Die Krise, die nach dem Rücktritt des Generalstabschefs der französischen Streitkräfte General Pierre de Villiers ausgebrochen ist, hat sehr rasch den Klassencharakter der Bewegung Unbeugsames Frankreich (La France Insoumise – FI) entlarvt. Dessen Anführer, Jean-Luc Mélenchon, hat sich kurz nachdem er die Bewegung gegen die drastische Austeritätspolitik von Präsident Emmanuel Macron ins Leben gerufen hat, sehr schnell den finanziellen Forderungen angeschlossen, die de Villiers vor seinem Rücktritt gestellt hatte.
Das unterstreicht eine grundlegende politische Realität: Die Anti-Macron-Bewegung, die Mélenchon aufbauen will, ist eine Pro-Kriegs-Bewegung, die die Interessen der Arbeiterklasse den strategischen Interessen des französischen Imperialismus unterordnet. Langjährige historische Erfahrungen zeigen jedoch, dass man den Lebensstandard der Arbeiter nicht verteidigen kann, wenn man sich den Generälen unterordnet. Gegen Macron kündigen sich explosive Klassenkämpfe an, aber die Opposition der Arbeiter kann nur durch Kämpfe Ausdruck finden, die unabhängig von Mélenchon und seinen Verbündeten geführt werden.
Mélenchon ist ein eindeutiger Befürworter von Rüstungsausgaben und Krieg. Gegenüber den Medien verurteilte er Macrons „gewaltigen Fehler“, 850 Millionen Euro an Kürzungen bei den Rüstungsausgaben vorzuschlagen. Außerdem begrüßte er die provokative Stellungnahme von de Villiers vor der Nationalversammlung, in der dieser die Kürzungen verurteilte: „Wenn seine Pflicht darin besteht zu dienen, dann ist es auch seine Pflicht, die Realität der Situation zu beschreiben. Das Staatsoberhaupt hat für eine extrem ungesunde Situation zwischen der Armee und der Nation gesorgt, und ich bedauere das.“
Auf seinem Internet-Blog forderte Mélenchon großzügige finanzielle Unterstützung für Frankreichs Kriege: „Was immer man über Verteidigungsausgaben denkt, was immer man von den Konflikten hält, in die unsere Streitkräfte verwickelt sind, die Pflicht unseres Landes ist es, sich an diese Entscheidungen zu halten. Wir können nicht vier militärische Fronten eröffnen, ohne zu wissen, wer sie finanzieren wird. Dies zu verweigern, während Männer und Frauen sich mitten im Kampfgeschehen befinden, droht das ganze System zu stören, indem es zeigt, dass seine Führer selbst nicht an den Wert ihrer Entscheidungen glauben.“
Mélenchons Argumente sind reaktionär und falsch. Es ist nicht die „Pflicht“ der Franzosen, an neokolonialen Kriegen festzuhalten, die hinter ihrem Rücken von einer kleinen Clique an der Spitze des Nato-Bündnisses und von arbeiterfeindlichen Regierungen in Frankreich angezettelt wurden, und die gleichgültig gegenüber der weit verbreiteten Antikriegsstimmung waren.
Die Kriege der französischen Armee, ob im Nahen Osten, wo sie an den US-geführten Koalitionen teilgenommen haben, oder in Afrika, wo sie versuchen, die Vorherrschaft des französischen Imperialismus über sein ehemaliges Kolonialreich aufrechtzuerhalten, sind Akte imperialistischer Plünderung. Die Besetzung von Afghanistan und des Iraks, die Kriege in Syrien, Libyen oder Mali waren blutige Katastrophen.
Mélenchons Behauptung, es müsse alles getan werden, um die „Störung“ der Armee zu verhindern, indem das Ansehen und die massive Finanzierung dieser politisch kriminellen Kriege aufrechterhalten werden, zeigt, dass er auf der Seite der herrschenden Elite gegen die Arbeiter in Frankreich und überall auf der Welt steht. Das ist der politische Hintergrund der Bewegung, die Mélenchon gegen Macrons soziale Konterrevolution aufbauen will.
Die Ereignisse seit der französischen Parlamentswahl im letzten Monat haben bestätigt, dass die Europäische Union (EU) und Macron eine historische Konfrontation mit der Arbeiterklasse vorbereiten. Ein Ermächtigungsgesetz soll es Macron erlauben, die Arbeitsgesetze per Dekret zu ändern, um Maßnahmen durchzuführen, die die deutschen Sozialdemokraten bereits vor einem Jahrzehnt mit den Hartz-IV-Gesetzen gegen die deutschen Arbeiter umgesetzt haben. Den Ausnahmezustand in allgemeines Recht festzuschreiben, würde dazu führen, dass die Polizeirepressionen, die Macron gegen den wachsenden sozialen Widerstand vorbereitet, gänzlich der richterlichen Kontrolle entzogen werden.
