Insolvenz der City BKK: Alte und Kranke bangen um Versicherungsschutz

Die Insolvenz der Krankenkasse City BKK hat die Folgen der Gesundheitsreform ans Licht gebracht, die seit zehn Jahren von sämtlichen Bundesregierungen systematisch vorangetrieben wird. Vor allem ältere und kranke Menschen, die auf eine regelmäßige Versorgung angewiesen sind, aber nur geringe Beiträge zahlen, müssen um ihren Versicherungsschutz bangen.

Anfang Mai wurde bekannt, dass das Bundesversicherungsamt die Betriebskrankenkasse City BKK zum 1. Juli dieses Jahres wegen Zahlungsunfähigkeit schließt. Die 170.000 Versicherten der City BKK haben zwar ein gesetzliches Anrecht, in eine andere Krankenkasse aufgenommen zu werden. Sie müssen sich aber selbst darum kümmern, bis zum 1. Juli in einer anderen Kasse unterzukommen, damit sie ihren Versicherungsschutz nicht verlieren. Vielen behinderten Patienten bereitet dies erhebliche Schwierigkeiten.

In den letzten Wochen häufen sich zudem Berichte, dass die Kassen – vor allem in Hamburg, Stuttgart und Berlin – versuchen, die oftmals älteren und schwer kranken Mitglieder der City BKK abzuwimmeln, weil sie die Kosten für deren Behandlung fürchten. Vor einer Filiale der AOK in Berlin hatte sich eine lange Schlange von älteren und kranken Menschen gebildet, die stundenlang auf Einlass warteten, um einen Aufnahmeantrag zu stellen.

Laut einem Bericht des Berliner Tagesspiegel vom 9. Mai haben in Berlin, wo die City BKK allein 92.000 Mitglieder hat, auch große Kassen wie die AOK und die Barmer GEK versucht, Antragssteller mit bürokratischen Schikanen abzuwimmeln. So seien sie an Filialen mit stark begrenzten Öffnungszeiten verwiesen, durch die Forderung unnötiger Nachweise schikaniert oder mit der Drohung eingeschüchtert worden, bestimmte Medikamente oder Behandlungen würden von der neuen Kasse nicht finanziert. Ihnen sei auch geraten worden, besser bei einer anderen Betriebskrankenkasse Mitgliedschaft zu beantragen.

Die Financial Times Deutschland berichtete, bei der Hanseatischen Krankenkasse HEK seien ältere Versicherte der City BKK systematisch abgewimmelt worden. Über eine extra dafür eingerichtete Hotline sei ihnen nahe gelegt worden, lieber zu einer anderen Betriebskrankenkasse zu wechseln.

Aus Berlin wird berichtet, dass eine Ärztin für Orthopädie sich geweigert habe, eine 92-jährige Patientin mit akuten Schmerzen zu behandeln, weil sie bei der insolventen City BKK versichert sei.

Am 19. Mai berichtete Spiegel.online, seit Bekanntwerden der Insolvenz der City BKK Anfang Mai seien erst 40.000 ihrer insgesamt 170.000 Versicherten von anderen Kassen aufgenommen worden. Laut dem Chef der Securvita-Krankenkasse, Ellis Huber, seien bereits 400 Beschwerden von gedemütigten Versicherten gesammelt worden. Die Abweisung der Versicherten nannte er einen „Super-GAU“ für die Krankenversicherung.

Am Donnerstag vergangener Woche fand in Berlin ein Krisentreffen von Vertretern der gesetzlichen Krankenkassen statt, auf dem sie Besserung beim Umgang mit den Mitgliedern der City BKK versprachen, ohne sich verbindlich festzulegen. Der neue Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) forderte, bis zum Wochenende eine Lösung zu finden. Er drohte, falls die Kassen dazu nicht in dieser Woche in der Lage seien, müsse die Regierungskoalition „nächste Woche darüber beraten, ob wir und wenn ja, welche Konsequenzen wir daraus ziehen“.

Diese unverbindliche Ankündigung diente der Beruhigung der aufgebrachten Mitglieder der City BKK. Während Bahr den Umgang mit ihnen kritisierte, wies sein Vorgänger, der neue FDP-Vorsitzende und Wirtschaftsminister Philipp Rösler, darauf hin, dass Kassenschließungen politisch gewollt seien.

