Französische und deutsche Conti-Beschäftigte protestieren gemeinsam gegen Werkschließungen

Am gestrigen Donnerstag (23. April) erlebte Hannover eine Premiere: Erstmals demonstrieren deutsche und französische Arbeiter gemeinsam gegen Werkschließungen und Massenentlassungen. Es sind etwa 3.000 Continental-Beschäftigte, die gemeinsam gegen die Schließung zweier Reifenfabriken in Hannover-Stöcken und im nordfranzösischen Clairoix protestieren.

Die Freude ist groß unter den deutschen Beschäftigten, als sie am frühen Morgen die mehr als tausend französischen Kollegen begrüßen, die mit einem Sonderzug aus Frankreich in Hannover eintrafen.

Demonstration durch Hannover Demonstration durch Hannover

Anlass der gemeinsamen Protestaktion ist die Hauptversammlung der Aktionäre von Continental und des Familienkonzerns Schaeffler im Kongresszentrum von Hannover. Auf der Versammlung wird die geplante Vernichtung von mindestens 1.900 Arbeitsplätzen bekräftigt, 1120 davon in Clairoix und 780 in Hannover-Stöcken. Im laufenden Monat April arbeitet praktisch jeder zweite deutsche Conti-Beschäftigte kurz, wie Vorstandschef Karl-Thomas Neumann auf der Versammlung erklärt.

Seit Jahresbeginn habe man die Zahl der weltweit bei Continental Beschäftigten um 7.000 auf 133.000 Arbeitnehmer reduziert. Es ist abzusehen, dass weitere Stilllegungen folgen werden. Neumann droht auf der Versammlung recht offen mit Massenentlassungen, indem er erklärt, in Deutschland werde man in absehbarer Zeit "mit immer mehr Stellen in Kurzarbeit nicht mehr weiterkommen".

Kundgebung vor Kuppelsaal Kundgebung vor dem Kuppelsaal

Die Kahlschlagspolitik der Konzernleitung und Aktionäre kann sich auf die willfährige Kooperation der Gewerkschaftsführer verlassen, die sich am heutigen Tag offensichtlich stark dem Druck aus den Belegschaften anpassen und radikale Reden halten, ohne sich allerdings in Sachfragen festzulegen. Das einzige, was IG-BCE-Vorstandsmitglied Werner Bischoff vor dem Kongresszentrum den Beschäftigten versichert, war seine Absicht, künftig dafür zu sorgen, dass der Aufsichtsrat, und nicht die eigenmächtige Konzernleitung, über Standortfragen entscheiden werde.

Bischoff, der selbst stellvertretender Aufsichtsratschef ist, hat sich noch vor wenigen Wochen damit gebrüstet, "unbürokratisch und verantwortlich" mit den Managern zusammen zu arbeiten. "Als für die Tarifpolitik Verantwortlicher kann ich lückenlos die Ausnahmegenehmigungen, sprich Öffnungsklauseln, aus den Tarifverträgen auflisten, die alle meine Unterschrift tragen", sagte Bischoff am 17. März.

Im Conti-Aufsichtsrat sitzen zehn Arbeitnehmervertreter. Darunter: Neben IG-BCE-Vorstandsmitglied Bischoff; Hartmut Meine, IG Metall-Bezirksleiter in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt; Jörg Köhlinger, Gewerkschaftssekretär der IG Metall-Bezirksleitung Frankfurt; Hans Fischl, Gesamtbetriebsratsvorsitzender Automotive GmbH Regensburg; Michael Iglhaut, Gesamtbetriebsratsvorsitzender Teves Frankfurt; Jörg Schönfelder, Betriebsratsvorsitzender ContiTech Korbach usw. Alle von ihnen kassieren dicke Tantiemen, aber nicht einer von ihnen hat ernsthaft gegen die Stilllegungspläne der Konzernleitung gekämpft.

Auch die französischen Gewerkschaftsführer pflegen die Klassenzusammenarbeit. Sie stehen in enger und regelmäßiger Konsultation mit der französischen Regierung.

"Von Arbeitnehmerseite sind in letzter Zeit so viele Zugeständnisse gemacht worden, dass wir uns richtig veräppelt fühlen", klagt ein Arbeiter von Hannover-Stöcken, im Gespräch mit dem Reporterteam der World Socialist Web Site (WSWS).

Wie viele Demonstrationsteilnehmer findet dieser Arbeiter es "total Klasse", dass so viele Kollegen aus Frankreich gekommen sind: "Mir gefällt, wie engagiert sie für die Arbeitsplätze kämpfen", sagt er. "Jetzt muss jeder Arbeiter verstehen, dass es nicht mehr geht, bloß seinen eigenen Standort zu verteidigen. Ganz Europa ist betroffen", sagt er. Die Artikel in deutscher und französischer Sprache, die von Mitarbeitern der WSWS verteilt werden, stoßen auf reges Interesse.

Die Entschlossenheit der Continental-Arbeiter und ihre aufrichtige Freude über die Anwesenheit der französischen Kollegen steht in auffälligem Gegensatz zur Politik der Gewerkschaftsführung. Schon frühmorgens versammeln sich die deutschen Arbeiter im Hannover Hauptbahnhof, um den Sonderzug aus Clairoix zu empfangen.

Ankunft der Kollegen aus Clairoix Ankunft der Kollegen aus Clairoix

Sie haben zweisprachige, selbst gemalte Schilder mit Aufschriften wie: "Chers collègues de Clairoix, bienvenue à Hanovre" [Liebe Kollegen aus Clairoix, Willkommen in Hannover], wie auch: "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" Die französischen Kollegen werden mit großem Jubel empfangen. Rasch übernehmen die Deutschen ihren Slogan: "Tous ensemble, Continental - solidarité".

