Dies ist der letzte Teil der historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party (Sri Lanka), der bei dem Gründungskongress der Partei in Colombo vom 27. bis 29. Mai einstimmig angenommen wurde. Er wurde in zwölf Teilen veröffentlicht.
31. Die Socialist Equality Party
31.1. Die Umwandlung der RCL in die Socialist Equality Party (SEP) im Jahr 1996 ergab sich aus den Schlüssen, die das IKVI aus der Verwandlung der alten Organisationen der Arbeiterklasse zog. Unter den Bedingungen der Stabilisierung nach dem Krieg und der wirtschaftlichen Expansion des Kapitalismus konnten die Gewerkschaften und sozialdemokratischen und stalinistischen Organisationen im Rahmen der nationalen Wirtschaftsregulierung kleinere Zugeständnisse für die Arbeiterklasse erreichen, verrieten dabei aber ihre langfristigen historischen Interessen. Die IK-Sektionen existierten in der Form von Bünden, da die sozialdemokratischen und stalinistischen Organisationen damals noch immer das Vertrauen großer Teile der sozialistisch gesinnten Arbeiter, Intellektuellen und Jugendlichen genossen. Die Forderung der RCL, die LSSP und die KP sollten mit der SLFP brechen und eine Arbeiter- und Bauernregierung auf Grundlage sozialistischer Politik aufbauen, sollte diese Parteien entlarven und die fortschrittlichsten Schichten der Arbeiterklasse für sich gewinnen. Die Globalisierung der Produktion hatte jedoch jede objektive Grundlage für nationalen Reformismus zerstört und die alten Organisationen in direkte Werkzeuge der nationalen Bourgeoisie beim Abbau von Arbeitsplätzen, der Verschlechterung von Arbeitsbedingungen und Lebensstandards und dem nie enden wollenden Wettlauf um „internationale Wettbewerbsfähigkeit“ verwandelt. Diese Parteien und Gewerkschaften konnten in keinster Weise mehr als Organisationen der Arbeiterklasse gelten oder in deren Namen sprechen.
31.2. 1994 traten die LSSP und die KP in eine dritte Koalitionsregierung unter Führung der SLFP ein, die von der Premierministerin und späteren Präsidentin Chandrika Kumaratunga geführt wurde. Die beiden Parteien konnten die tiefe Feindseligkeit der Arbeiterklasse nie mehr wettmachen, die sie sich für ihre Teilnahme an der Bandaranaike-Regierung in den 1970ern zugezogen hatten. Als sie sich der People’s Alliance (PA) anschlossen, waren die LSSP und die KP nur noch leere Hüllen. Kein Arbeiter erwartete, dass eine der beiden Parteien für grundlegende soziale Reformen kämpfen, geschweige denn den revolutionären Kampf für den Sozialismus aufnehmen würde. Alle verbliebenen Illusionen lösten sich schnell auf, als die LSSP und die KP Kumaratungas Eskalation des Krieges und ihre Angriffe auf demokratische Grundrechte und Lebensstandard unterstützten. Seither waren sie eher Fraktionen der SLFP als unabhängige Parteien.
31.3 Die NSSP, deren Führer auch nicht gegen die ersten beiden Koalitionsregierungen gewesen waren, unterstützte Kumaratungas Wahl. Eine Fraktion unter Führung von Vasudeva Nanayakkara zog den logischen Schluss aus dem Programm der Klassenkollaboration und schloss sich der PA-Regierung an. Die NSSP und ihre Abspaltung, die United Socialist Party (USP) sind zu Satelliten des Establishments in Colombo geworden und haben eine Reihe von immer groteskeren politischen Bündnissen geschlossen. Als die Feindschaft Mitte der 1990er Jahre gegen die PA-Regierung zunahm, schloss die NSSP ein Abkommen mit der JVP, deren Heckenschützen nur zehn Jahre zuvor ihre Anhänger ermordet hatten. Die JVP, die von Kumaratunga legalisiert wurde, benutzte die NSSP als Sprungbrett zum Aufbau einer Präsenz in den Gewerkschaften, danach brach sie das Bündnis ab. Bei all ihren Drehungen und Wendungen hatten die NSSP und die USP in einer Sache immer die gleiche Haltung: In ihrer glühenden Feindschaft gegenüber dem Kampf der SEP für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse.
