Der Tod von zehn französischen Soldaten in Afghanistan am Montag bei einem Angriff aus dem Hinterhalt hat erneut gezeigt, dass der bewaffnete Widerstand gegen die von den USA angeführte Besatzung stärker wird. Der Vorfall hat die Diskussion in Frankreich über die Beteiligung an diesem Krieg neu entzündet. Es ist der schwerste Verlust an ausländischen Soldaten im offenen Kampf seit der Invasion Afghanistans im Jahr 2001 und für die französische Armee die höchste Zahl an Todesopfern, seit 1983 eine Bombe in Beirut 58 Fallschirmspringer tötete.
Laut dem offiziellen Bericht waren die französischen Truppen als Teil eines gemeinsamen Aufklärungseinsatzes mit afghanischen Soldaten und US-Sondereinsatzkräften im Bezirk Sarobi nur 50 Kilometer östlich der afghanischen Hauptstadt Kabul unterwegs. Der Spähtrupp war am frühen Nachmittag gezwungen, aufgrund schlechter Straßenverhältnisse in der bergigen Region anzuhalten. Eine Gruppe französischer Soldaten ging zu Fuß voraus und geriet von drei Seiten unter Feuer.
General Jean-Louis Georgelin erklärte gegenüber der Presse, dass neun französische Soldaten sofort getötet wurden und der zehnte starb, als sein Fahrzeug sich überschlug. Luftunterstützung und Verstärkung wurden angefordert, aber die Kämpfe dauerten bis in die Nacht hinein, bis die Überlebenden schließlich mit Hubschraubern in Sicherheit gebracht wurden. 23 weitere französische Soldaten und mindestens zwei afghanische Soldaten wurden verwundet.
Laut Schätzungen betrug die Zahl der Aufständischen etwa 100 - ein weiteres Zeichen dafür, dass die Taliban und andere gegen die Besatzung kämpfende Truppen in wachsendem Maße gerüstet sind, die US- und Nato-Truppen in großen Gruppen anzugreifen. "Wir haben bei den jüngsten Operationen festgestellt, dass die Taliban über eine gesteigerte Fähigkeit verfügen, zu organisieren und zu manövrieren, und wie wir in diesem Vorfall gesehen haben, scheinen sie keine Probleme zu haben, sich Munition zu beschaffen", berichtete Georgelin.
Die französischen Soldaten gehörten zu Elite-Einheiten - dem 8. Marine-Infantrie-Fallschirmspringer-Regiment, dem 2. Auslands-Fallschirmspringer-Regiment und dem Marschregiment des Tschad, einer Panzer-Marine-Einheit. Anfang des Jahres hatte der französische Präsident Nicolas Sarkozy als Reaktion auf Forderungen der Bush-Regierung nach mehr Nato-Soldaten eine Aufstockung der französischen Truppen in Afghanistan um 700 auf 2600 verkündet. Der Zusammenstoß am Montag hat die Zahl der toten französischen Soldaten in Afghanistan auf 24 fast verdoppelt.
Sarkozy beeilte sich, seine Entschlossenheit zu bekunden, den französischen Einsatz in Afghanistan weiterzuführen. Er erklärte am Dienstag: "Frankreich ist entschlossen, den Kampf gegen Terrorismus für Demokratie und Freiheit fortzusetzen. Es ist eine gerechte Sache." Um seine Unterstützung für die weitere Präsenz der Truppen zu demonstrieren, flog der Präsident gestern mit französischen Politikern nach Afghanistan. Er nahm an einem Gedenkgottesdienst teil und diskutierte mit Militärführern.
Der Zusammenstoß von Montag hat jedoch scharfe Debatten in Frankreich ausgelöst. Eine Umfrage nach der anderen zeigt, dass die Mehrheit der französischen Bevölkerung gegen jegliches militärisches Engagement in Afghanistan ist. Sarkozys Entscheidung vom März, weitere Soldaten zu entsenden, traf zu dieser Zeit auf eine breite Opposition; laut einer Umfrage waren 68 Prozent dagegen und nur 15 Prozent dafür.
Nach dem letzten Vorfall berichtete der Guardian, dass "politische Diskussionsforen im Internet und Zeitungs-Blogs mit Kommentaren überschwemmt werden, in denen Sarkozys,transatlantische Neigung’ verurteilt wird, die ... junge Männer in einen Krieg geschickt hat, mit dem sie nichts zu tun haben.,Schande über die Pudel-Politik, mit der die Yankies und ihre,neue Weltordnung’ unterstützt werden, lautet einer der Kommentare.,Unsere Männer sind nicht für Frankreich gestorben.’"
Roland Gregoire, ein Onkel einer der toten Soldaten, erklärte gegenüber Reuters: "Wir hätten die jungen Männer nicht dorthin in den Tod schicken sollen. Es ist offensichtlich, dass sie in einem Hinterhalt starben wie gejagtes Wild."
Die oppositionelle Sozialistische Partei (PS) hat eine Dringlichkeitsdebatte in der französischen Nationalversammlung über den Krieg in Afghanistan gefordert, aber nicht den Rückzug der französischen Truppen verlangt. Ein Editorial in der linksgerichteten Liberation stellt die Frage, wie es möglich sei "einen militärisch nicht zu gewinnenden Krieg zu gewinnen".
