Perspektive

Wer regiert Amerika?

Nachdem Präsident Barack Obama die geheimen Regierungsprogramme verteidigt hat, durch die die amerikanische Bevölkerung ausspioniert wird, drohte der Nationale Geheimdienstdirektor, James Clapper, die Personen anzuklagen, die dafür gesorgt haben, dass Informationen über die massiven Überwachungsoperationen an die Öffentlichkeit geraten sind.

Am Samstag kritisierte Clapper in einer Stellungnahme die britische Zeitung Guardian und die Washington Post für ihre „leichtsinnigen Enthüllungen“ über Programme der National Security Agency (NSA) des Pentagons. Diese Programme sammeln täglich die Telefondaten von fast allen Amerikanern und fangen Millionen von Mitteilungen aus dem Internet ab, darunter E-Mails, Chats, Videos, Fotos und Kreditkartendaten.

Reuters zitierte Vertreter des Justizministeriums und des FBI, die erklärten, man erwarte, dass die Regierung Ermittlungen wegen der Enthüllungen aufnehmen werde. Soweit es die Obama-Regierung betrifft, ist nicht die offen verfassungswidrige Verletzung des Rechts auf Privatsphäre der amerikanischen Bevölkerung ein Verbrechen, sondern die Enthüllung dieser Taten.

Während Obama die Programme der NSA verteidigte, charakterisierte er die Berichte der Medien als „Panikmache“ und die umfassende staatliche Überwachung der Bevölkerung als „geringfügigen Verstoß“ gegen die Bill of Rights. Das zeigt, dass er jedes Konzept von demokratischen Rechten fallen gelassen hat. Dieser ehemalige Professor für Verfassungsrecht vertritt die Perspektive einer herrschenden Klasse, die jede ernsthafte Verbindung zum rechtlichen Grundgerüst, auf dem die USA aufgebaut wurden, verloren hat.

Obama regiert ein Land, dessen Präsident einseitig die außergerichtliche Ermordung von Menschen auf der ganzen Welt anordnen kann, auch von amerikanischen Staatsbürgern – und dies tut; ein Land, in dem ganze Städte, wie Boston, praktisch unter Kriegsrecht gestellt werde können; in dem die Regierung die Telefondaten und E-Mails von investigativen Journalisten anfordert; in dem diejenigen, die, wie Bradley Manning, amerikanische Kriegsverbrechen aufdecken, gefoltert und wegen Verrat angeklagt werden; und in dem der Präsident angebliche Terroristen auf unbestimmte Zeit und ohne Prozess in Militärgefängnisse stecken kann.

Die Frage, die sich angesichts dieser Entwicklungen aufdrängt, ist: wer regiert Amerika?

Um diese Verstöße gegen die Verfassung, die zu verteidigen er geschworen hat, zu rechtfertigen, beharrt Obama darauf, dass er sie mit dem Kongress abgesprochen und dieser sie bewilligt habe. Das stimmt. Er weist auch, zurecht, darauf hin, dass die Gerichte sein Vorgehen sanktioniert haben.

Dennoch weiß jeder, dass die amerikanische Bevölkerung nie gefragt wurde und über die Zerstörung ihrer demokratischen Rechte belogen und in die Irre geführt wurde. Selbst der Begriff „bürgerliche Demokratie“ passt nicht mehr auf ein politisches System, in dem die brüchige Fassade der Volkssouveränität so völlig von der Realität des politischen Geschehens widerlegt wird.

Die heimliche Zusammenarbeit des Militärs, der Geheimdienste und der nationalen Sicherheitsbehörden mit den Großkonzernen bei der systematischen und rechtswidrigen Überwachung der amerikanischen Bevölkerung zeigt, wer in den USA wirklich die Macht hat. Telekommunikationsunternehmen wie AT&T, Verizon und Sprint, Internetunternehmen wie Google, Microsoft, Facebook und Twitter gewähren dem Militär, dem FBI und der CIA Zugang zu den Daten von hunderten Millionen Menschen, die diese staatlichen Behörden rechtlich nicht besitzen dürfen.

Der Kongress und die beiden großen Parteien winken die Entscheidungen der Vereinigung aus Militär, Geheimdiensten und der Wall Street durch, die das Land tatsächlich regiert. Die sogenannte „vierte Gewalt“ – die Massenmedien – agieren schamlos als Werkzeug dieser herrschenden Troika.

Die Feigheit und Doppelzüngigkeit des Kongresses, vor allem der Demokraten, und die Unterwürfigkeit der Medien, die sich in der Reaktion auf die Enthüllung der Überwachungsprogramme zeigte, ermutigen das Militär und die Geheimdienste, beim Aufbau ihrer Diktatur noch weiter zu gehen. Der demokratische Senator Mark Udall, der als der „heftigste“ Kritiker des Überwachungsprogramms dargestellt wurde, versicherte am Anfang eines Interviews in der CNN-Sendung „State of the Union“ am Sonntag seine Unterstützung für den „Krieg gegen den Terror“ und verurteilte die Enthüllung von vertraulichen Informationen.