31.4. Die Evolution der Gewerkschaften in Sri Lanka fand ihre Entsprechung bei den Gewerkschaftsapparaten der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder. Unter den Auswirkungen der Globalisierung gaben die Gewerkschaftsbürokraten selbst die Verteidigung der grundlegendsten Rechte der Arbeiterklasse auf und verwandelten sich in direkte Werkzeuge der Geschäftsleitungen. Nach den Verrätereien der Gewerkschaften, vor allem nach dem Generalstreik von 1980 sanken die Mitgliederzahlen rapide. Aber im Gegensatz zu den europäischen und amerikanischen Gewerkschaften hatten die srilankischen meist keine anderen Einkommensquellen und verfielen schnell. Da die Gewerkschaften mit verschiedenen Parteien verbündet waren, trug der Ekel gegenüber den alten Parteiführungen mit zu ihrem Niedergang bei.
31.5. Die sogenannten Plantagenarbeitergewerkschaften, allen voran der Ceylon Workers Congress, sind ein besonderer Fall. Der CWC war immer eher ein bevormundender Wohlfahrtsverband als eine Gewerkschaft. Da er mithilfe der Managements alle Aspekte des Lebens der Plantagenarbeiter kontrollierte – von der Unterbringung, über die Gesundheitsversorgung und Schulbildung bis zu Hochzeiten, Beerdigungen und religiösen Feiern – konnte er seine Mitgliederzahl größtenteils halten. Mit ihren Mitgliedern als unfreiwilliger Wählerschaft ging die CWC-Führung in die Politik und handelte Ministerposten und Privilegien aus. Die anderen Gewerkschaften, wie die Up Country People’s Front (UPF), waren genauso. Keine dieser Organisationen, die zusammen einen der am meisten unterdrückten Teile der Arbeiterklasse unten hielten, genoss größeren aktiven Rückhalt unter den Arbeitern.
31.6. Die Gründung der SEP war ein entscheidender erster Schritt in der Vorbereitung einer neuen Bewegung der Arbeiterklasse. Diese Bewegungen werden nicht innerhalb der alten Organisationen stattfinden, sondern in einer Revolte gegen sie. Diese Revolte wird von der SEP politisch vorbereitet und organisatorisch geführt werden. Der Name Socialist Equality Party wurde nach ausgiebigen Diskussionen im Internationalen Komitee angenommen, um das essenzielle Ziel des Sozialismus – die Beendigung sozialer Ungleichheit – zu betonen. Jahrzehntelang war der Begriff von Sozialdemokraten, Stalinisten und Pablisten missbraucht worden. In ihrem Perspektivdokument von 1996 kam die SEP zu dem Schluss: „Weil sich die Beziehungen der Arbeiterklasse und der unterdrückten Massen zu allen alten Parteien und Bürokratien geändert haben, muss das Internationale Komitee in den bevorstehenden revolutionären Kämpfe der Massen die Führung übernehmen.“
32. Die World Socialist Web Site
32.1. Die Gründung der World Socialist Web Site im Jahr 1998 war ein entscheidender Wendepunkt in der Entwicklung des IKVI und der internationalen Arbeiterklasse. Das IKVI konnte die revolutionären Entwicklungen in der Computertechnologie nutzen und dadurch die politische Arbeit im täglichen Ablauf koordinieren, um die WSWS zu produzieren, weil es nach der Spaltung mit der WRP 1985 programmatische Klarheit und Einigkeit erreichte. Die World Socialist Web Site erlaubte dem IKVI nicht nur, seine Leserschaft deutlich zu vergrößern, sondern stellt auch das neue Fundament dar, auf dem die internationale Arbeiterklasse ihre Kämpfe organisieren und zu einer bewussten politisch Kraft heranwachsen kann, um für die Abschaffung des Kapitalismus zu kämpfen.
32.2. Die World Socialist Web Site war nicht nur eine technische oder organisatorische Initiative, sondern hatte ihre Wurzeln in grundlegenden politischen Konzepten. Auf dem 18. Plenum des IKVI erläuterte David North diese Grundlagen: „(1) Das Beharren des IK auf dem Primat des Internationalismus als der Grundlage der strategischen und taktischen Organisation der Arbeiterklasse. (2) Der kompromisslose Charakter des Kampfes, den das IK gegen die Beherrschung der Arbeiterklasse durch die reaktionären Arbeiterbürokratien führt. (3) Die Betonung der Wiederbelebung einer wirklich sozialistischen politischen Kultur innerhalb der Arbeiterklasse als einer wesentlichen intellektuellen und, wie man hinzufügen könnte, „spirituellen“ Voraussetzung einer neuen internationalen revolutionären Bewegung. Das sind die wesentliche intellektuelle Substanz und die Vorbedingung sozialistischer Revolution. (4) Der Kampf gegen Spontaneismus und Fatalismus gegenüber der Entwicklung der Krise des Kapitalismus, dem Klassenkampf und der sozialistischen Revolution. “[1]
32.3. Die Herausgabe der WSWS war ein deutlicher Bruch mit den bisherigen Formen der Parteiarbeit, die auf die Produktion und Verbreitung von Zeitungen konzentriert war. Die WSWS ermöglichte es dem IKVI, in einem Ausmaß regelmäßig ein internationales Publikum zu erreichen, wie es mit dem begrenzten Verkauf von Zeitungen durch die nationalen Sektionen unmöglich gewesen wäre. Die tägliche Herausgabe der WSWS integrierte die Arbeit aller Sektionen des IKVI in einem beispiellosen Ausmaß und konzentrierte ihre Arbeit auf die Entwicklung der theoretischen und politischen marxistischen Analyse, die notwendig war, um eine neue revolutionäre Offensive der Arbeiterklasse vorzubereiten und zu führen. Im Falle Sri Lankas beendete die Mitarbeit der RCL/SEP an der WSWS die relative Isolation, unter der sie viele Jahre lang gelitten hatte.
