IWF-Chef diktiert Rumänien Bedingungen

Am 30. März hielt der Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, eine Rede vor dem rumänischen Parlament. Es war der Abschluss einer zweitägigen Reise Strauss-Kahns durch Polen und Rumänien.

Rumänien ist eines der ärmsten Länder der Europäischen Union und hat sehr unter der gegenwärtigen Wirtschaftskrise zu leiden. Das Land hat einen Kredit über zwölf Milliarden Euro beim IWF aufgenommen, um weiter Löhne und Renten auszahlen zu können. Strauss-Kahn traf während seines sechsstündigen Besuchs auch den Präsidenten und den Ministerpräsidenten des Landes und nahm an einem Treffen mit Wirtschaftsstudenten teil. Er betonte die Bedeutung von Sparprogrammen und drängte das politische Establishment, diese Programme auch gegen den Widerstand der Bevölkerung durchzusetzen.

Er kritisierte Politiker scharf, die versuchten, sich dieser Verantwortung zu entziehen. Er sagte zu ihnen: "Sie führen jetzt dieses Land, und Sie werden sich ins Fernsehen stellen und sagen, ‘Wir müssen dies tun und jenes tun. Es ist schmerzhaft, aber das ist nicht unsere Schuld. Der IWF hat es angeordnet.’ Es ist aber die Regierung, die über Maßnahmen wie die Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst, den Bau von weniger Straßen und Brücken und die Erhöhung der Einkommenssteuer entscheidet."

Strauss-Kahn kündigte an, dass die Arbeitslosigkeit 2010 ansteigen werde, weil staatliche Arbeitsplätze gestrichen würden, und auch wegen anderer Faktoren. Die Regierung müsse "damit umgehen".

Strauss-Kahns eigene politische Bilanz weist ihn als einen Experten im Durchsetzen unpopulärer Maßnahmen aus. Er war Wirtschafts- und Finanzminister in der Regierung der "Pluralen Linken" unter Lionel Jospin in Frankreich. Damals setzte er Privatisierungen und Deregulierungen durch.

Die rumänischen Politiker überschlugen sich geradezu, dem IWF-Direktor zu gefallen. Die Abgeordneten verabschiedeten am Tag seines Besuchs das Gesetz über Fiskalische Verantwortung. Das Gesetz reduziert die Zahl der möglichen Nachtragshaushalte auf zwei und verbietet eine Erhöhung der globalen Personalausgaben mithilfe eines Nachtragshaushalts.

Der rumänische Präsident Traian Basescu beeilte sich, "dem IWF seine Bereitschaft zu langfristiger Kooperation" zu versichern. Er sagte: "Wir werden Sie um einen Stand-By-Kredit oder eine flexible Kreditlinie bitten." Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass ein zweiter IWF-Kredit nötig sein wird, um den ersten abzuzahlen. Strauss-Kahn schien über den "sehr weisen" Vorschlag des Präsidenten hoch erfreut zu sein und antwortete metaphorisch: "Man kann den Fond als Arzt verstehen. Im Fall eines kranken Landes kann der Arzt mit einer guten Medizin kommen. Aber wenn der Patient dem Rat des Arztes nicht folgt, dann kann die Krankheit zurückkehren, wenn der Arzt gegangen ist." Tatsächlich wird die "Medizin" des IWF von der schon jetzt verarmten Bevölkerung große Opfer fordern.

Das neue Lohn- und Rentengesetz von Ministerpräsident Emil Bocs ist Teil der Vereinbarung mit dem IWF. Das Lohngesetz sieht vor, den Anteil der Löhne und Gehälter an den Staatsausgaben zu senken. Dazu sollen mehr als 100.000 öffentliche Bedienstete entlassen und die Zulagen im öffentlichen Dienst abgeschafft werden. Die Regierung erwägt auch die Möglichkeit, sämtliche Gehälter im öffentlichen Dienst bis Ende des Jahres einzufrieren. Das Rentengesetz beinhaltet die Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 60 und für Männer auf 65 Jahre bis 2014 und auf 65 Jahre für alle bis 2030. Zusätzlich sollen die Möglichkeiten für die Frühverrentung beschnitten werden.

