Am 12. April warf ein Polizeibeamter in Baltimore “ein Auge“ auf den 25-jährigen Freddie Gray; eine Woche später, nach einem Zwischenspiel aus Brutalität und Folter, in dessen Folge drei seiner Wirbelknochen gebrochen und sein Rückenmark größtenteils durchtrennt wurde, war der junge Mann tot.
Ein Video, das ein Zuschauer drehte, zeigt lediglich einen Moment der Qual, welcher der Mann ausgesetzt war: Eine Gruppe von Polizisten mit gleichgültiger Mine lädt Gray, der sichtlich verletzt ist und vor Schmerzen schreit, in einen kleinen Stahlkäfig, der sich im hinteren Teil eines Polizeikleinbusses befindet. Dreißig Minuten später wird er in ein Krankenhaus gebracht und befindet sich dem Tode nahe.
Zuschauer, die sahen, was geschah, bevor das Video einsetzte, sagten, die Polizeibeamten hätten Gray einer Behandlung ausgesetzt, die nur als eine grauenerregende Form von Folter bezeichnet werden könne. Er sei „zusammengefaltet worden… als ob er ein Origami sei“, seine Fersen befanden sich auf seinem Rücken. Er konnte nicht mehr gehen und nur noch beten, dass ihn medizinische Hilfe erreiche.
Anschließende Presseberichte enthüllten, dass die Polizei in Baltimore, Philadelphia und anderen Städten eine Form „berührungsloser Folter“ praktiziert, indem sie gefesselte Gefangene einem „rauen Ritt“ in Stahlkäfigen in kleinen Polizeibussen aussetzt.
Baltimore blickt auf eine lange Geschichte von Polizeibrutalität zurück; seit 2011 wurden 5,7 Millionen Dollar Entschädigungen an Opfer ausgezahlt. Die Baltimore Sun berichtet, dass zu den “Opfern ein 15-jähriger Junge gehört, der ein Mountainbike fuhr, eine 26-jährige schwangere Buchhalterin, die Zeugin von Polizeischlägen wurde, eine 50-jährige Frau, die Lose für eine Kirchentombola verkaufte, ein 65-jähriger Kirchendiakon, der eine Zigarette rollte und eine 87-jährige Großmutter, die ihrem verletzten Enkelsohn half.“
Die Tötung Grays erinnert an einen Polizeimord aus dem Jahr 2005 in der Stadt, als Dondi Johnson die Wirbelsäule gebrochen wurde, nachdem er vorsätzlich einem „rauen Ritt“ in einem Polizeibus ausgesetzt worden war, der die Polizeistation in der Hälfte der Zeit erreichte, die nötig gewesen wäre, wenn das Fahrzeug die erlaubte Höchstgeschwindigkeit eingehalten hätte. In einem Gerichtsverfahren erhielt seine Familie eine Entschädigung von 7,4 Millionen Dollar zugesprochen, die aber schließlich auf 200.000 Dollar reduziert wurde.
In beiden Fällen war die Polizei gezwungen zuzugeben, dass sie, anders als vorgeschrieben, keine Sitzgurte verwendete, um den mit Handschellen gefesselten Gefangenen zu sichern. Die Stadt Philadelphia zahlte über zwei Millionen Dollar, um Klagen aus der Welt zu schaffen, laut denen „raue Ritte“ zu Lähmungen bei zwei Menschen führten.
Die gemeingefährlichen Handlungen von Polizeibeamten verdeutlichen eine fundamentale Wahrheit der amerikanischen Gesellschaft: in den Arbeiterwohngebieten überall in den Vereinigten Staaten fungiert die Polizei de facto als Todesschwadron. Sie behandelt Arbeiter und Jugendliche wie eine Bevölkerung im Besatzungszustand, die mit willkürlicher Gewalt und selbst Mord niedergehalten werden muss.
Unter der zunehmend militarisierten Polizei kursieren eindeutig antisoziale Ansichten. Das äußerte sich in der vergangenen Woche darin, dass die Beamten der Nationalgarde, die verantwortlich für die Polizeiaktionen in Ferguson (Missouri) waren, in offiziellen Dokumenten friedliche Demonstranten, welche ihr von der Verfassung geschütztes Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnahmen, als „feindliche Kräfte“ bezeichneten.
Diese Ansichten sowie die mörderischen Aktionen, die sie begleiten, sind Ausdruck einer zutiefst korrumpierten Gesellschaft, die von enormer Armut und sozialer Ungleichheit geprägt ist, und in der die Polizei sich zunehmend als „letzte Verteidigungslinie“ versteht, die die Finanzoligarchie vor den verarmten Massen schützt.
Baltimore steht symbolisch für den enormen Niedergang und die Zerstörung des Lebensstandards der Arbeiterklasse in den vergangenen Jahrzehnten, der in der Stadt zu einem Bevölkerungsrückgang um fast ein Drittel geführt hat.