32.4. Die Effektivität der WSWS als Instrument des politischen Kampfes in allen Ländern zeigte sich deutlich 1998 bei der großen Kampagne der srilankischen SEP und des Internationalen Komitees zur Befreiung von vier SEP-Mitgliedern, die von der LTTE gefangen gehalten wurden, weil sie für das Programm ihrer Partei agitiert hatten. Als die LTTE die Wirkung der breit aufgestellten internationalen Kampagne spürte, die auch in der tamilischen Diaspora in Nordamerika, Europa und Australien Ergebnisse erzielte , ließ sie die SEP-Mitglieder unverletzt laufen.
33. Die Krise im Jahr 2000
33.1. Zu Beginn des neuen Jahrtausends befand sich die srilankische Regierung nach einer Reihe militärischer Debakel im Kampf gegen die LTTE, die mit dem Fall des Elefanten-Passes im April 2000 begann, in völligem Chaos. Präsidentin Kumaratunga steckte, wie sie es formulierte, „in der schwersten Regierungskrise seit 1948“, und rang verzweifelt um politische Unterstützung. Plötzlich wurde die SEP formell anerkannt, nachdem ihr seit mehr als zwanzig Jahren der Status einer offiziellen Partei verweigert worden war. Eine Woche später erhielt die SEP von der Präsidentin eine Einladung, an einer Konferenz aller Parteien teilzunehmen und die politische Krise zu diskutieren. Wije Dias lehnte die Einladung in einer Stellungnahme ab und erklärte, es gehe bei den Gesprächen darum „bereits gefällte Entscheidungen der Regierung abzusegnen, ihrer Politik Glaubwürdigkeit zu verleihen und Unterstützung für die Fortsetzung eines Krieges zu gewinnen, der für die singhalesische und die tamilische Bevölkerung der Insel bereits verheerende Folgen hat.“
33.2. Auf dem Plenum der WSWS und des IKVI im Juni 2000 wurden die Bedeutung von Kumaratungas Brief und die politischen Lehren, die alle Sektionen des IKVI daraus ziehen sollten, ausführlich diskutiert. In seiner Eröffnungsrede erklärte David North: „Wir müssen es als wichtigen Wendepunkt in der Geschichte des Internationalen Komitees verstehen, dass eine Sektion unserer Bewegung eine Einladung zur Teilnahme an Gesprächen aller Parteien mit der nationalen Regierung erhalten hat. Es geht nicht darum, ob wir uns geehrt fühlen sollen – das tun wir gewiss nicht. Vielmehr handelt es sich um eine deutliche Bestätigung einer Feststellung, die wir schon vor einiger Zeit getroffen haben: nämlich, dass sich unter der Oberfläche der schon seit langem bestehenden politischen Beziehungen, in denen bestimmte Parteien, Organisationen, Individuen und Beziehungen dominierten und unverrückbar erschienen – vieles ändert. Unter der Oberfläche ändern sich die Klassenbeziehungen. Die Bewegung der sozial-ökonomischen tektonischen Platten, die sich durch die atemberaubenden technischen Fortschritte noch verschärft hat; Veränderungen in den Mustern des Welthandels und des wirtschaftlichen Austausches – das heißt, tiefgehende Veränderungen in der Produktionsweise und den Produktionsbeziehungen – senden immense Schocks durch die ganze politische Struktur und bereiten den Weg für eine plötzliche, dramatische und verheerende politische Veränderung.“
33.3. Das Plenum warnte vor jeder Tendenz zur Nachlässigkeit und politischen Passivität. Das IKVI müsse sich auf plötzliche politische Veränderungen vorbereiten, durch die es weitere Versuche geben könnte, seine Sektionen für die Unterstützung der bürgerlichen Herrschaft und für staatliche Unterdrückung zu gewinnen. Betont wurde außerdem die Notwendigkeit weiterer politischer und theoretischer Arbeit, um die Partei vorzubereiten und sicherzugehen, dass sie nicht unvorbereitet getroffen werden könne. Durch ihre ständige Beschäftigung mit politischen Fragen versucht die Partei, den Druck abzuwehren, den die bürgerliche Gesellschaft spontan auf die Arbeiterklasse und ihre Avantgarde ausübt, und sicherzustellen, dass sie auf Ereignisse nicht auf kleinbürgerliche, impressionistische Weise reagiert. Dazu gehöre eine Würdigung der Rolle, die die Sektionen des IK als wesentlicher Faktor in der Entwicklung einer revolutionären sozialistischen Bewegung der Arbeiterklasse und der ländlichen Massen spielen müssen.
