Zehntausende Arbeiter und Studenten protestierten am 1. Mai in Dutzenden amerikanischen Städten für die Rechte der undokumentierten (illegalen) Arbeiter und aller anderen Einwanderer. Es gab Demonstrationen in Los Angeles und in vielen anderen Städten, einschließlich Washington, Milwaukee, New York, Chicago und Seattle.
Die Proteste richteten sich gegen staatliche Razzien in Fabriken und forderten die Legalisierung von mehr als zwölf Millionen illegal in den USA lebenden Arbeitern.
Viele Demonstranten trugen Schilder mit der Forderung nach Führerscheinen für undokumentierte Arbeiter, protestierten gegen die hohen Benzinkosten und forderten ein Ende des Irakkriegs. Im Demonstrationszug gab es auch viele legale Einwohner mit undokumentierten Verwandten, die sich scheuten, selbst zu demonstrieren.
Die Demonstrationszüge waren aus Anlass des Internationalen Tags der Arbeitersolidarität (1. Mai) organisiert worden und sehr viel kleiner als 2006, als knapp 1,5 Millionen Arbeiter in Los Angeles und Chicago zusammen mit hunderttausenden in fast 100 anderen Städten demonstrierten. Sie protestierten gegen die vom US-Repräsentantenhaus beschlossenen Gesetze, die jeden illegalen Arbeiter in den USA zum Verbrecher machten und jederzeit mit Inhaftierung bedrohten. Das gleiche Gesetz hätte jedem US-Bürger unter Androhung von juristischen Folgen verboten, Einwanderern ohne Visum zu helfen; einschließlich medizinischem Personal, Sozialarbeitern und Lehrern.
Im Gegensatz dazu waren die Zahlen dieses Mal mit ungefähr 10.000 Demonstranten in Los Angeles und weniger als 5.000 in New York City deutlich geringer. Größere Demonstrationen fanden auch in Chicago und Milwaukee statt, während in Houston und San Francisco nur wenige Hundert unterwegs waren. Die Demonstranten waren meist aus Mexiko und Zentralamerika. Andere Teilnehmer waren aus der Karibik, Südkorea und den Philippinen.
Ohne Zweifel hing der Rückgang der Zahl der Demonstranten im Großen und Ganzen mit dem Klima der Angst zusammen, das durch Rekordzahlen an Abschiebungen und Einwandererkontrollen von der Regierung im vergangenen Jahr geschaffen wurde. Zusätzlich dämonisieren beide großen Parteien und die Massenmedien illegale Arbeiter systematisch. Laut den Zahlen der US Einwanderer- und Zollbehörde stiegen die Abschiebungen aus den USA seit 2005 um fast 60%.
Inzwischen ist die US-mexikanischen Grenze buchstäblich militarisiert worden, mit der Folge, dass schätzungsweise elf Millionen mexikanische Einwanderer in die USA in der Falle sitzen - getrennt von ihren Familien, die sie auf der Suche nach Arbeit zurückließen.
Dieser Teil der Arbeiterklasse wurde auch von der schlimmer werdenden Wirtschaftskrise am schwersten getroffen, da die Krise mit die stärksten Auswirkungen auf Jobs auf Baustellen hat, wo sehr viele Einwanderer Arbeit finden.
Am Vortag der Demonstration berichtete die Interamerikanische Entwicklungsbank, dass drei Millionen lateinamerikanische Einwanderer in den USA seit zwei Jahren ihren Familien kein Geld mehr nach Hause schicken. Das ist eine Folge der schlechter werdenden wirtschaftlichen Lage.
Die republikanischen Senatoren bereiten inzwischen neue Gesetze vor, die nächste Woche eingebracht werden, um illegale Einwanderer in den USA zu kriminalisieren und zu verfolgen.