Seit 1970 hat die Stadt mehr als 84 Prozent ihrer Arbeitsplätze im Produktionsbereich verloren, während zugleich die offizielle Armutsrate auf über 25 Prozent hochschnellte. Anfang dieses Jahres wurde der gewaltige Hochofen L Blast Furnace abgerissen, der einst das Zentrum des Stahlwerks Bethlehem in Sparrows Point gewesen war und im Verlauf eines Jahrhunderts viele Tausend Arbeiter beschäftigte.
Die wohlhabende Innenstadt von Baltimore, zu der eine Universität und ein Krankenhaussystem auf Weltniveau gehören, ist umgeben von bitterster Armut; ganze Wohnbezirke bestehen aus abgebrannten und verlassenen Reihenhäusern und Tausende vegetieren in Armut dahin.
Die soziale Misere wird von einer außergewöhnlich brutalen und diktatorischen Politik begleitet, die sich direkt gegen die Armen der Stadt richtet. Vergangenes Jahr verabschiedete Baltimore ein Gesetz, das die Eltern von Kindern, welche die ab 21 Uhr geltende städtische Ausgangssperre verletzen, mit einer Geldbuße von 500 Dollar belegt. Fürsprecher der Obdachlosen prangerten dieses Gesetz an, das der Polizei erlaubt, jede junge Person festzuhalten, die nach 21 Uhr aufgegriffen wird, und sagten, es werde die 2.400 obdachlosen Jugendlichen der Stadt „weiter ins Abseits drängen.“
Der wohl drakonischste Angriff auf die Stadtbevölkerung erfolgte vergangenen Monat, als der Stadtrat den Beginn von Wasserabschaltungen für 25.000 arme Bewohner ankündigte und damit Proteste auslöste.
Diese ungeheuerlichen Angriffe auf die sozialen Rechte der Bevölkerung geschehen in einer Stadt, in der der Bürgermeister, der Polizeichef und die Mehrheit der Stadträte Afro-Amerikaner sind und die seit Jahrzehnten von der Demokratischen Partei regiert wird. Damit wird die Behauptung in Stücke gerissen, dass die Wahl von Minderheitenkandidaten dieser Big-Business-Partei ein Mittel sei, das Los farbiger Arbeiter zu bessern.
Die Massenproteste, die infolge des Mordes an Freddy Gray ausbrachen, sind vor allem deshalb so bedeutsam, weil sie die wachsende Opposition breiter Teile der Arbeiterklasse gegen diese wohlhabende dunkelhäutige Elite ausdrücken, die ihren Reichtum und ihre Macht mehrte, während sich die Armut unter den Arbeitern der Minderheiten potenzierte.
Die Brutalität, die sowohl von der Polizei als auch den Politikern gegen die Bevölkerung Baltimores an den Tag gelegt wird, ist ein konzentrierter Ausdruck des Angriffs auf die Arbeiterklasse, der im gesamten Land stattfindet und zu einem massiven Zusammenbruch des Lebensstandards und praktisch zu einer Halbierung der Löhne an den Produktionsarbeitsplätzen führt.
Das Anwachsen von Armut und sozialer Ungleichheit geht einher mit der Militarisierung der Polizei, welche die Obama-Regierung von höchster Stelle des Staates aus koordiniert. Während die Regierung auf nationaler Ebene kategorisch ablehnt, selbst Polizeimorden nachzugehen, überweist das Weiße Haus Milliarden Dollar in Form von militärischem Gerät an die Polizei. Das Weiße Haus weigerte sich wiederholt, gegen mordende Polizeibeamte Anklage auf Bundesebene zu erheben. Zu diesen Mörderpolizisten zählt auch der ehemalige Polizeibeamte Darren Wilson aus Ferguson, der Mörder des unbewaffneten Jugendlichen Michael Brown.
Anfang der Woche berichtete die Washington Post, dass das Justizministerium der Obama-Regierung, trotz seiner Sympathiebekundungen für die Opfer von Polizeigewalt, „am Obersten Gerichtshof (…) jedes Mal die Polizeibeamten unterstützte, wenn ihnen übermäßige Gewaltanwendung vorgeworfen wurde.“
Während im vergangenen Jahrzehnt tausende Menschen von Polizeihand ermordet wurden, gab es nur gegen 54 Beamte Anklagen wegen Tötung im Dienst. Nur elf von ihnen wurden verurteilt; zumeist erhielten sie nur Strafen mit symbolischem Charakter.
Krieg, Ungleichheit und Diktatur sind unausweichliche Produkte des kapitalistischen Systems. Die Verteidigung demokratischer Rechte, darunter der Schutz vor Polizeigewalt, ist untrennbar verbunden mit dem Kampf zum Sturz dieser korrupten und brutalen Gesellschaftsordnung und dem Aufbau einer wahrhaft egalitären Gesellschaftsform: des Sozialismus.