In großen Teilen Sibiriens brennen seit Anfang Juni Wälder und trockengelegte Moore. Die Feuer sind aufgrund der zerrütteten Infrastruktur außer Kontrolle. Sie wurden durch den heißesten Sommer in Sibirien seit Anfang der Wetteraufzeichnungen vor 170 Jahren hervorgerufen. Die Temperaturen liegen seit Wochen bei 34 Grad Hitze, eine Abkühlung wird in nächster Zeit nicht erwartet.
Gleichzeitig hat die Rekordhitze in Russland wie in den USA, Australien und anderen Ländern mit hoher landwirtschaftlicher Produktion zur schlechtesten Ernte seit 2010 geführt und eine internationale Lebensmittelversorgungskrise ausgelöst.
Die Feuer im Osten Russlands umfassen unter anderem die Bezirke Krasnojarsk, Tuva, Irkutsk, Kurgan sowie die Republik Chakassien. Besonders schwer betroffen ist die Stadt Tomsk. Anfang August standen um Tomsk nach offiziellen Angaben rund 10.000 Hektar in Flammen. Die Stadt ist seit Wochen von einem schweren Smog zugedeckt, und der Flughafen ist seit Anfang Juli außer Betrieb. Aus anderen Bezirken des Landes wurden insgesamt über 300 Menschen evakuiert.
Wie bei derartigen Naturkatastrophen üblich ist der Kreml hauptsächlich damit beschäftigt, die wahren Ausmaße der Brände zu vertuschen. Nach offiziellen Angaben gibt es zurzeit 143 Brandherde, zwischen 18.000 und 23.000 Hektar Land sind betroffen.
Die Naturschutzorganisation Greenpeace geht dagegen von bis zu 11 Mio. Hektar Land aus, die durch die Flammen zerstört wurden. Demnach würden die gegenwärtigen Brände sowohl flächenmäßig als auch in ihren ökologischen Auswirkungen die Waldbrände vom Sommer 2010 bei weitem übertreffen. Damals standen in Zentralrussland rund 1,2 Mio. Hektar in Flammen und die Hauptstadt Moskau war wochenlang von einem dichten Smog zugedeckt.
Anders als 2010 sind aber in diesem Jahr von den Bränden keine eng bevölkerten Regionen betroffen, so dass die Zahl der Todesopfer weit niedriger ist. Dennoch sind entgegen offizieller Angaben in diesem Sommer mindestens acht Menschen durch die Feuer ums Leben gekommen.
Auch die ökologischen Auswirkungen sind katastrophal. Die sibirische Taiga stellt ein einzigartiges Ökosystem dar, das viele seltene Tierarten beherbergt. Die niedergebrannten Wälder werden sich erst in 80 bis 90 Jahren von den Feuerschäden erholen. In der Republik Jakutien sind außerdem über 60 Quadratkilometer Wald des Naturparks „Lenskije Stolby“ verbrannt, der zum UNESCO-Welterbe gehört.
Hinzu kommt, dass von den Bränden auch trocken gelegte Moore betroffen sind. Die hier lagernden Torfschichten, die aus abgestorbenem Pflanzenmaterial bestehen, das über viele Millionen Jahre gespeichert wurde, setzen bei den Bränden in großen Mengen CO2 frei und begünstigen so den Treibhauseffekt.
Dass die durch die Rekordhitze hervorgerufenen Feuer seit Wochen außer Kontrolle sind, ist ein Ergebnis der maroden Infrastruktur. Jede kleine oder große Naturkatastrophe hat in Russland verheerende Folgen und kostet oft zahlreiche Menschenleben, weil die Infrastruktur seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion dem Zerfall anheim gegeben wurde und jeder Aspekt des sozialen Lebens dem Profitinteresse der neureichen Oligarchen untergeordnet wird. Erst Anfang Juli kamen bei Überschwemmungen im Süden des Landes hunderte Menschen ums Leben.
