Empörung über israelisches Massaker an Gaza-Hilfskonvoi

Das israelische Massaker an bis zu neunzehn Teilnehmern des Gaza-Hilfskonvois hat international zu zornigen Protesten geführt. Aber die Obama-Regierung signalisierte ihre stillschweigende Billigung des Blutbads. Sie bedauerte in einer Erklärung lediglich den Verlust von Menschenleben, ohne allerdings Israels Vorgehen zu kritisieren.

Im Morgengrauen stürmten mehrere Kommandos die kleine Schiffsflotte, die Aktivisten und wichtige Hilfsgüter für Gaza an Bord hatte. Von Hubschraubern aus ließen sich israelische Soldaten auf die Decks ab. Die Zahl der Todesopfer wird unterschiedlich mit zehn bis zwanzig angegeben. Die Organisatoren berichteten von mindestens dreißig, vielleicht aber auch fünfzig Verletzten. Unter den Verletzten befinden sich der Führer der radikalislamischen Bewegung in Israel, Scheich Raed Salah, und die Chefin der libanesischen humanitären Mission, Dr. Hani Suleiman.

Der Fernsehsender Al-Dschasirah berichtete von dem Schiff aus, das von israelischen Marinekräften beschossen und geentert wurde. Der Kapitän des Schiffes wurde verwundet. Die Übertragung endete mit dem Ruf einer Stimme auf Hebräisch: "Jeder hält die Klappe!" Das türkische Fernsehen sendete von dem türkischen Schiff Mavi Marmara aus, das den Flottenverband anführte. Seine Bilder zeigen auf dem Boden liegende Verletzte. Eine Frau mit Schleier war zu sehen, die eine blutdurchtränkte Trage hielt.

Israel behauptet, seine Soldaten seien angegriffen und Schüsse seien abgefeuert worden. "Gegen unsere Truppen wurde scharfe Munition eingesetzt. Mit der Gewalt haben die anderen angefangen, das ist zu hundert Prozent klar", sagte der israelische Regierungssprecher Mark Regew der BBC. Er äußerte sich nicht dazu, dass sich das Schiff in internationalen Gewässern befand, und dass der israelische Angriff folglich ein Akt der Piraterie war. Die Schiffsbesatzung hatte daher jedes Recht, sich zu verteidigen.

Davon abgesehen, erklärte Audrey Bomse, eine Sprecherin der Bewegung Freiheit für Gaza, die den Konvoi organisierte, gegenüber BBC, es gebe "absolut keine Hinweise auf scharfe Schüsse".

"Ich weiß auch nichts von Messern, Äxten oder Ähnlichem", sagte Bomse. "Auf den Life-Berichten von dem türkischen Schiff sieht man, dass aus den israelischen Hubschraubern gefeuert wurde. Nichts deutet darauf hin, dass sie beschossen wurden."

Greta Berlin, eine andere Sprecherin der Bewegung Freiheit für Gaza, sagte: "Es ist übel, dass sie an Bord gekommen sind und Zivilisten angegriffen haben. Wir sind Zivilisten. Wie kann sich das israelische Militär erlauben, Zivilisten so anzugreifen? Glauben sie, weil sie Palästinenser willkürlich angreifen können, können sie jeden angreifen?"

Der zyprische Europaabgeordnete Kyriacos Triantafyllides, der sich an der Mission beteiligt hatte, sagte, die Aktivisten hätten eine "starke Reaktion der Israelis erwartet", aber nicht "praktisch eine Armee-Invasion".

Drei der Schiffe segelten unter türkischer Flagge, darunter das Hauptpassagierschiff. Der Konvoi wurde von einer türkischen Hilfsgruppe geleitet. Die meisten Passagiere auf dem Hauptschiff, der Mavi Marmara, waren Türken. Ein türkischer Sprecher nannte das israelische Vorgehen einen "Akt der Piraterie", und der türkische Ministerpräsident Erdogan sprach von "Staatsterrorismus". Sie wiesen die Behauptung Israels zurück, dass die Schiffe, die sich auf dem Weg nach Gaza befanden, bewaffnet gewesen seien und israelische Soldaten angegriffen hätten.

In der Türkei versuchten Demonstranten das israelische Konsulat in Istanbul zu stürmen und zogen dann auf einen Platz im Zentrum der Stadt. In London gingen mehr als tausend Menschen auf die Straße. Überall im Libanon protestierten Tausende palästinensische Flüchtlinge und Aktivisten und riefen Parolen wie "Gebt uns Waffen, gebt uns Waffen und schickt uns nach Gaza".

