Neuer Wettlauf zur Arktis

Die Arktis ist in den letzten Wochen zunehmend in den Fokus der geopolitischen Spannungen zwischen Russland und den USA gerückt. Angesichts der Erderwärmung rechnen Wissenschaftler damit, dass die Region ab 2030 im Sommer eisfrei sein wird. Die Arktis verfügt über rund ein Viertel der weltweit unerkundeten Öl- und Gasreserven und eine wichtige Seeroute, die durch das Auftauen des Eises verstärkt genutzt werden kann.

Die Arktis ist eine der rohstoffreichsten Regionen der Welt. Laut einer Studie, die im Auftrag der US-Regierung erstellt wurde, lagern hier rund 30 Prozent der noch unerkundeten Erdgasreserven und 13 Prozent des unentdeckten Erdöls. Nur Russland verfügt über mehr Rohstoffe.

Über die Arktis verläuft darüber hinaus die Nordostpassage, ein alternativer Seeweg zur Südroute von Europa nach Asien, die durch das Mittelmeer, den Suez-Kanal und dann rund um Indien führt. Nach der Auflösung der Sowjetunion brach der Schiffsverkehr über die Nordostpassage zwar ein, doch in den letzten Jahren vermehrten sich die Transportfahrten angesichts des schmelzenden Eises wieder deutlich.

Das Schmelzen des arktischen Eises hat angesichts der Erderwärmung ein rasantes Tempo angenommen. Was klimatechnisch eine Katastrophe bedeutet, könnte gleichzeitig die Ausbeutung der Rohstoffressourcen in der Region und eine verstärkte Nutzung der Seerouten ermöglichen. Die Bedingungen für die Förderung von Rohstoffen werden jedoch auch dann noch extrem schwierig sein, wenn das Eis geschmolzen ist.

Laut einer Schätzung würden die Kosten für die Ölförderung im Teil der Arktis, der Alaska zugerechnet wird, zwischen 50 und 100 Prozent mehr betragen als in Texas.

Auch Umweltschützer und Wissenschaftler kritisieren die Versuche, in der Arktis Öl und Gas zu fördern. In einem Brief an das renommierte Wissenschaftsmagazin Nature warnten im Januar Christophe McGlade und Paul Ekins, dass die Förderung von Öl und Gas in der Arktis „unvereinbar“ mit den Versuchen sei, die Erderwärmung auf 2 Grad Celsius zu beschränken.

Dennoch versuchen die Anrainerstaaten Russland, Norwegen, Kanada, USA und Dänemark, zu dem Grönland gehört, in die Arktis vorzudringen und dort ihre Militärpräsenz aufzubauen. Sie streiten sich seit Jahrzehnten um den rechtlichen Status der Arktis.

Insbesondere die USA versuchen mit wachsender Vehemenz ihre Ansprüche in der Region zu sichern. Die Obama-Regierung hat in diesem Jahr nach langen Debatten dem Energiekonzern Royal Dutch Shell die Erlaubnis für die Ölförderung in Teilen der Arktis erteilt, die den Vereinigten Staaten zugerechnet werden.

Barack Obama reiste Anfang der Woche als erster amtierender amerikanischer Präsident für einen dreitägigen Amtsbesuch in die Arktis. Bei dem Besuch kündigte er an, in der Region mehr Eisbrecher und Marine-Schiffe einzusetzen, um „Sicherheit auf dem Meer“ zu gewährleisten und die Auswirkungen des Klimawandels zu dokumentieren.

Führende amerikanische Medien, Militärs und Thinktanks werben seit Wochen für ein aggressiveres Auftreten der USA in der Arktis.

Mitte August bezeichnete die Harvard International Review die „Öffnung eines neuen Meeres in der Arktis“ als die bedeutendste Veränderung des Planeten „seit der letzten Eiszeit“. Die Review mahnte die US-Regierung, territoriale Ansprüche in der Arktis zu erheben und die Militärpräsenz zu erhöhen.

Anders als viele Experten argumentiert der Artikel, die Energieförderung in der Arktis sei für die USA finanziell lohnen, weil die weltweite Nachfrage nach Energieressourcen steigen und das Angebot sinken werde. Zudem seien für die USA Förderstätten in der Arktis näher am asiatischen Absatzmarkt als die Golfregion.

Die New York Times lamentierte am 28. August in einem langen Artikel, wie wenig sich die Vereinigten Staaten in der Arktis engagierten, und warnte, Russland und China könnten von dieser Situation profitieren. Sowohl China als auch Singapur haben in den vergangenen Jahren verstärkt in Energieprojekte in der Arktis investiert. In Bezug auf die Konflikte zwischen den USA und Russland sprach die Zeitung offen von einem neuen Kalten Krieg und einem „neuen Wettlauf zur Arktis“.

Sie zitierte Admiral Paul F. Zukunft, den Oberbefehlshaber der US-Küstenwache, der sich auf einer Konferenz in Washington beschwerte, die Vereinigten Staaten seien nicht mit im Spiel. Er fragte: „Als Russland den Sputnik ins Weltall schoss, saßen wir da fasziniert staunend mit den Händen in den Taschen und sagten: ‚Gut für Mutter Russland‘?“

Die NATO hielt im Mai-Juni in der Arktis eine der größten Übungen des Jahres ab, die sich über 14 Tage erstreckte und klar gegen Russland gerichtet war. An der „Arctic Challenge“ nahmen mehr als 4.000 Soldaten und 100 Flugzeige teil. Als Antwort darauf mobilisierte auch der Kreml seine Streitkräfte in der Region für unangekündigte Militärübungen.

