Dortmunder Umwelt-Skandal

Envio-Beschäftigte auch mit Dioxin verseucht

Der Dortmunder Umwelt-Skandal gewinnt immer größere Dimensionen. Recherchen eines Redakteurs der Westfälischen Rundschau haben ergeben, dass die Beschäftigte des Recyling-Unternehmens Envio nicht nur mit PCBs (polychlorierte Biphenyle), sondern auch mit nicht weniger gefährlichen Dioxinen vergiftet worden sind.

Bisher stand fest, dass die Arbeiter der Firma über Jahre hinweg massiv mit krebserregenden und hochgiftigen PCBs verseucht wurden. Die Behörden hatten anonyme Beschwerden von Mitarbeitern, die detailliert über kriminelle Machenschaften berichteten und mit internen Details nur so gespickt waren, lange Zeit ignoriert. Bei Envio-Arbeitern wurden PCB-Werte im Blut gemessen, die die allgemeinen Richtwerte bis um das 25.000-fache überschritten. Sogar Kinder und Angehörige, die mit dem Gift offenbar durch die gemeinsam mit der Arbeitskleidung gewaschene Kleidung in Berührung kamen, als auch Anwohner und Arbeiter der umliegenden Firmen waren verseucht.

In den letzten Wochen wurden weitere Details und Hintergründe bekannt, die zeigen, dass die Horrormeldungen der letzten Monate nur die Spitze des Eisbergs waren.

Im Dortmunder Knappschaftskrankenhaus hat mittlerweile ein Spezialistenteam von der Universitätsklinik Aachen seine Arbeit aufgenommen, in deren Rahmen ein umfassendes und möglichst wirksames Betreuungsprogramm für die ehemaligen Envio-Arbeiter ausgearbeitet werden soll.

Bis zum 17. September wurden von 200 betroffenen Personen Blutproben entnommen, die auch auf den Gehalt von Dioxinen untersucht werden. Die ersten Ergebnisse bestätigten die schlimmsten Befürchtungen: In zwölf der ersten dreizehn Proben wurden Dioxine gefunden, die ähnliche Eigenschaften wie PCB aufweisen und schon in geringen Mengen Krebs auslösen können. Genau wie PCB gehören sie zu den als „dreckiges Dutzend“ bekannten Giftstoffen, deren Verbreitung durch die Stockholmer Konvention vom Mai 2001 verboten wurde. Darüber hinaus hat sich herausgestellt, dass offenbar mehr Angehörige von Envio-Arbeitern, darunter auch Kinder, durch den indirekten Kontakt mit den Giftstoffen verseucht wurden, als man bislang angenommen hatte.

Einer der Geschäftsführer von Envio, Dirk Neupert, hat zwei Gegengutachten erstellen lassen, die das Verhalten von Envio nachträglich rechtfertigen. In einem Schreiben an verschiedene Ratsmitglieder, den Oberbürgermeister und die Verwaltungseinheiten der Stadt Dortmund schreibt er, der im Dortmunder Norden festgestellte PCB-Niederschlag und der PCB-Gehalt im Blut der Envio-Mitarbeiter sei „eine zwangsläufige Folge des genehmigungskonformen Betriebs der PCB-Entsorgungsanlage“.

Der PCB-Niederschlag läge „unterhalb der genehmigten Emissionswerte“, und selbst die höchsten bei Envio-Mitarbeitern festgestellten PCB-Blutwerte lägen um ein Mehrfaches „unterhalb der Werte, die bei Einhaltung der Arbeitsplatzgrenzwerte zu erwarten sind, und insofern als nicht gesundheitsschädlich angesehen werden können“.

Mit anderen Worten: Die Vergiftung der Mitarbeiter, Angehörigen und der Anwohner ist weder fahrlässig noch kriminell, sondern „zwangsläufige Folge des genehmigungskonformen Betriebs der PCB-Entsorgungsanlage“. Selbst wenn dem so wäre, würde dies weniger das kriminelle und fahrlässige Handeln der Envio-Geschäftsführung entlasten, als die Komplizenschaft der Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden belegen.

Am 24. September berichtete die Westfälische Rundschau (WR), dass die Envio AG auch mit kriminellen Elementen zusammenarbeite. Die Zeitung schrieb, „dass die Dortmunder PCB-Firma sogar mit Kriminellen aus Kasachstan kooperierte, um tausende verseuchter Kondensatoren zu importieren und im Dortmunder Hafen mehr schlecht als recht zu entsorgen“. In der ehemaligen Sowjetrepublik sitzen laut WR ein Minister und diverse Regierungsspitzen deshalb bereits im Gefängnis. „Dokumente, die dieser Zeitung vorliegen, beweisen, dass zu Envio in den Jahren 2007 bis 2009 über 10.000 Kondensatoren per Bahn und Flugzeug aus Kasachstan kamen. Folgt man den Spuren dieser Transporte, landet man bei international operierenden Kriminellen.“

Laut WR organisierte der windige Geschäftemacher Boris Meckler den Deal zwischen Kasachstan und Envio. Der Deutsch-Kasache Meckler unterhalte Kontakte zu höchsten staatlichen Ebenen. So begleitete er im Oktober 2007 „den damaligen Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) auf einer offiziellen Reise nach Kasachstan und Aserbaidschan. Seine Interessen damals: ‚Consulting und Export’. Auch in Kasachstan ist Meckler gut bekannt. Sein Unternehmensziel hier unter anderem: ‚Planung und Organisation der Ausbildung der Antiterror-Spezialkräfte’.“ Meckler soll bis heute Kontakte zu Geheimdienstkreisen pflegen, was er allerdings bestreitet.

