Am Dienstag stürmte das ägyptische Militär erneut den Tahrir-Platz in Kairo und beendete mit Gewalt ein Sit-In von friedlichen Demonstranten. Das Militär fuhr gegen 17 Uhr mit gepanzerten Fahrzeugen auf den Platz, vertrieb die Protestierenden vom Inneren des Platzes und besetzte diesen dann selbst mit schwer bewaffneten Soldaten.
Dann machte das Militär Jagd auf geflohene Demonstranten und Aktivisten in der Innenstadt von Kairo und führte zahlreiche Verhaftungen durch. Beim Angriff kam es auch zum Einsatz der berüchtigten Unit 777, einer „Anti-Terror“-Einheit, die regelmäßig Übungen mit entsprechenden Einheiten aus den USA, wie der Delta Force, durchführt. Die Spezialkräfte stürmten Wohnungen in der Innenstadt von Kairo und durchkämmten Cafés nach Protestierenden und Aktivisten.
Das Militär hatte den Meidan al-Tahrir bereits am Samstagmorgen in Zusammenarbeit mit Sicherheitskräften brutal räumen lassen und dabei neben Elektroschockern und Schlagstöcken auch scharfe Munition eingesetzt. Augenzeugen berichteten der WSWS, das Feuer sei direkt auf Protestierende eröffnet und sieben Personen seien getötet worden. Darunter war auch ein junger Offizier, der sich während der Massenproteste am Freitag auf die Seite der Protestierenden gestellt hatte.
Trotz der tödlichen Attacke war es dem Militär jedoch nicht gelungen, den Platz zu räumen. Die Protestierenden hielten dem Angriff stand und verbarrikadierten sich erneut auf dem Meidan al-Tahrir. Die Bilder erinnerten an die ersten Tage der Revolution, als sich die Demonstranten ebenfalls mit Stacheldraht und Barrikaden vor den Schlägern des Regimes zu schützen suchten – nur dass die Schläger diesmal direkt aus dem ägyptischen Militär kamen. Am 2. Februar hatte die Armee tatenlos zugesehen, wie angeheuerte Schläger des Mubarak-Regimes Tausende friedliche Demonstranten auf dem Tahrir angriffen.
Nach den jüngsten Angriffen vom Samstag und Dienstag behaupteten der Militärrat und das staatliche Fernsehen, bei den auf dem Tahrir verbliebenen Protestierenden handle es sich um bezahlte Schläger des alten Regimes, die einen Keil zwischen die Armee und die Bevölkerung treiben wollten.
Diese Propagandalüge fand bei fast allen offiziellen politischen Kräften Unterstützung, darunter beim kommenden Präsidentschaftskandidaten Mohamed El Baradei und der Muslimbruderschaft. All diese Kräfte betonen, das Vertrauen in die Armee sei eine „rote Linie“, die nicht überschritten werden dürfe. Die Einheit der Nation dürfe nicht gefährdet werden, und die Armee stehe auf der Seite der Revolution.
Die bedingungslose Unterstützung der selbsternannten demokratischen Kräfte für die Militärjunta auch nach Tagen und Wochen der Unterdrückung und tödlichen Gewalt, sagt viel über ihren wirklichen Charakter.
Am Montag wurde der ägyptische Blogger Mikael Nabil von einem Militärgericht zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Nabil hatte in einem Artikel aufgezeigt, dass das Militär nie auf der Seite der Revolution gestanden, sondern Protestierende verhaftet, gefoltert und vor Militärgerichte gestellt hat. Seine Verurteilung und Überführung ins berüchtigte Tora-Gefängnis wurde von keinem „Demokraten“ kritisiert.
Die Bemühungen der Junta, die Revolution mit Gewalt zu beenden, finden volle Unterstützung bei nahezu allen einflussreichen Vertretern der ägyptischen Bourgeoisie. Die offiziellen Oppositionsparteien und Gruppen, wie Baradeis Nationale Allianz für den Wandel, die Muslimbruderschaft, die liberalen Parteien oder pseudolinke Parteien wie al-Tagammu, vertreten nicht die Interessen der protestierenden Arbeiter und Jugendlichen, sondern von unterschiedlichen Teilen der herrschenden Elite. Diese sehen ihre Interessen immer mehr durch die Revolution bedroht, die zusehends von der Arbeiterklasse getragen wird.
Am vergangenen Freitag forderten Arbeiter aus den Industriezentren des Landes auf dem Meidan al-Tahrir einen Mindestlohn, Obergrenzen für Gehälter und die Wiederverstaatlichung privatisierter Firmen. Während das Militär am Dienstag die Demonstranten auf dem Meidan al-Tahrir angriff, überzog eine neue Welle von Streiks das Land. Arbeiter in den verschiedensten Wirtschaftssektoren forderten höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.
Nach einem Bericht von Al Masry Al Youm protestierten 350 Arbeiter vor dem Ministerium für Soziales in Talkha, einer Stadt in der Provinz Daqahlia im Nildelta. In Kairo demonstrierten 200 Arbeiter der Steuerbehörde und forderten ihr Gehalt sowie die Auszahlung von Boni. Ein weiterer Protest fand vor dem Büro des Justizministers statt.