Jean-Marie Le Pen, der Führer der rechtsextremen Nationalen Front, versuchte die Situation auszunutzen und verurteilte die französische Teilnahme mit chauvinistischem Unterton. Er erklärte: "Unsere Soldaten dürfen nicht für Onkel Sam sterben. Diese Soldaten haben ihre Pflicht erfüllt, aber sie sind nicht für Frankreich gestorben. Sie sind in dem endlosen Krieg gestorben, den die Vereinigten Staaten in Afghanistan kämpfen, um ihre eigenen Interessen zu verteidigen."
Die Diskussion wird noch weiter durch das Auftauchen von Berichten angeheizt, die die offizielle Version der Ereignisse in Frage stellen. Ein Bericht in der gestrigen Ausgabe von Le Monde, der auf Interviews mit beteiligten Soldaten basiert, betont, dass die französischen Verluste nicht unmittelbar entstanden sind. "Die Zahl der Opfer ist, laut diesen Soldaten, vor allem auf die langsame Reaktion des Führungsstabs und ernsthafte Probleme bei der Koordination zurückzuführen", erklärt die Zeitung.
Die Truppen steckten "für Stunden ohne Verstärkung" fest. Einer der Soldaten erklärte gegenüber Le Monde : "Wir hatten keine Munition mehr, um uns zu verteidigen, nur noch unsere Famas [Gewehre]." Der Bericht behauptet außerdem, dass einige Soldaten durch Luftangriffe der Koalition und von Schüssen afghanischer Soldaten im unteren Teil des Passes getötet wurden. Das Pentagon wies gestern Behauptungen zurück, Nato-Luftangriffe hätten französische Soldaten getötet.
Ein eskalierender Krieg
Der Überfall aus dem Hinterhalt auf französische Soldaten ist ein weiteres Anzeichen für die Eskalation des Kriegs in Afghanistan. Er ist alles andere als eine "gerechte Sache" für "Demokratie und Freiheit" - im Gegenteil, die USA und ihre Verbündeten führen einen neokolonialistischen Krieg mit dem Ziel, das Land zu einer regionalen Ausgangsbasis speziell für Operationen im rohstoffreichen Zentralasien zu machen.
Die USA und Afghanistan machen dem benachbarten Pakistan Vorwürfe, weil es die Zufluchtsgebiete von Aufständischen in den Grenzgebieten nicht zerstört. In Wirklichkeit ist die Hauptursache für die anhaltende Unterstützung für die Taliban und andere Milizen die tief sitzende Wut speziell unter den paschtunischen Stämmen im Süden und Osten Afghanistans. Sie leiden seit sieben Jahren unter Luftangriffen, willkürlichen Festnahmen und nicht eingehaltenen Hilfe-Versprechen.
Die Position der US- und Nato-Truppen in Afghanistan wird außerhalb der großen Städte und Orte immer schwächer. Selbst US-amerikanische Militärstützpunkte werden angegriffen. Letzten Monat überwältigte eine ziemlich große Guerrilla-Truppe die Verteidigung eines kleinen amerikanisch-afghanischen Militärstützpunkts nahe dem Dorf Wanat, nicht weit von der pakistanischen Grenze; dabei wurden neun US-Soldaten getötet und fünfzehn weitere verletzt.
Am Montag griffen Aufständische Camp Salerno an - einen großen US-Stützpunkt mit einer Landebahn und Hubschrauber-Landeplätzen in der Nähe der Stadt Khost; sie ist der Hauptknotenpunkt für die Besatzungstruppen im Südosten Afghanistans. Obwohl das Pentagon den Angriff heruntergespielt hat, ist klar, dass ein umfassender Kampf stattgefunden hat, an dem zehn Selbstmordattentäter, unterstützt von weiteren Kämpfern, beteiligt waren. Er tobte bis Dienstagmorgen.
Die New York Times berichtete: "Die Aufständischen griffen um 11 Uhr abends am Montag mit Raketen und Granatwerfern an. Eine Gruppe von Kämpfern bewegte sich in Richtung des Stützpunkt-Flughafens, erklärte das afghanische Militär. Eine afghanische Kommandotruppe kreiste sie ein und tötete dreizehn von ihnen, darunter zehn, die Selbstmord-Westen trugen, erklärte [der afghanische General Zaher] Azimi.
Ein erbitterter Kampf tobte den größten Teil der Nacht hindurch, erklärte Arsala Jamal, der Gouverneur von Khost. Amerikanische Hubschrauberangriffe gegen die Angreifer, die sich in einem Kornfeld am Rande des Stützpunkts versteckten, trafen auch ein Haus in einem Dorf, töteten zwei Kinder und verletzten zwei Frauen und zwei Männer", sagte der Polizeichef der Provinz, Abdul Qayum Baqizoy."
