Anfang Dezember veröffentlichte das War College der US Army ein 163-seitiges Dokument mit dem Titel „Militärische Krisensituationen in Megastädten und Metropolen.“ Die Militärakademiker Dr. Phil Williams und Werner Selle schildern die Pläne der USA für totale Kriegführung in großen Metropolregionen auf der ganzen Welt. Ihre in kaltem und berechnendem Militärjargon verfassten Vorschläge würden mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Atomkrieg führen.
Zu Beginn des Artikels heißt es, die Vereinigten Staaten würden vermutlich „in der nicht allzu weit entfernten Zukunft in militärische Krisensituationen in Großstädten verwickelt werden.“ An einer anderen Stelle nennen die Autoren den Angriff auf große internationale Metropolen „so herausfordernd wie unvermeidlich.“
Das Dokument beschreibt eine Zukunft, die von Tod, Zerstörung und menschlichem Leid auf einem historisch beispiellosen Niveau geprägt ist. Kriegführung in urbanem Gebiet „wird dafür sorgen, dass die Schlachtfelder dicht besiedelt sein werden. Zivilisten werden nicht mehr nur Unbeteiligte sein, die man umgehen oder meiden muss, sondern ein integraler Bestandteil des Schlachtfeldes.“
Die Autoren anerkennen, dass solche Kämpfe zu massiven Opferzahlen bei Zivilisten und Soldaten führen könnten. „Trotz dieser Bedenken darf eine Hemmung nicht zum Verbot werden. Wenn es eine äußerst dringliche strategische Begründung zum Handeln gibt, werden die USA vielleicht nicht den Luxus genießen, die Gefahren einer urbanen Krisensituation vermeiden zu können.“
Vorbereitung auf „moderne Stalingrads“
Die Autoren erklären, die urbanen Kämpfe in der „nicht allzu weit entfernten Zukunft“ ließen sich am ehesten mit den Schlachten um Stalingrad und Berlin im Zweiten Weltkrieg vergleichen.
Sie schreiben: „Beide Schlachten führten letzten Endes zur völligen Zerstörung der dicht besiedelten Stadtgebiete. Ein moderneres, zwar unwahrscheinliches, aber keineswegs unvorstellbares Szenario wäre eine Schlacht in Seoul in der Republik Korea. In gewisser Weise wäre ein solches Szenario beispielhaft für das Potenzial einer modernen Schlacht um Stalingrad.“
Angesichts von Seouls hoher Bevölkerungszahl von 23 Millionen Menschen und den unverhältnismäßig tödlicheren Waffen, die heute zur Verfügung stehen, würde eine solche Schlacht mehr Todesopfer fordern als die Schlachten um Stalingrad (schätzungsweise drei Millionen) oder Berlin (700.000). Als Antwort darauf schlagen die Autoren noch bessere Waffen für die amerikanischen Besatzungstruppen in Südkorea vor: „Je besser die amerikanischen Streitkräfte für einen Konflikt in dicht besiedeltem Gebiet ausgebildet, trainiert und ausgerüstet sind, desto weniger würde der zahlenmäßige Vorteil Nordkoreas, auf den Pjöngjang vermutlicht hofft, von entscheidender Bedeutung sein.“
Die Autoren erklären, dass solche „modernen Stalingrads“ vorwiegend in armen Städten stattfinden würden - das Militär spricht dabei von „prekären“ oder „wilden“ Städten, im Gegensatz zu den entwickelteren „intelligenten“ Städten. Die Zerstörung ärmerer Stadtgebiete wird ein wichtiger Bestandteil der „Befriedung“ der Bevölkerung sein.
„Angesichts der Trends der Urbanisierung, vor allem auf der Südhalbkugel, und den damit einhergehenden Problemen der Instabilität und der Prekarität ist es viel wahrscheinlicher, dass die US Army in einer prekären oder wilden Stadt kämpfen müsste als in einer intelligenten Stadt.“
Die Strategie des US-Militärs: „Die Slums abreißen“ und Armen- und Arbeiterviertel angreifen
Große Slums und Elendsviertel in verarmten Städten stellen eine einzigartige Herausforderung für amerikanische Angriffe dar:
„Megastädte und dicht besiedelte Stadtgebiete enthalten auch zahlreiche Slums oder ,Blechwälder', die sich stark von ,Betonschluchten' [d.h. wirtschaftlichen Zentren] unterscheiden [...] Diese Gebiete ermöglichen dem Gegner beträchtliche Möglichkeiten, sich zu verstecken und können sogar starke Operationsbasen werden. Man kann dagegen kaum etwas Anderes tun, als die Bevölkerung zu evakuieren und den Slum niederzureißen“ (Hervorhebung hinzugefügt).