34. Krieg und Militarismus
34.1. Das Ende des Kalten Krieges und seiner geopolitischen Beziehungen führte zu einer Verschärfung der imperialistischen Rivalitäten und zum Ausbruch von Militarismus. Der US-Imperialismus versuchte als einzige verbliebene Supermacht, seinen wirtschaftlichen Niedergang durch aggressive Nutzung seiner Militärmacht auszugleichen. 1990 nutzten die USA die irakische Invasion in Kuwait als Anlass, um lange bestehende Pläne zu verwirklichen, ihre Vorherrschaft im Nahen Osten zu etablieren. Alle imperialistischen Mächte unterstützten den Golfkrieg 1990-91, um ihre eigenen künftigen räuberischen Ambitionen zu legitimieren; auch die Regimes in China und der Sowjetunion und die Gewerkschaftsbürokratien aller Länder unterstützten ihn. In dem Manifest Gegen imperialistischen Krieg und Kolonialismus von 1991 kam das IKVI zu dem Schluss, dass eine neue Ära des Neokolonialismus begonnen habe. „Diese noch nicht abgeschlossene, de facto-Aufteilung des Irak zeigt den Beginn einer Neuaufteilung der Welt durch die Imperialisten an. Die Kolonien von gestern sollen erneut unterworfen werden. Die Eroberungen und Annexionen, die laut den opportunistischen Apologeten des Imperialismus einer längst vergangenen Ära angehörten, stehen wieder auf der Tagesordnung.“[2]
34.2. Während der erste Golfkrieg unter dem Banner der Vereinten Nationen geführt wurde, hatte die Militärintervention gegen Serbien 1999, die von den USA angeführt wurde, kein solches Feigenblatt. Die Rechtfertigung für den Nato-Krieg auf dem Balkan, man müsse einen Völkermord an den Kosovaren verhindern, wurde in ein verallgemeinertes humanitäres Argument verwandelt, mit dem weitere neokoloniale Kriege gerechtfertigt wurden. In Wirklichkeit war der Krieg auf dem Balkan Teil einer allgemeinen Strategie der USA, um die Gelegenheiten zu ergreifen, die sich nach der Auflösung der Sowjetunion ergaben, vor allem in den neugegründeten rohstoffreichen Republiken Zentralasiens. Die Bush-Regierung nutzte die Terroranschläge vom 11. September 2001 als Rechtfertigung für die Invasionen in Afghanistan (2001) und im Irak (2003), mit denen sie die Ambitionen des US-Imperialismus auf Unterjochung des Nahen Ostens und Zentralasiens unterstützte. Bushs neue Doktrin des „Präventivkriegs“ war identisch mit dem Hauptanklagepunkt, der nach dem Zweiten Weltkrieg gegen die Naziführer erhoben wurde – der Führung eines Angriffskrieges. Der beschränkte Widerstand im UN-Sicherheitsrat gegen den Irakkrieg, den Frankreich anführte, basierte auf der Furcht, die USA würden die Interessen der anderen Mächte im Nahen Osten gefährden. Die Entstehung einer beispiellosen international koordinierten Protestbewegung der Massen gegen den Irakkrieg zeigte das objektive revolutionäre Potenzial der Antikriegsbewegung und gleichzeitig ihre politische Schwäche. Diese bestand in der fatalen Illusion, die von allen pseudoradikalen Organisationen verbreitet wird, der Krieg ließe sich verhindern, wenn man Druck auf die Regierungen und die UN ausübe. Das Scheitern dieser Proteste unterstreicht die grundlegende Lehre des Marxismus, dass Kriege nur durch die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse zur Abschaffung ihrer Ursachen verhindert werden können, nämlich des Profitsystems und der veralteten Aufteilung der Welt in kapitalistische Nationalstaaten.
