Streik bei Amazon

Vergangene Woche streikten rund 1.000 Arbeiter beim weltgrößten Internet-Versandhändler Amazon an den Standorten Bad Hersfeld und Leipzig. Der von Verdi initiierte Streik war der erste, seit Amazon 1998 in Deutschland aktiv wurde. Bereits im April war es an einigen Standorten zu Warnstreiks gekommen.

Mit der Aktion reagiert Verdi auf einen umfangreichen Skandal bei Amazon und versucht, dem Management über einen faulen Kompromiss zu Hilfe zu eilen.

Anfang Februar hatte eine Reportage in der ARD über die Ausbeutung ausländischer Leiharbeiter berichtet, die im Amazon-Logistikzentrum im hessischen Bad Hersfeld eingesetzt wurden. Die Arbeiter, die oft aus krisengeschüttelten Ländern wie Spanien, Rumänien oder Ungarn stammten, sollen mit falschen Lohn-Versprechungen nach Deutschland gelockt worden sein. Den Vertrag soll es erst in Deutschland gegeben haben, wobei ihn viele Arbeiter unterschrieben, ohne ihn zu verstehen, da es keine Übersetzung gab.

Anstatt direkt für Amazon zu arbeiten, wurden die Arbeiter über eine deutsche Leiharbeitsfirma angestellt. Auf diese Weise war es möglich, sie innerhalb von 24 Stunden ohne Begründung zu entlassen und zurück in ihr Heimatland zu schicken. Unter diesen Bedingungen hätten viele Arbeiter oft wochenlang am Stück arbeiten müssen.

Sie sollen in überfüllte Quartiere gesteckt worden sein, wo sie vom Wachpersonal überall und zu jeder Zeit durchsucht und kontrolliert werden konnten. Auch die Wohnungen der Arbeiter seien in ihrer Abwesenheit durchsucht worden. Wie die Reporter des hessischen Rundfunks aufdeckten, hatte eine der Sicherheitsfirmen, die Firma „H.E.S.S Securities“, „zahlreiche Verbindungen“ zur rechtsextremen Szene. Rudolf „Heß“ war der Name von Hitler’s Stellvertreter. Viele der Aufseher trugen nachweislich Nazi-Symbole.

Unter diesen Bedingungen sollen im Weihnachtsgeschäft 2012 in ganz Deutschland 5.000 ausländische Leiharbeiter unter Bedingungen „moderner Sklavenarbeit“ – wie es die Reporter nannten – für Amazon gearbeitet haben, mehr als 2.000 davon allein am Logistikzentrum in Bad Hersfeld.

Der Skandal schlug innerhalb kürzester Zeit hohe Wellen, und Amazon geriet unter starken öffentlichen Druck. Viele Politiker sahen sich gezwungen, Amazon verbal zu kritisieren, unter ihnen Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU).

Auch der Chef der hessischen Arbeitsagenturen, Frank Martin, äußerte sich „besorgt“, da durch die Enthüllungen bei Amazon die Anwerbung ausländischer Fachkräfte für die deutsche Wirtschaft in Frage gestellt werde. Die Leiharbeiter bei Amazon wurden offiziell durch die Arbeitsagenturen in ganz Europa angeworben.

Amazon betreibt seit Jahren systematisches Lohndumping und nutzt Arbeitslose aus Deutschland als kostenlose Arbeitskräfte. Sie werden in den Logistikzentren unter Vermittlung der Arbeitsagentur für einen befristeten Zeitraum unbezahlt „eingearbeitet“ und dann wieder entlassen. Bei Ablehnung kürzt die Arbeitsagentur den Arbeitslosen ihre Bezüge.

Verdi und ihren Betriebsräten ist all das seit Jahren bekannt. Sie haben bisher nichts dagegen getan, weil sie selbst tief darin verstrickt sind, Rahmenbedingungen wie bei Amazon zu schaffen. Erst jüngst wurde enthüllt, dass hohe Verdi-Funktionäre selbst Leiharbeit im großen Stil organisieren (siehe unten).

Obwohl mit hoher Wahrscheinlichkeit an allen Amazon-Standorten die gleichen Bedingungen herrschen, beschränkte Verdi den Streik letzte Woche auf die Standorte Bad Hersfeld und Leipzig. Für die dort Beschäftigten fordert die Gewerkschaft einen Tarifvertrag, Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie einige, in der Branche übliche Prämien.