Das Militär schlägt vor, seine Angriffe insbesondere gegen junge Arme und männliche Arbeiter zu richten. Die wachsende Bevölkerung von Slums führe zu einem „Überschuss an arbeitslosen Männern, die kaum eine andere Wahl haben, als sich Banden anzuschließen und ihr Einkommen mit kriminellen Taten zu verdienen. Auch der Eintritt in extremistische oder terroristische Organisationen könnte ihnen als attraktiver Ausweg erscheinen. Und nicht zuletzt wären diese jungen Männer im Falle eines Konflikts eine Quelle für potenzielle Rekruten für die Gegner der Vereinigten Staaten. Kurz gesagt, Slums wären ein ungewöhnlich schwieriges Schlachtfeld. “
Die einzige Alternative zur Zerstörung der Slums, die das War College vorschlägt, wäre ein Bündnis zwischen US-Truppen mit „alternativen Regierungsgewalten“, u.a. mit „kriminellen Vereinigungen.“ „Eine stillschweigende oder offene Einigung mit den Kräften alternativer Regierungsgewalten könnte möglicherweise verhindern, dass Gegner diese ,Blechwälder' für ihre Zwecke benutzen. Natürlich müsste es dafür auch eine Gegenleistung geben, selbst wenn es nur die implizite Versicherung wäre, dass amerikanische Streitkräfte die illegalen Geschäfte dieser kriminellen Organisationen nicht behindern.“
Dieses Eingeständnis entlarvt den betrügerischen Charakter der demokratischen und humanitären Phrasen, mit denen die USA ihre Militärinterventionen rechtfertigen. Um Widerstand unter den Armen und der Arbeiterklasse zu unterdrücken, schlägt das Militär vor, entweder die Slums zu zerstören oder kriminellen Banden freie Hand zu geben, die ärmsten und wehrlosesten Teile der Bevölkerung zu vergewaltigen, zu entführen, zu erpressen oder als Sklaven zu verkaufen.
Die Niederschlagung von „zivilen Unruhen“ und „Anarchie“
Das Militär ist besorgt über die hohe Wahrscheinlichkeit von sozialem Widerstand gegen eine amerikanische Invasion. Die Autoren des Dokuments nennen „zivile Unruhen“ als eines der größten Probleme für „das Regieren solcher Städte“. Sie rechnen damit, dass Unruhen „beträchtliche Rollen bei den Militäroperationen [in diesen Städten] spielen werden.“
Es bestehe die Gefahr, dass „sich eine prekäre Stadt zu einer wilden zurückentwickelt. Wenn man wissen will, wie schnell in einer Stadt Anomie und Anarchie entstehen können, während die normalen Regeln und Normen des städtischen Lebens abrupt ausgesetzt werden, muss man nur an die Erfahrung von New Orleans nach dem Hurrikan Katrina denken.“
Die Autoren zitieren einen führenden Industriestrategen, demzufolge das „urbane Dilemma“ das „Risiko der Unsicherheit unter den städtischen Armen“ birgt. Das gilt nicht nur für die Südhalbkugel der Welt: „Sogar Städte wie Amsterdam, London, New York, Paris oder Tokio sind nicht immun dagegen.“
Das Dokument des War College zitiert einen Akademiker, laut dem das Problem größtenteils aus „Klassenkonflikten“ resultiert, die „die Phase der Befriedung und Besatzung nach dem Kampf stark erschweren könnten.“
Die Autoren schreiben, wenn sozialer Widerstand entsteht, müsste „die Wiederherstellung von Ordnung und Stabilität mit größeren Operationen zur Katastrophenhilfe einher- oder diesen vorausgehen. Auch dieser Vorgang könnte Widerstand auslösen.“
Das Militär ist bei seinen Versuchen, den Widerstand zu unterdrücken, besorgt um das „Problem“ der Transparenz:
„Das andere Problem hinsichtlich des Cyberspace im Bezug auf Krisensituationen in Megastädten ist, dass Gegner die fast automatische Transparenz ausnutzen können, die er schafft. Sie können dadurch sowohl die US-Truppen in einem schlechten Licht erscheinen lassen, als auch ihre eigenen Aktionen sehr positiv darstellen.“
Daher müsse im Rahmen der Pläne für eine Invasion auch die Abschaltung des Internets und der Mobilfunknetze geplant werden. Außerdem müsste sichergestellt werden, dass die lokalen Medien nur Propaganda des US-Militärs veröffentlichen: „Ein Teil der IPB [geheimdienstliche Vorbereitung auf das urbane Schlachtfeld] vor jeder Aktion in einer Megastadt oder Metropole muss die Identifikation der Telekommunikations- und Internetanbieter sein. Es ist auch wichtig, Online-Meinungsmacher zu identifizieren, die in einer Kontroverse um eine amerikanische Militärintervention eine wichtige Rolle spielen könnten.“
Die Autoren weisen auch darauf hin, dass „die Veröffentlichung von Videos, die Polizeimorde zeigen, hier in den USA zu beträchtlichen Protesten und politischen Bewegungen“ geführt hat.
