Massiver Arbeitsplatzabbau bei ThyssenKrupp

Arbeitnehmervertreter stimmen Konzernumbau zu

Am Freitag, den 27. März, beschloss der Aufsichtsrat von ThyssenKrupp den radikalsten Konzernumbau seit der Fusion von Thyssen und Krupp vor zehn Jahren. Die so genannten Arbeitnehmervertreter, das heißt, die Funktionäre der IG Metall und des Betriebsrats, die im Aufsichtsrat paritätisch vertretenen sind, stimmten der Umstrukturierung zu.

Mit dieser Entscheidung übernehmen die Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre eine Schlüsselrolle, um die Angriffe auf die Beschäftigten in Form von Arbeitsplatzabbau, Lohnsenkung und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durchzusetzen.

Am Abend vor der Aufsichtsratssitzung behauptete Konzernbetriebsratschef Thomas Schlenz, der Vorstand habe eine Absichtserklärung unterzeichnet, die Entlassungen im Zuge des Konzernumbaus ausschließe. Diese Erklärung dient ausschließlich dazu den Beschäftigten Sand in die Augen zu streuen und die Rolle der Betriebsräte zu verschleiern.

In dem gemeinsamen "Eckpunkte Papier", das auf Drängen der Betriebsräte verabschiedet wurde, handelt es sich nicht um einen Vertrag, sondern um eine reine Absichtserklärung, die für den Vorstand keine bindende Wirkung hat.

Medienberichten zufolge einigten sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Aufsichtsrat auf eine Formulierung, derzufolge beide Parteien "davon ausgehen", dass "im Rahmen der Umstrukturierungsmaßnahmen betriebsbedingte Kündigungen nicht erfolgen". Ein Sprecher der Konzernleitung betonte, dass damit Kündigungen juristisch nicht ausgeschlossen werden.

Auch die Vereinbarung, dass die Tarifbindung "weiterhin für sämtliche Beschäftigten gelten soll", schließt Absenkungstarifverträge, wie sie von der Gewerkschaft in andern Unternehmen bereits unterschrieben wurden, nicht aus.

Der IG Metall kam es vor allem darauf an, dass bei der Umstrukturierung die "bisher geübte Mitbestimmungspraxis" aufrechterhalten bleibt und die gut bezahlten Posten im Aufsichtsrat und den Mitbestimmungsgremien nicht verloren gehen.

Im Einzelnen sieht der Umstrukturierungsplan Folgendes vor:

Die bisher fünf Konzernbereiche werden zu zwei Bereichen zusammengefasst. Der zurzeit von der internationalen Wirtschaftskrise am schwersten betroffene Bereich Stahl wird mit dem Bereich Edelstahl und dem Bereich Dienstleistungen zum Bereich Materials zusammengefasst. Den zweiten Bereich Technologies bilden die bisher unabhängigen Bereiche Aufzüge, Anlagenbau und Werften.

Durch die Zusammenlegung sollen allein mehrere Hundert Arbeitsplätze in der Verwaltung bei Personal und Einkauf eingespart werden. Auch drei Vorstandsmitglieder, darunter der bisherige Chef des Stahlbereichs, Karl-Ulrich Köhler, und Jürgen Fechter, bisher verantwortlich für den Bereich Edelstahl, müssen zum Ende dieses Monats (März 2009) das Unternehmen verlassen.

Der Konzernvorstand will mit diesem Umbau zusätzlich zu einem bereits laufenden Sparprogramm im Umfang von einer Milliarde Euro jährlich 500 Millionen Euro an Kosten einsparen und reagiert damit auf den schwersten Auftragseinbruch und Produktionsrückgang im Stahlbereich in der jüngeren Geschichte. Dies wird auch zum Abbau von Tausenden Arbeitsplätzen vor allem in diesem Bereich führen. Aber auch die Werften sind von einem massiven Auftragsrückgang und der Stornierung von Aufträgen betroffen.

Die Aufträge in der Stahlindustrie sind weltweit so stark eingebrochen wie nie zuvor in der Nachkriegszeit. Der Auftragseingang bei den deutschen Stahlwerken, die 2007 und in der ersten Jahreshälfte von 2008 noch einen Boom erlebten (und bei ThyssenKrupp maßgeblich zum Konzernergebnis beitrugen), stürzte in den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres um 48 Prozent ab. Weltweit ging die Rohstahlproduktion nach Angaben des Weltstahlverbandes im Februar dieses Jahres um 22 Prozent zurück.

Der weltgrößte Stahlproduzent Arcelor-Mittal hat seine Stahlproduktion schon um 40 Prozent zurückgefahren und den Abbau von weltweit 9.000 Stellen in Angriff genommen. ThyssenKrupp hatte bisher mit massiver und flächendeckender Kurzarbeit für 30.000 Mitarbeiter und der Entlassung von fast 5.000 Leiharbeitern im In- und Ausland auf den Absatzeinbruch reagiert. Der jetzt beschlossene Konzernumbau und das damit verbundene drastische Sparprogramm werden zum Abbau von Tausenden Arbeitsplätzen auch bei der Stammbelegschaft führen.

Nach internen Informationen aus dem Konzern werden laut Süddeutscher Zeitung mindestens 3.000 Arbeitsplätze gestrichen, es können aber viel mehr werden, sollte es bei anhaltender Krise auch zu absehbaren Werksschließungen kommen.

ThyssenKrupp-Konzernchef Ekkehard Schulz schloss deshalb vor und nach der Aufsichtsratssitzung betriebsbedingte Kündigungen ausdrücklich nicht aus. Er erinnerte daran, dass während der Stahlkrise von 1991 bis 1995 bei einem Rückgang der Rohstahlproduktion um zehn Prozent bei den damals noch getrennten Unternehmen Thyssen und Krupp im Stahlbereich 35.000 Arbeitsplätze gestrichen wurden.

Der Rückgang der Stahlproduktion jetzt sei viel tiefer und umfassender. Praktisch alle Abnehmer von Stahl und Stahlprodukten - Autoindustrie, Autozulieferindustrie, Maschinenbau - sind selbst schwer von dem internationalen Wirtschaftszusammenbruch und den massiven Einbrüchen beim Export betroffen. Allein um jeweils 33 Prozent wurde die Stahlerzeugung in den vergangenen drei Monaten gegenüber dem Vorjahr reduziert. Dies zeige die bis dahin nicht gekannte Dimension der aktuellen Stahlkrise, sagte Schulz nach der Aufsichtsratssitzung.

Dazu kommen noch Probleme beim Bau eines neuen Stahlwerks in Brasilien, dessen Kosten von ursprünglich geplanten 1,5 Milliarden Euro inzwischen auf 4,5 Milliarden Euro explodiert sind. Dieses Werk soll im Laufe dieses Jahres seine Produktion aufnehmen und Stahlbrammen nach Europa und in das ebenfalls im Bau befindliche Edelstahlwerk in Alabama, USA, liefern. Die Inbetriebnahme dieses Werks wird sich voraussichtlich auf nächstes Jahr verzögern.

Angesichts der Zustimmung der Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre im Aufsichtsrat sind die Beschäftigten mit einem Kampf an zwei Fronten konfrontiert.

Siehe auch:
Der Streit in der Großen Koalition und die Krise bei Opel
(25. März 2009)
10.000 Stahlarbeiter demonstrieren in Duisburg gegen drohende Entlassungen
( 3. März 2009)
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