„Wir sind jung, wir sind stark“ – ein Film über die rassistischen Anschläge in Rostock 1992

Die Bilder gingen 1992 um die Welt. Nach tagelangen gewaltsamen Ausschreitungen vor der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber in Rostock-Lichtenhagen (ZAst) wurde in der Nacht vom 24. zum 25. August 1992 ein Wohnheim, in dem über einhundert vietnamesische Vertragsarbeiter lebten, mit Molotow-Cocktails angegriffen.

Flammen schlugen aus den Fenstern, bejubelt von einem aufgeputschten Mob. Kurz zuvor hatte die Polizeileitung ihre Einsatzkräfte abgezogen. Die vietnamesischen Bewohner, darunter viele Frauen und kleine Kinder, retteten sich aus eigener Kraft über das Dach und entkamen nur mit Mühe dem Flammentod.

Das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen war Höhepunkt einer Welle rassistischer Gewalt, die an vielen Orten, darunter Hoyerswerda, Mölln und Solingen, zu Angriffen auf ausländische Arbeiter und Flüchtlinge mit Toten und Verletzten geführt hatte. Angeheizt wurde sie durch eine öffentliche Hetzkampagne der Politiker und Medien gegen angeblichen „Asylmissbrauch“, die schließlich zur weitgehenden Abschaffung des im Grundgesetz verbrieften Asylrechts im Dezember 1992 führte.

Am 22. Januar kam jetzt der Film „Wir sind jung, wir sind stark“ des Regisseurs Burhan Qurbani in die Kinos, der diese Ereignisse schildert. Angesichts der islamfeindlichen Pegida-Demonstrationen der vergangenen Wochen gewinnt der Film hohe Aktualität.

Der 34-jährige Regisseurs Qurbani ist selbst Kind einer afghanischen Flüchtlingsfamilie und hat als Elfjähriger die Fernsehberichte über das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen verfolgt. Nach eigenen Angaben ist er heute noch von den schrecklichen Bildern geschockt. Seinen Film hat er als Doku-Drama gedreht, er verbindet Elemente von Dokumentar- und Spielfilm.

Trotz packender Filmdramaturgie und guten Darstellern fehlt dem Film das Wichtigste: ein geschichtliches und politisches Verständnis. Der Regisseur stellt das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen als Ergebnis der Frustration und der Sorgen „normaler“ Menschen und Jugendlicher dar. Er bedient damit die gleichen Argumente, die in diesen Tagen landauf landab Politiker und Medien über die Pegida-Demonstranten verbreiten. Die politischen Hintergründe, die systematische Hetze gegen Ausländer in den Medien und von führenden Politikern, die im direkten Zusammenhang zur Verschärfung des Asylrechts standen, blendet der Film weitgehend aus. Kein Wunder, dass er von offizieller Seite über den Klee gelobt und gefördert wird.

Zu Beginn zeigt der Film kurz den unmittelbaren Anlass der Ausschreitungen vom 22. bis zum 26. August 1992 – die seit Monaten völlig überfüllte Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber. Über hundert Roma-Flüchtlinge aus Rumänien, die von der Aufnahmestelle abgewiesen worden waren, mussten auf einem Rasen vor dem Gebäude kampieren, vom Wetter ungeschützt, ohne jegliche sanitären Einrichtungen. Die unhaltbaren Zustände führten zu wachsenden Spannungen mit den Anwohnern. Diese werden als „normale Menschen“ dargestellt – oder wie der Regisseur in Interviews erklärt, als Menschen, „die unsere Nachbarn sein könnten“.

In Schwarz-Weiß-Bildern, nur gelegentlich in Farbe übergehend, begleitet die Kamera danach eine rechte Jugendclique, die sich in einem schrottreifen Kleinbus zwischen öden Plattenbauten trifft. Gegenübergestellt wird das Leben der vietnamesischen Arbeiterin Lien, die als Vertragsarbeiterin in die DDR gekommen war, in der Wäscherei arbeitet und gerade ihre Aufenthaltspapiere erhalten hat. Im Gegensatz zu ihrem Bruder will sie nicht zurück nach Vietnam.