Auch der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn sagte der Rheinischen Post: „Wir wollen den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen. Dazu gehört auch, dass erfolglose Kassen vom Markt verschwinden. Diese Marktbereinigung ist eine von der Koalition erwünschte Folge des Wettbewerbsprinzips.“

Bereits in den vergangenen zwei Jahren ist die Zahl der Krankenkassen von 200 auf 155 geschrumpft. Und die damalige Staatssekretärin im Gesundheitsministerium Marion Caspers-Merk (SPD) hatte bereits 2009 angekündigt: „Auf lange Sicht wären auch 50 bis 80 Kassen in Ordnung.“

Bisher geschah der Abbau der Kassen aber hauptsächlich durch Übernahmen und Fusionen. Die City BKK ist die erste Kasse, die wegen Zahlungsunfähigkeit geschlossen wird. Ihre Pleite ist eine direkte Folge der Gesundheitsreform der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD, die 2009 in Kraft trat.

Seither fließen alle Krankenkassenbeiträge in einen Gesundheitsfonds, aus dem die gesetzlichen Krankenkassen pro Versicherten einen pauschalen Beitrag erhalten. Ein Ausgleich für ältere und chronisch kranke Versicherte findet nur noch über Durchschnittspauschalen und daher kaum noch statt. Kassen, deren Einnahmen nicht ausreichen, müssen einen Zusatzbeitrag erheben, der ausschließlich von den Versicherten erhoben wird.

Für Kassen mit vielen älteren und kranken Versicherten bedeutet dies einen Teufelskreis. Weil ihre Ausgaben sehr hoch sind, müsse sie einen Zusatzbeitrag erheben, was wiederum die jüngeren Versicherten, die weniger Leistungen benötigen, in billigere Kassen treibt.

Das war die Ursache für die Insolvenz der City BKK. Aufgrund der vielen alten und kranken Versicherten überstiegen die Ausgaben die Einnahmen aus dem Gesundheitsfonds. Um die Lücke zu schließen, erhob sie einen Zusatzbeitrag von 15 Euro monatlich. Allein seit Januar dieses Jahres verließen daraufhin 20.000 vorwiegend jüngere und gesunde Mitglieder die City BKK.

Andere gesetzliche Krankenkassen kämpfen mit ähnlichen Problemen. So gelten die BKK Heilberufe, die Gemeinsame Betriebskrankenkasse Köln (GBK) und die Deutsche BKK als nächste Kandidaten für eine Insolvenz und daraus folgende Schließung. Die Deutsche BKK hat seit Anfang 2010 nach der Einführung eines Zusatzbeitrags rund 140.000 ihrer insgesamt einer Million Versicherten verloren.

Die Probleme der Betriebskrankenkassen werden durch die Insolvenz der City BKK noch zusätzlich verschärft. Sie müssen nämlich für deren aufgehäuften Schulden haften und werden versuchen, auch diese zusätzlichen Kosten durch Leistungseinsparungen oder durch die Erhebung und Erhöhung von Zusatzbeiträgen wieder einzutreiben.

Eine angemessene Gesundheitsversorgung wird dadurch für immer mehr Menschen in der nächsten Zeit unbezahlbar. Die gesetzlichen Krankenkassen gehen davon aus, dass der Zusatzbeitrag in den kommenden Jahren zur Regel wird und von derzeit 8 bis 15 Euro auf 50 bis 70 Euro pro Monat steigt, meldete Spiegel.online am 16. Mai.

Die Vorsitzende des Kassenspitzenverbands Doris Pfeiffer hält einen solchen drastischen Anstieg der Zusatzbeiträge auf 50 bis 70 Euro für die 71 Millionen gesetzlich Krankenversicherten in den kommenden Jahren für möglich. Die Kassen müssten Mehrkosten für Ärzte, Krankenhäuser oder Medikamente über Zusatzbeiträge bezahlen, sagte sie. „Von daher ist eine solche Größenordnung denkbar und auch von der Politik gewollt.“

Derzeit versuchten die meisten Kassen noch, die Erhebung von Zusatzbeiträgen zu vermeiden, weil dadurch wie bei der City BKK eine Abwanderung zu anderen Kassen ausgelöste würde.