34.3. Die explosive Steigerung des amerikanischen Militarismus in den letzten zwei Jahrzehnten wirkte sich höchst destabilisierend auf die Welt aus, vor allem in Südasien. Die Spannungen zwischen Pakistan und Indien haben sich verschärft, da beide versuchen, durch das Schüren von chauvinistischer Stimmung gegenüber dem jeweiligen Rivalen von den akuten sozialen Spannungen im eigenen Land abzulenken. Beide Länder führten im Jahr 1998 Kernwaffentests durch, 1999 kam es fast zum Krieg als pakistanische Truppen und islamistische Aufständische die Region Kargil im indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir infiltrierten. Nachdem die USA Pakistan dazu brachten, die Unterstützung für die Aufständischen einzustellen, übernahm das Militär unter Führung von General Pervez Musharraf die Macht. Im Jahr 2001 destabilisierten die USA Pakistan noch weiter, indem sie Musharraf zwangen, seine Unterstützung für das Regime der Taliban in Afghanistan einzustellen und den USA bei ihrer Intervention zu helfen. Neu-Delhi nutzte die Gelegenheit, die ihm Washingtons betrügerischer „Krieg gegen den Terrorismus“ bot, für eine zunehmend kämpferische Haltung gegenüber Islamabad. Als islamistische Aufständische im Dezember 2001 das Parlamentsgebäude in Neu-Delhi angriffen, ließ Indien über eine halbe Million Soldaten an der Grenze zu Pakistan aufmarschieren. Die beiden Atommächte standen monatelang kurz vor einem offenen Krieg, bevor sie Rückzieher machten. Die neokoloniale Besetzung Afghanistans, die seit mehr als zehn Jahren andauert, hat auf Pakistan übergegriffen und wurde unter Präsident Obama zum „AfPak“-Krieg. Die Eskalation der Drohnenangriffe durch die CIA und die verheerenden Einsätze der pakistanischen Armee in den Stammesgebieten in Pakistan, bei denen sie von den USA unterstützt wird, haben zu der tiefen politischen Krise in Islamabad beigetragen. Nichts zeugt mehr vom politischen Bankrott der Bourgeoisie und ihrer Agenten in der Arbeiterklasse auf dem ganzen indischen Subkontinent wie das Fehlen jeglicher Opposition gegen den AfPak-Krieg, der ersten direkten imperialistischen Intervention in Südasien seit 1947.
35. Die Krise des Kapitalismus und die Aufgaben der SEP
35.1. Die weltweite Finanzkrise, die im September 2008 mit dem Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers begann, war nicht nur ein konjunktureller Wirtschaftsabschwung, sondern ein fundamentaler Zusammenbruch der kapitalistischen Ordnung. Die Hoffnung, dass die Billionen von Dollar, die die Regierungen ins Finanzsystem und in Großkonzerne steckten, die Wirtschaft stabilisieren würden, verging schnell. Durch die Rettungs- und Konjunkturpakete wurden die Schulden privater Schwindler und Spekulanten effektiv dem Staat übertragen und werden nun in allen Ländern der Arbeiterklasse aufgehalst, die dafür mit Sparprogrammen zahlen soll. Die Wirtschaftskrise entwickelt sich weiter und nimmt immer bösartigere Formen an. Nick Beams, der nationale Sekretär der australischen SEP, erklärte: „Ein Zusammenbruch bedeutet nicht, dass der Kapitalismus zum Stillstand kommt. Er signalisiert den Beginn einer neuen Periode der Geschichte, in der alte Strukturen, ökonomische wie politische, sowie Ideologien und Denkweisen, weichen und neue Formen politischer Kämpfe sich entwickeln, in denen das Schicksal der Gesellschaft entschieden wird..“[3]
35.2. Die zunehmende Wirtschaftskrise wird die geopolitischen Antagonismen noch weiter verstärken, vor allem zwischen den Vereinigten Staaten und China. Chinas schneller wirtschaftlicher Aufstieg bringt es unweigerlich in Konflikt mit seinen etablierten Rivalen und anderen aufstrebenden Mächten wie Indien, während es die Welt nach Treibstoff, Rohstoffen und Märkten durchkämmt. Um seine Schifffahrtsrouten zu schützen, vergrößert China sein Militär, vor allem seine Marine. Damit bedroht es jedoch die langjährige amerikanische Vorherrschaft im Westpazifik und dem Indischen Ozean. Die Vereinigten Staaten, der am meisten verschuldete Staat der Welt, haben ihre Position als wirtschaftliche Hegemonialmacht, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg innehatten, bereits verloren und setzen rücksichtslos ihre verbliebene Militärmacht ein, um ihren Rivalen zu schaden. Die USA werden ihre Vormachtstellung nicht friedlich aufgeben, und China, das selbst mit akuten wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichten zu kämpfen hat, kann es sich nicht leisten, sich von Washington Bedingungen diktieren zu lassen. Diese zunehmende Rivalität äußert sich bereits in Handels- und Währungsstreitigkeiten. Sie wird unausweichlich andere Mächte mit einbeziehen und könnte die Menschheit in einen weiteren katastrophalen Weltkrieg stürzen.
