Die Amtseinführung von Donald Trump als Präsident der Vereinigen Staaten bildet den Auftakt zu einer Verschlechterung der Beziehungen zu Europa, insbesondere zu Deutschland, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie gegeben hat.
Der Zeremonie am 20. Januar ging ein gemeinsames Interview voraus, das Trump der britischen Sunday Times und der deutschen Bild-Zeitung gab. Seine Äußerungen waren eine Breitseite gegen die Institutionen, die als Grundlage der Nachkriegsordnung in Europa gedient haben.
Trump lobte den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, bezeichnete die EU als Werkzeug Deutschlands und sagte: „Wenn Sie mich fragen, es werden weitere Länder austreten.“ Er fuhr fort: „Schauen Sie, zum Teil wurde die Union gegründet, um die USA im Handel zu schlagen, nicht wahr? Also ist es mir ziemlich egal, ob sie getrennt oder vereint ist, für mich spielt es keine Rolle.“
Trump drohte der deutschen Autoindustrie Sanktionen an und warf Kanzlerin Angela Merkel vor, sie habe mit ihrer Flüchtlingspolitik Europa destabilisiert. Außerdem lehnte er Sanktionen gegen Russland ab und erklärte das Nato-Bündnis für „obsolet“.
Niemals zuvor hat sich ein US-Präsident ausdrücklich zum Ziel gesetzt, die EU zu zerschlagen, oder Großbritannien gegen Deutschland aufgewiegelt und sich mit der UK Independence Party und anderen rechten Anti-EU-Parteien solidarisch erklärt.
Die politische Elite Europas reagierte mit einhelliger Ablehnung.
Merkels Antwort lautete: „Ich denke, wir Europäer haben unser Schicksal selber in der Hand.“ Sigmar Gabriel betonte als Vorsitzender von Merkels Koalitionspartner SPD: „Wir müssen jetzt keine unterwürfige Haltung einnehmen... Für den Umgang mit Trump brauchen wir Deutschen Selbstbewusstsein und eine klare Haltung.“
Der französische Präsident François Hollande ließ verlauten, die „transatlantische Zusammenarbeit“ müsse fortan auf den eigenen „Interessen und Werten“ Europas basieren.
Die europäischen Thinktanks und Medien gehen von einer Zunahme des Militarismus und dem Ausbruch nationalistischer Spannungen aus.
„Die EU-Mitgliedstaaten müssen darüber nachdenken, ihre strategische Autonomie durch eine stärkere kollektive Verteidigung innerhalb der EU zu erhöhen“, erklärte Felix Arteaga von der Denkfabrik Real Instituto Elcano in Madrid.
Judy Dempsey von Carnegie Europe schrieb, Trump „könnte alte Ängste vor einer Einkreisung durch Deutschland wieder zum Leben erwecken“, indem er zur „Bandenbildung gegen Deutschland“ aufrufe. Da dies die neuen politischen Aussichten sind, müssen Europa und Deutschland reagieren“, meinte sie.
Im britischen Guardian mutmaßte Natalie Nougayrède: „Europa steht womöglich eine Rückkehr zu Einflusszonen bevor,... bei der die Regierungen eiligst versuchen, ihre eigenen Interessen zu sichern, egal, welchen Preis ihre Nachbarn dafür zahlen und was es für die Zukunft des Kontinents bedeutet.“
Trumps „America-First“-Politik ist eine seismische Verschiebung der amerikanischen Beziehungen zu Europa.
Der Christian Science Monitor zitiert John Hulsman, einen Experten für transatlantische Beziehungen. Er wirft den „europäischen Eliten“ vor, sich daran gewöhnt zu haben, „dass amerikanische Regierungschefs im Stile Wilsons die Führung Amerikas im Nachkriegssystem nie in Frage stellten“. Außerdem würden sie sich „nicht schnell genug auf die eher nationalistisch geprägte Weltsicht im Stile Jacksons einstellen, wie sie von Trump vertreten wird“.
Bisher befanden sich solche unilateralen Tendenzen auch eher in der Schwebe. Die herrschende Klasse in den USA wusste, dass sie ihre globale Hegemonie untergraben würde, wenn sie ihnen freien Lauf ließe. Ein Grund für die Opposition von Teilen der US-Geheimdienste gegen Trump wegen dessen Beziehungen zum russischen Präsidenten Putin besteht gerade darin, dass sie einen russischen „Buhmann“ für unerlässlich halten, um den Rahmen aus Nato und EU aufrechtzuerhalten, mit dessen Hilfe die USA in Europa seit Jahrzehnten den Ton angeben.
Das letzte Mal traten die Spannungen zwischen den USA mit vergleichbarer Schärfe im Jahr 2003 hervor, als Außenminister Donald Rumsfeld Frankreich und Deutschland als das „alte Europa“ bezeichnete, das im Gegensatz zu den Staaten Osteuropas den USA die Unterstützung versagte.
Am 28. Januar 2003 veröffentlichte die World Socialist Web Site einen Kommentar von David North mit dem Titel „Wie soll man sich gegenüber Amerika verhalten? Das Dilemma der Europäer“. Darin wurde die historische Bedeutung dieses Konflikts beleuchtet.
North erklärte, dass „Amerikas Beziehung zu Europa in der Nachkriegszeit – von 1945 bis 1991 – davon bestimmt war, dass die USA unter den besonderen Umständen des Kalten Krieges ihre eigenen ökonomischen und geopolitischen Schlüsselinteressen zu wahren versuchten. Die Haltung Amerikas gegenüber Europa war durch die vordringlichen Notwendigkeiten bestimmt, 1) die Sowjetunion zu isolieren und ihren Einfluss in Westeuropa einzugrenzen („Containment“), und 2) eine soziale Revolution zu verhindern, da die europäische Arbeiterklasse zu dieser Zeit außerordentlich kämpferisch und in hohem Maße politisiert war.