Das Bildungssystem ist jetzt schon marode. Um die Ausgaben zu senken, plant die Regierung, weitere 15.000 Stellen im Bildungsbereich zu streichen; außerdem sollen mehr als 10.000 Stellen bei der Eisenbahn wegfallen. Die Steuern sollen erhöht werden. Im staatlichen Gesundheitssystem, das kurz vor dem Kollaps steht, werden neue Gebühren erhoben. Krankenhäusern gehen die Verbandsmaterialen und die Medikamente aus. Für das Gesundheitssystem werden 3,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufgewendet, doch diese Mittel, die auch das Defizit vom letzten Jahr ausgleichen müssen, werden nur bis Juni reichen.

Die rumänische Bevölkerung hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von 72 Jahren. 2005 war die Säuglingssterblichkeit die höchste in Europa. Fettleibigkeit und Herzprobleme sind weit verbreitet. Die Regierung ist für Tausende HIV-Infektionen in den Krankenhäusern verantwortlich, die aus der Zeit Anfang der 1990er Jahre stammen. Viele der HIV-Infizierten erkranken zusätzlich an Tuberkulose. Die rumänische Regierung plant, die Krankenhäuser an die Kommunen zu übertragen, die jetzt schon in vielen Fällen vor dem Bankrott stehen.

Die Sparpolitik der Regierung wird verheerende Auswirkungen auf die Bevölkerung haben, die schon jetzt schwer unter der Wirtschaftskrise leidet. Die offizielle Arbeitslosenrate betrug im Februar 8,3 Prozent, gegenüber 8,1 Prozent im Januar und 4,9 Prozent im Februar 2009. Das Arbeitsamt gab bekannt, dass 25,5 Prozent der Arbeitslosen jünger als 30 Jahre sind. Der monatliche Mindestlohn beträgt 253 Euro. Eurostat zufolge ist das der zweitniedrigste Mindestlohn in der ganzen Europäischen Union. Der Durchschnittslohn liegt in Rumänien bei 448 Euro.

Die Produktion wichtiger Industriezweige geht weiter zurück. Constantin Stroe, Vizepräsident des rumänischen Autoherstellers Dacia, der zu Renault gehört, erklärte, dass für Mitte 2010 ein "dramatischer" Produktionsrückgang zu erwarten sei. Das Produktionsniveau von 2007 werde wohl erst 2014 wieder erreicht. Ende 2008 stoppte Dacia die Produktion wegen Auftragsmangels. Heute, nachdem die deutsche Abwrackprämie ausgelaufen ist, wird ein Auftragsrückgang von elf Prozent erwartet, weil auch die staatliche Beihilfe für einen Autokauf in Frankreich von 1.000 Euro auf 500 Euro reduziert wurde.

Auch die Stahlindustrie wurde von der Wirtschaftskrise schwer getroffen. Die Löhne der Arbeiter von ArcelorMittal sind seit 2008 eingefroren, und jetzt sollen weitere 1.500 Stellen gestrichen werden. Das Stahlwerk von ArcelorMittal in Galati, das größte des Landes, hat seit Beginn der Finanzkrise Ende 2008 dramatisch an Aufträgen verloren. Im zweiten Drittel von 2009 wurde die Produktion eingestellt und die Koksanlage geschlossen. Mehr als 4.500 der 12.000 Beschäftigten wurden freigesetzt.

Auch in anderen Wirtschaftszweigen werden Entlassungen erwartet. Schon vergangenes Jahr hat die Textilindustrie zehn Prozent zu den Arbeitsplatzverlusten im Lande beigetragen. Rumänien hat, wie viele Länder in Osteuropa, eine mächtige und militante Arbeiterklasse. Die verstaatlichten Eigentumsverhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichten den Aufbau großer Industriekomplexe, die Millionen gut ausgebildeter Arbeiter beschäftigten. Ganze Städte wurden um große Fabriken herum gebaut. Diese Arbeiter hielten die Wirtschaft am Laufen, obwohl sich Politik der stalinistischen Bürokratie, die auf Autarkie ausgerichtet war, verheerend auswirkte. Als die kommunistische Partei in den 1980er Jahren jeden Aspekt des Lebens enger reglementierte, und sich die wirtschaftliche Lage stark verschlechterte, litten die Arbeiter am meisten darunter. Die Diktatur zerstörte und erstickte ihre Lebensbedingungen.

