Die amerikanische Federal Communications Commission (FCC) will die Netzneutralität abschaffen. Dies hat in den USA und auf der ganzen Welt massiven Widerstand ausgelöst. Experten und einfache Nutzer der Internettechnologie sind zu Recht darüber empört, dass die FCC, die amerikanische Behörde zur Regelung der Kommunikationswege, im Auftrag der Wirtschaft das offene und freie Internet angreift.
Der FCC-Vorsitzende Ajit Pai hat den Vorschlag gemacht, dass die Internetprovider (ISPs) den Fluss der Inhalte im Internet praktisch selbst kontrollieren. Das begünstigt Provider wie Comcast/Xfinity, Communications/Spectrum, AT&T und Verizon. Seit die FCC diese Pläne am 21. November ankündigte, hat sie mehr als eine halbe Million Zuschriften erhalten, die sich dagegen aussprachen.
Das Grundkonzept der Netzneutralität lautet, dass alle Informationen im Internet gleich behandelt werden. Dazu wurde mit der Open Internet Order (Regeln für das offene Internet), die im Juni 2015 in Kraft trat, ein begrenzter Regulierungsrahmen eingeführt. Er verbietet es Providern, bestimmte Arten und Quellen von Internet-Inhalten auf der Grundlage von wirtschaftlichen Interessen zu begünstigen oder einzuschränken.
Pais ist erst nach Donald Trumps Wahlsieg zum Vorsitzenden der FCC ernannt worden. Seither gingen die Provider in die Offensive, um die Regeln aus der Zeit der Obama-Regierung zu beseitigen. Pai verlor keine Zeit und präsentierte bereits im April einen Entwurf für die Abschaffung der Netzneutralität. Die endgültige Fassung des Gesetzes wird vermutlich auf der FCC-Konferenz am 14. Dezember mit einer Drei-zu-Zwei-Mehrheit angenommen werden.
Zahlreiche Internetexperten haben bereits erklärt, dass der Deregulierungsplan der FCC dazu führen wird, dass die Besitzer der technologischen Infrastruktur, die hunderte Millionen verkabelte und kabellose Computersysteme mit dem Internet verbindet, freie Hand erhalten. Dies wird Praktiken Tür und Tor öffnen, die für das freie Internet schädlich sind. Diese Konzerne können u.a. die IP-Adressen von Websites oder einzelnen Nutzern blockieren, selektiv die Geschwindigkeit von Internetverbindungen drosseln und kostenpflichtige „Überholspuren“ für bevorzugte Dienstleistungen schaffen.
Die Abschaffung der seit Jahrzehnten gültigen Prinzipien der Netzneutralität ist ein neuer Schritt bei den Bestrebungen der US-Regierung und der Großkonzerne, Online-Inhalte zu zensieren. Diese Entscheidung geht in die gleiche Richtung wie die Zensur von oppositionellen Nachrichten und linken Websites. Im April haben Google und Facebook begonnen, unter dem Vorwand des Kampfs gegen Fake News und „russische Einflussnahme“, progressive Inhalte zu zensieren.
Der Plan der FCC ist grundlegend undemokratisch. Seine Enthüllung ist von entscheidender Bedeutung, damit die Bevölkerung die Tragweite der geplanten Maßnahmen versteht. Am Dienstag gab Pai dies indirekt zu, als er in einer Rede diejenigen kritisierte, die in den sozialen Netzwerken darauf hinweisen, dass es autoritär, bedrohlich und gefährlich sei, den Konzernen die Kontrolle über das Internet zu übertragen. Diesen Personen warf er vor, mit ihren Warnungen Panikmache und Hysterie zu schüren.
Eine genaue Analyse des Plans der FCC zeigt jedoch, dass diese Charakterisierung genau zutrifft. Die Breitband-Internetmonopolisten unternehmen mit Unterstützung durch Demokraten und Republikaner die notwendigen Schritte, um bestimmte Nachrichten, Kommentare und andere Inhalte zu bevorzugen, die der Staat und die Mainstream-Medien für unbedenklich halten. Gleichzeitig werden Informationen über die Kämpfe der Arbeiterklasse und revolutionäre, sozialistische Inhalte, wie sie die World Socialist Web Site publiziert, immer stärker delegitimiert und auch gesperrt.
Was plant die FCC?
Der 210-seitige Plan mit dem Orwell‘schen Titel „Wiederherstellung der Freiheit im Internet“ sieht die uneingeschränkte Abschaffung der Netzneutralität vor. Der Plan sieht vor, die großen Telekommunikationsmonopolisten nicht mehr als Kommunikationsunternehmen oder Netzbetreiber im Sinne des Regulierungsrahmens Title II zu betrachten, wie er in den 1930er Jahren festgelegt wurde. Stattdessen werden sie laut dem FCC-Plan als Informationsanbieter nach Title I klassifiziert. Das bedeutet, dass sie wesentlich größere Freiheit erhalten, in den Datenverkehr einzugreifen.