Zu großen Protesten kam es auch in Syrien und Jordanien.

Viele offizielle Stellen verurteilten die Übergriffe. Die Türkei, ein enger Verbündeter Israels, berief seinen Botschafter zurück und sagte drei gemeinsame Manöver ab. Der israelische Botschafter in der Türkei, Gabby Levy wurde ins Außenministerium einbestellt. In einer Erklärung des Ministeriums heißt es: "Mit seinem Angriff auf Zivilisten hat Israel erneut unter Beweis gestellt, dass es Menschenleben und Friedensinitiativen missachtet... Dieser bedauerliche Zwischenfall, der auf hoher See stattfand und einen offensichtlichen Bruch internationalen Rechts darstellt, hat für unsere bilateralen Beziehungen möglicherweise irreparable Folgen."

Der syrische Präsident Bashar-al Assad und der libanesische Ministerpräsident Saad Hariri gaben eine gemeinsame Erklärung heraus, in der sie warnten, Israels Vorgehen könnte zu einem Krieg im Nahen Osten führen. Syrien und der Libanon verurteilten "das abscheuliche Verbrechen Israels, das unbewaffnete Zivilisten an Bord der Friedensflotte brutal angegriffen hat".

Der Chef der Hamas-Regierung in Gaza, Ismail Haniyeh, forderte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon auf, "seine Verantwortung wahrzunehmen, die Sicherheit der Solidaritätsgruppen an Bord dieser Schiffe zu schützen und sie sicher nach Gaza zu geleiten". Hamas ruft Muslime und Araber auf, sich als Reaktion auf diesen Angriff "zu erheben".

Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas nannte den Zwischenfall ein Massaker. Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat sprach von einem "Kriegsverbrechen".

Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Musa, berief für heute eine Sondersitzung der Organisation ein und nannte den Angriff "einen Akt des Terrors".

Europäische Länder, die Staatsbürger an Bord des Schiffes hatten, bestellten die israelischen Botschafter ein und forderten eine Untersuchung. Die irische Regierung äußerte ihre "tiefe Sorge" über das Schicksal von acht ihrer Bürger, die an dem Konvoi teilnahmen. Außenminister Michael Martin erklärte: "Wenn sich die Berichte über bis zu fünfzehn Tote als zutreffend herausstellen sollten, dann wäre das eine völlig unakzeptable Reaktion der israelischen Armee auf eine humanitäre Mission, deren Zweck es war, der Bevölkerung von Gaza dringend benötigte Hilfsgüter zu überbringen."

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sagte, er sei "schockiert über die Nachricht, dass Menschen auf Schiffen, die Vorräte nach Gaza bringen wollten, getötet und verletzt wurden". Die Europäische Union forderte in dürren Worten eine Untersuchung, um festzustellen, was geschehen ist. Die Vereinigten Staaten erklärten, sie "bedauerten zutiefst den Verlust von Leben und die Verletzungen und bemühten sich gegenwärtig, die Umstände der Tragödie zu verstehen".

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu war gezwungen, einen offiziellen Besuch in Kanada abzubrechen und ein Treffen am Dienstag mit Präsident Obama abzusagen - wahrscheinlich auf deutlichen Wunsch des Weißen Hauses, dem dieser Besuch im Moment wohl peinlich gewesen wäre.

Israelische Sprecher reagierten mit kriegerischen Verlautbarungen. Verteidigungsminister Ehud Barak machte die Organisatoren der Gaza-Hilfsflotte für die Toten verantwortlich und beteuerte: "Es gibt in Gaza keinen Hunger, und es gibt keine humanitäre Krise." Der stellvertretende Sprecher des israelischen Kabinetts, Danny Danon, sagte, der Konvoi bestehe aus "kriminellen Terroristen".

In Israel gilt zurzeit Alarmstufe Rot. Checkpoints an der Grenze zu Gaza wurden geschlossen. Amos Harel warnte in Haaretz: "Unter bestimmten Umständen, wenn beide Seiten nicht versuchen, die Lage zu beruhigen, könnte das sogar zu einer dritten Intifada führen."

