Perspektive

129 Millionen Dollar für neue Yahoo-CEO

Vergangene Woche versetzte eine Nachricht die Wirtschafts- und Medienwelt in helle Aufregung: Marissa Mayer, Ingenieurin und Vizepräsidentin von Google, sei bereit, als Vorstandsvorsitzende zum Rivalen Yahoo zu wechseln, – für schlappe 129 Millionen Dollar als Vierjahresgehalt.

Das ist deutlich mehr als die 102 Millionen Dollar, die Detroit einsparen wird, wenn die angekündigten Kürzungen greifen. Soviel will der Demokratische Bürgermeister David Bing bei den Löhnen der städtischen Bediensteten einsparen. Wie Bing vergangene Woche bekanntgegeben hat, will er neben einer zehnprozentigen Lohnsenkung auch die Gesundheitsausgaben für die städtischen Arbeiter und Angestellten drastisch kürzen und Hunderte von ihnen entlassen.

Der Millionenscheck für Mayer ist obszön und absurd: Jedem Industriearbeiter wird gesagt, sein Lohn dürfe dreizehn Dollar nicht mehr überschreiten. Nichts könnte den Niedergang des Kapitalismus und die Dekadenz der neuen Aristokratie an seiner Spitze deutlicher ausdrücken, und nirgendwo auf der Welt sind die Gier der herrschenden Klasse und ihre Ausplünderung der Gesellschaft nackter als in Amerika.

Welche Wunder hat Frau Meyer bisher vollbracht, um eine solche Gehaltssumme zu rechtfertigen? Das Hauptverdienst der 37-jährigen Vorständlerin im Silicon Valley und Stanford-Absolventin scheint zu sein, zu den ersten zwanzig Beschäftigten von Google gehört zu haben. Als die Firma 2004 an die Börse ging, verlieh das ihren Aktien übernacht einen Wert von dreihundert Millionen Dollar.

Mit einem Teil ihres Vermögens kaufte sie ein Penthouse im obersten Stock des Hotels Four Quarters in San Francisco, wo sie sich bis heute mit Vorliebe aufhält. Außerdem besitzt sie ein Herrenhaus im kalifornischen Palo Alto. Presseberichten zufolge ist Mayer bekannt für ausschweifende Partys, für Spendengalas für Barack Obama und für ihre Designerschuhe und –kleidung.

Auch in Sachen pompösem Lebensstil lässt sie sich nicht lumpen. Sie leistet sich eine Badezimmerdecke, die der Glaskünstler Dale Chihuly gestaltet hat. Gewisse Kreise bewundern sie dafür, dass sie einer Wohltätigkeitsauktion einmal 60.000 Dollar für ein Abendessen mit dem Stardesigner Oscar de la Renta bezahlt hat.

Aus Anlass einer gesetzlichen Berichtspflicht enthüllte Yahoo am Donnerstag Details des Gehaltspakets seiner neuen Vorstandsvorsitzenden. Mayers jährliches Grundgehalt beträgt eine Million Dollar. Außerdem bekommt sie einen jährlichen Bonus von zwei bis vier Millionen Dollar. Obendrauf erhält sie Aktienoptionen im Wert von zwölf Millionen Dollar im Jahr.

Dann ist da noch eine Abstandszahlung in Höhe von vierzehn Millionen Dollar für Aktien, die sie bei Google verliert, plus ein einmaliger Dreißig-Millionen-Bonus dafür, dass sie bereit ist, für Yahoo zu arbeiten.

Mayer ist der fünfte Vorstandsvorsitzende der kriselnden Firma in Sunnyvale, Kalifornien, in fünf Jahren. Ihren beiden unmittelbaren Vorgängern erging es nicht schlecht, obwohl sie gefeuert wurden, die eine wegen schlechter Leistungen, der andere wegen falscher Angaben bei seiner Einstellung. Carol Bartz, die im September 2011 entlassen wurde, erhielt eine Abfindung von bis zu drei Millionen Dollar. Mayers unmittelbarer Vorgänger, Scott Thompson, wurde nach nur vier Monaten wieder abgesägt, machte sich aber mit sieben Millionen Dollar Cash und Aktienoptionen aus dem Staub.