Der Bergarbeiterstreik von 1977 und die Arbeiterrevolte in Brasow 1987 zeigten, dass es die Arbeiter und ihre Söhne und Töchter an den Universitäten waren - und nicht die liberalen Dissidenten von Radio Free Europe - die eine tödliche Gefahr für das stalinistische Regime darstellten. Und es waren die Arbeiter, die 1989 auf den Straßen von Timiºoara und im Zentrum von Bukarest ihr Leben aufs Spiel setzten. Dass die ehemaligen Bürokraten und rechten Elemente die Macht erobern konnten, lag an der fehlenden Perspektive und Führung der Arbeiterklasse, was wiederum ein Ergebnis jahrzehntelanger stalinistischer Unterdrückung und Isolation war.

Sozialdemokratische und rechte Regierungen haben die industrielle Basis des Landes demontiert und entwertet. Die meisten großen Fabriken wurden verschrottet oder, wie die Fabriken in der Hauptstadt, an Immobilienhaie verscherbelt. Die internationalen Konzerne, die Produktionseinheiten übernahmen, begannen sofort, die Fabriken zu restrukturieren und die Belegschaften zu reduzieren. Arbeiter haben zahllose Kämpfe mit dem Management um höhere Löhne, gegen Betriebsschließungen und gegen Arbeitsplatzabbau geführt. Gleichzeitig wurden sie voll in den Weltmarkt integriert.

Die aktuelle Wirtschaftskrise und die Kürzungspolitik der Regierung werden die Klassengegensätze unvermeidlich verschärfen. Bisher ist die Regierung mit ihrer harten Haltung vor allem deshalb erfolgreich, weil sie von den Gewerkschaften unterstützt wird. Aber das Vertrauen in diese Organisationen nimmt rapide ab. Bei ArcelorMittal haben zehn von elf Gewerkschaften den vom Management vorgeschlagenen Tarifvertrag für 2010 sofort und ohne Umstände akzeptiert. Bei der Eisenbahn, wo 10.000 entlassen werden sollen, organisieren die Gewerkschaften praktisch keinen Widerstand. Zurzeit versuchen Arbeiter, ihre Löhne von der Regierung einzuklagen.

Am 26. März 2009 stürmten Arbeiter aus dem ganzen Land ein Treffen der Gewerkschaft. Erst danach wurde am 29. April 2009 ein eintägiger Protest organisiert. Im März und September brachen spontane Kämpfe in Constanþa, Iaºi und Timiºoara aus. Die Gewerkschaft hat sie nicht unterstützt, obwohl die Regierung die Arbeiter massiv bedrohte und einschüchterte. Die Führer der Lehrergewerkschaft überließen Lehrer in Buzau ihrem Schicksal, als sie versuchten, ausstehende Löhne zu erhalten.

2009 beteiligte sich die Gewerkschaftsnahe sozialdemokratische Partei neun Monate lang an der Regierung des gegenwärtigen Ministerpräsidenten Emil Boc. Sie arbeitete viele der Gesetze mit aus, die die Regierung jetzt umsetzt. Das zeigt, dass alle Parteien die Sparpolitik unterstützen.

Die rumänischen Medien stärken dem politischen Establishment den Rücken. Sie fordern jeden Tag Ausgabenkürzungen oder führen rassistische Kampagnen gegen Roma, weil diese angeblich das Ansehen Rumäniens im Ausland schädigten. Die Medien berichteten zum Beispiel wohlwollend über eine Versammlung am 10. März in Topliþa, wo Victor Ponta, der Führer der sozialdemokratischen Partei, nationalistische Reden hielt. Vor einer Fahnen schwingenden Menge versuchte er, Corneliu Vadim Tudor von der Partei Großrumänien in chauvinistischer Rhetorik zu übertreffen.

Arbeiter müssen sich von den giftigen nationalistischen Anschauungen solcher Politiker distanzieren und alle Beziehungen zu deren Freunden in den Gewerkschaften abbrechen. Die rumänischen Arbeiter müssen sich mit ihren internationalen Klassenbrüdern zusammenschließen und den Kampf für eine sozialistische und internationalistische Lösung der Krise aufnehmen.

Siehe auch:
Rumänien: 20 Jahre seit dem Sturz Ceausescus
(23. Dezember 2009)
Loading