Weil der Kasachstan-Deal mit unsauberen Mitteln zustande gekommen war, Transport- und Gesundheitsauflagen missachtet wurden und Gelder verschwanden, wurden Beteiligte angeklagt und verurteilt. „Inzwischen sitzt der kasachische Umweltminister Nurlan Iskakov im Gefängnis – wegen Untreue und Korruption“, schreibt die WR. „Das Urteil im Oktober vergangenen Jahres: vier Jahre Haft.“

Auch die beiden Stellvertreter Iskakovs und einige Ex-Mitarbeiter befinden sich inzwischen hinter Gittern. „Ein am Deal beteiligter Geschäftsmann aus dem Meckler-Umfeld kassierte sechs Jahre Zuchthaus. Die Finanzsekretärin seines Hauses ist spurlos verschwunden und wird mit Steckbriefen international gesucht.“ Weitere Verdächtige in dem Korruptionsverfahren sollen dem Dunstkreis der kasachischen Geheimdienste entstammen.

Obwohl Envio in Dortmund stillgelegt worden ist, pocht die Regierung Kasachstans auf Vertragseinhaltung. Nach Angaben des kasachischen Umweltministeriums sollen bis Mitte 2011 5.946 PCB-Kondensatoren Richtung Ruhrgebiet abtransportiert werden. Meckler und Envio sagen, man arbeite an Lösungen.

Das passt zu dem Gebaren, das Envio an den Tag legt, nämlich alles – Arbeitsschutzvorschriften, Emissionsschutzauflagen oder die Auswahl von Geschäftspartnern – Profitinteressen unterzuordnen.

So wurde beispielsweise nahezu für jeden Geschäftszweig eine neue GmbH gegründet, offenbar, um jedes Geschäftsfeld von dem anderen abzugrenzen und im Zweifelsfalle auch die Haftung nur auf einzelne Teilbereiche des Konzernvermögens zu beschränken. Allein das Handelsregister weist zwölf irgendwie mit Envio verbundene GmbHs (plus zwei AGs) aus – ob nun für die Geschäfte mit Kasachstan, Biogas oder andere Geschäftsfelder. So fährt die Envio AG weiter Gewinne ein, auch wenn der Betrieb in Dortmund derzeit stillgelegt ist.

Envio genießt dabei offenbar die Unterstützung der staatlichen Behörden.

In dem PCB-Skandal ging die Initiative bei den Ermittlungen gegen Envio niemals von der Staatsanwaltschaft Dortmund oder von den Aufsichtsbehörden in Dortmund oder Arnsberg aus. Im Gegenteil. Auf eine eventuelle Verdunklungs- oder Fluchtgefahr der Geschäftsführung angesprochen, sagte Oberstaatsanwältin Ina Holznagel schon im Mai dieses Jahres: „Menschen verlassen nicht so leichten Herzens ihre Familie und ihr privates Umfeld.“ So gingen Tatverdächtige bei Wirtschaftsermittlungen erfahrungsgemäß nicht vor – „und schon gar nicht bevor der Sachverhalt, wie wir Staatsanwälte sagen, ‚ausermittelt‘ ist.“

Besonderen Eifer scheint die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen allerdings nicht an den Tag zu legen. Sie habe bis heute „keine Erkenntnisse über Lieferungen aus Kasachstan“, sagt Oberstaatsanwältin Holznagel.

Der Bezirksregierung Arnsberg hingegen liegen Unterlagen über die Geschäfte mit dem kasachischen Umweltministerium sowie weitere detaillierte Informationen über die Arbeitsschutzverletzungen und illegalen Praktiken bei Envio vor. Doch Oberstaatsanwältin Holznagel sieht darin kein Problem. In der Westfälischen Rundschau kommentierte sie das Verhalten der Aufsichtsbehörde mit den Worten: „Man hätte den Betrieb stilllegen können, musste es aber nicht.“ Die Bezirksbehörde in Arnsberg habe „einen Ermessensspielraum milde genutzt“.

So milde, dass heute die Arbeiter und selbst ihre Kinder vergiftet sind und wohl Zeit ihres Lebens an der Komplizenschaft der Behörden zu leiden haben.

 

siehe auch:

Umweltskandal in Dortmund
(27. August 2010)

Umweltskandal in Dortmund
(29. Juli 2010)

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