Francois Hollande, der Kandidat der Sozialistischen Partei, hat gestern in der zweiten Runde der französischen Präsidentschaftswahl gegen den amtierenden Präsidenten Nicolas Sarkozy gewonnen. Er erreichte 51 Prozent der Stimmen. Etwa 81 Prozent der 46 Millionen Wahlberechtigten Frankreichs nahmen an der Wahl teil.
Kurz nachdem um acht Uhr abends die Wahlergebnisse bekanntgegeben wurden, hielt Sarkozy eine kurze Rede vor versammelten Mitgliedern seiner Partei Union für eine Volksbewegung (UMP). Er erklärte, er übernehme „die volle Verantwortung“ für die Niederlage, und wünschte Hollande viel Glück. Er fügte noch hinzu: „Ich werde an eurer der Seite [der UMP] bleiben, und Sie können sich darauf verlassen, dass ich unsere Ideen und Überzeugungen weiter teile, aber meine Rolle kann nicht mehr die gleiche sein.“
Die Medien zitierten Erwartungen, Sarkozy werde sich, zumindest öffentlich, aus der Politik zurückziehen. Letztes Jahr war er der unpopulärste französische Präsident seit der Gründung der Fünften Republik 1958. Sein Rückhalt fiel auf 29 Prozent. Er wird für seine demonstrativ gepflegten Beziehungen zu den Reichen, mehrfache Rentenkürzungen und die Abschaffung von Arbeitnehmerrechten, unpopulären Kriegen und Angriffe auf demokratische Rechte in der Bevölkerung verachtet.
An Hollandes Sieg zeigt sich diese Stimmung gegen Sarkozy und das Verlangen der Wähler nach Veränderung, obwohl in der Arbeiterklasse das Gefühl herrscht, dass es zwischen den beiden Kandidaten in der konkreten Politik wenig Unterschiede gibt. Der Präsident Hollande wird ihnen tatsächlich keine Veränderung bringen, sondern eine Verschärfung der Angriffe auf die Arbeiterklasse.
Hollande hielt seine Siegesrede in Tulle, einer kleinen Stadt in Südfrankreich, in der er von 2001 bis 2008 Bürgermeister war. In dieser Zeit war er außerdem der erste Sekretär der PS.
Hollande schickte einen „republikanischen Gruß“ an Sarkozy und erklärte, er werde ein „Präsident für alle“ sein. Er behauptete, die „Spaltungen“ zwischen Frankreichs Bürgern seien „vom Tisch“, und forderte nationale Einheit, um „die Produktivität zu erhöhen, Defizite abzubauen und unser Sozialmodell zu erhalten.“ Er skizzierte einen „französischen Traum“ von „Fortschritt“ und einen „langen Marsch“ zu einem besseren Leben.
An „unsere europäischen Partner, vor allem Deutschland“, gerichtet, sagte er: „Austerität kann nicht länger ein unausweichliches Schicksal sein.“ Er forderte, dem europäischen Aufbau „eine Dimension des Wachstums, von Arbeitsplätzen, Wohlstand und Zukunft“ zu geben.
Mit diesen banalen Phrasen versucht er, die politische Realität, die die Masse der arbeitenden Bevölkerung Frankreichs im Wahlkampf gespürt hat, zu verbergen: Hollande und Sarkozy waren zwei Kandidaten, die kaum auseinanderzuhalten waren.
Hollande trat mit einem rechten Programm an. Er hat vor, die Staatsausgaben zu kürzen, um den Fiskalpakt der Europäischen Union einzuhalten. Gleichzeitig fordert er eine nicht näher spezifizierte „Wachstumskomponente“ – die Verteilung von Geld an Banken und wichtige Unternehmen. An Sarkozys Außenpolitik hatte er nichts auszusetzen – auch nicht an den Kriegen in Afghanistan, Libyen, der Elfenbeinküste und jetzt in Syrien. Er lobte das „deutsche Modell“ von Strukturreformen, um Arbeitskosten zu senken und so auf Kosten der Arbeiter die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Unternehmen auf den internationalen Märkten zu verbessern
Berlin seinerseits machte klar, dass es Hollandes Forderungen nach „Wachstum“ als Teil der Bemühungen für größere Sparanstrengungen sieht, die der europäischen Arbeiterklasse aufgezwungen werden sollen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle erklärte: „Wir werden am Sonntag bei einem kurzen Besuch in der französischen Botschaft in Berlin nach Hollandes Sieg zusammen an einem Wachstumspakt für Europa arbeiten... Wir müssen neue Impulse für Wachstum setzen, die Strukturreformen fordern.“
Hollandes knapper Sieg über Sarkozy zeigt, dass seine Kampagne bei der Arbeiterklasse auf wenig Enthusiasmus stößt. So unbeliebt wie Sarkozy ist, ist es umso bemerkenswert, dass Hollande ihn nur knapp schlagen konnte.