Einer der Jugendlichen ist Stefan (Jonas Ney), der Sohn des SPD-Lokalpolitikers Martin (Devid Striesow). Er wird später den Molotow-Cocktail werfen, der das Wohnheim der Vietnamesen in Brand setzt. Die Jugendlichen gehen zur Schule oder sind wie Philipp arbeitslos. Seit der Jugendclub geschlossen wurde, machen sie, wie Stefans Freund Robby (Joel Basman) erklärt, ihr eigenes Programm. Sie hängen ab, hören Musik, trinken, provozieren – auch Ausländer. Robby, der mit Vorliebe Steine nach Polizisten wirft, ist der Provokateur der Gruppe. Nur Sandro ist wirklich ein Neonazi. Auf ihn hören sie jedoch alle. Als Philipp Selbstmord begeht, schwört Sandro die Gruppe auf Vergeltung ein: Rostock-Lichtenhagen soll „ausländerfrei“ werden.

Robby ist die interessanteste Figur der Gruppe. Neben Dreistigkeit gepaart mit Clownerie zeichnet ihn Zynismus aus. Alles scheint ihm lächerlich und wert zerstört zu werden. Die linke Szene provoziert er mit „Heil Hitler!“, auf der Polizeistelle ruft er „Stasi raus!“ Der körperlich eher schmächtige Junge legt sich auch mit Neonazi Sandro an und wird von diesem beinahe erwürgt. Der Sohn aus kultiviertem Hause – er setzt sich zum Beispiel ans Klavier in Stefans Haus, haut auf die Tasten und spielt dann stockend einige Takte Bach – hat zugleich einen Instinkt für die Schwächen anderer. Mit Vorliebe ärgert er den asthmatischen Friseurssohn mit dem jüdisch klingenden Namen Goldhahn (Paul Gäbler).

Der rechten Jugendclique stehen unglaubwürdige Politiker gegenüber wie Stefans Vater, der als schwächlich, feige und karrierebewusst gezeigt wird. Er wird als Prototyp eines „Demokraten“ der Wendezeit dargestellt, der zwar in einem Gespräch mit Stefan und Robby die Roma als „Menschen“ verteidigt, ansonsten aber nur um das „ausländerfeindliche Image“ der Stadt besorgt ist.

Am Abend, als das Wohnheim der Vietnamesen brennt, zieht er sich in sein Haus zurück, hört klassische Musik und versucht, sein dreckiges Hemd zu waschen (was ihm nicht gelingt) – ein allzu plakatives Symbol für den Versuch, sich eine weiße Weste zu verschaffen. Später, nachdem die Feuer schon gelöscht sind, mischt er sich in Freizeitkleidung unter die Menschenmenge und ruft zaghaft mit ein paar wenigen Getreuen „Keine Gewalt!“.

Diese Figur ist vermutlich dem Rostocker SPD-Oberbürgermeister Klaus Kilimann oder auch dem parteilosen Polizeichef Siegfried Kordus nachempfunden. Beide waren nicht greifbar, als das Haus der Vietnamesen brannte – letzterer, weil er angeblich nach Hause gefahren war, um sein Hemd zu wechseln und zu duschen. Kilimann befand sich in seiner Ferienwohnung ohne Telefon, obwohl es eindeutige Warnungen vor einer Zuspitzung der Lage gab.

Kilimann und sein Innensenator Peter Magdans, ebenfalls SPD, waren damals für die Eskalation maßgeblich verantwortlich, weil sie sich weigerten, die im Freien hausenden rumänischen Flüchtlinge in leerstehenden Gebäuden unterzubringen oder ihnen wenigstens Chemietoiletten zur Verfügung zu stellen.

Kilimann führte als Begründung an, Chemietoiletten hätten „bedeutet, dass wir einen Zustand legalisieren, den wir nicht haben wollen“. Und Innensenator Magdans ließ in der Presse verlauten: „Wenn wir weitere Unterkünfte zur Verfügung stellen, kommen noch mehr Asylbewerber.“ Doch diese Tatsachen thematisiert der Film nicht, ebenso wenig wie die Rechtsentwicklung der SPD auf Bundesebene, die in die rassistische Kampagne der CDU-Regierung von Kanzler Kohl einstimmte.