35.3. Ganz Asien ist zu einer Arena für die schärfer werdende Rivalität zwischen den USA und China geworden. Japan verstärkt sein militärisches Bündnis mit Washington, um seine ehemals vorherrschende Position in Nordostasien zu stärken. Indien hegt eigene Ambitionen, eine Weltmacht zu werden und ist eine strategische Partnerschaft mit Washington eingegangen. In jedem Land steht die herrschende Klasse vor einem grundlegenden Dilemma: Wie soll sie zwischen China, dem größten Handelspartner fast aller asiatischen Länder, und den Vereinigten Staaten, die immer noch die größte Wirtschaftsmacht und die stärkste Militärmacht sind, die Balance halten. Die verheerenden Folgen dieses geopolitischen Kampfes zeigen sich bereits in Afghanistan, das zu einem kolonialen Vorposten in Zentralasien unter amerikanischer Herrschaft geworden ist; und im Nachbarstaat Pakistan, das von politischen Krisen und Konflikten geschüttelt ist.
35.4. Sri Lanka wurde aufgrund seiner zentralen Lage an den Hauptschifffahrtsrouten durch den Indischen Ozean in diesen Strudel gezogen. Nach dem Ende des langen Bürgerkriegs im Jahr 2009 verschärfte sich die Rivalität zwischen den USA, China und Indien um die Vorherrschaft in Colombo. Als die Niederlage der LTTE kurz bevorzustehen schien, erkannten die USA spät, dass China seinen Einfluss beträchtlich gesteigert hatte, indem es Militär- und Wirtschaftshilfe an Sri Lanka leistete. Im Gegenzug wurde es Peking erlaubt, einen großen neuen Hafen in der südsrilankischen Stadt Hambantota zu bauen. Peking bemühte sich, um strategisch wichtige Hafenanlagen im Indischen Ozean, unter anderem auch in Burma, Bangladesch und Pakistan. Die Bedeutung der Insel für Washington unterstreicht ein Bericht des amerikanischen Senats vom Dezember 2009, in dem es ausdrücklich heißt, die USA „können es sich nicht leisten, Sri Lanka zu verlieren.“ Die Regierung von Sri Lanka vollzieht, wie alle anderen in der Region, einen prekären Drahtseilakt, der sie nicht davor bewahren wird, in einen Konflikt mit einbezogen zu werden, der für die Arbeiterklasse katastrophale Folgen haben wird.
35.5 Der von Präsident Mahinda Rajapakse 2006 wieder aufgenommene Krieg trieb die Insel ins Verderben. Mit Unterstützung aller Großmächte führten die Regierung und die Armee einen brutalen Abnutzungskrieg, in dem Zehntausende tamilische Zivilisten den Tod fanden und Städte und Dörfer in Schutt und Asche gelegt wurden. Der Krieg war von weitgehenden Angriffen auf demokratische Rechte begleitet. Seine ökonomischen Lasten wurden der Arbeiterklasse aufgehalst. Regierungsfreundliche Todesschwadrone, die eng mit dem Militär zusammenarbeiteten, töteten Hunderte Menschen oder ließen sie verschwinden, darunter Journalisten und Politiker. Das SEP-Mitglied Nadarajah Wimaleswaran verschwand im März 2007, als er auf die von der Marine kontrollierte Insel Kayts reiste. Die Regierung, die eine Untersuchung des Falls blockierte, ist politisch für sein Verschwinden und seine wahrscheinliche Ermordung verantwortlich.
35.6. Das Ende des Bürgerkrieges hat nicht den „Frieden und Wohlstand“ gebracht, den Präsident Rajapakse versprochen hat. Nachdem die Regierung die Insel für den Krieg bis über beide Ohren in Schulden gestürzt hat, ist sie gezwungen, noch tiefere Kürzungen bei Arbeitsplätzen, Sozialleistungen und Subventionen zu machen, um die Forderungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu erfüllen. Die Löhne wurden seit fünf Jahren nicht mehr erhöht, während die Preise, auch von Grundlebensmitteln, in die Höhe geschossen sind, was für große Teile der Arbeiterklasse und der unterdrückten Massen zu Schwierigkeiten geführt hat. Die große Kluft zwischen Reich und Arm zeigt sich auch in den neuesten Sozialstatistiken, laut denen die unteren zwanzig Prozent der Gesellschaft nur 4,5 Prozent des gesamten Haushaltseinkommens besitzen, die obersten zwanzig Prozent hingegen 54,1 Prozent. Keine Partei des politischen Establishments in Colombo setzt sich politisch für die drängenden Bedürfnisse und Forderungen der arbeitenden Bevölkerung ein. Die Oppositionsparteien UNP und JVP haben die Regierung im Krieg und bei den marktwirtschaftlichen Reformen unterstützt, die vom IWF im Auftrag des Finanzkapitals diktiert wurden.
