Die Ankündigung der Bush-Regierung vom Dienstag, dass ein ranghoher US-Diplomat an den internationalen Verhandlungen mit dem iranischen Chefunterhändler in Atomfragen Said Dschalili teilnehmen wird, markiert eine zu diesem Zeitpunkt allerdings noch unverbindliche Veränderung, in der Politik des Weißen Hauses gegenüber Teheran. Vertreter der Bush-Regierung haben bisher betont, der Iran müsse seine Urananreicherung und andere Nuklearanlagen stoppen, bevor die USA direkt an Verhandlungen über die Atomfrage teilnähmen.
Der Unterstaatssekretär im Außenministerium William Burns wird mit dem Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik der EU, Javier Solana, an einem Treffen teilnehmen, auf dem Teheran seine offizielle Antwort auf ein Bündel von Maßnahmen geben soll, die letzten Monat vorgeschlagen wurden, um das Patt in der Atomfrage zu überwinden. Alle permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrates - die USA, Frankreich, Großbritannien, China und Russland - zusammen mit Deutschland (die so genannten P5+1) werden Vertreter schicken. Washington hatte sich bisher geweigert, an solchen Treffen teilzunehmen, obwohl die USA das Maßnahmenbündel unterstützten.
Washington bemühte sich, darauf hinzuweisen, dass Burns keine separaten bilateralen Gespräche mit Dschalili führen werde und dass die US-Teilnahme etwas "Einmaliges" sei. Burns wurde angewiesen, die US-Position deutlich zu machen - dass der Iran seine Urananreicherung aussetzen muss, bevor substantielle Verhandlungen stattfinden können - und die Antwort genau zu registrieren. Nach den Äußerungen des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama, Bushs Entscheidung bestätige seine Forderung nach Gesprächen mit Iran, kommentierte die Sprecherin des Weißen Hauses, Dana Perino: "Der wesentliche Inhalt der [Politik] bleibt gleich, aber es ist eine neue Taktik."
Aber trotz aller Vorbehalte weist die Anwesenheit von Burns - dem dritthöchsten Beamten des Außenministeriums - bei diesem Treffen auf eine Akzentverschiebung hin. "Wir betonen, dass die Vereinigten Staaten nachdrücklich hinter dieser Diplomatie stehen, nachdrücklich hinter unseren Verbündeten stehen. Hoffentlich kommt diese Botschaft bei den Iranern an", erklärte Außenministerin Condoleezza Rice gestern. Europäische Vertreter erklärten gestern gegenüber der International Herald Tribune, dass die "bloße Anwesenheit eines Amerikaners am Tisch helfen werde, diejenigen zum Verstummen zu bringen, die militärische Aktionen gegen den Iran fordern".
Die Washington Post berichtete, die Entscheidung sei an höchster Stelle getroffen worden. "Bush ist auf einem Treffen im kleinen Kreis der Empfehlung von Rice gefolgt [einen Vertreter zu schicken]; außerdem waren bei diesem Treffen Vizepräsident Dick Cheney, der Nationale Sicherheitsberater Stephen J. Hadley, der Stabschef des Weißen Hauses Joshua B. Bolten und Burns", erklärte sie. Bush setzte sich über die Einwände von Cheney hinweg, der schon länger auf eine Militäraktion der USA gegen den Iran drängt, entweder direkt oder indirekt durch die Unterstützung eines Militärschlags Israels.
Einem diplomatischen Abkommen mit Iran stehen trotzdem immer noch große Hindernisse entgegen. Der Chef der EU-Außenpolitik Solana hat ein kurzfristiges und befristetes "beiderseitiges Einfrieren" vorgeschlagen, bei dem der Iran, jeglichen Ausbau seiner Nuklearanlagen stoppt und im Gegenzug die Großmächte weitere UN-Sanktion gegen Teheran stoppen. Das Ziel ist, die Grundlage für substantielle weitere Gespräche zu schaffen. Die USA bestehen jedoch auch weiterhin darauf, dass ernsthafte Verhandlungen nur stattfinden können, wenn der Iran die Urananreicherung aussetzt - eine Bedingung die Teheran wiederholt abgelehnt hat.