Deutsche Arbeiter mit Pappschildern Deutsche Arbeiter mit Pappschildern

Obwohl die französischen Kollegen die ganze Nacht durch gefahren sind, reagieren sie ausgelassen und fröhlich und sind den Fragen des WSWS -Teams gegenüber sehr aufgeschlossen.

Jonathan und Ludovic sind zwei junge Arbeiter aus Clairoix: "Ich arbeite erst das zweite Jahr in der Fabrik in Clairoix, mein Vater aber schon 25 Jahre", berichtet Jonathan. "Das ist meine erste internationale Demonstration. Es ändert sich jetzt alles, viele Leute wachen auf. In Frankreich sind praktisch alle auf der Straße.

In Compiègne haben wir eine Demonstration von 12.000 Menschen in einem Städtchen mit 60.000 Einwohnern organisiert. Es waren wirklich viele dabei, die ganze Fabrik und alle Verwandten und Bekannten. Da war noch alles ganz friedlich, fast wie am 14. Juli. Nicht so wie vorgestern - aber da waren auch alle so wütend, weil wir betrogen worden sind."

Ludovic rechts, Jonathan links Ludovic (rechts) und Jonathan (links)

Die beiden jungen Arbeiter spielen auf die Ereignisse vom Dienstag dieser Woche an, als die Arbeiter von dem Gerichtsurteil des Tribunal de Sarreguemines erfahren haben, das die Entlassungen in Clairoix für rechtens erklärt. Die Sarkozy-Regierung hatte ihnen zuvor Hoffnungen gemacht, der Staat werde sich für sie einsetzen; das Gerichtsurteil aber besiegelte die Werkschließung und damit die Entlassung von 1120 Kollegen. Es kam zu einem Wutausbruch einiger Kollegen, die in der Präfektur von Compiègne und einem Empfangsgebäude des Werks randalierten.

Francis rechts, René links Francis (rechts) und René

René und Francis, zwei ältere Arbeiter, erklären den Hintergrund dieser Reaktion: "Aus der Presse haben wir erfahren, dass unser Werk geschlossen wird. Seit gestern sind wir arbeitslos. Wir hatten noch vor Gericht dagegen geklagt, aber am Dienstag hat das Gericht gegen uns entschieden. Die Wut war groß: Die Regierung hat uns vollkommen betrogen."

Sie erklären auch die Vorgeschichte, denn in Frankreich wurde die offiziell geltende 35-Stundenwoche vor einigen Monaten wieder in eine Vierzigstundenwoche umgewandelt, obwohl die Belegschaft das abgelehnt hatte. Die Gewerkschaften hatten es den Arbeitern als Gegenleistung für das Versprechen einer Arbeitsplatzgarantie bis 2012 aufgedrängt.

Was diese Arbeitsplatzgarantie wert war, haben die Arbeiter jetzt brutal erfahren. "Es sind doch die Unternehmer, die alles kaputt machen!" sagt René. "Niemand will das, aber wie die Dinge laufen, ist ein Zusammenstoß unvermeidlich."

Auch Eric und Jean-Marie haben bis gestern im Werk Clairoix gearbeitet, der eine acht Jahre, der andere 27 Jahre lang. "Uns hat man richtig geblufft", berichtet Jean-Marie. "Wir hatten eine feste Arbeitsplatzgarantie. Damit hat man uns Sand in die Augen gestreut. Die Aktionäre allein bestimmen, was mit den Unternehmen passiert." Eric ergänzt: "Die Aktionäre haben nur das eine Interesse, sich die Taschen vollzustopfen. Es ist klar, dass wir damit nicht einverstanden sind."

Eric und Jean-Marie Eric und Jean-Marie

Wolfgang N. und Steffen L. arbeiten bei Continental in Hannover-Stöcken.

"Eine ganze Fabrik wird abgewickelt", ärgert sich Wolfgang. Wir Arbeiter müssen dafür bluten. Die da oben stört es nicht, sie haben genug auf der hohen Kante. Die Kapitalisten wälzen es auf uns ab; unsre Löhne sind für die ja nur Unkosten. Aber wenn unten kein Geld mehr da ist - wer soll dann ihre Produkte noch kaufen?"

Wolfgang links, Steffen Mitte Wolfgang (links) und Steffen (Mitte)

Steffen freut sich über die französischen Kollegen: "So etwas ist noch nicht da gewesen, dass die Kollegen aus Frankreich kommen, und wir zusammen auf die Straße gehen." Steffen arbeitet zwar nicht im LKW-Reifenwerk, sondern als Maschinenbauer. Aber "der Sozialplan betrifft uns auch. Bei uns werden wohl wir Jüngeren den älteren Kollegen von der LKW-Reifenfertigung Platz machen müssen. Wir haben jetzt schon Kurzarbeit und sitzen die Hälfte der Zeit zuhause. Sozialplan - das hört sich sozial an. Für uns war es ein Tiefschlag. Die Stimmung im Werk ist ganz am Boden, die Wut ist groß, denn das LKW-Werk schreibt ja schwarze Zahlen."

Forelli und seine italienischen Kollegen aus der Keilriemen- und Antriebsfertigung Hannover-Vahrenwalderstraße arbeiten schon seit Wochen kurz. "Bisher haben die Arbeiter immer nur Werk für Werk ihre Interessen vertreten" sagt Forelli. "Aber es geht nicht mehr so weiter. Continental spielt uns gegeneinander aus und wir müssen gemeinsam die Zähne zeigen".

Italienische Kollegen, Forelli rechts Italienische Kollegen, Forelli rechts
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