Was die Grünen über den bayerischen Verfassungsschutz nicht sagen

Anfang vergangener Woche veröffentlichte die Grünen-Fraktion im Bayerischen Landtag eine Untersuchung zu den nationalsozialistischen Wurzeln des bayerischen Verfassungsschutzes.

Der Bericht verdeutlicht, dass nach Ende des Zweiten Weltkriegs zahlreiche hochrangige Gestapo-Beamte und SS-Offiziere leitende Funktionen im bayerischen Geheimdienst sowie der Polizei übernahmen. Darüber hinaus hat der Bericht eine äußerst brisante aktuelle Dimension: die Grünen bemühen sich, Fragen nach der Verwicklung des heutigen bayerischen Staatsapparats in die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zu vertuschen.

In ihrem Vorwort betonen die beiden Grünen-Landtagsabgeordneten Sepp Dürr und Susanna Tausendfreund zwar, die Frage nach der heutigen Mentalität des bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) sei aufgeworfen worden, weil „über Jahre in die falsche Richtung ermittelt wurde“. Immer wieder sei im Zusammenhang mit der Aufklärung der NSU-Morde vom „Geist der Behörde“ die Rede gewesen. Deshalb hätten die Grünen – unterstützt von allen anderen Landtagsfraktionen – eine Untersuchung über die Frühzeit des LfV in Auftrag gegeben.

Ziel der Studie sei es, nachzuweisen, „wie stark die NS-Verstrickungen in den Gründungsjahren waren und welche Auswirkungen dies – möglicherweise bis in die jüngste Vergangenheit – auch auf die Ausrichtung und den Geist der Behörde hatte“.

Doch während die Autoren der Studie die Entstehungszeit des LfV bis 1965 detailliert begutachten, bleibt alles, was seither passiert ist, im Dunkeln. Über die politischen Konsequenzen, die sich aus dem Inhalt der Studie ergeben, schweigen sich die Grünen aus.

Das ist kein Zufall. Die Untersuchung zeigt, dass der bayerische Verfassungsschutz durch Nazis aufgebaut wurde und sich vor allem gegen die Arbeiterbewegung richtete. Dieses Ergebnis macht es unmöglich, einen überzeugenden Bogen zur Behauptung der Grünen zu spannen, der Geheimdienst sei heute demokratisch.

Zunächst einmal zum historischen Inhalt der Studie. Die beiden Historiker Susanne Meinl und Joachim Schröder belegen mit vielen Details, wie stark das LfV sowie diverse Polizeibehörden in Bayern unmittelbar nach dem Krieg von ehemaligem Führungspersonal von Schutzstaffel (SS) und Geheimer Staatspolizei (Gestapo) durchsetzt waren. Der Zeitraum ihrer Untersuchung erstreckt sich von der Gründung der Bundesrepublik 1949 bis zum Jahr 1965.

Beispielhaft ist etwa der Werdegang von Leonhard Halmanseger. Von 1933 bis 1945 war er Mitglied der Gestapo gewesen und hatte sich bei der Verfolgung von Anhängern der verbotenen KPD in Bayern derart hervorgetan, dass er 1938 nach Berlin ins spätere Reichssicherheitshauptamt abgeordnet wurde. Seit 1937 Mitglied der SS, brachte er es zum Hauptsturmführer; seit 1941 war er auch Mitglied der NSDAP.

Dieser Hintergrund verhinderte zunächst, dass Halmanseger offiziell durch das LfV angestellt wurde. Stattdessen verzeichnete man ihn bei der bayerischen Grenzpolizei, ließ ihn aber de facto als Verfassungsschützer arbeiten. Wie die Studie bemerkt, war diese Praxis bei besonders vorbelasteten Alt-Nazis durchaus üblich.