35.7. Die politische Schwäche der srilankischen Bourgeoisie zeigt sich daran, wie sehr die Regierung Rajapakses von dem riesigen Sicherheitsapparat abhängig ist, der in einem Vierteljahrhundert Bürgerkrieg aufgebaut wurde. Fast zwei Jahre nach dem Ende des Krieges sind die drakonischen Notstandsgesetze noch immer in Kraft, und kein Truppenteil wurde demobilisiert. Stattdessen dringt das Militär in Aspekte der Regierung ein, die bisher als ausschließlich zivile Angelegenheiten galten, beispielsweise das Programm zur Bekämpfung von Slums in Colombo, durch das 60.000 Familien zwangsumgesiedelt werden sollen. Die Militarisierung des Lebens äußert sich beispielhaft in Rajapakses Aufforderung an die Arbeiter, Opfer zu bringen wie Soldaten, um „die Nation aufzubauen“. Rajapakses Regierung wird immer mehr zu einer Verschwörergruppe von Politik und Militär, die sich kaum um das Parlament, die Verfassung oder die Gerichte schert. Der Polizeistaatsapparat ist vor allem auf die Unterdrückung jedes Widerstandes der Arbeiterklasse und der Massen vom Land gerichtet.
35.8. Keine der Ursachen, die zu dem langen Bürgerkrieg geführt haben, wurde durch die militärische Niederlage der LTTE beseitigt. Sechzig Jahre nach der formellen Unabhängigkeit hat es die srilankische Bourgeoisie nur geschafft, sich mit kommunalistischer Spaltungspolitik an der Macht zu halten. Sie hat die Einheit ausschließlich durch Gewalt aufrechterhalten, was sich zurzeit in der massiven militärischen Besetzung des Nordens und Ostens zeigt. Die berechtigte Wut der Tamilen über die seit Jahrzehnten fest verwurzelte Diskriminierung wird unweigerlich in neuen Formen wieder ausbrechen. Jedoch müssen die notwendigen politischen Lehren gezogen werden. Die Niederlage der LTTE war nicht in erster Linie eine militärische, sonder das Produkt der inhärenten Schwäche ihrer politischen Perspektive. Von Anfang an war ihr Ziel, mit Unterstützung Indiens oder anderer Regional- oder Weltmächte im Namen der tamilischen Bourgeoisie ein kapitalistisches Eelam aufzubauen. Als sich diese Kräfte gegen die LTTE stellten, blieb ihr nichts anderes als machtlose Bitten an die „internationale Staatengemeinschaft“, den Angriff des Militärs zu beenden. Die einzige gesellschaftliche Kraft, die in der Lage ist einen Kampf für wirklich demokratische Rechte gegen die srilankische Bourgeoisie und ihre imperialistischen Hintermänner zu führen, ist die Arbeiterklasse. Die LTTE hat jedoch eine Orientierung auf die Arbeiter – tamilische wie singhalesische - auf einer Klassengrundlage immer von Grund auf abgelehnt. In den Gebieten, die unter der Kontrolle der LTTE standen, ignorierte sie die demokratischen Rechte und sozialen Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung. Als sie vor ihrem letzten Gefecht stand, war die Führung der LTTE daher nicht in der Lage, einen breiten Appell an die tamilischen Massen zu richten, geschweige denn an die Arbeiterklassen der ganzen Insel und der Region. Der Zusammenbruch der LTTE ist ein deutlicher Beweis für den Bankrott aller Bewegungen, deren Grundlage bürgerlicher Separatismus ist.
35.9. Im letzten Vierteljahrhundert wurde jede politische Bewegung auf die Probe gestellt. Nur die SEP erwies sich in der Lage, einen konsistenten politischen Kampf für die Verteidigung der demokratischen Rechte der Tamilen und der ganzen arbeitenden Bevölkerung zu führen. Das ist eine entscheidende Komponente ihrer Strategie für eine sozialistische Republik von Sri Lanka und Eelam. Die Fähigkeit der SEP, politischen und physischen Angriffen von allen Seiten zu widerstehen, ergab sich aus der Stärke der Prinzipien, auf denen sie basiert. Die Verteidigung und Entwicklung der Theorie und Strategie der Permanenten Revolution ist die einzige Möglichkeit, für die politische Unabhängigkeit von allen Fraktionen der Bourgeoisie zu kämpfen. Indem die SEP seit über vierzig Jahren einen kompromisslosen Kampf für den Trotzkismus führt, hat sie tiefe Wurzeln in der Arbeiterklasse geschlagen und sich als einzige Partei etabliert, die die historischen Interessen der arbeitenden Bevölkerung verteidigt.