Das große Gewicht, das die USA zu jener Zeit dem Bündnis mit Westeuropa beimaßen, war im Grunde eine Abweichung von der historischen Norm. Die eigentliche Tendenz des amerikanischen Kapitalismus, die aus seinem etwas verspäteten Aufstieg zu einer starken imperialistischen Macht herrührt, bestand seit jeher darin, seinen weltpolitischen Einfluss auf Kosten Europas zu steigern.“
Weiter hieß es in dem Artikel: „Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion änderte sich der internationale Rahmen, in dem sich die diplomatischen Beziehungen nach dem Krieg bewegt hatten, von Grund auf. Die USA hatten es nicht länger nötig, die westeuropäische Bourgeoisie als Verteidigungslinie gegen die Sowjetunion zu stützen. Außerdem hinterließ der Untergang der UdSSR ein Machtvakuum, das die USA unbedingt zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen wollten.“
In diesem Zusammenhang zitierte North die prophetische Warnung Leo Trotzkis aus dem Jahr 1928:
„In Krisenzeiten wird sich die Hegemonie der Vereinigten Staaten vollständiger, offener und rücksichtsloser bemerkbar machen als zu Zeiten des Booms. Die Vereinigten Staaten werden versuchen, ihre Schwierigkeiten und Unpässlichkeiten in erster Linie auf Kosten Europas zu überwinden, sei es in Asien, Kanada, Südamerika, Australien oder Europa selbst, und sei es auf friedlichem Wege oder durch Krieg.“
Das Dilemma, das 2003 vorausgesehen wurde, entfaltet sich heute mit aller Kraft. Teile der US-Bourgeoisie lehnen Trumps Angriffe auf Deutschland und die EU nach wir vor zutiefst ab. So bezeichnete der scheidende US-Außenminister John Kerry Kanzlerin Merkel als „mutig“ und Trumps Äußerungen als „unangemessen“. Doch ungeachtet solcher Meinungsverschiedenheiten werden die USA durch objektive Widersprüche in Richtung Handelskrieg und Protektionismus getrieben. Sie müssen versuchen, den Verlust ihrer globalen Hegemonie infolge ihres wirtschaftlichen Niedergangs aufzuhalten, sich der Konkurrenz Chinas und anderer aufsteigender Mächte zu erwehren und die Scharte auszuwetzen, die sie sich durch eine Serie militärischer Debakel seit 2003 zugezogen haben. Ein Konflikt mit Europa ist daher vorprogrammiert.
Die Folgen des geostrategischen Kurswechsels der USA lassen sich nicht präzise vorhersehen. Es ist nicht absehbar, welche Bündnisse Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Russland am Ende schmieden werden. Ebenso wenig ist klar, welche Rolle China als potenzielles Gegengewicht zu Amerika im Einzelnen spielen wird.
Fest steht allerdings, dass die Entwicklung durch den Ausbruch nationaler Gegensätze bestimmt werden wird. Es wird nicht bei „America First“ bleiben. Auch in Deutschland, Großbritannien und Frankreich wird der Ruf nach der Verteidigung der eigenen Interessen lauter werden, und dies muss zwangsläufig zum Auseinanderbrechen Europas in konkurrierende Machtblöcke führen.
Das Projekt der europäischen Einigung im Rahmen des Kapitalismus geht zu Ende. Die Flasche ist entkorkt, und alle bösen Geister, die darin eingesperrt werden sollten, steigen wieder empor.
Das Versprechen, dass eine engere politische Union und der Binnenmarkt Wohlstand und Frieden bringen würden, hat sich in Luft aufgelöst. Stattdessen machen sich in allen Ländern Reaktion und faschistische Parteien breit. Die europäischen Mächte sprechen unaufhörlich von der Notwendigkeit aufzurüsten, obwohl doch die Nato bereits Truppen an der russischen Grenze aufmarschieren lässt. Einig sind sie sich nur über weitere Sozialkürzungen.
Die Angriffe auf die Arbeiterklasse werden zunehmen. Berlin, Paris und London werden Opfer im nationalen Interesse fordern, um gegen rivalisierende Mächte anzugehen und die enormen Kosten für die erneute Aufrüstung Europas zu tragen.
Die Bourgeoisie hat sich als unfähig erwiesen, den Grundwiderspruch der heutigen Zeit zu überwinden, der sie erneut in Kriege um die Neuaufteilung der Welt treibt: den Widerspruch zwischen der globalisierten Wirtschaft und der Aufteilung der Welt in Nationalstaaten, die auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruhen.
Die Arbeiterklasse Europas muss von der Erkenntnis ausgehen, dass die Nachkriegsperiode, die seit 1945 das Leben mehrerer Generationen geprägt hat, vorbei ist und eine neue Vorkriegsperiode begonnen hat. Sie muss es zu ihrer Aufgabe machen, sich der von allen imperialistischen Mächten betriebenen Austeritäts- und Kriegspolitik entgegenzustellen.
Vor allem muss sie sich bewusst zum Ziel setzen, sich im Kampf mit den Arbeitern der USA und weltweit zu vereinen. Trumps Regierung von Oligarchen und Kriegstreibern wird unweigerlich massiven Widerstand in der Arbeiterklasse auslösen. Dies wird zum Hauptfaktor werden, der die Krise des europäischen Imperialismus vorantreibt.