In Alexandria demonstrierten Lehrer vor dem Bildungsministerium und verlangten dauerhafte Arbeitsverträge. In Gharbiya protestierten 1.200 Arbeiter der Financial and Industrial Company für höhere Löhne. In Menoufiya demonstrierten ebenfalls 350 Arbeiter der Chipsy Company für höhere Gehälter. In der Provinz im Nildelta war es bereits am Dienstag zuvor zu Protesten von Arbeitern der Textilindustrie gekommen.
Auch im Süden des Landes gab es Proteste. In Assiut widersetzten sich Arbeiter der Spinning and Weaving Factory der Übergabe der Fabrik an einen neuen Käufer, ein Konglomerat von privaten Banken. Der Deal war noch vom ehemaligen Premierminister des Mubarak Regimes Ahmed Nazif eingefädelt worden. Zu einem weiteren Protest kam es in der Provinz Ismailiya, wo Einwohner des Dorfes Mahsama gegen die Schließung einer Bäckerei demonstrierten, die die 1.500 Einwohner mit Brot versorgt.
Eine Fortsetzung fand ebenfalls der Streik der Suezkanalarbeiter. Tausende Arbeiter von sechs Firmen, die mit der Suez Canal Authority verbunden sind, befinden sich seit dem 3. April im Streik und fordern unter anderem höhere Löhne, eine bessere Gesundheitsversorgung und höhere Renten. Die Büros der bestreikten Firmen befinden sich in Suez, Port Said und Ismailiya. Die Arbeiter drohten, ihren Protest auch vor das Hauptquartier der Suez Canal Authority zu verlegen und einen Hungerstreik zu beginnen, falls ihre Forderungen nicht erfüllt werden.
Die nicht enden wollenden Streiks und Proteste der ägyptischen Arbeiter beunruhigen zunehmend die Militärjunta und ihre westlichen Unterstützer. Vor allem der Streik der Suezkanalarbeiter gefährdet direkt die strategischen und wirtschaftlichen Interessen des Imperialismus in der Region.
Essam Sharaf, der von den Militärs installierte Premierminister Ägyptens, hat am Dienstag den Vorsitzenden der Suez Canal Authority, Admiral Ahmed Fadel, beauftragt, die Krise am Suez Kanal zu beenden. In Anbetracht der jüngsten Gewalt gegen Protestierende kann dies nur als Drohung verstanden werden. Das Regime bereitet sich darauf vor, auch die Streiks der Arbeiter mit massiver Gewalt zu beenden.
Diese Politik findet die volle Unterstützung des Imperialismus und der internationalen Finanzmärkte. Das gewaltsame Vorgehen der Militärdiktatur in Ägypten stößt auf nahezu keinerlei Kritik westlicher Politiker. Für sie ist das ägyptische Militär der Garant für die Verteidigung des Kapitalismus in der Region.
Ein jüngst erschienener Bericht von Barclays mit dem ominösen Titel „Point of No Return“, der in der ägyptischen Tageszeitung Al Ahram kommentiert wurde, macht deutlich, wie die Vertreter des internationalen Kapitals die wirtschaftliche Situation in Ägypten einschätzen. Ein Problem sei, das vor allem die andauernden Streiks die Produktivität der ägyptischen Fabriken sinken ließen und Arbeiterproteste teilweise zu höheren Löhnen führten. Dies sei zwar „gut für Arbeiter“, aber ein Schlag „gegen die Wettbewerbsfähigkeit“.
Ein Grund für Optimismus sei laut dem Bericht allerdings der gegenwärtig herrschende Militärrat. Barclays lobt den „Einsatz“ der Junta, „einen geordneten Übergang zur demokratischer Herrschaft abzusichern“ und die „notwendigen“ Maßnahmen zu unternehmen, „Unsicherheiten einzudämmen und für Klarheit über mittelfristige Perspektiven zu sorgen“.
Die einzige Kritik, die im Bericht am Militärrat formuliert wird, richtet sich gegen dessen Entscheidung, einige Verträge, die unter dem Mubarak-Regime mit ausländischen Investoren abgeschlossen wurden, überprüfen zu wollen. Dies sende trotz der Bekundungen zu einer freien Marktwirtschaft die falschen Signale hinsichtlich der Frage, welche Richtung die ägyptische Wirtschaft nehmen werde.
Der Bericht von Barclays macht deutlich, was die internationalen Banken von der neuen ägyptischen Militärdiktatur erwarten: Die brutale Unterdrückung der ägyptischen Arbeiterklasse und eine Fortsetzung der neoliberalen Politik unter Mubarak. Die Ereignisse der letzten Tage und Wochen haben gezeigt, dass der Militärrat unter Führung des Feldmarschalls Mohammed Hussein Tantawi mehr als bereit ist, dies umzusetzen.
Die vorübergehende Verhaftung führender Vertreter der Mubarak-Diktatur in den letzten Tagen kann darüber nicht hinwegtäuschen. Die Mubaraks und ihre Handlanger wie Zakariya Azmi, Ahmed Nazif, Safwat al Sherif, Fathi Sorour und korrupte Geschäftsleute wie Ahmed Ezz haben es verdient, den Rest ihres Lebens im Gefängnis zu verbringen. Für die Militärs ist die Verhaftung ihrer alten Freunde jedoch nicht mehr als eine taktische Maßnahme, um die Wut der ägyptischen Bevölkerung einzudämmen und die gewaltsame Unterdrückung der ägyptischen Arbeiter und Jugendlichen in Zukunft zu verschärfen.