Diese Änderungen des Regulierungsstatus' und der juristischen Definition der Provider sind von großer Bedeutung. Gemäß den Vorgaben von Title I gibt die FCC die Aufsicht über die Provider an die Federal Trade Commission ab, die so gut wie keinerlei Möglichkeiten hat, schädliche oder ungerechte Praktiken im Vorfeld zu unterbinden. Der Plan sieht vor, die Regelungen des Internet Conduct Standard abzuschaffen. Als Rechtfertigung dafür wird behauptet, es sei „unwahrscheinlich“, dass die Provider die Offenheit des Internets beeinträchtigen würden.
Im Mittelpunkt des Vorschlags der FCC steht die Behauptung, die Regeln zur Netzneutralität von 2015 wichen von der Politik der letzten zwanzig Jahre ab, die im Telecommunications Act von 1996 festgelegt wurden. Das Dokument der FCC behauptet in betrügerischer Absicht, die Behörde kehre zu der Politik zurück, die während der Clinton-Regierung mit Beginn des kommerziellen Internets angefangen hatte. Damals gab es einen parteiübergreifenden Konsens, die Bewahrung des freien digitalen Marktes zur nationalen politischen Aufgabe zu machen.
In Wirklichkeit hat der Regulierungsrahmen Title II faktisch die Netzneutralität formuliert, die seit den 1990ern das Leitprinzip des Internets war. Dass die FCC jetzt die freie Marktwirtschaft im Internet propagiert, hat nichts mit dem Schutz des Zugangs der Öffentlichkeit zu Informationen zu tun. Vielmehr fördert sie unverhohlen die wirtschaftlichen Interessen der Provider, die in den letzten zwanzig Jahren die Vorherrschaft über die Infrastruktur des Internets erlangt haben.
Die Umklassifizierung der Provider von Versorgern zu Dienstleistern basiert auf der Behauptung, die Regulierung der Netzneutralität habe Innovationen abgewürgt. Der Plan bezieht sich an zahlreichen Stellen auf Marktstudien und Umfragen zu Investitionen, laut denen die Regulierungen von 2015 die Ausweitung der Breitbandinfrastruktur eingeschränkt und Investoren abgeschreckt hätten.
Wer sich mit den erwähnten Dokumenten und ihren Quellen beschäftigt, erkennt jedoch, dass die Stiftungen und Denkfabriken enge Beziehungen zu den Telekomkonzernen und zu dem Teil der akademischen Welt haben, der staatliche Regulierungen überhaupt ablehnt. Ein Bericht mit dem Titel „Investitionen in Breitbandinternet hat sich seit Einführung der Open Internet Order um 5,6 Milliarden Dollar verringert“ wurde beispielsweise von der Free State Foundation veröffentlicht. Diese Organisation verfolgt das ausdrückliche Ziel, Steuern zu reduzieren und die individuelle und wirtschaftliche Freiheit, darunter das Recht auf Eigentum, zu schützen.
Alternative Studien, laut denen sich die Investitionen in Provider seit den Internetregeln 2015 gar nicht verringert haben, wurden im Dokument der FCC nicht berücksichtigt. Die Aktivistengruppe Freepress.net beispielsweise hat einen Bericht veröffentlicht, laut dem sich die Investitionen aller börsennotierten Provider insgesamt um mehr als sieben Milliarden Dollar erhöht haben, seit die FCC die Netzneutralität eingeführt hat.
Breitband-Monopole
Der Deregulierungsplan der FCC basiert auf grundlegenden Prozessen der kapitalistischen Wirtschaft, vor allem dem Trend zur Integration und Monopolbildung der Medien. Seit das Internet für wirtschaftliche Aktivitäten freigegeben wurde, vor allem seit der kommerziellen Einführung von Browsern im World Wide Web 1993, sind diese Trends offensichtlich geworden. Und sie setzen sich immer schneller durch.
Ende der 1990er Jahre setzte mit dem Dotcom-Boom an der Wall Street eine Welle von Übernahmen der einheimischen unabhängigen Provider ein, die in der Anfangszeit des Webs gegründet worden waren. In diesen Jahren wurden enorme Summen investiert, weil erwartet wurde, dass Firmen wie AOL, AT&T oder Compuserve, die Internetzugang über Einwahl anboten, beträchtliche Gewinne einbringen würden. Allerdings blieb ein Großteil der Branche regional beschränkt. Tausende von kleineren Providern konkurrierten um Kunden, die sich mit normalen Telefonverbindungen und einem Modem in das Internet einwählten.
Als die Dotcom-Blase geplatzt war, ging die Zahl der unabhängigen Provider stark zurück. Der Zusammenbruch der Aktienkurse ging mit der Entwicklung und dem Ausbau des Breitband-Internets einher. Breitband meint einen Hochgeschwindigkeitszugang ins Internet, der immer zur Verfügung steht und um ein Vielfaches schneller ist als der Zugang durch Einwahl.
