60 Jahre Bundeswehr

Die deutsche Armee betreibt Kriegspropaganda unter Jugendlichen

Wann hat man diese Bilder in Deutschland das letzte Mal gesehen? Kinder klettern auf Panzern herum, sitzen in Kampfhubschraubern, halten Panzerfäuste in der Hand und bekommen deren Handhabung durch Soldaten in Uniform erklärt. Armee und Kriegsgerät als ein scheinbar selbstverständlicher Bestandteil in der Freizeit und bei Familienausflügen.

Diese Bilder stammen vom ersten „Tag der Bundeswehr“, der „Geburtstagsfeier“ der deutschen Armee am 13. Juni. „Sage und schreibe 60 Jahre musste sie auf ihn warten“, heißt es auf der offiziellen Homepage der Bundeswehr. Nun endlich sei es soweit, „der Tag der Bundeswehr feiert seine Premiere und das gleich an 15 Standorten bundesweit“.

Die als Spektakel inszenierten Waffenschauen, Kampf- und Panzervorführungen, Simulationen von Hubschraubereinsätzen und die persönlichen Gespräche mit Soldaten, gepaart mit Unterhaltungsangeboten für Kinder und Familien sind ein zentraler Bestandteil der außenpolitischen Wende, die Anfang letzten Jahres von der Bundesregierung verkündet wurde.

Bereits 2012 hatte Bundespräsident Joachim Gauck in einer Rede an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg eine stärkere Rolle des der Armee in der Gesellschaft und mehr öffentliche Diskussionen mit den Militärs gefordert. „Generäle, Offiziere, Bundeswehrsoldaten – zurück in die Mitte unserer Gesellschaft!“, rief er seinem Publikum zu.

Der Tag der Bundeswehr war nur der vorläufige Höhepunkt einer intensiven und umfassenden Strategie der Armee, junge Menschen für den Dienst an der Waffe zu rekrutieren. Die von Gauck geforderte Verschränkung des militärischen mit dem zivilen Leben erinnert an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte. Durch die Militarisierung der ganzen Gesellschaft soll die Bevölkerung wieder an Krieg und Gewalt gewöhnt und auf neue Kriege vorbereitet werden.

Bei diesem Vorhaben ist die deutsche Armee mit einer überwältigenden Opposition in der Bevölkerung konfrontiert. Angesichts der historischen Verbrechen des deutschen Imperialismus in zwei Weltkriegen ist die Antikriegsstimmung immens. Die Bundeswehr schafft es nach wie vor nicht, die angestrebten 15.000 bis 20.000 Rekruten jährlich anzuwerben.

Daher investiert die Armee seit 2011 immer höhere Summen in die Nachwuchsgewinnung. Gab sie 2009 „nur“ 3,8 Millionen Euro aus, beträgt die Summe mittlerweile 29,9 Millionen Euro jährlich. Die Tendenz ist steigend. Für 2015 sind bereits 35,5 Millionen Euro eingeplant.

Eine zentrale Aufgabe bei der Rekrutierungsarbeit übernehmen sogenannte Jugendoffiziere und Karriereberater, die das von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ausgerufene Credo der Bundeswehr, „zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland“ zu werden, gezielt an junge Menschen herantragen. Der „Tag der Bundeswehr“, der zukünftig jährlich durchgeführt werden soll, ist Teil einer umfassenden Rekrutierungsstrategie an Schulen, auf Jobmessen oder im Internet.

Jugendoffiziere und Karriereberater, die speziell für die Arbeit mit Jugendlichen geschult werden, treten deutschlandweit in Lehreraus- und Fortbildungen und vor Schulklassen auf. Dabei organisieren sie auch Truppenbesuche. Dem Kinderhilfswerk Terre des hommes zufolge werden durch diese Arbeit jedes Jahr 300.000 bis 400.000 Schüler erreicht. Die Armee beeinflusst so direkt die Lehrinhalte an den Schulen. Dies geschehe „mittlerweile flächendeckend in der Bundesrepublik“, erklärte der Bildungsjournalist Armin Himmelrath in einem Radiointerview mit dem SWR im April.

Die Auftritte der Jugendoffiziere und Karriereberater sind Teil des Pflichtunterrichts. Schüler dürfen die Militärvorträge nur dann verlassen, wenn die Eltern im Vorfeld einen schriftlichen Antrag auf Ersatzunterricht gestellt haben. Oft erscheinen die Soldaten jedoch unangekündigt, so dass diese Möglichkeit entfällt.

Die Offiziere treten in den Schulen als vermeintlich objektive Experten für Außen- und Sicherheitspolitik auf und sprechen vor allem über Auslandseinsätze und die Gefahren des internationalen Terrorismus. Dabei versuchen sie die Jugendlichen nicht nur von der Richtigkeit militärischer Einsätze weltweit zu überzeugen, sondern auch von deren Alternativlosigkeit.

Neben der unmittelbaren Präsenz in Vorträgen, entwickelt die Bundeswehr deshalb auch eigene Propagandamaterialien für den Unterricht. So gibt sie etwa das Schülermagazin „Frieden und Sicherheit“ heraus. Die aktuelle Ausgabe hat den Charakter einer Zusammenfassung der außenpolitischen Wende des letzten Jahres.