Die Auflehnung in Afghanistan hat zu wachsender Besorgnis in den USA und Europa geführt. Seth Jones, ein Analyst der RAND Corporation, sagte in einer Stellungnahme, dass die jüngsten Angriffe, "welche die amerikanischen und anderen Nato-Streitkräfte und afghanischen Truppen zum Ziel haben, unfangreicher und mutiger geworden sind, und fast den Charakter von konventionellen Angriffe haben ... Gegen Ende 2006 und bis 2007 zögerten die Taliban und andere Gruppen noch, solche konventionellen Angriffe zu führen." Diese neuen Operationen weisen daraufhin, dass sie "ganz klar glauben, dass sie jetzt gewinnen, und das veranlasst sie, etwas kühner zu werden".
Der Senlis-Rat, eine europäische Expertenkommission, gab am Dienstag eine Erklärung heraus, in der davor gewarnt wird, dass die jüngsten Kämpfe "die klare Botschaft beinhalten, die augenblickliche westliche Strategie in Afghanistan sei am Scheitern. Bis heute verschließen die westlichen Führer die Augen vor dem wirklichen Ausmaß der Taliban-Präsenz in Afghanistan und ihrer Fähigkeit, sehr schnell auf die afghanische Hauptstadt zu marschieren."
Die Expertenkommission fordert die Nato auf, die Stärke ihrer Truppen von ca. 53.000 auf 80.000 zu erhöhen. "Eine neue Truppenentsendung ist notwendig, um einfach nur die Hauptstadt zu schützen. Da die Taliban auf der Schwelle zur afghanischen Hauptstadt stehen, kann die Situation für die Nato-ISAF-Truppen und die afghanische Bevölkerung nur schlimmer werden", erklärt sie. Ein früherer Senlis-Bericht schätzte, dass die Taliban in mehr als der Hälfte - 54 Prozent - des afghanischen Gebiets über eine permanente Präsenz verfügen
Die unsichere Lage in Kabul wurde am Montag deutlich, als die afghanische Regierung mehr als 7.000 Polizisten mobilisierte, darunter Geheimdienstagenten, Elitepolizisten und Kadetten, um für die Sicherheit bei den Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag des Landes zu sorgen. Die Hauptstadt gerät zunehmend unter Raketenbeschuss, weil Gruppen von Aufständischen sich in nahe gelegenen Gebieten verschanzen.
Anfang des Jahres erklärten Anführer der Taliban gegenüber der Londoner Times, dass sie beabsichtigten, die Versorgungswege nach Kabul zu unterbrechen. Die wichtigsten Straßen südlich, östlich und westlich der Stadt gelten jetzt für Truppen, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Zivilisten als gefährlich. Letzte Woche gerieten drei weibliche Mitarbeiter einer Hilfsorganisation nur eine Fahrstunde südlich von Kabul in einen Hinterhalt und wurden getötet. Das französische Militär hat erst kürzlich die Verantwortung für das regionale Kommando von Kabul übernommen, wozu auch Sarobi gehört, wo der Angriff vom Montag stattfand.
Haroun Mir vom afghanischen Zentrum für Forschung und Politik, erklärte, die Taliban wendeten die gleiche Taktik an, welche die von der CIA unterstützten Mujaheddin in den 1980er Jahren gegen die Sowjetarmee eingesetzt hatten. Es ist möglicherweise kein Zufall, dass der Bezirk Sarobi als Hochburg von Gulbuddin Hekmatyar gilt, einem Führer der Mujaheddin, der vor nur zwei Jahrzehnten von der CIA bewaffnet und finanziert und von den US-Medien als "Freiheitskämpfer" gegen die sowjetische Besatzung gefeiert wurde.
Der Überfall aus dem Hinterhalt auf französische Truppen ist eine Mahnung, dass Washington in Afghanistan mit einem hartnäckigen Guerillakrieg konfrontiert ist, der große Ähnlichkeiten mit dem Aufstand aufweist, vor dem die sowjetische stalinistische Bürokratie vor drei Jahrzehnten stand. Die amerikanischen und Nato-Truppen sind zum größten Teil auf ihre wichtigsten Stützpunkte beschränkt, die Marionettenregierung der USA hat wenig Einfluss außerhalb von Kabul und "Freundschafts"-Projekte haben nichts dazu beigetragen, den Hass auf die von den USA angeführte Besatzung und die Unterstützung für den bewaffneten Widerstand einzudämmen.
Die Angriffe von Aufständischen haben in diesem Jahr um schätzungsweise 50 Prozent zugenommen. Vor dem Angriff vom Montag hatte die Zahl der Todesopfer bei ausländischen Soldaten im Jahr 2008 schon 173 erreicht, darunter 99 Amerikaner und wird mit Sicherheit die Rekordzahl des letzten Jahres von 232 Toten übersteigen. Etwa 800 Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte wurden dieses Jahr getötet, außerdem mehr als 1.000 Zivilisten.
Die Reaktion französischen Öffentlichkeit in dieser Woche demonstriert, dass der brutale Charakter dieses Kriegs unausweichlich einen wachsenden Widerstand und Opposition in der Bevölkerung gegen die anhaltende neo-koloniale Besatzung Afghanistans durch die USA und ihre Verbündeten hervorbringen wird.