Nach einigen Jahren wechselte Halmanseger auch offiziell zum LfV. Was ihn für seine Arbeit qualifizierte, zeigt ein Empfehlungsschreiben von 1953. Dort heißt es, er sei „ein seit Jahrzehnten auf dem Gebiet des politischen Nachrichtenwesens erfahrener Beamter, der sich beim Aufbau des Amtes hervorragend bewährt hat. Er darf mit Recht als eine der Stützen des Amtes angesprochen werden.“

Die Studie verdeutlicht auch den Klassencharakter des Verfassungsschutzes sowie der staatlichen Polizeiorgane. Es ging ihnen mitnichten um die Bekämpfung von abstrakten „Feinden der Verfassung“. Vielmehr waren es die Feindbilder der Gestapo, insbesondere die Bekämpfung von Kommunisten, „die die Geheimpolizisten mit den US-amerikanischen Geheimdiensten – aber auch mit vielen bundesdeutschen Sicherheitsbehörden und Gerichten teilten“.

Wie die Studie feststellt, war es deshalb für den amerikanischen Geheimdienst CIC – der alle Personalentscheidungen absegnen musste – „naheliegend, das Know-How der erfahrenen Gestapo-Beamten der Kommunismus-Referate abzuschöpfen“.

Man versuchte zwar die schlimmsten Auswüchse zu verschleiern, indem die Bewerber angaben, sie hätten ihre Posten im Nazi-Apparat stets nur widerwillig übernommen. Doch das tat der personellen Kontinuität zwischen Drittem Reich und Bundesrepublik keinen Abbruch. So wurden auch für die bayerische Staatsschutzabteilung in den zwei Jahren vor dem KPD-Verbot 1956 einem internen Schreiben zufolge dringend „erfahrene Spitzenbeamte“ gesucht.

In diesem Zusammenhang wurde im April 1954 Joseph Schreieder Leiter des Staatsschutzes, bevor auch er im Folgejahr zum LfV wechselte. Seit 1934 Mitglied der SS und seit 1937 Mitglied der NSDAP, hatte sich Schreieder während des Krieges in den Niederlanden einen Namen gemacht. Seit August 1940 war er dort Leiter der Abteilung Gegenspionage beim Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD gewesen.

Konkret bestand seine Aufgabe darin, den von England aus organisierten niederländischen Widerstand zu sabotieren. Schreieders Tätigkeit führte zur Verhaftung von mehr als 50 Menschen, von denen 47 im KZ Mauthausen erschossen wurden. In mehreren Prozessen in den Niederlanden wurde er nach dem Krieg freigesprochen und nach Deutschland abgeschoben.

Als Schreieder in den 1960er Jahren doch noch von der Justiz behelligt zu werden drohte, organisierte das bayerische Staatsministerium für den noch immer tätigen LfV-Mitarbeiter ein psychiatrisches Gutachten, das ihm wie aus dem Nichts Unzurechnungsfähigkeit attestierte. Über seine Tätigkeiten im Dritten Reich offenbar in voller Kenntnis, verschaffte man ihm schließlich auch für diese Zeit den vollen Pensionsanspruch.

Wie allein diese Beispiele verdeutlichen, gab es beim bayrischen LfV wie in vielen anderen staatlichen Institutionen und Behörden der Bundesrepublik einen fast nahtlosen personellen und damit auch ideologischen Übergang aus dem Dritten Reich. Die Studie macht auch deutlich, dass sich vor allem die personellen Grundpfeiler des LfV in Bayern aus früheren Nazis rekrutierten.

Doch weder die Autoren der Studie noch ihre grünen Auftraggeber ziehen daraus Schlussfolgerungen in Bezug auf das heutige LfA. Die Studie hat weder ein Schlusswort noch ein Fazit der Autoren, geschweige denn ein Nachwort der Grünen-Abgeordneten. Die eingangs gestellte Frage, ob ein faschistischer „Geist der Behörde“ womöglich noch immer existiert, wird nicht einmal ansatzweise beantwortet.

Die Grünen liefern keine Erklärung dafür, wie aus einem tiefbraunen Geheimdienst innerhalb weniger Jahrzehnte ein angeblicher Hort der Demokratie werden konnte. Das können sie auch nicht.