Die riesigen Schritte, die Macron in Richtung Diktatur in Frankreich macht, bestätigen die Politik der Parti de l’égalité socialiste (PES) in den französischen Präsidentschaftswahlen. Die PES wies die Illusion zurück, man könne demokratische und soziale Rechte verteidigen, indem man für Macron und gegen die neofaschistische Kandidatin Marine Le Pen stimmt. Dagegen hatte sie in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen zum aktiven Boykott aufgerufen. Die PES erklärte, dass nur eine politisch unabhängige Politik, in Opposition zu den Parteien, die mit Macron und der ausscheidenden Sozialistischen Partei (PS) verbündet sind, die Arbeiter auf die künftigen Kämpfe vorbereiten kann.
Die vier Millionen leeren oder ungültig gemachten Stimmzettel, die bei den Präsidentschaftswahlen abgegeben wurden und die Stimmenthaltung von 57 Prozent in der zweiten Runde der Parlamentswahlen lassen die enorme potentielle Unterstützung für die Positionen der PES in der Arbeiterklasse erkennen.
Mélenchon setzt seine Politik aus den Präsidentschaftswahlen fort. Er versucht die Massenopposition sowohl gegen Macron als auch gegen Le Pen hinter eine bankrotte, parlamentarische Perspektive zu kanalisieren. Obwohl die meisten FI-Anhänger bei der Präsidentschaftswahl ihre Unterstützung für die Abgabe leerer oder ungültiger Stimmzettel erkennen ließen, rief Mélenchon nicht zum Boykott auf. Er weigerte sich, überhaupt eine Position zu beziehen. Später rief er seine Anhänger dazu auf, eine FI-Mehrheit in die Nationalversammlung zu wählen, damit er Macrons Premierminister werden kann.
Nach dieser überwältigenden Zurückweisung jeglicher Verantwortung, die Mélenchon durch die Unterstützung von 20 Prozent der Stimmen in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl übertragen wurde, errang die FI nur 15 Sitze in der Nationalversammlung. Am 12. Juli rief Mélenchon, umgeben von FI-Abgeordneten mit Schärpen in den Farben der Tricolore auf dem Place de la République, seine Wähler dazu auf, eine soziale Bewegung zu gründen. Ihr Ziel soll nach seinen Angaben sein, den parlamentarischen Einfluss der FI-Minderheit zu vergrößern, die Mélenchon als die einzig legitime politische Vertretung der Massenbewegung ansieht.
Er erklärte: „Im August wird es eine nationale Karawane geben. Im September werden wir natürlich die Gewerkschaften unterstützen, sofern sie darum bitten. Und wir werden unsere eigenen Märsche haben, die auch noch stattfinden [...] Ihr müsst euch darauf vorbereiten, zu handeln und mit euren Parlamentariern zusammenzuwirken, damit eine Osmose zwischen der Massenbewegung und der politischen Vertretung, die wir darstellen, stattfinden kann.“
Er verwies auf Macrons Dekrete, die es den Gewerkschaften und den Firmenchefs erlauben sollen, Verträge auf Firmenebene abzuschließen und die damit offen gegen das nationale Arbeitsgesetz verstoßen: „Sie verstehen, dass das, was die Besonderheit des Klassenkampfs in Frankreich, der Gewerkschaftsaktionen der Arbeiter und die großen Errungenschaften ausgemacht hat, zunächst zu Beginn des Jahrhunderts, als die Arbeitsgesetzgebung geschaffen wurde, dann 1936, dann die Befreiung, dann der Mai 1968 und der Mai 1981 [...] all das wird mit einem Federstrich beseitigt werden [...] Alles das wird umgestoßen zugunsten von Vereinbarungen auf der kleinsten lokalen Ebene.“
Zweifellos bereiten das französische und das globale Finanzkapital hinter Macron einen historischen Angriff auf die Arbeiterklasse vor, dessen Ausmaß das Ausmaß der Krise des Kapitalismus widerspiegelt. Die Vorherrschaft des US-Imperialismus, die unipolare Macht nach der Auflösung der UdSSR durch die stalinistische Bürokratie, bricht zusammen genauso wie die Europäische Union, die durch ihre destruktive und irrationale Sparpolitik diskreditiert ist. Und Frankreich, dem die internationale Wettbewerbsfähigkeit fehlt, erleidet einen industriellen und wirtschaftlichen Kollaps, auf den die Bourgeoisie mit diktatorischen Maßnahmen reagiert.
Doch was schlägt Mélenchon vor? Er will die Bevölkerung, mobilisiert in einer künstlichen Bewegung, als Unterstützung für eine kleine, impotente Minderheit in der Nationalversammlung benutzen, die offen mit der Armee sympathisiert. Er wird sich außerdem mit der Gewerkschaftsbürokratie abstimmen, die ihrerseits einige wenige Protestmärsche ohne Perspektive organisieren wird, während sie gleichzeitig den sogenannten „Gewerkschaftsscheck“ und andere pseudolegale Bestechungsgelder aushandelt, die Macron ihnen in seinen Dekreten geben will.
Diese Strategie ist absurd und dient nur dazu, die Arbeiter zu demobilisieren. Ihr wichtigstes Merkmal ist, wie Mélenchons Unterstützung für die Armee deutlich macht, ihre nationale und parlamentarische Ausrichtung. Sie soll und wird lediglich eine Bremse für die Entwicklung aufkommender Kämpfe der Arbeiterklasse sein.