35.10. Sri Lanka zeigt im Mikrokosmos das vollständige Scheitern des nationalen Projektes in allen unabhängigen Staaten Südasiens, die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurden. In keinem dieser Staaten waren die bürgerlichen Regierungen in der Lage, die Forderungen der Massen nach angemessenem Lebensstandard und demokratischen Grundrechten zu erfüllen. Hunderte Millionen Menschen leben in Armut und Rückständigkeit. Der jahrzehntelange Bürgerkrieg in Sri Lanka findet Parallelen in der ganzen Region in Form des reaktionären Missbrauchs kommunaler, ethnischer und sprachlicher Spaltungen durch rivalisierende Teile der herrschenden Elite, mit der diese ihre eigenen Interessen bedient. Die Arbeiterklasse steht vor einer neuen Ära revolutionärer Erhebungen, und es ist notwendig, die wichtigsten politischen Schlüsse zu ziehen. Nur durch die Vereinigung der Arbeiterklasse innerhalb und über nationale Grenzen hinweg kann die notwendige revolutionäre Kraft für die Abschaffung des veralteten kapitalistischen Systems und dessen Umwandlung in eine sozialistische Planwirtschaft entwickelt werden. Die SEP versucht, die besten revolutionären Traditionen der BLPI wiederzubeleben und sich auf das Programm des IKVI zu stützen, um für die Einheit der Arbeiter und der unterdrückten Massen für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Südasien als Teil der sozialistischen Weltrevolution zu kämpfen.
35.11. Andauernde Wirtschaftskrisen, wachsende inner-imperialistische Antagonismen, zunehmender Militarismus, wachsende soziale Ungleichheit und die tiefe Entfremdung der einfachen Bevölkerung von den bestehenden politischen Parteien und Strukturen sind unverkennbare Zeichen für eine neue, lange Periode von Kriegen und Revolutionen. Die Aufstände in Nordafrika und im Nahen Osten sind der jüngste Beweis dafür, dass die Krise des Kapitalismus immense Klassenkämpfe hervorruft. Es besteht jedoch noch immer ein großes Missverhältnis zwischen dem fortgeschrittenen Charakter des Zusammenbruchs des Kapitalismus und dem derzeitigen politischen Bewusstsein der Arbeiterklasse. Dies kann nur durch geduldigen und unermüdlichen politischen Kampf der revolutionären Partei gegen Sozialdemokratie, Stalinismus und Pablismus beseitigt werden. Diese Kräfte verhindern die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse. Durch einen konsistenten politischen Kampf in der Arbeiterklasse wird die Partei versuchen, das notwendige Bündnis zwischen dem Proletariat und der Bauernschaft zu schmieden, das für die Errichtung einer Arbeiter- und Bauernregierung notwendig ist.
35.12. Die zentrale Aufgabe bleibt jedoch der Aufbau einer revolutionären Führung, um das Bewusstsein der Arbeiterklasse für ihre internationalen historischen Aufgaben zu wecken. Nur eine Partei, die sich auf die fortschrittlichste wissenschaftliche Theorie stützt und die notwendigen Lehren aus den früheren strategischen Erfahrungen der internationalen Arbeiterklasse gezogen hat, ist fähig, diese Rolle zu erfüllen. Allein das Internationale Komitee der Vierten Internationale und seine Sektionen verkörpern das historische Erbe des zeitgenössischen Marxismus – das heißt, des Trotzkismus. Auf dieser Grundlage wollen die SEP und ihre Schwesterparteien im IKVI die internationale Arbeiterklasse ausbilden, mobilisieren und vereinigen. Sie sind zuversichtlich, dass die weitsichtigsten und opferbereitesten Arbeiter und Jugendlichen für ihr Banner gewonnen werden und die materiellen Kräfte für die sozialistische Weltrevolution liefern werden.
Ende
Fußnoten:
1. The Historical and International Foundations of the Socialist Equality Party (Australia) (Mehring Books, Sydney, 2010), S. 146. (aus dem Engl.)
2. Vierte Internationale, Jg. 18, Nr. 1, S. 8.
3. Nick Beams, Der Zusammenbruch des Kapitalismus und die revolutionäre Perspektive der Vierten Internationale. http://wsws.org/de/articles/2008/okt2008/beam-o18.shtml.