Bisher gilt an keinem der Standorte von Amazon eine Tarifbindung. Amazon legt die Löhne einseitig fest und orientiert sich dabei am Tarifvertrag für die Logistikbranche, in der Hungerlöhne zwischen 9,65 und 10,50 Euro brutto die Stunde bezahlt werden. Seit sieben Jahren haben die Arbeiter in Bad Hersfeld keine Lohnerhöhung erhalten – ohne das Verdi etwas dagegen unternahm.

Verdi will von Amazon als Tarifpartner anerkannt werden und forderte ursprünglich einen Abschluss zu den etwas besseren Konditionen des Versand- und Einzelhandels, erhielt aber eine klare Absage. Auch auf das Angebot von Verdi, einen speziellen Amazon-Tarifvertrag auszuhandeln, ging das Unternehmen bisher nicht ein.

Insgesamt beschäftigt Amazon in Deutschland rund 9.000 Mitarbeiter in Graben bei Augsburg, Bad Hersfeld, Leipzig, Rheinberg, Werne, Pforzheim und Koblenz. Doch diese Zahl unterliegt starken Schwankungen. So sollen laut Betriebsrat Ende 2012 von 3.300 Beschäftigten in Bad Hersfeld weniger als zehn Prozent eine unbefristete Stelle gehabt haben. Der Rest seien Leiharbeiter aus ganz Europa oder andere prekär Beschäftigte gewesen. Auch im Logistikzentrum in Koblenz sollen laut Aussage der ARD-Reportage von 3.300 Arbeitern 3.100 Leiharbeiter gewesen sein.

Bereits während des Streiks am Dienstag hatten Verdi-Vertreter klar gemacht, dass sie keinen ernsthaften Arbeitskampf planen. Nicole Püschel von der Leipziger Streikleitung erklärte, man wolle den Betrieb „nicht kaputt machen“ und habe lediglich „ein Signal setzen“ wollen.

Die Auswirkungen der Aktion waren anscheinend gering. Eine Amazon-Sprecherin bilanzierte am Mittwoch, dass es in Bad Hersfeld und Leipzig durch den Streik „zu keinerlei Auswirkungen auf den Versand“ gekommen sei. Gleichzeitig stellt eine Analystin einer Londoner Beratungsfirma in der Financial Times beruhigt fest, dass Amazon „nicht beschädigt werde durch einen eintägigen Streik“.

In der Amazon-Belegschaft ist die Wut derweil groß. Das zeigte sich bei der Urabstimmung Ende April, bei der 97,6 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für einen Arbeitskampf stimmten.

Es ist gut möglich, dass der Protest von Verdi bei Amazon ein Vorbote weiterer Angriffe auf die Arbeiter ist und ein engeres Zusammenrücken von Gewerkschaft und Management markiert. Im dritten Quartal 2012 meldete Amazon einen Verlust von 274 Millionen US-Dollar. In die gleiche Richtung deuten auch Äußerungen des Deutschland-Chefs von Amazon, der sich am 21. Februar, kurz nach Aufliegen des Leiharbeiter-Skandals, für die Gründung von Betriebsräten an allen Standorten aussprach und das Prinzip der Mitbestimmung lobte.

Wie die Initiative Leak Leiharbeit im März diesen Jahres berichtete, beschäftigt die gewerkschaftsnahe „DAA- Stiftung Bildung und Beruf“ im großen Stil Leiharbeiter. Die DAA ist das ehemalige Bildungswerk der 2001 in Verdi aufgegangenen Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG). Vorsitzender der Stiftung ist Gerd Herzberg, der bis September 2011 stellvertretender Bundesvorsitzender von Verdi war. Seine Stellvertreterin im dreiköpfigen DAA-Vorstand ist Dina Bösch, aktuell Mitglied im Verdi-Bundestand und dort zuständig für Unternehmensmitbestimmung und gewerkschaftliche Bildung. Insgesamt sitzen im neunköpfigen Stiftungskuratorium sechs Verdi-Mitglieder.

Auf ihrer Internetseite wirbt die Stiftung für ihre Dienste mit den Worten: „Wir stellen die passenden Mitarbeiter (...) und sie zahlen nur für die geleistete Arbeit. Sie tragen kein Arbeitgeberrisiko, z.B. für Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Urlaub. Dadurch sparen Sie sich die aufwendige und langwierige Personalsuche, Personalauswahl und Personaleinstellung“.

Insgesamt hat die Stiftung Zugriff auf über 80.000 Fachkräften, die nach Tarifvertrag Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ)/DGB bezahlt werden. Für eine Alleinstehende Person sind das 8,19 Euro die Stunde im Westen und 7,50 Euro im Osten.

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