Island steht vor einer sozialen und wirtschaftlichen Katastrophe. Seine 300.000 Einwohner sind am schlimmsten und unmittelbarsten von allen wirtschaftlich entwickelten Ländern von den Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise betroffen.
Daher ist das, was sich zurzeit in Island abspielt ein Vorgeschmack auf das, was sich unausweichlich in viel größeren Ländern auf der ganzen Welt ereignen wird.
Islands Bankensystem ist zusammengebrochen und hat die gesamte Industrie mit in den Strudel gerissen. Im Oktober mussten die drei Banken des Landes innerhalb von sieben Tagen Insolvenz anmelden, und die Regierung war gezwungen, einzuspringen und sie zu übernehmen. Die britische Regierung berief sich auf die Anti-Terror-Gesetze, um die Auszahlung von Einlagen in Höhe von Hunderten Millionen Pfund zu erzwingen, die Privatpersonen, Pensionsfonds von Firmen, Kommunen, Hilfsorganisationen und die Polizei, dort investiert hatten. Vieles davon wird unwiederbringlich verloren sein.
Die Ursache für das Ausmaß der Verluste war Islands Bestreben, zum Zentrum globaler spekulativer Investitionen zu werden, indem seine Banken die Zinsen an die Inflationsrate knüpften, die 15 Prozent überstieg. Deshalb boten die isländischen Banken oftmals mehr als 50 Prozent höhere Zinsen an, als anderswo gewährt wurden.
Auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung hielten die isländischen Banken ausländische Einlagen, die bis zu zehnmal höher als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) waren. Vieles davon war durch internationale Anleihen abgesichert. Das Ganze war eine riesige Spekulationsblase, die auf einem Pyramidensystem unhaltbarer Schulden beruhte.
Island ist praktisch bankrott und kann seine gewaltigen Schulden vermutlich nie zurückzahlen. Die Verluste, die ausländische Gläubiger zu tragen haben, belaufen sich schätzungsweise auf 40 Milliarden Dollar. So hat zum Beispiel die Onlinebank Icesave von Landsbanki mehr als 6,75 Milliarden Dollar an britischen Investitionen und 1,5 Milliarden Dollar an niederländischen aquiriert. Beide Länder fordern diese Summen zurück und allein diese Schulden übersteigen das gesamte isländische BIP. Wie der Dozent der Finanzwissenschaft an der London Scholl of Economics Jon Danielsson aufzeigte, "betrugen die gesamten Reparationen, die nach dem Ersten Weltkrieg von Deutschland gefordert wurden, etwa 85 Prozent des BIP."
Island konnte die Zahlungsunfähigkeit nur durch die Zusicherung von Finanzhilfen in Höhe von zehn Milliarden Dollar aufschieben. Der Kredit von 1,2 Milliarden Dollar vom Internationalen Währungsfonds ist der erste, der seit 1976 an ein entwickeltes Land gezahlt wurde. Damals erhielt Großbritannien Gelder vom IWF. Dieser Kredit wird mit Auflagen nach Art der "Strukturanpassungsprogramme" verbunden, die viele verarmte afrikanische und asiatische Länder auf sich nehmen mussten, damit die weltweiten Schulden "bedient" werden konnten. Darüber hinaus haben Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland 2,5 Milliarden Dollar geliehen und andere europäische Staaten haben zusätzliche Kredite zugesagt, weil sie die Folgen eines totalen Zusammenbruchs fürchten.
Die Wirtschaft bricht zusammen. In der Landeswährung ist das BIP um 15 Prozent zurückgegangen. Aber wenn man den Wertverfall der Krone berücksichtigt, bedeutet dieser Rückgang in Euro gerechnet 65 Prozent. International ist es kaum noch möglich die isländische Krone zu handeln. Der Wert der Krone hat sich halbiert und die Inflation liegt bei 17,1 Prozent. Sie steigt zurzeit in einem einzigen Monat um 1,74 Prozent. Die wichtigsten Güter des täglichen Lebens steigen noch rascher. Allein die Lebensmittelpreise sind um 30 Prozent gestiegen.
Täglich brechen Firmen zusammen, wodurch Tausende ihre Arbeit verlieren. Ungefähr ein Drittel der Bevölkerung hat vermutlich seine gesamten Ersparnisse oder einen beträchtlichen Teil davon verloren. Die Lage ist so schlimm, dass bei Umfragen ein Drittel aller Befragten sagte, sie dächten an Auswanderung. Viele junge Menschen, die eine Ausbildung haben, verlassen bereits das Land.
Das ist der Hintergrund der politischen Demonstrationen, die zurzeit in der Hauptstadt Reykjavik regelmäßig stattfinden. Sie richten sich sowohl gegen die Koalitionsregierung aus der Unabhängigkeitspartei und den Sozialdemokraten als auch gegen den IWF.