Der Angriff fand in internationalen Gewässern statt. Der türkische Marinestaatssekretär Hasan Naiboglu sagte: "Der Kapitän des Schiffes funkte uns um 4.30 an und sagte, die israelische Marine habe ihn abgefangen. Wir erfuhren, dass mehrere Menschen verletzt waren. Dann verloren wir den Kontakt zu den Schiffen...

Israel hat die Schiffe ungefähr 70 Seemeilen vor dem Festland aufgebracht. Nach internationalem Recht hat es dazu kein Recht", fügte er hinzu.

Zwei andere Schiffe der kleinen Armada fuhren unter amerikanischer Flagge. Die sechs Schiffe des Konvois hatten am Sonntag den türkischen Norden Zyperns mit 10.000 Tonnen Hilfsgütern verlassen. Die Schiffe wurden von der Mavi Marmara angeführt, auf der 600 Aktivisten reisten. Die meisten der Reisenden auf den Schiffen waren Türken, aber es befanden sich unter ihnen auch Europäer und US-Bürger, wie die Nobelpreisträgerin und nordirische Friedensaktivistin Mairead Corrigan Maguire und der Schriftsteller Henning Mankell.

Der Angriff auf den Hilfskonvoi ist nur die jüngste Maßnahme, die Blockade von Gaza durchzusetzen, mit der Israel und Ägypten seit 2007 gemeinsam versuchen, die islamistische Hamas in die Knie zu zwingen. In den frühen Morgenstunden des Mittwoch letzter Woche bombardierte Israel Beit Hanoun östlich von Gaza City und die Tunnel bei Rafah an der ägyptischen Südgrenze Gazas. Dabei wurden 22 Menschen verletzt, darunter ein erst fünfzehn Jahre alter Jugendlicher. Vorher hatten Militante Israel aus dem Norden Gazas mit Mörsern beschossen und eine Dynamitladung an der Grenze zur Explosion gebracht, die auf einem Eselkarren versteckt war.

In den sechzehn Monaten seit dem Gazakrieg von 2008-2009 hat es nur sehr wenige Raketen- und Mörserangriffe auf Israel aus dem Gazastreifen gegeben. Der damalige Krieg führte zu 1.400 Todesopfern, 50.000 Obdachlosen und weitgehender Zerstörung der Infrastruktur der Enklave. Gaza wird jetzt seit fast drei Jahren von Israel und Ägypten blockiert. Die schwache Wirtschaft wird dadurch noch weiter zerstört, der Wiederaufbau verhindert und die Bevölkerung zu Elend verdammt.

Israel behauptet, jede Woche ungefähr 150.000 Tonnen humanitäre Hilfe in den Gazastreifen hineinzulassen. Das ist nach Angaben der UN aber weniger als ein Viertel dessen, was notwendig wäre. Israel hat viele Bewohner Gazas gezwungen, produktive landwirtschaftliche Flächen aufzugeben, die oft nahe der Grenze zu Israel liegen, weil Israel diese Gebiete zur Pufferzone erklärt hat. Der Krieg von 2008-2009 hat weitere landwirtschaftliche Flächen zerstört, die von einem Cocktail aus giftigen Metallen aus israelischer Munition verseucht sind. Israels Zentralbank hat ihre Geschäftstätigkeit mit Banken aus dem Gazastreifen eingestellt, was zu einer ernsten Finanzkrise geführt hat. Das wirtschaftliche Leben ist gelähmt, und die Hamas-Regierung kann ihren Angestellten nur einen Teil der Löhne auszahlen. Das trifft auch diejenigen, die von der Autonomiebehörde in Ramallah bezahlt werden.

Ägypten beteiligt sich an der Blockade, indem es die Südgrenze Gazas mit einer unterirdischen Stahlmauer dicht macht, um zu verhindern, dass wichtige Güter durch Tunnel geschmuggelt werden. Israel baut eine Mauer entlang seiner Grenze mit Ägypten, um "Hamas die Daumenschrauben anzuziehen". Diese Grenze ist der Jerusalem Post zufolge der einzige Weg nach Israel für potentielle Terroranschläge.

Seit der "Operation Gegossenes Blei" hat Hamas de facto einen Waffenstillstand eingehalten und andere militante Gruppen in Gaza unter Kontrolle gehalten. Aber das reicht Israel noch nicht. Es sieht Hamas als Verbündeten des Iran in der Region, der vernichtet werden müsse.

Siehe auch:
Noam Chomsky Einreise in die Westbank verwehrt
(20. Mai 2010)
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