Die USA und der Iran haben jedoch beide mehrere kleine, aber bedeutende Zeichen gegeben, dass Gespräche möglich sind. Die USA ihrerseits sagten zu, sich als Teil des Maßnahmenbündels der P5+1 zu verpflichten, vom Einsatz von Gewalt Abstand zu nehmen - ein Schritt, der zumindest formal die militärische Option der USA vom Tisch nehmen würde. Rice bekräftigte das Angebot, indem sie den politischen und ökonomischen Vorschlägen einen von ihr unterschriebenen Brief beifügte. In seiner ersten schriftlichen Antwort ignorierte der iranische Außenminister Manouchehr Mottaki zwar die Frage der Urananreicherung erklärte aber die Bereitschaft, "durch logische und konstruktive Schritte, eine gemeinsame Grundlage zu finden".
Laut der britischen Zeitung Guardian ist eine weitere diplomatische Geste der USA in Vorbereitung; man erwartet, dass das Weiße Haus im nächsten Monat eine amerikanische Interessenvertretung in der Schweizer Botschaft in Teheran eröffnen will. Das wäre das erste Mal seit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen nach dem Sturz von Schah Reza Pahlavi und der darauf folgenden Geiselnahme in der US-Botschaft 1979, dass amerikanische Diplomaten im Iran vertreten wären. Teheran hat signalisiert, dass es nicht von vornherein gegen einen solchen Schritt ist.
Druck, ein Abkommen zu schließen
Obwohl dieses diplomatische Kartenhaus sehr schnell zusammenfallen könnte, gibt es einen sehr starken Druck auf Teheran und Washington zu einer Übereinkunft zu kommen. Trotz weltweit hoher Ölpreise ist das iranische Regime im eigenen Land mit einer wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Krise konfrontiert, die durch die Sanktionen der UNO, der USA und der EU noch verschlimmert wird. Durch diese Sanktionen wurde der Zugang zu dringend benötigten Investitionen und dem internationalen Finanzsystem behindert. Die EU hat kürzlich neue Sanktionen gegen große iranische Banken verhängt, und der französische Ölgigant Total hat sich aus Plänen für ein 10-Milliarden-Dollar-Projekt zur Entwicklung des riesigen Süd-Pars-Gasfelds im Iran zurückgezogen.
Die Bush-Regierung hat sich bisher schon bei den Auseinandersetzungen mit den feindlichen Milizen im Irak in großem Maße auf die Hilfe der Iraner gestützt. Trotz der ständig wiederholten Litanei aus Washington, Teheran bewaffne und trainiere gegen die USA kämpfende Aufständische im Irak, hätten die Offensiven der USA und der irakischen Regierungstruppen, die sie von März an in Basra und Bagdad gegen die Mahdi-Armee des Geistlichen Moktada al-Sadr geführt hatten, ohne iranische Hilfe in einem demütigenden Debakel geendet. Iran übte starken Druck auf Sadr aus, seine Kämpfer anzuweisen, ihre Waffen niederzulegen und die amerikanischen und irakischen Truppen in die Gebiete zu lassen, die bisher Hochburgen der Mahdi-Armee waren.
Während die USA versuchen, ihre Besatzung des Irak zu stabilisieren, sind sie in Afghanistan mit einer wachsenden Aufstandsbewegung konfrontiert. In Afghanistan sind in den letzten zwei Monaten mehr amerikanische Soldaten gestorben als im Irak. Obendrein erhöhen die wachsenden Spannungen mit Pakistan wegen des Eindringens so genannter Taliban-Kämpfer die Gefahr weiterer US-Luftangriffe innerhalb von Pakistan, von Zusammenstößen an der Grenze und möglicherweise eines neuen gefährlichen Konflikts mit Pakistan selbst. Da sich die NATO-Verbündeten weigern, mehr Soldaten zu schicken, hat der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs Admiral Michael Mullen diese Woche angedeutet, dass das Pentagon voraussichtlich die US-Truppen in Afghanistan aufstockt. Die US-Kriegsmarine hat bereits den Flugzeugträger USS Abraham Lincoln aus dem Persischen Golf in Gewässer vor Afghanistan geschickt, um ihre Möglichkeiten für Luftangriffe zu verstärken.
