein vereintes sozialistisches Europa!
Die wichtigste Voraussetzung für die Verwirklichung eines sozialistischen Programms ist der Aufbau einer neuen sozialistischen Massenpartei. Wir appellieren an alle Arbeiter und Jugendlichen, die die Angriffe auf Arbeitsplätze und Löhne ablehnen und gegen Krieg, Armut und Unterdrückung kämpfen wollen, mit der SGP Kontakt aufzunehmen und sich dem Kampf für eine sozialistische Alternative anzuschließen.