Die Bundesregierung drängt über das Bundesversicherungsamt darauf, dass Krankenkassen, die Mitglieder verlieren, ihre Verwaltungskosten deutlich senken. Die Financial Times Deutschland schrieb dazu am 4. Mai: „Im Klartext heißt das: Mitarbeiter entlassen. Diese Aufforderung gilt insbesondere für die DAK – immerhin die drittgrößte deutsche Krankenkasse mit rund 4,6 Millionen Mitgliedern – und die wesentlich kleinere KKH Allianz. Beide Kassen hatten im Frühjahr 2010 einen Zusatzbeitrag von 8 Euro im Monat eingeführt und seither zahlreiche Mitglieder verloren. Allein die DAK verlor 2010 unterm Strich gut 300.000 Mitglieder.“

Auch bei der insolventen City BKK ist nicht klar, was mit ihren 400 Angestellten passiert. Laut Angaben der Gewerkschaft Verdi genießen ältere und langjährige Mitarbeiter Kündigungsschutz. Ihnen müssten andere Stellen im System der Betriebskrankenkassen angeboten werden. Jüngere Mitarbeiter würden dagegen am 1. Juli, wenn die City BKK geschlossen wird, ihren Arbeitsplatz verlieren. Für sie gebe es keine Kündigungsschutzregeln, keine Übergangsregelungen und keinen Sozialplan.

Insgesamt zeigen die Folgen der Insolvenz der City BKK die brutalen Folgen der Kürzungspolitik der Bundesregierung im Gesundheitsbereich. Die solidarische (Beiträge nach Höhe des Einkommens) und paritätische (Beiträge jeweils zur Hälfte vom Arbeitgeber und Beschäftigten) Krankenversicherung, deren Ursprung bis ins 19. Jahrhundert unter Bismarck zurückgeht, wird Schritt für Schritt ausgehöhlt und zerstört.

Das begann bereits unter der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder (SPD). Deren Hartz-Reformen trugen stark zur finanziellen Belastung des Gesundheitssystems bei. Infolge des explosiven Wachstums des Niedriglohnsektors und niedriger Tarifabschlüsse sank das Beitragsaufkommen für die gesetzlichen Krankenkassen massiv. Kurz vor ihrer Abwahl im Jahr 2005 tat die Regierung Schröder dann den ersten Schritt, um die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung aufzubrechen. Sie führte einen Sonderbeitrag von 0,9 Prozent des Einkommens ein, der nicht paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sondern ausschließlich von den Arbeitnehmern bezahlt wird.

Angela Merkels CDU forderte zu diesem Zeitpunkt die Einführung einer Kopfpauschale, die auf einen Schlag allen Versicherten, ob reich oder arm, denselben Versicherungsbeitrag abverlangt hätte. Nachdem die angestrebte Koalition mit der FDP 2005 nicht zustande kam, einigten sich Union und SPD auf einen schrittweisen Ausstieg aus der solidarischen Versicherung in Form des Gesundheitsfonds.

Die Pleite der City BKK zeigt nun, wo das hinführt. Alte und Kranke, die viel kosten und die Bilanz der Kassen verschlechtern, werden in wachsendem Maße aus der Krankenversicherung verdrängt. Die Frankfurter Rundschau fragte am 20. Mai:: „Was soll erst werden, wenn bald die Zusatzbeiträge flächendeckend eingeführt werden und noch mehr Kassen pleitegehen. Stehen dann Millionen Alte und Kranke vor den Geschäftsstellen der Republik und betteln um Aufnahme?“

Diese Entwicklung findet europa- und weltweit statt. Die Interessenvertreter der Wirtschaft versuchen das Rad der Geschichte zurück zu drehen. In Großbritannien führt die Regierung Cameron einen Frontalangriff gegen das nationale Gesundheitssystem. In den USA kürzt die Regierung Obama Milliardenbeträge bei Medicare und Medicaid, den ohnehin minimalen Gesundheitsprogrammen für Alte und Arme. Fast ein Drittel aller Amerikaner unter 65 Jahren hatten innerhalb der vergangenen zwei Jahre vorübergehend keine Krankenversicherung. Nach den neuerlichen Einschnitten wird diese Zahl auf über 50 Prozent steigen.

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