Keine einzige größere Zeitung oder Medium forderte ein Ende der Überwachung, die Abschaffung der NSA, Verfahren gegen die Verantwortlichen für die illegale Überwachung oder Obamas Amtsenthebung, obwohl dessen Verbrechen, Fehlverhalten und Verstöße gegen die Verfassung alles, was Nixon getan hat, in den Schatten stellen. Die New York Times veröffentlichte am Samstag auf ihrer ersten Seite einen Artikel mit der Überschrift „Datensammlung wird als wichtig im Kampf gegen Terror bezeichnet.“ Ehemalige Geheimdienstler verteidigten in dem Artikel die Überwachungsprogramme, ohne dass es daran Kritik gab.

Die Obama-Regierung selbst verkörpert, mehr als jede andere Vorgängerregierung, die Konsolidierung der Macht des Militärs und der CIA im Bündnis mit der Finanzelite. Die immer weiter zunehmende Macht des „militärisch-industriellen Komplexes,“ wie Eisenhower es im Jahr 1961 formulierte, hat einen gewissen Höhepunkt in der Verschmelzung der Exekutive mit dem nationalen Sicherheitsapparat unter Obama gefunden.

Obamas persönlicher Hintergrund hat ihn scheinbar zum idealen Vehikel für diesen Prozess gemacht. Es ist bekannt, dass er nach dem College ein Jahr lang für Business International gearbeitet hat, dessen Gründer zugab, in mehreren Ländern die CIA unterstützt zu haben.

Obamas persönliche Biografie darf jedoch nicht vom grundlegenderen sozialen Prozess ablenken, der das Entstehen von diktatorischen Herrschaftsformen in den USA fördert. Niemand kann heute noch ernsthaft leugnen, dass der „Krieg gegen den Terror“ immer ein Krieg gegen das amerikanische Volk war, d.h. ein Deckmantel für imperialistische Kriege im Ausland und kontinuierliche Angriffe auf demokratische Rechte innerhalb der USA.

Der riesige Umfang der Überwachung von jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind im ganzen Land wirft die Frage auf: Wovor haben sie Angst?

Die herrschende Klasse spürt, dass sie sozial und politisch isoliert ist und dass die Politik, die sie betreibt, kaum Unterstützung in der Bevölkerung hat. Angetrieben von der Krise des kapitalistischen Systems verschärft die Wirtschafts- und Finanzelite ihre Angriffe auf die Lebensbedingungen der großen Mehrheit der Bevölkerung, weil sie sich von den Folgen der Krise bedroht fühlt. Sie weiß, dass das Finanz-Kartenhaus, das sie aufgebaut hat, jeden Moment einstürzen und revolutionäre soziale Unruhen hervorrufen kann.

Die herrschende Klasse hat letzten Endes nur eine Antwort auf dieses Dilemma: brutale Unterdrückung. Deswegen hat sie die Polizeimacht des Staates so verstärkt. Sie richtet sich nicht gegen Terroristen, sondern gegen die Arbeiterklasse.

Kein Teil des politischen Establishments und keine offizielle Institution wird gegen den Angriff auf demokratische Rechte kämpfen.

Die Demokratische Partei und das sogenannte „liberale“ Establishment zeigen wieder einmal, dass ihnen nicht wirklich etwas an demokratischen Rechten liegt. Ihnen gleich tun es ihre Anhängsel aus linksliberalen und pseudolinken Kräften, die von dem Magazin The Nation und der International Socialist Organization repräsentiert werden. Diese haben sich kaum zu den jüngsten Enthüllungen über Obamas zutiefst reaktionärer und undemokratischer Politik geäußert. Ohne die Unterstützung dieser angeblich „linken“, in Wirklichkeit jedoch rechten, Gruppen für Obama und die Demokraten, wäre es dem Staat nicht möglich, so weitreichende Angriffe auf demokratische Rechte zu führen.

Diese Rechte haben jedoch großen Rückhalt in der Arbeiterklasse. Sie wurden ursprünglich in revolutionären Kämpfen errungen. Dass die herrschende Klasse heute entschlossen ist, sie zu zerstören, zeigt den historischen Bankrott des amerikanischen und des Weltkapitalismus. Die Aufgabe, diese Rechte zu verteidigen, fällt heute der Arbeiterklasse zu.

Sie muss eine unabhängige politische Bewegung der Arbeiter und Jugend aufbauen. Die Verteidigung demokratischer Rechte ist untrennbar verbunden mit dem Kampf gegen den Kapitalismus und den kapitalistischen Staat. Der Schlüssel zu diesem Kampf ist der Aufbau der Socialist Equality Party als neue revolutionäre Führung der Arbeiterklasse.

Loading