Im Juli veröffentlichte der Kreml eine geänderte Militärdoktrin für die Marine, die die Arktis in der Marine-Strategie Russlands höher gewichtet. Im August hielt dann Russland auf der Taimyr-Halbinsel in der Arktis (dem äußersten Norden Sibiriens) Militärübungen ab. An den Übungen nahmen mehr als tausend Soldaten und 50 Spezialfahrzeuge teil. Ein Vertreter der Marine betonte, die Übungen hätten einen rein defensiven Charakter.

Im Interview mit der Berliner Zeitung erklärte der Moskauer Militärexperten Viktor Litowkin Russlands verstärkte Konzentration auf die Arktis mit den Worten: „Die kürzeste Flugroute für Interkontinentalraketen führt über den Nordpol. Russland konzentriert hier Marinestreitkräfte, um im Konfliktfall seegestützte Antiraketensysteme der Amerikaner ausschalten zu können. Auch um die Bodenschätze vor seiner Nordküste zu schützen, sowie den Seeweg vom Atlantischen in den Pazifischen Ozean, der sich durch die Erwärmung der Meere eröffnet.“

Anfang August hatte die russische Regierung bei der UN einen Antrag eingereicht, dass Russland das Hoheitsrecht über eine Fläche von 1,2 Mio. Quadratkilometern rund um den Nordpol zugestanden werden. Ein ähnlicher Antrag war von der UN-Kommission bereits 2002 abgewiesen worden. Die UNO will im Februar oder März 2016 mit der Prüfung des aktuellen Antrags beginnen.

Hintergrund der Bemühungen, in der Arktis Präsenz zu zeigen, sind die Hoffnungen der russischen Regierung auf die Energievorkommen der Region. Die russische Wirtschaft ist seit der Restauration des Kapitalismus im hohen Maße von Einnahmen aus dem Verkauf von Energieressourcen auf den Weltmarkt abhängig. Der russische Staatshaushalt wird zu fast 50 Prozent aus Einnahmen aus Energieexporten finanziert.

Doch die leicht zu fördernden Öl- und Gasfelder in Russland neigen sich ihrem Ende zu. Die Teile der Arktis, auf die Russland territoriale Ansprüche erhebt, sollen dem Kreml nach eigenen Angaben Zugang zu rund 4,9 Mrd. Tonnen fossiler Brennstoffe verschaffen.

Es wird allerdings bezweifelt, ob Russland, dessen Unternehmen kaum über entwickelte Technologien verfügen, die Vorkommen in der Arktis fördern kann. Das Meer in der Region ist zwischen 500 und 2000 Meter tief. In dieser Tiefe können russische Konzerne nicht einmal Probebohrungen machen.

Durch die Sanktionen der USA und der EU sind die russischen Konzerne zudem von ausländischen Unternehmen und ihren Technologien weitgehend abgeschnitten. Zuletzt musste der amerikanische Energiekonzern Exxon Mobil aus einem Joint Venture mit dem russischen Staatskonzern Rosneft zur Ölförderung in der russischen Arktis aussteigen.

Hinzu kommt, dass selbst Konzerne wie Shell und ENI technische Probleme bei Probebohrungen in der Arktis haben und bislang nicht tiefer gehen können als 60 Meter.

Eine wichtige Kalkulation Russlands, aber auch der anderen Anrainerstaaten, dürfte jedoch nicht nur die Förderung sein, sondern auch zu verhindern, dass andere dies tun. Die Förderung von Schieferöl und -gas in den USA hat die Struktur des Weltenergiemarktes seit 2009 bereits bedeutend verändert und die Rolle Russlands geschwächt. Die Kontrolle rohstoffreicher Territorien ist daher fast ebenso wichtig wie die eigentliche Förderung der Ressourcen.

Zudem will der Kreml laut der Berliner Zeitung die russische Flotte, die sich seit Sowjetzeiten in der Region befindet, auch ausbauen, um sie kommerziell zur Begleitung ausländischer Frachter in der Nordostpassage einzusetzen.

Schließlich bereitet sich Russland auf einen möglichen militärischen Konflikt mit den USA vor. Die Nato ist seit der Ukraine-Krise in Osteuropa Richtung Russland vorgerückt und provoziert Russland nun mit den jüngsten Militärübungen in der Arktis auch in dieser Region.

Während amerikanische Medien gegen die russischen Militärübungen hetzen, um die eigene Aufrüstung zu rechtfertigen, sind die meisten Schiffe der russischen Marine in einem miserablen Zustand. Bei den jüngsten Militärparaden der Marine kam es in Russland zu mehreren technischen Unfällen und Pannen.

Der Berliner Zeitung zufolge halten die meisten Militärexperten einen Großteil der russischen Marine, die auf den Weltmeeren im Einsatz ist, für „schrottreif“. Zusammengenommen verfügen außerdem die anderen Anrainerstaaten der Arktis, die alle der NATO angehören, über eine deutlich stärkere und technisch besser ausgerüstete militärische Präsenz in der Region.

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