Trotzdem wird Mayer noch von einem anderen CEO der Hightech-Branche übertroffen, nämlich von Apples’ Timothy Cook, dessen Gehaltspaket für zehn Jahre 378 Millionen Dollar beträgt.

Die prominente Vorständlerin sitzt in den Aufsichtsgremien von Wal-Mart, des Museum of Modern Art von San Francisco, des Balletts von San Francisco und des New Yorker Balletts.

Die Presse feiert Mayers Berufung großenteils als Triumph für die Rechte der Frau. Der Enthusiasmus wird noch durch ihre Ankündigung verstärkt, sie sei schwanger. Die Los Angeles Times schrieb: „Die Enthüllungen fanden im Web sofort großen Anklang, besonders bei arbeitenden Müttern und berufstätigen Frauen. Die hervorragende Frau Mayer. Ein apartes Mathegenie mit dem Aussehen von Grace Kelly und einem Hang zu Designerschuhen hat geschickt die Männer-dominierte Hightech-Welt mit einer Mischung aus Cleverness und Stil aufgerollt.“

Es würgt einen, wenn man solchen Unsinn liest. War der Nachweis wirklich notwendig, dass weibliche Bosse genauso gierig und dekadent sein können wie Männer? Solche Ergüsse haben bloß einen Vorteil: Sie zeigen die sozialen Interessen, die der Obsession mit Feminismus und Identitätspolitik zugrunde liegen, wie sie für die „Linke“ typisch ist. Bei Frauen aus der Arbeiterklasse, die gegen sinkende Löhne, Sozialkürzungen und Massenarbeitslosigkeit ums Überleben und das ihrer Familie kämpfen, ist diese Art Begeisterung nicht zu finden.

Der Hintergrund solcher Gier und Selbstsucht ist natürlich die tiefste soziale Krise seit den 1930er Jahren. Neuere Studien zeigen zum Beispiel, dass es in den USA fast anderthalb Millionen Haushalte gibt, die von weniger als zwei Dollar am Tag pro Person leben müssen. Das ist ein Anstieg seit 1996 um 130 Prozent. Extreme Armut ist seit 2000 um fünfzig Prozent gestiegen, wobei als extrem arm gilt, wessen Einkommen unter der Hälfte der Armutsgrenze liegt. Das mittlere Vermögen in den USA ist von 2007 auf 2010 um 38,8 Prozent gefallen.

Die Verarmung der Arbeiterklasse geht Hand in Hand mit der weiteren Bereicherung der Aristokratie. Unternehmensprofite und das Einkommen von Wirtschaftsführern erreichen neue Höchststände. Die Konzentration des Reichtums an der Spitze ist mit demokratischen Verhältnissen völlig unvereinbar. So ist der Zusammenbruch des Kapitalismus seit 2008 von einem enormen Anwachsen von Militarismus nach Außen und der Durchsetzung von Polizeistaatsmaßnahmen im Inneren verbunden.

Marissa Mayer ist vielleicht das Pin Up Girl der wohlhabenden oberen Mittelschicht und der Superreichen, aber ihr Gehaltspaket ist ein objektiver Ausdruck der völligen Irrationalität des Kapitalismus. Es zeigt, wie er die Gesellschaft zerstört, und demonstriert die moralische und politische Fäulnis der herrschenden Klasse.

Diese Vergeudung gesellschaftlicher Mittel ist ein machtvolles Argument für die Enteignung der großen Konzerne und Banken und ihre Umwandlung in öffentliche Einrichtungen unter der demokratischen Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung. Der private Reichtum, den die Finanzaristokratie mit quasi-kriminellen und betrügerischen Methoden angehäuft hat, muss enteignet werden.

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