In dem Maße, in dem der strategische Schwerpunkt sich verlagert, wird eine Übereinkunft mit dem iranischen Regime immer wichtiger. Mullen deutete die Opposition in der Führungsriege des US-Militärs gegen einen neuen Krieg im Iran an und erklärte kürzlich: "Jetzt sofort eine neue Front zu eröffnen wäre überaus belastend für uns ... Das heißt nicht, dass wir die Kapazität oder die Reserven nicht haben, aber es wäre wirklich eine große Herausforderung." In den letzten Wochen war Mullen an Gesprächen auf höchster Ebene mit israelischen Partnern beteiligt, bei denen der Iran ganz oben auf der Tagesordnung stand. Die meisten Berichte über die Treffen hinter verschlossenen Türen gehen davon aus, dass Mullens Aufgabe darin bestand, Israel von einem Angriff auf Irans Atomanlagen zurückzuhalten. Ein weiteres Zeichen für die Schwerpunktverlagerung war die vergleichsweise zurückhaltende Reaktion der Bush-Regierung auf die iranischen Raketentests Anfang des Monats.
Die USA bemühen sich eindeutig um iranische Hilfe sowohl im Irak als auch in Afghanistan, wo Teheran langjährige politische Beziehungen und Einfluss besitzt. Die Treffen zwischen dem amerikanischen und dem iranischen Botschafter in Bagdad, die im letzten Jahr aufgenommen wurden, waren ohne Zweifel eine Gelegenheit, um mehr zu diskutieren als nur die Sicherheitslage im Irak. Für seine anhaltende Unterstützung verlangt Teheran ohne Frage eine Gegenleistung: ein Ende der anhaltenden Konfrontation über sein Nuklear-Programm, eine Normalisierung der Beziehungen und vor allem ein Ende der ständigen Drohungen mit einem massiven US-Angriff.
Die Entscheidung, Burns zu den Verhandlungen in Genf zu schicken, ist ein Zeichen dafür, dass Rice, zumindest bis auf weiteres, grünes Licht bekommen hat, die Möglichkeiten auszuloten. Die Bush-Regierung hat aber schon gewarnt, dass eine weitere Weigerung des Iran, seine Atomanlagen abzuschalten und über das Maßnahmenbündel zu verhandeln, zu neuen Initiative im UN-Sicherheitsrat für härtere Sanktionen führen werde. Und während er seine Unterstützung für multilaterale Diplomatie betonte, bekräftigte Bush am 2. Juli nochmals, dass "alle Optionen auf dem Tisch liegen".
Beachtenswert ist die Reaktion des ehemaligen US-Botschafters bei der UNO, John Bolton, auf die Ankündigung von Burns Reise. Er beschimpfte die Entscheidung als "völlige Kapitulation" und erklärte: "Genau in dem Moment, in dem die Regierung keine 180-Grad-Wende mehr machen kann, dann tut sie es trotzdem. Dies ist ein weiterer Beweis für den vollständigen intellektuellen Zusammenbruch der Regierung." Dies zeigt einerseits, dass ein Teil des politischen Establishments der USA und des Weißen Hauses immer noch zu einem Krieg gegen den Iran entschlossen ist. Die extreme Verbitterung seiner Bemerkungen zeigt aber auch, dass die Anwesenheit von Burns bei den Verhandlungen nicht nur ein Trick ist, sondern der Beginn einer grundlegenderen Veränderung der Politik sein könnte.