Als Hollande im Oktober als Präsidentschaftskandidat der PS nominiert wurde, galt er hauptsächlich als Funktionär der PS-Bürokratie. Die Wähler wussten relativ wenig über seine Ansichten. Nachdem er anfangs in Umfragen auf 62 Prozent kam – gegenüber 38 Prozent für Sarkozy –,verlor er seinen Vorsprung nach und nach. Im ersten Wahlgang kam er noch auf 54 Prozent, Sarkozys Umfragewerte stiegen.
Nach der Debatte am 2. Mai, bei der Hollande sehr rechte Positionen einnahm und versprach, den Fiskalpakt einzuhalten und das Verbot der Burka und des Schächtens beizubehalten, fiel sein Wert auf 52,5 Prozent.
Scheinbar sanken Hollandes Zustimmungswerte bis zum Wahltag. Am Samstag gab Hollande zu, sich Sorgen zu machen: „Wenn ich mir nicht Sorgen machen würde, zu verlieren, wäre ich nicht so angespannt wie ich bin.“
Hollandes Wahlkampfsprecherin Najat Vallaut-Belkacem kommentiert: „Gott sei Dank hat der Wahlkampf nicht noch eine Woche länger gedauert.“
Die deutliche Bewegung bei den Umfragen zeigt die politische Unsicherheit der bürgerlichen Parteien Frankreichs, die sich auf große Angriffe auf die Arbeiterklasse und eine Regierung unter Hollande vorbereiten. Am 10. und 17. Juni werden die Parlamentswahlen stattfinden.
Hollande wird sich auf die weitere Unterstützung der kleinbürgerlich-„linken“ Parteien, wie der Linksfront und der Neuen Antikapitalistischen Partei verlassen, die zur Wahl von Hollande aufriefen und versuchten, seine Sparpläne zu verheimlichen.
Jean-Luc Mélenchon, der Kandidat der Linksfront, der im ersten Wahlgang 11 Prozent erhielt, äußerte sich positiv über Hollandes Sieg: „Endlich ist Sarkozy weg! Wir sind den Totengräber unserer sozialen Rechte und des öffentlichen Dienstes unserer Republik los. Seine Niederlage ist auch die Niederlage seines Versuches, an die Rechtsextremen zu appellieren... Es ist ein Neuanfang für Frankreich und unsere Linke.“
Mélenchon deutete an, Mitglieder seiner Linksfront erwägten, Ministerämter in der PS zu übernehmen, sollte die PS bei den Parlamentswahlen die Mehrheit gewinnen und eine Regierung bilden.
Durch die Unterstützung der kleinbürgerlich-„linken“ Parteien für Hollande können sich die neofaschistische Front National und ihre Chefin Marine Le Pen, die 18 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang erhielt, als Gegner des Sparkurses und des verhassten politischen Establishments präsentieren.
Sie hielt in Henin-Beaumont, einer der neuen FN-Hochburgen im deindustrialisierten Nordfrankreich, eine Rede vor Journalisten. Sie sagte: „Ich habe klar und deutlich gesagt, ich werde einen leeren Stimmzettel abgeben, und ich habe meine Haltung nicht geändert. Die beiden Kandidaten der Stichwahl sind siamesische Zwillinge, und ich erwarte von dem Ergebnis nicht viel.“
Die FN hofft, in der Nationalversammlung eine bedeutende Anzahl Sitze zu gewinnen. Sie setzt im Wahlkampf auf reaktionäre und ausländerfeindliche Themen, um die fünfzehn Sitze zu gewinnen, die für die Bildung einer Parlamentsfraktion nötig sind.