Obwohl bereits die Waldbrände im Sommer 2010 den heruntergekommenen Zustand der Feuerwehr und anderer Rettungsstrukturen gezeigt hatten, sind seitdem so gut wie keine Maßnahmen ergriffen worden, um bei ähnlichen Katastrophen besser gewappnet zu sein.
Ein Feuerwehrmann aus Krasnojarsk berichtete der Nachrichtenagentur RIA Novosti, die Zahl der Einsatzkräfte in seiner Station sei seit dem Zusammenbruch der UdSSR um ein Fünffaches reduziert worden. Im August 2010 waren es nur noch 20 Mann. Seitdem sei die Zahl zwar auf 40 verdoppelt worden, aber die neu eingestellten Kräfte seien in dieser Zeit überhaupt nicht ausgebildet worden und seien kaum einsetzbar, meinte der Mann.
Auch an Löschflugzeugen und Grundausrüstung der Feuerwehrmänner mangelt es. Die Bezahlung ist so niedrig, dass kaum jemand freiwillig zur Feuerwehr geht. Während der Sommermonate, in denen es regelmäßig zu Feuern kommt, erhalten sie rund 30.000 Rubel monatlich (rund 770 Euro), das restliche Jahr über nur 5.000 bis 6.000 Rubel (130 bis 150 Euro). Von einem solchen Gehalt eine Familie zu ernähren, ist so gut wie unmöglich.
Anwohner der betroffenen Regionen und Experten rechnen nicht mehr damit, dass die Einsatzkräfte in der Lage sind, die Feuer zu löschen, und erwarten sich erst von den ersten Regenfällen im Herbst eine Erleichterung der Lage.
Die hohen Temperaturen und die Trockenheit haben in Russland wie in vielen anderen Ländern zu Missernten geführt. Die Überschwemmungen in der südrussischen Region Krasnodar Anfang Juli haben die Folgen der Missernten zusätzlich verschlimmert, da zentrale Transportwege abgeschnitten wurden. Die Verluste für russische Agrarproduzenten werden insgesamt auf 32 bis 35 Mrd. Rubel (800 bis 900 Mio. Euro) geschätzt.
Das russische Landwirtschaftsministerium hat die Aussichten für die diesjährigen Getreideerträge zuletzt auf 70 bis 75 Mio. Tonnen herunter korrigiert. Die Weizenerträge werden um schätzungsweise 20 Prozent geringer ausfallen als im vergangenen Jahr. Diese Werte kommen denen von 2010 gleich. Damals hatte Russland, das weltweit zu den größten Exporteuren von Getreide und Weizen gehört, ein Exportverbot auf Agrarprodukte verhängt. Die Folge waren internationale Preissteigerungen und Hungersnöte in zahlreichen Ländern Afrikas und Asiens. Auch in diesem Jahr rechnen viele mit einem Exportverbot.
Osteuropäische Länder wie Estland und die Ukraine sind ebenfalls von der Hitzewelle betroffen. Die Wintersaat in Estland wird in diesem Jahr zu 80 bis 90 Prozent nur für Tierfutter verwendet werden können, Getreide für Nahrungsmittel wird das verarmte Land importieren müssen.
Die Missernten in den USA, Australien, Russland und anderen Agrarnationen haben bereits im Juli die Preise für Grundnahrungsmittel weltweit in die Höhe getrieben. Experten gehen davon aus, dass in Russland die Preise auf Milchprodukte, Gemüse, Brot, Fleisch und andere Nahrungsmittel mindestens bis in den Herbst hinein um 5 bis 15 Prozent steigen werden. Auch ohne diese jüngste Inflation sind die Preise für Grundnahrungsmittel in Russland bedeutend höher als in Westeuropa, so dass sich Rentner und die ärmsten Schichten der Arbeiterklasse Produkte wie Fleisch, Obst und Gemüse nur selten leisten können.