Die Besorgnis der Medien und der herrschenden Kreise über das Schicksal Islands ist mit Händen greifbar. So fragte Max Keiser in der Huffington Post : "Wer hätte jemals eine Revolution in Island erwartet?"
Zuvor berichtete er: "Ich fragte den Chef der Forschungsabteilung der Kaupthing Bank, ob die Leute sich im Zorn erheben könnten, wie sie es 1789 in Frankreich taten, wenn die weltweite Kreditblase platzt. Er lachte über die Frage und meinte: heute fordern die Menschen in Island tatsächlich buchstäblich eine Revolution."
Das Investment Journal Fall Street.com stellt ebenfalls die Frage: "Wer hätte sich jemals vorgestellt, dass Island wirklich in einen Zustand von wirtschaftlicher Anarchie und Revolution gerät?"
Die Befürchtungen reichen jedoch viel weiter als bis zur wirtschaftlichen und politischen Zukunft Islands. Danielsson vertritt den Standpunkt, dass "die europäischen Führer dringend Schritte unternehmen müssen, um zu verhindern, dass Ähnliches in anderen kleinen Ländern passiert, die über einen großen Bankensektor verfügen."
Ungarn hat bereits mit dem IWF über einen Kredit in Höhe von 16 Milliarden Dollar verhandelt und über 8 Milliarden mit der Europäischen Union. Die EU verlangt gewaltige Kürzungen bei Dienstleistungen, Arbeitsplätzen und Renten. Arbeitslöhne werden eingefroren und die Beschäftigten verlieren Zuwendungen in Höhe von 8 Prozent des Jahreseinkommens Der Ukraine lieg der IWF 16,5 Milliarden Dollar, und Weißrussland, Serbien, Rumänien, Lettland, Estland und Litauen sollen ebenfalls um Kredite nachsuchen.
Es wird befürchtet, das Irland den gleichen Weg gehen könnte, wie Island. All News Web Ireland stellte fest, dass "es sehr wohl sein kann, dass Irland das nächste europäische Land ist, in dem die Stützbalken gewaltig krachen. ‘Die Preise auf dem irischen Immobilienmarkt sind weit überhöht, die Verschuldung hat dort astronomische Höhen erreicht und wenn die Leute merken, dass sie Häuser nicht essen können und wenn die Investitionen aus den USA ausbleiben, wird die Blase platzen,’ meint Sean McCarthy, ein wichtiger Wirtschaftsberater der irischen Finanzwirtschaft. ‘Wenn die Immobilienblase hier wirklich platzt und Panik ausbricht, dann helfe Gott.’"
Der Investment-Blog Credit Writedowns bemerkt: "Irland war das erste Land, das eine Blankogarantie für seine Bankeinlagen abgab" wobei das "Land einen überdimensionierten Finanzsektor hat, für den die irische Regierung gar nicht einfach eine Garantie übernehmen kann." Daher "muss man abwarten, ob es nicht künftig doch noch zu einer Panik wegen des fragilen irischen Bankensystems kommt, mit dem gleichen Resultat wie in Island."
Die Furcht vor einem Staatsbankrott mit sozialen und politischen Unruhen in der Folge beschränkt sich jedoch nicht auf kleine Länder. Es wird ernsthaft darüber diskutiert, dass ein ähnliches Schicksal Großbritannien treffen könnte, die fünftgrößte Wirtschaftsnation der Welt.
Patrick Hosking fragte in der Times vom 22. November: "Ist Großbritannien einfach eine größere Ausgabe von Island? Gewiss, die City von London beginnt Reykjavik ein bisschen zu sehr zu ähneln, allerdings mit größeren Gebäuden und weniger Seelachs ... Im Wesentlichen sind die großen Banken hier pleite. Der 500-Milliarden-Pfund-Rettungsplan der Regierung soll nicht etwa Banken dazu anhalten, kleinen Firmen oder Hauskäufern Kredite zu gewähren, sondern vor allem dazu dienen, eine unvorstellbare Finanzkatastrophe zu verhindern."
Hosking schloss mit einer ominösen Warnung: "Banken bilden das entscheidende Fundament und Versorgungssystem der gesamten Wirtschaft. Wenn das Vertrauen in sie wegbricht könnte das gesamte kapitalistische Gebäude zusammenkrachen ... Auf die Gefahr hin, dass ich damit übertreibe: wir sollten uns weniger Sorgen darum machen ob es ein mageres Weihnachtsgeschäft für den Einzelhandel gibt (was so sein wird), sondern ob Großbritannien und der Westen jahrelang wirtschaftlich in ein dunkles Zeitalter versinken - mit allem was dazugehört: Arbeitslosigkeit und soziale Unruhen."
Von einem solchen Verständnis der weltweiten Wirtschaftskrise ausgehend, muss jetzt damit begonnen werden, international die Arbeiterbewegung wieder zu beleben und auf ein sozialistisches Programm und die Abschaffung des Profitsystems zu orientieren.