Eine Zäsur, bei der mit der Nazi-Vergangenheit abgerechnet und das Personal ausgetauscht wurde, hat es in der Geschichte des Verfassungsschutzes nie gegeben – schon gar nicht in Bayern, wo seit 1946 mit einer kurzen Unterbrechung in den 1950er Jahren ununterbrochen die CSU an der Macht war, die ebenfalls eine braune Vergangenheit hat. Die alten Nazis im LfV sind zwar aus Altergründen längst nicht mehr im Amt, aber ein großer Teil des heutigen Personals ist von ihnen eingestellt und ausgebildet worden.

Tatsächlich gibt es auch nach 1965 zahlreiche Fälle, die eine direkte Verbindung zwischen der rechtsextremen Szene und bayrischen Behörden nahelegen. Die Abgeordneten Dürr und Tausendfreund selbst nennen im Vorwort die jahrelange Duldung der paramilitärischen Wehrsportgruppe Hoffmann sowie das Attentat auf das Münchener Oktoberfest 1980. Dabei starben 13 Menschen, mehr als 200 wurden verletzt. Jüngere Hinweise deuten auf eine direkte Verwicklung westdeutscher Geheimdienste in den Fall. Dies kam jüngst im sogenannten „Bombenleger“-Prozess in Luxemburg zur Sprache, der von den deutschen Medien weitgehend totgeschwiegen wird.

Von höchster aktueller Brisanz sind die Verstrickungen des Staats in das Terrornetzwerk des NSU, insbesondere in Bayern. Hier wurden fünf der insgesamt zehn Morde begangen, für die der NSU verantwortlich sein soll.

Das bayerische LfV spielte beim Aufbau der rechtsextremen Szene eine zentrale Rolle. So schleuste das LfV bereits in den 1990er Jahren den IT-Fachmann Kai D. gezielt ein, um innerhalb der Szene ein Computernetzwerk aufzubauen. Mit dem so genannten „Thule-Netzwerk“ kommunizierten Neonazis bundesweit, als es noch kein Internet gab.

Bemerkenswert ist, dass D. sich erst im Laufe seines Einsatzes zum Rechtsextremisten entwickelte. Die Süddeutsche Zeitung berichtete, er habe im Laufe der Jahre etwa 150.000 D-Mark für seine Dienste erhalten und stellt die Frage, „ob das Landesamt ihn gezielt zu einem führenden Neonazi aufgebaut hat“.

Über solche Entwicklungen schweigen die Grünen in ihrem Vorwort. Stattdessen bezeichnen sie die wohlwollende Bereitschaft des Verfassungsschutzes und anderer staatlicher Behörden, sich in Jahrzehnte alte Akten schauen zu lassen, als besondere Errungenschaft. Der Staat demonstriere „mit diesen selbstkritischen Reflexionen Souveränität und demokratisches Bewusstsein“.

Das ist zynisch und dreist. Wenn der Staat im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie und seiner eigenen Verstrickungen in sie „Souveränität“ bewiesen hat, dann beim Schreddern und der massenhaften Vernichtung von Akten und Beweisen, oder wenn er selbst bestimmte, in welche Akten parlamentarische Untersuchungsausschüsse Einblick nehmen durften und in welche nicht.

Die Aufdeckung von Nazi-Verstrickungen vor 1965 tut heute kaum mehr jemandem weh. Und für einige – womöglich besonders brisante – Fälle laufen noch immer Sperrfristen, wie die Verfasser selbst im Vorwort bemerken.

Auch der Bundesnachrichtendienst, der eine eigene Historikerkommissionen zur Untersuchung der NS-Vergangenheit eingesetzt hat, behält sich ein Veto bei der Veröffentlichung der Ergebnisse vor. Wenige Jahre vor Einsetzung der Kommission waren zudem zahlreiche Personalakten mit NS-Bezug vernichtet worden.

Laut Auffassung der Grünen, sind der Bericht „sowie die selbstkritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln und der eigenen Geschichte [...] ein entscheidendes Kennzeichen einer selbstbewussten, lebendigen und zukunftsfähigen Demokratie“. Tatsächlich unterstreichen der Bericht und das Schweigen über die Zeit nach 1965, dass genau das Gegenteil der Fall ist.

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