Die Breitbandindustrie begann mit Drahtkabel- und Telefon-basierten digitalen Teilnehmeranschlüssen (DSL) und entwickelte sich schnell zur Nummer eins unter den Providern. In dieser Zeit entwickelten sich mehrere große regionale Provider zu führenden Anbietern eines Internetzugangs für die Endkunden und die Wirtschaft. Sie benutzten dazu zuerst die Infrastruktur der Kabelfernsehanbieter aus den 1970ern und die noch älteren Kupferdrahtkabel der Telefonindustrie.
Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts begann ein Wettlauf um die Konsolidierung des Breitbandinternet-Marktes unter einigen sehr großen nationalen Konzernen, die heute die Vormachtstellung innehaben. Laut veröffentlichten Statistiken kontrollieren nur vier Unternehmen – Comcast/Xfinity, Charter/Spectrum, AT&T und Verizon – mehr als 75 Prozent der 95 Millionen Nutzer mit festem Breitbandanschluss in den USA. Im Kabel-Breitbandsegment kontrollieren Comcast und Charter mehr als 80 Prozent des Marktes, und bei den schnellsten Service-Stufen steht den Verbrauchern sehr oft nur ein möglicher Provider zur Verfügung.
Abgesehen von dieser Konsolidierung vollzog sich in der Drahtlos-Breitbandindustrie, die auf der Handytechnologie der 1990er und 2000er Jahre basierte, ein ähnlicher Prozess. Auch dieser Markt wurde nach einer Welle von Firmenübernahmen und Konsolidierungen von einer Handvoll von Großkonzernen dominiert. Der Markt für mobile Breitbandzugänge wird von den vier Unternehmen Verizon, AT&T, T-Mobile und Sprint dominiert, die zusammen 98 Prozent der Nutzer an sich binden. Angesichts dieses Monopolregimes ist es absurd, wenn die FCC von einem offenen Internet und von Marktfreiheit spricht.
Im Laufe dieses Prozesses erhielten die Provider Unterstützung von der Politik. In der Legislative und Exekutive von Kommunen, Bundesstaaten und der amerikanischen Bundesregierung unterstützen Republikaner wie Demokraten diese Entwicklung der Monopolbildung gleichermaßen. Die heutige FCC ist selbst Ausdruck dieser Tendenz.
Parteiübergreifende Unterstützung für Telekommunikationsunternehmen
In der FCC sitzen Vertreter der Telekommunikationsbranche. Ihr Vorsitzender Ajit Pai war zuvor Generalberater für Verizon. 2011 wurde er von Barack Obama auf Empfehlung des Senats-Minderheitsführers Mitch McConnell als Republikaner-Vertreter in die FCC nominiert. Der US-Senat stimmte am 14. Mai 2012 einstimmig dafür, seine vierjährige Amtszeit zu bestätigen. Im Januar 2017 ernannte Donald Trump ihn zum FCC-Vorsitzenden.
Drei der vier anderen FCC-Vorstandsmitglieder wurden während Obamas zweiter Amtszeit nominiert und vom US-Senat einstimmig bestätigt. Auch Trumps einziger Kandidat, Brendan Carr, der zuvor als Rechtsberater für Ajit Pai tätig war, wurde am 3. August 2017 einstimmig vom US-Senat bestätigt.
Beim Kampf innerhalb der FCC um Netzneutralität geht es weniger um den Kampf für das, was die Öffentlichkeit als freies und offenes Internet kennt, sondern mehr um Konkurrenzkämpfe zwischen rivalisierenden Gruppen von Technologie- und Medienkonzernen. Die Open-Internet-Regeln von 2015 waren das Ergebnis eines Kampfs zwischen den so genannten Edge-Providern – Alphabet (Google und YouTube), Amazon, Netflix und Facebook – gegen die Provider-Monopolisten.
Nachdem Comcast 2011 NBC-Universal übernommen hatte, wurde es offensichtlich, dass die Provider ihre eigenen Internet-Inhalte auf Kosten der Edge-Provider und anderer Konkurrenten bevorzugen wollten. Also setzten die Betreiber von Suchmaschinen, sozialen Netzwerken und Videostreaming-Diensten ihren politischen Einfluss im Kongress und im Weißen Haus ein, um die Netzneutralität als Hindernis gegen die Provider einzuführen.
Angesichts der tiefen politischen Krise und der Verschärfung der Klassenkonflikte setzt sich im herrschenden Establishment die Ansicht durch, dass das Internet von oppositionellem, linkem, sozialistischem und antikapitalistischem Gedankengut gesäubert werden muss. Die Abschaffung der Netzneutralität ist dabei ein weiterer großer Schritt auf dem Weg zur Einführung einer Internetzensur.