Auf dem Höhepunkt der Ausschreitungen, am 25. August, organisierte die SPD-Führung die so genannte „Petersberger Wende“. Parteichef Björn Engholm, unterstützt von seinem späteren Nachfolger Oskar Lafontaine, setzte während einer Klausurtagung auf dem Petersberg bei Bonn die Zustimmung zur Asylrechtsänderung durch. In einem Dossier zum Film ist dazu einiges enthalten. Doch im Film erscheint es nicht.

Auch zum skandalösen Verhalten der Polizei, die in der entscheidenden Stunde plötzlich abgezogen wurde und den rechtsradikalen Organisationen freie Bahn ließ, um das Haus in Flammen zu setzen, stellt der Film keine kritischen Fragen.

Doch es ist längst bekannt, dass Polizeibeamte vor Ort einige Täter kannten und teilweise selbst mit rechtem, rassistischen Gedankengut sympathisierten. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss im Schweriner Landtag deckte einige Monate nach den Ereignissen auf, dass es zwischen der Polizeileitung und den faschistischen Schlägerbanden ein Abkommen gab und der Rückzug der Polizei vereinbart war. Der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern Lothar Kupfer (CDU) musste daraufhin im Frühjahr 1993 zurücktreten.

Wie wenig Regisseur Qurbani die Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen verstanden hat, verdeutlicht eine Szene, in der die Jugendlichen durch den Küstenwald laufen. Neonazi Sandro ist nicht dabei, dafür setzt sich Robby an die Spitze und beginnt Nazi-Parolen und ein rechtsradikales Lied zu brüllen. Darauf stimmen Stefan und die anderen Mitglieder mit versonnenem Blick die „Internationale“ an. Soll damit angedeutet werden, dass die Jugendlichen weder links noch rechts sind, oder ihre rechtsradikalen Parolen nur notdürftig verdecken, was sie in der DDR gelernt haben? Man weiß es nicht.

In einer früheren Szene protestiert Stefan gegen die Frage eines Mädchens aus der Antifa-Szene, die neben ihm auf der Polizeiwache sitzt: „Bist Du links oder rechts?“ und sagt, er sei einfach ein „normaler Mensch“.

Welch platte Geschichts- und Gesellschaftsauffassung dem Film zugrundeliegt, zeigt eine andere Schlüsselszene, die auch im Kinotrailer zu sehen ist. Im Gespräch von Stefans Vater mit dem Großvater, einem ehemaligen SED-Funktionär, sagt dieser: „Mein Vater hat gegen die Demokraten gekämpft, weil er Faschist war. Ich habe gegen meinen Vater gekämpft, weil ich Kommunist bin. Dann hast Du gegen mich gekämpft, weil Du Demokrat sein willst. Und jetzt frage ich mich, was Stefan gerade tut.“

Hier wird deutlich, das der Regisseur sich völlig an die vorherrschende Propaganda anpasst, die die stalinistische DDR mit Kommunismus identifiziert, von linker und rechter Gewalt spricht und Kapitalismus als Demokratie glorifiziert.

Es gibt auch starke Momente in dem Film, wie zur Rolle der Medien. Diese hatten ihre Kameras auf dem Dach des gegenüberliegenden Supermarkts aufgebaut und permanent live vom Geschehen berichtet. Ein Fernsehreporter fragt die Jugendlichen um Stefan und Robby, ob sie „einen Traum“ hätten. Nach Antworten wie „Ich möchte eine Arbeit“, „Ich möchte Sicherheit wie früher“ sagt Stefan, er habe keinen Traum. Robby wirft ein, sein Freund träume nur von Sex mit Jenny, einem der beiden Mädchen der Gruppe. Darauf Stefan zum Reporter: „Und Sie träumen von einem Porno“. Er zittere vor Erregung, weil er „mit Nazis gesprochen“ habe. In den Tagen nach dem Brandanschlag gingen aufgebrachte Anwohner und Jugendliche gegen die Kamerateams vor und zwangen sie, den Ort zu verlassen.

Doch das Fehlen einer ehrlichen und schonungslosen Darstellung der Ereignisse in Rostock und ihrer Hintergründe führt dazu, dass der Film mit einem völlig pessimistischen Ausblick endet: Als die Vietnamesin Lien nach der Gewaltnacht wieder vor die Tür geht, nimmt ein kleiner Junge, der zusammen mit anderen Flaschen sammelt, einen Stein auf und zielt auf Lien.

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