Perspektive

Rassistische Provokationen und „Krieg gegen Terror”

Am frühen Mittwochmorgen ging die neue Ausgabe von Charlie Hebdo in Frankreich in den Verkauf. Die Druckauflage betrug statt der üblichen 60.000 fünf Millionen Exemplare. Die neue Ausgabe, die eine herabwürdigende Karikatur des Propheten Mohammed auf dem Deckblatt trägt, ist kein Bekenntnis zur „Pressefreiheit“, wie von verschiedenen Medien behauptet wird, sondern eher eine staatlich unterstützte Provokation.

Mit dieser Publikation und ihrem Medienecho werden Millionen französischer Bürger mit einer antimuslimischen Kampagne bombardiert, wie man sie bis vor kurzem nur von der neofaschistischen Nationalen Front kannte. Bewusst wird eine Stimmung geschürt, die die Hemmschwelle für militärische Operationen des französischen Imperialismus herabsetzt.

Der “Krieg gegen den Terror” nimmt immer deutlichere rassistische Züge an.

Dass es sich dabei um eine sorgfältig koordinierte Kampagne handelt, ist schon daraus ersichtlich, dass die Regierung die ungeheuer aufgeblähte Auflage bezahlt und führende Zeitungen der französischen Bourgeoisie sie ermöglicht haben: Le Monde stellte die Computer zur Verfügung, und Libération öffnete seine Büros für die verbliebene Redaktion von Charley Hebdo. Premierminister Manuel Valls schaute vorbei, um seine Unterstützung zu zeigen.

Die französische Regierung verlor keine Minute und beutete die Anschläge vom 7. Januar gründlich aus, um ihre Kriegsvorhaben im Nahen Osten zu propagieren. Am Dienstag votierte die Nationalversammlung mit 488 zu einer Stimme für die Ausweitung der Luftschläge im Irak. Kurz danach posierte Präsident François Hollande, bis vor kurzem der unbeliebteste Politiker Frankreichs, auf dem Deck des Flugzeugträgers Charles de Gaulle und sprach zu einer Crew, die kurz vor dem Auslaufen zu ihrem Nahost-Einsatz stand. Unter Hinweis auf die Ereignisse der letzten Woche mit zwanzig Toten in Paris erklärte der Präsident, die Lage „rechtfertigt die Anwesenheit unseres Flugzeugträgers“.

Der Einsatz wird das US-Militär im Persischen Golf stärken, wo amerikanische Kräfte den Westen des Irak und den Osten Syriens bombardieren. Momentan richten sich die Angriffe gegen den Islamischen Staat im Irak und in Syrien (Isis), aber genauso gut könnten sie sich als nächstes gegen das syrische Regime von Präsident Baschar al-Assad richten.

Die Koalition imperialistischer Mächte und Golfscheichtümer unter Führung der USA flog allein am Montag achtzehn Angriffe. Es gibt wenig Zweifel, dass diese Bombenangriffe an jedem einzelnen Tag mehr unschuldige Opfer kosten, als vergangene Woche in Paris ums Leben kamen. Allerdings ziehen sie weit weniger Aufmerksamkeit der westlichen Presse auf sich.

Auf ihrem Weg in den Persischen Golf wird die Charles de Gaulle die Küste des Jemen passieren, was der Hollande-Regierung die Möglichkeit verschafft, Luftangriffe gegen dieses Land zu fliegen. Amerikanische und französische Vertreter behaupten, es sei im Jemen gewesen, wo Said Kouchi militärische Ausbildung und Instruktionen von der al-Qaida auf der arabischen Halbinsel erhalten habe. Unbestätigten Meldungen zufolge steht ein massiver Angriff französischer Kampfflugzeuge oder amerikanischer Drohnen oder von beiden unmittelbar bevor.

Der Anschlag auf Charlie Hebdo wird auch dazu genutzt, um die andere Komponente des “Kriegs gegen den Terror” zügig auszuweiten: den Angriff auf die demokratischen Rechte im Inland.

Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian sagte zu der Mobilisierung von 10.000 Soldaten zur Bewachung von öffentlichen Transportmitteln, Schulen, und anderen mutmaßlichen Zielen von Terroranschlägen am Dienstag: “Dies ist eine Militäraktion wie jede andere, die wir im Ausland durchführen, gegen den gleichen Feind.“ Er fügte hinzu: „Das einzig Neue dabei, was aber schwer wiegt, ist der Fakt, dass es keinen Unterschied mehr zwischen der äußeren und der inneren Bedrohung gibt.“

Die französischen Behörden behaupten, bei Charlie Hebdo die „Meinungsfreiheit“ zu verteidigen, doch haben sie unter dem Vorwurf der „Terrorismus-Begünstigung“ schon mindestens 54 Personen wegen Meinungsäußerungen, meist in den sozialen Medien, verhaftet. Vier der Verhafteten sind Minderjährige, und einige sind bereits an Schnellgerichten verurteilt worden.

Parallel zur Unterdrückung öffentlicher Sympathiebekundungen für den islamischen Fundamentalismus werden zurzeit die Vollmachten eines Polizeistaats rasch ausgeweitet. Dies richtet sich nicht nur gegen islamistische Radikale, sondern gegen jede Opposition, welche die französische Bourgeoisie bedrohen könnte, vor allem, wenn sie aus den Reihen der Arbeiterklasse kommt.

Valls versprach, innerhalb von drei Monaten Gesetze für weiter gefasstes Abhören von Telefonen und Überwachung des Internets vorzulegen und Maßnahmen zur Umstrukturierung des Bildungssystems und der Wohnungspolitik zu treffen. Letztere zielen darauf ab, die Konzentration von muslimischen Bevölkerungsgruppen in verarmten Vorstädten am Rande von Großstädten aufzulösen.

Angesichts von ca. fünf Millionen Muslimen in Frankreich (die größte muslimische Bevölkerung in einem westeuropäischen Land) sind diese Maßnahmen nicht nur antidemokratisch und provokativ, sondern auch völlig verantwortungslos.

Die Propagandisten der französischen Bourgeoisie behaupten, jede Kritik an den miesen Provokationen von Charlie Hebdo komme einem Angriff auf die „Meinungsfreiheit“ gleich, während die massive Finanzierung des Magazins mit staatlichen Mitteln irgendwie der Verteidigung demokratischer Rechte diene.

Natürlich hat jeder das Recht, auch ein übles rassistisches und rechtes Magazin herauszugeben. Selbst ein Verbot faschistischer Publikationen durch den bürgerlichen Staat lehnen Marxisten ab, weil die gleichen Gesetze, die sich offiziell gegen Rechtsradikale richten, letztlich viel schärfer gegen die Arbeiterklasse und die Linke eingesetzt werden.

Es ist aber etwas ganz Anderes, die abstoßende politische Botschaft solcher Publikationen zu entschuldigen, geschweige denn zu begrüßen. Kein prinzipieller Unterschied besteht zwischen Karikaturen, die den Propheten Mohammed verzerren und herabwürdigen, und den rassistischen Karikaturen des Ku Klux Klan gegen Schwarze, oder auch den antisemitischen Karikaturen, die schon seit langem im Lager der Neofaschisten und Neonazis kursieren.

Das zeigt auch die Logik der französischen Politik. Präsident Hollande, der sich mit den antimuslimischen Karikaturen von Charlie Hebdo solidarisiert, hat Marine Le Pen, die Führerin des faschistischen Front National, in den Elysée Palast eingeladen.

Wenn heute die öffentliche Meinung vergiftet und die natürliche Empörung und der Schock über das Massaker von Paris missbräuchlich ausgebeutet werden, dann zeigt dies nur den ideologischen Bankrott der französischen Bourgeoisie und des Imperialismus insgesamt. Der amerikanische Imperialismus rechtfertigte seine Kriege in Afghanistan und im Irak damit, indem er damals das blutige Hemd vom 11. September 2001 schwenkte. Dieser Vorwand hat sich inzwischen völlig abgenutzt.

Bei der Planung neuer militärischer Abenteuer, die die Dimensionen eines veritablen Kreuzzugs annehmen, spielen die herrschenden Klassen in Frankreich und weltweit die Rassenkarte. Aber in allen großen kapitalistischen Ländern werden schon sehr bald die grundlegenden Klassengegensätze aufbrechen.

Die Arbeiterklasse muss die lähmenden Auswirkungen der Medienpropaganda abschütteln und den Kampf für ihre eigenen, unabhängigen Klasseninteressen aufnehmen: Sie muss die Arbeitsplätze, ihren Lebensstandard und die demokratischen Grundrechte verteidigen und gegen imperialistischen Krieg kämpfen.

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