Gleich das Editorial beschuldigt Russland, „die Souveränität der Ukraine“ zu bedrohen und „die Wiederbelebung eines 'Neurusslands'“ zu betreiben. Die EU und die Nato stünden deshalb „vor neuen Herausforderungen im Verhältnis zu Russland“. Als weitere „Herausforderungen“ werden der „syrische Bürgerkrieg gegen den Diktator Baschar al-Assad“, der „Islamische Staat“, und „instabile Staaten“ im Allgemeinen genannt, die „mit einer Radikalisierung der Menschen, mit Bürgerkrieg und Migrationsbewegungen“ einhergehen.

Das gesamte Heft versucht dabei den Eindruck zu vermitteln, dass Deutschland gar nicht anderes übrig bleibt, als auf die „Bedrohungen im 21. Jahrhundert“ mit einer massiven Aufrüstung und Militarisierung nach außen und innen zu reagieren. Unter der Überschrift „Armee im Wandel“ wird Gaucks berüchtigte Rede vor der Bundeswehr zitiert. Der Abschnitt „Bundeswehr und Gesellschaft“ definiert als „Aufgaben der Armee“ unter anderem weltweite Einsätze und „Beiträge zum Heimatschutz [...] bei innerem Notstand“.

Die didaktischen und methodischen Vorschläge der Lehrerhandreichung zum Magazin bestätigen, worum es geht. Unter „Kompetenzen und Lernziele“ heißt es dort: „Handlungsmöglichkeiten im Hinblick auf Frieden und Sicherheit für sich selbst und in Verbindung mit staatlichen, zivilgesellschaftlichen und internationalen Organisationen aufzeigen sowie darüber reflektieren und dazu argumentationsgestützte Strategiekonzepte erarbeiten.“

Mit anderen Worten: Schüler sollen zu Strategen des deutschen Imperialismus ausgebildet werden und bestenfalls für „sich selbst“ die „Handlungsmöglichkeit“ Bundeswehr in Betracht ziehen. Um dieses Ziel zu erreichen, weitet die Bundeswehr ihre Kampagnen ständig aus und investiert vermehrt in Kooperationen mit Radios, Fernsehen und Zeitungen. Das Militär finanziert sogar Schulbusse, um auf deren Fahrkarten ihre Werbung drucken zu können.

Im Internet veröffentlicht die Bundeswehr auf ihrem Youtube-Kanal mit dem programmatischen Namen „Wir. Dienen. Deutschland“ neben martialischen Kriegsvideos auch Werbung für außerschulischen Sportaktivitäten. Seit 2012 wirbt sie auf der Internetseite der Jugendzeitschrift Bravo für ihre jährlichen Bundeswehr Adventure Camps mit bunten Videoclips und blumigen Texten. Die „Aktionsveranstaltungen“ richten sich an „16- und 17-jährige Mädchen und Jungen mit deutscher Staatsangehörigkeit“. Die Bundeswehr übernimmt alle Kosten.

Um das Militärische vollends in den Alltag der Jugendlichen zu integrieren, stellt die Bundeswehr auf ihrer Jugendinternetseite treff.bundeswehr Poster fürs Jugendzimmer, Desktophintergründe mit Waffen und Panzern oder Stundenpläne mit Eurofighter-Motiven zum Download bereit.

Die zunehmenden Versuche, die Schule den Interessen des deutschen Militarismus unterzuordnen und neuen Nachwuchs für die Bundeswehr zu rekrutieren, stoßen bei Schülern, Eltern und Lehrern auf großen Widerstand.

Im Internet und auf lokaler Ebene finden sich zahlreiche Initiativen die gegen die Militarisierung der Schulen protestieren. Als prominentes Beispiel hat das Robert-Blum-Gymnasium in Berlin bereits im Jahr 2011 auf seiner Schulkonferenz dem Militär jegliche Art von Auftreten verboten.

Auf der anderen Seite gibt es Schulen, an denen kritische Schüler bereits bestraft wurden, weil sie gegen den Besuch von Soldaten an ihrer Schule protestierten und allzu kritische Fragen stellten. Im Februar hatte ein Schüler an einer Bamberger Schule einen „verschärften Verweis“ erhalten, weil er in einer Pflichtveranstaltung im Rahmen eines Berufswahlseminars, in der sich die Bundeswehr als Arbeitgeber vorstellte, eine kritische Frage zum Massaker von Kundus stellte und in einer Pause mit Freunden vor der Schule gegen die Bundeswehr demonstrierte.

Der Verweis wurde explizit aus politischen Gründen erteilt und enthielt die folgende Drohung: „Um einen erfolgreichen Abschluss [...] zu erhalten, muss er [der Schüler] zukünftig darauf achten, Äußerungen bezüglich seiner extremistischen politischen Meinung zu unterlassen.“

Unabhängig davon, dass die Schulleitung den Verweis nach öffentlichem Widerstand wieder zurücknehmen musste, ist das Ereignis extrem beunruhigend. 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und 60 Jahre nach der Gründung der Bundeswehr wird ein Schüler, der gegen die Wiederkehr des deutschen Militarismus auftritt, als „Extremist“ gebrandmarkt und mit Repressalien eingeschüchtert.

Loading