Wenige Tage vor der Bundestagswahl zeigen sich die Auswirkungen der Rückkehr Deutschlands zu Krieg und Militarismus immer deutlicher. Beim „Kyffhäuser-Treffen“ der rechtsextremen AfD in Thüringen Anfang September forderte deren Spitzenkandidat Alexander Gauland, einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit zu ziehen und diese positiv zu bewerten.
Kein anderes Volk habe „so deutlich mit einer falschen Vergangenheit aufgeräumt wie das deutsche“, rief er seinem johlenden Publikum zu. Über die nationalsozialistische Terrorherrschaft von 1933 bis 1945 erklärte Gauland: „Man muss uns diese zwölf Jahre nicht mehr vorhalten. Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr. Und das sprechen wir auch aus.“ Die Deutschen hätten deshalb „auch das Recht, uns nicht nur unser Land, sondern auch unsere Vergangenheit zurückzuholen“.
Gauland meint damit die Verherrlichung der schrecklichen Verbrechen, die der deutsche Militarismus in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts beging. „Wenn die Franzosen zurecht stolz auf ihren Kaiser sind und die Briten auf Nelson und Churchill, dann haben wir das Recht, stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“, erklärte er gegen Ende seiner zwanzigminütigen Rede.
Zur deutschen Erinnerung gehörten der Hitler-Attentäter Stauffenberg ebenso wie Wehrmachtsgeneral Erwin Rommel, Sedan oder „das Schlachthaus von Verdun“. Dies sei „deutsche Geschichte, und die lassen wir nicht von einer türkischstämmigen Deutschen entsorgen“, rief der AfD-Führer. Er spielte damit auf seine frühere Forderung an, man solle die Bundesintegrationsbeauftragte Aydan Özoguz in Anatolien „entsorgen“.
Vertreter der etablierten Parteien reagierten auf Gaulands faschistische Tirade mit scheinheiligem Entsetzen und dem Ruf nach staatlicher Überwachung. „Die Äußerungen entlarven Gauland als ultrarechten Militaristen“, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. „Es fehlt mir jede Vorstellungskraft, wie man auf Millionen Tote, barbarische Kriegsverbrechen und eine Zerstörung von ganz Europa auch nur ansatzweise stolz sein kann.“
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz appellierte an den Verfassungsschutz, die AfD wegen extremistischer Tendenzen zu beobachten. „Die völkische Rhetorik auch in der AfD-Spitze zeigt doch, dass man davon ausgehen muss, dass nicht nur an der Basis, sondern auch in der Führung der Partei eine Gesinnung herrscht, die mit den Grundwerten unserer Verfassung nicht vereinbar ist“, sagt er in einem Interview in der aktuellen Ausgabe des Spiegel.
Vertreter der anderen Bundestagsparteien stießen ins gleiche Horn. „Sollte sich die AfD noch weiter radikalisieren, ist eine Beobachtung der AfD durch unsere Inlandsnachrichtendienste in Zukunft selbstverständlich nicht ausgeschlossen“, erklärte der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer (CSU), dem Handelsblatt. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck sagte: „Mir fehlt jedes Verständnis dafür, dass die offen rechts auftretenden Teile der AfD wie einige Landesverbände, die ‘Patriotische Plattform’ und ‘Der Flügel’ noch nicht beobachtet werden.“
Sind Schulz, Oppermann und Co. wirklich der Meinung, sie könnten der großen Mehrheit der Bevölkerung, die über den Neonazismus und Rassismus der AfD empört ist, Sand in die Auge streuen? In Wahrheit haben die gleichen Parteien und Medien, die sich jetzt empören, der AfD den Boden bereitet. Sie sind ideologisch und politisch dafür verantwortlich, dass 70 Jahre nach dem Untergang des Hitler-Faschismus wieder eine rechtsextreme Partei in den Bundestag einziehen kann.
Die Medien bieten der Flüchtlingshetze und dem Nationalismus, die das Markenzeichen der AfD ausmachen, seit langem eine Plattform. Das begann vor sieben Jahren mit dem Medienhype für Thilo Sarrazins rassistisches Buch „Deutschland schafft sich ab“. Im Wahlkampf vergeht kein Tag, an dem führende Vertreter der AfD in prominenten Talkshows nicht zur besten Sendezeit ihre rechtsextreme Hetze betreiben können.
Obwohl die anderen Parteien in der Regel (noch) beteuern, dass sie nach den Wahlen nicht mit der AfD zusammenarbeiten werden, haben sie deren Programm weitgehend übernommen. Im Wahlkampf überbieten sich CDU/CSU, SPD, FDP, Linkspartei und Grüne mit Forderungen nach mehr Aufrüstung und einem aggressiveren Vorgehen gegen Flüchtlinge.
Die Rehabilitierung der Wehrmacht und die Verharmlosung ihrer historischen Verbrechen wird nicht nur von Gauland betrieben, der vierzig Jahre lang in führender Funktion dem „Stahlhelm“-Flügel der CDU in Hessen angehörte. Als Anfang Mai eine neonazistische Terrorzelle in der Bundeswehr entdeckt wurde, stellten sich Vertreter aller Parteien demonstrativ hinter die Armee. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die zunächst einige kritische Bemerkungen über die Pflege der Wehrmachtstradition durch die Bundeswehr gemacht hatte, ruderte schnell zurück. Kasernen, die die Namen von Wehrmachtsgenerälen tragen, werden nicht umbenannt.