Abgesehen von Internet- und Telekommunikationssperren räumt das Dokument auch der Kontrolle über die Infrastruktur der Stadt zur „Kontrolle über die Bevölkerung“ eine entscheidende Bedeutung ein.
„Es gibt gewisse Bereiche, die man grundsätzlich verstehen muss, wenn man ein Stadtgebiet betritt. Das Ziel muss es sein, sie und die Bevölkerung zu kontrollieren. Dazu gehören die Verteilung und Zusammensetzung der Gebäude, Transport-, Strom-, Abwasser- und Wasser- sowie Erdgassysteme, der Standort und Status von wichtigen Teilkomponenten – Brücken, Tankstellen, Kraftwerke, Hochspannungsleitungen, Umspann- und Transformatorenwerke, unterirdische Abwasserkanäle, Kläranlagen, Gasleitungen und ihre Tiefe unter den Straßen...“
Die Autoren des War College äußern sich positiv über einen Kommandanten der israelischen Streitkräfte (IDF), der 2002 am Angriff auf den palästinensischen Aufstand in Nablus im Westjordanland beteiligt war. Er schrieb darüber, die IDF hätten „keine der Straßen, Wege, Gassen oder Höfe der Stadt, oder irgendwelche äußeren Türen, inneren Treppen und Fenster“ benutzt. Stattdessen waren sie „horizontal durch Mauern und vertikal durch Löcher vorgedrungen, die sie in Decken und Böden gesprengt haben. Diese Art von Bewegung wird im Militär als ,Befall' bezeichnet und zielt darauf ab, innen als außen umzudeuten, und das Innere von Häusern als Durchgänge. Die Strategie der IDF,,durch Wände zu gehen' erfordert eine Betrachtung der Stadt nicht nur als Schauplatz des Kampfs, sondern als Mittel der Kriegführung – ein flexibles, fast flüssiges Mittel, das immer zufällig und im Fluss ist.“
Massenüberwachung
Der Bericht des War College umfasst Pläne zur Erstellung einer Echtzeitkarte aller Einwohner einer Metropole, u.a. ihrer Bewegungen, sozialen Netzwerke, Freunde, Familien und ihrer politischen Ansichten. Die Autoren erklären unter Berufung auf eine Gruppe europäischer Forscher:
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
„Die Grundannahme ist, dass Bürger mit Smarthphones zu mobilen Sensoren geworden sind, die mit Tweets, Fotos, Nachrichten, usw. über Ereignisse in der Stadt berichten. 'Dies verwandelt Menschen in potenzielle Sensoren, die nicht nur verarbeiten und interpretieren können, was sie fühlen und denken, sondern die Information auch (teils unfreiwillig) geografisch lokalisieren und sie weltweit über das Internet verbreiten können. Damit zeichnen sie selbst geschaffene Landschaften.’“
Gleichzeitig werden „menschliche Geheimdienstmitarbeiter viel besseren Einblick über Gegner liefern können, weil sie Emotionen und Beziehungen einfangen können – Dinge, die dem Bereich selbst der modernsten Drohnen noch lange Zeit verborgen bleiben werden.“
Mit anderen Worten, das US-Militär wird die gesamte Bevölkerung der Städte ausspionieren, bevor es sie überfällt. Dabei benutzt es Drohnen und Handys als „Echtzeit-Sensoren“, um ganze Stadtbevölkerungen zu überwachen. Mit „menschlichen Geheimdienstmitarbeitern“ sind Informanten und Agenten gemeint, die politische Gruppen und Gemeinschaften infiltrieren, um deren Widerstand zu unterdrücken.