Macrons Angriffe sind die Umsetzung der sozialen Angriffe in Frankreich, die die EU in ganz Europa durchführt. Ausgearbeitet und abgestimmt mit der deutschen SPD, soll die Arbeitsgesetzgebung, die Macron mit seinen Dekreten schaffen will, das erreichen, was die EU bereits in Griechenland erreicht hat: sämtliche, durch den Klassenkampf im 20. Jahrhundert errungene Rechte der Arbeiterklasse zu zerstören.
Diese Angriffe werden explosive Klassenkämpfe mit revolutionären Implikationen in ganz Europa auslösen. Wie die französischen Generalstreiks von 1936 und 1968 oder Frankreichs Befreiung von der faschistischen Herrschaft am Ende des Zweiten Weltkriegs werden sich die Kämpfe der Arbeiterklasse unabhängig von der Gewerkschaftsbürokratie entwickeln und sehr schnell über die Grenzen der einzelnen Länder hinausgehen. In diesen Kämpfen sind die Verbündeten der Arbeiter in Frankreich die Arbeiter im übrigen Europa und in der Welt.
Mélenchons Strategie ist reaktionär, denn sie isoliert die französischen Arbeiter von denen anderer Länder und blockiert den Kampf der Arbeiterklasse um die Macht. Gegenwärtig hat sie angesichts der winzigen Minderheit der FI in der Nationalversammlung auch keine Aussicht auf Erfolg. Aber selbst in Griechenland, wo Mélenchons Syriza-Verbündete 2015 die Wahl gewonnen haben, haben ihr Nationalismus und ihre Weigerung, die europäische Arbeiterklasse zur Unterstützung aufzurufen, Syrizas Opposition zur Ohnmacht verurteilt. Sie kapitulierte letztendlich vor dem Druck der Banken und der EU, angeführt von Berlin.
Die Schlussfolgerung, die Mélenchon in seiner deutschfeindlichen Streitschrift Bismarcks Hering zieht, ist, dass sich Paris auf einen Konflikt mit Berlin vorbereiten muss und, wenn notwendig, auch auf einen militärischen. Er schreibt: „Alles ist in Ordnung. Wir haben jedoch das Recht, Fragen zu stellen. Immerhin wurden wir in weniger als einem Jahrhundert dreimal [von Deutschland] überfallen. Und jetzt ist Deutschland in weniger als 20 Jahren zum drittgrößten Exporteur von Waffen geworden.“
Wenn Mélenchon de Villiers gegen Macron verteidigt, dann liegt das zu keinem geringen Teil daran, dass er gegen die deutsch-französische industrielle Zusammenarbeit bei der militärischen Produktion opponiert, die Merkel und Macron letzte Woche vorgeschlagen haben. Er unterstützt de Villiers, weil dieser gegen den Vorschlag aufgetreten ist. Mélenchon sieht in einer militärischen Zusammenarbeit mit Deutschland eine Bedrohung für die Franzosen. Sie könnten sich gegen Deutschland nur verteidigen, wenn eine Militärindustrie aufrechterhalten wird, die völlig unabhängig von Berlin ist.
Auf seinem Blog schrieb er: „Als [...] der Präsident einen abwegigen Plan für eine militärische Annährung an Deutschland vorgeschlagen hat, hat die Verbitterung gesiegt! [...] Wir haben bereits die Hälfte der Firma, die [Frankreichs] Leclerc-Panzer baut, an eine Familie deutscher Milliardäre verkauft. Wir dachten, der völlige Ausverkauf unserer Verteidigungsinteressen, die die Amtszeit von [PS-Präsident François] Hollande gekennzeichnet hat, wäre jetzt endlich vorbei. Es stellt sich jedoch heraus, dass das nicht der Fall ist. Die Armee, die jetzt deutsche Gewehre benutzen wird, wird morgen mit Flugzeugen fliegen, deren Produktion ebenfalls nicht mehr unter nationaler Kontrolle steht.“
Diese reaktionären Äußerungen weisen eine deutliche Ähnlichkeit mit dem Gehabe französischer bürgerlicher Politiker in den 30er-Jahren auf. Sie schworen, gegen Hitler zu kämpfen, um dann nach dem Nazi-Einmarsch 1940 erbärmlich zu kapitulierten. Sie zielen vor allem darauf ab, die europäische Arbeiterklasse zu spalten und zwischenimperialistische Spannungen anzuheizen, die im letzten Jahrhundert bereits zweimal zu Weltkriegen geführt haben.
Mélenchons politischer Bankrott widerspiegelt den allgemeinen Zusammenbruch der PS, der europäischen Sozialdemokratie und ihrem breiteren Umfeld, die allesamt in Befürworter von Austerität und Krieg verwandelt wurden. Jetzt geht das Gespenst der Revolution in Europa um. Die Aufgabe der PES besteht darin, in Zusammenarbeit mit den anderen Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in Europa die kommenden Kämpfe über nationale Grenzen hinweg politisch anzuführen und zu einem revolutionären Kampf zum Sturz des Kapitalismus und zum Aufbau der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa zu vereinen.