Auch die SPD erachtet jede, noch so zahnlose Kritik an der Wehrmachtstradition der Bundeswehr für illegitim. In einem Interview mit dem Bundeswehrverband erklärte Schulz jüngst: „Wir als SPD haben es auch als sehr ungehörig empfunden, dass Frau von der Leyen zuletzt die Angehörigen der Bundeswehr unter Generalverdacht gestellt hat“. Das habe „Vertrauen beschädigt“.
In seiner Kyffhäuser-Rede sprach Gauland lediglich besonders drastisch aus, woran die deutschen Eliten seit langem arbeiten: Sie relativieren die historischen Verbrechen des deutschen Imperialismus, um neue Kriege und Verbrechen vorzubereiten.
Bereits im Januar 2014 hatte der in höchsten Regierungskreisen vernetzte Humboldt-Professor Herfried Münkler in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärt: „Es lässt sich kaum eine verantwortliche Politik in Europa betreiben, wenn man die Vorstellung hat: Wir sind an allem schuld gewesen. Bezogen auf 1914 ist das eine Legende.“
Nur einen Monat später ließ sich sein Kollege Jörg Baberowski im Spiegel mit der Aussage zitieren: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“ Zugleich verteidigte er Ernst Nolte, der bereits im Historikerstreit vor 30 Jahren für eine grundlegende Revision des Umgangs mit der NS-Vergangenheit eingetreten war: „Nolte wurde Unrecht getan. Er hatte historisch recht.“
In Baberowskis Büchern finden sich zahlreiche Passagen, die die Verbrechen der Nazis verharmlosen. So wenn er behauptet, Stalins Armee habe der Wehrmacht den Vernichtungskrieg „aufgezwungen“. Auch gegen Flüchtlinge hetzt Baberowski in unzähligen Artikeln und Interviews in einer Weise, die sich nicht von jener der AfD unterscheidet.
Doch als die Sozialistische Gleichheitspartei und ihre Jugend- und Studentenorganisation International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) Baberowski öffentlich kritisierten, entfachten führende Medien und Akademiker einen Sturm der Entrüstung und stellten sich hinter den rechtsextremen Historiker. Heute kann niemand mehr leugnen, dass zwischen dem revisionistischen Gestank, der aus der Humboldt-Universität strömt, und der Rückkehr des deutschen Militarismus, eine direkte Verbindung existiert, die ihren schärfsten Ausdruck in der AfD findet.
Gauland ist ein erklärter Unterstützer von Münklers Forderung, Deutschland müsse zum „Zuchtmeister“ Europas werden, um seine geopolitischen und ökonomischen Interessen zu verteidigen. Es sei „recht klug, was Herfried Münkler über die Macht der Mitte geschrieben hat“, sagte Gauland der Welt.
Baberowski bewegt sich mittlerweile in AfD-Kreisen. Sein Buch „Räume der Gewalt“ präsentierte er in der Bibliothek des Konservatismus, in der auch Gauland und andere AfD-Größen regelmäßig ein- und ausgehen. Figuren wie Björn Höcke, der Landesvorsitzende der AfD in Thüringen, verbreiten Baberowskis Hetze gegen Flüchtlinge auf Facebook.
Die Vertreter der etablierten Parteien mögen sich im Wahlkampf über die AfD empören. Was sie wirklich über Gaulands Rede denken, zeigt ihrer Haltung zu Baberowski. Er ist nicht nur in der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung ein gern gesehener Gast, auch die Grünen und die Linkspartei veranstalteten in der Vergangenheit Podiumsdiskussionen mit ihm. Die sozialdemokratische Präsidentin der Humboldt-Universität, Sabine Kunst, droht Baberowskis Kritikern mit strafrechtlicher Verfolgung, obwohl ein Gericht bestätigt hat, dass er als „Rechtsradikaler“ bezeichnet werden darf.
Die Zensur linker und antimilitaristischer Websites durch Google ist nicht zuletzt eine Reaktion auf die Kritik der World Socialist Web Site an Baberowski. Der Suchmaschinenverantwortliche von Google, Ben Gomes, hatte kurz davor deutsche Regierungsvertreter besucht. Seither erscheinen die WSWS-Artikel über Baberowski kaum mehr in den Suchergebnissen von Google.
Wie am Vorabend des Ersten und Zweiten Weltkriegs beginnt die herrschende Klasse wieder, jeden einzuschüchtern und mundtot zu machen, der es wagt, gegen Krieg und Militarismus aufzustehen. Alles hängt jetzt davon ab, dass Arbeiter und Jugendliche selbständig ins politische Geschehen eingreifen. Dieses Ziel verfolgt die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP). Sie ist die einzige Partei, die mit einem sozialistischen Programm zur Bundestagswahl antritt, das sich gegen Krieg und Kapitalismus richtet, und für eine internationale Bewegung der Arbeiterklasse gegen Sozialabbau, Rassismus und einen Rückfall in die Barbarei kämpft.