Zensur und die „Schlacht um die Geschichte“
Von entscheidender Bedeutung für die Versuche des Militärs, Großstädte zu befrieden und zu besetzen, ist seine Fähigkeit, die sogenannte „Schlacht um die Geschichte“ zu gewinnen. Die Autoren erklären hierzu:
„Überzeugende Narrative zu präsentieren kann die Legitimität und Autorität in den Augen vieler Beteiligter (z.B. der Stadtbevölkerung) erhöhen. Die Funktion und die Macht digitaler Medien zu verstehen, ermöglicht daher eine enorme Reichweite und Breite, die indirekt das Schlachtfeld verändern kann. Die Benutzerfreundlichkeit der Massenmedien und mobiler Technologie erlaubt es Gegnern, die öffentliche Meinung zu manipulieren und sich selbst positiv darzustellen und auf diese Weise Unterstützung zu gewinnen. Aus diesen und vielen weiteren Gründen können es sich die zivile und die militärische Führung nicht leisten, die Notwendigkeit eines überzeugenden Narrativs zu ignorieren.“
Dieser Kampf um Narrative ist vor allem in Fällen wichtig, in denen das Militär amerikanische Städte besetzt:
„In letzter Analyse werden die Schlacht um Narrative und die Widersprüche der Sicherheit vermutlich an erster Stelle stehen, vor allem da die wahrscheinlichsten Krisensituationen humanitäre oder stabilisierende Operationen sein werden. Zudem haben die Unruhen in Los Angeles und die Reaktionen auf den Hurrikan Katrina und den Supersturm Sandy gezeigt, dass solche Operationen auch innerhalb der USA stattfinden können. Wenn das Militär weiterhin die Unterstützung der amerikanischen Bevölkerung genießen will, ist es unverzichtbar, ihr ein politives Bild zu präsentieren.“
Die amerikanische herrschende Klasse bereitet sich auf künftige Kriegsverbrechen vor
Das Dokument des US Army War College könnte als „Beweisstück A“ in einer Anklage gegen führende Militärs wegen Kriegsverbrechen benutzt werden. Es zeigt, dass die Pläne der USA für Angriffe, Besetzungen und „Befriedungen“ von Städten mit Dutzenden Millionen Einwohnern bereits weit fortgeschritten sind. Die Autoren des Dokuments halten dies sogar für „unausweichlich.“
Kein Teil der Welt ist sicher vor der Gefahr einer amerikanischen Invasion. Das Dokument nennt mehrere Städte, viele davon in den USA, als hypothetische Angriffsziele. Darunter befinden sich u.a. Mumbai, Peking, Rom, London, Los Angeles, Abuja (Nigeria), Baltimore, San Salvador, Paris, Tokio, Amsterdam, Dhaka, Nairobi, Delhi, Aleppo, Caracas, Rio de Janeiro, Frankfurt, Zürich, Hongkong, Sao Paulo, Mexiko-City, Seoul, Manila, San Francisco, Teheran, Istanbul, Guangzhou-Foshan, Bangkok, Ho-Chi-Minh-Stadt, Rangun, Alexandria, Jakarta, Johannesburg, Shanghai, Kairo, Riga, Tallinn, Vilnius und Mogadischu.
Der Artikel beruht auf der Analyse, die das US-Militär über seine eigenen Aktivitäten in den letzten Jahren durchgeführt hat. Die Autoren erwähnen die Besetzung von Ferguson, Missouri, durch die Nationalgarde während der Proteste gegen einen Polizeimord im Jahr 2014, die Besetzung von Teilen der Stadt New Orleans während des Hurrikans Katrina im Jahr 2005 und die Operationen in ausländischen Städten wie Kabul, Mossul, Falludscha und Bagdad. Das US-Militär ist sich darüber im Klaren, dass es sich darauf vorbereitet, Städte im Ausland anzugreifen und den sozialen Widerstand der Arbeiterklasse im Inland zu unterdrücken.
Wenn das US-Militär seine Pläne umsetzen kann, weltweit Großstädte anzugreifen und dabei die Taktiken aus dem Dokument des War College anwendet, werden dutzende oder hunderte Millionen Menschen sterben. Die Zahl der Flüchtlinge wird um ein vielfaches steigen. Der Kapitalismus steht für eine Zukunft, die von beispiellosem Tod und Zerstörung geprägt sein wird. Nur eine soziale Revolution auf der Grundlage der internationalen Einheit der Arbeiterklasse kann den US-Imperialismus daran hindern, seine Pläne in die Tat umzusetzen.