Der Gesetzentwurf würde die Verhaftung von Einwanderern ermöglichen, die beim Grenzübertritt aufgegriffen werden. Er erschwert, Bankkonten zu eröffnen und verlangt, als alleinige Amtsprache in Bundesdienststellen Englisch zu verwenden. Die Gesetzgebung sieht außerdem noch vor, Bundesausgaben für Staaten zu kürzen, die Fahrerlaubnisse an illegale Arbeiter ausgeben, und Städten das Geld zu kürzen, die ihren Polizeikräften die Festnahme von Personen aufgrund ihres Einwandererstatus’ verbieten.
Die Demonstranten trotzten dieser Welle der Unterdrückung. In Los Angeles schlossen sich über 700 High School Studenten den Demonstrationen an, ebenso Arbeiter einer Fabrik, die Anfang dieses Jahres von der Regierung kontrolliert worden war.
In Milwaukee riefen die Demonstranten Parolen, die die Kandidaten der Demokraten, Clinton und Obama aufforderten, gegen Einwanderer-Razzien einzutreten. Seit 2006 waren Fleisch-Verpackungs-Firmen in Minnesota und Iowa Zielscheibe von aggressiven Razzien der Einwanderer- und Zollbehörde (ICE) der US-Regierung.
Bei den diesjährigen Demonstrationen sprachen die Organisatoren der Wählerregistrierung und den kommenden Wahlen besondere Bedeutung zu. Der Los Angeles Times zufolge fordern Gruppen wie die Coalition for Humane Immigrant Rights, die We Are America Alliance und die SEIU, also Gruppen, die die Demokraten unterstützen, legale Einwanderer auf, sich um die US-Staatsbürgerschaft zu bemühen und sich für die Wahl registrieren zu lassen. Auf der Demonstration in Chicago gaben einzelne Arbeiter an, den Kandidaten wählen zu wollen, der in diesen Fragen die stärkste Position einnimmt.
Diese Strategie wird sich als Sackgasse herausstellen. Weder die beiden Konkurrenten um die Präsidentschaftskandidatur der Demokratischen Partei, Barack Obama und Hillary Clinton, noch Senator John McCain, der Kandidat der Republikaner, zeigten irgendeine Neigung, Regelungen zu fördern, die die Unterdrückung von Einwanderern beenden und ihnen Grundrechte als Arbeiter gewähren.
Clinton kombiniert eine harte Haltung in der Grenzsicherung und der Behandlung vorbestrafter Einwanderer - sie selbst ist für sofortige Ausweisung - mit der Zustimmung zu einem Gastarbeiterprogramm, um die Landwirtschaft und andere Bereiche mit einer ausreichenden Zahl von Billiglohnarbeitern zu versorgen. Obama’s Hauptstreitpunkt mit Clinton zu diesem Thema scheint die Frage einer Fahrerlaubnis für illegale Arbeiter zu sein. Sie ist gegen die Gewährung, er ist dafür.
Auf der Seite der Republikaner unterstützte McCain, früher das Gastarbeiterprogramm, nun ist er dafür, die Grenze zwischen den USA und Mexiko zu schließen.
In ihrem Kommentar zu den Demonstrationen versprach Clinton, in den ersten 100 Tagen im Amt ein Einwanderungsgesetz einzubringen. Senator Obama "enthielt" sich jedes konkreten Vorschlags und rief stattdessen alle Einwanderer auf, für ihre Rechte durch Registrierung zur Wahl zu kämpfen.
Keiner der Kandidaten hat dabei ernsthaft die Unmenschlichkeit der derzeitigen Einwanderergesetze angesprochen. Über 4.000 Einwanderer starben beim Überqueren der amerikanisch-mexikanischen Grenze seit Operation Gatekeeper 1994 unter Präsident Clinton eingeführt wurde. Dieses parteiübergreifend beschlossene Programm, war dazu bestimmt, den Zugang für Einwanderer aus Mexiko und Zentralamerika massiv einzuschränken. Es diente dazu, den Zug der Zuwanderer in die lebensfeindliche Wüste umzulenken.
Seitdem haben demokratische und republikanische Politiker gleichermaßen versucht, die Bewegung der Einwanderer zu unterdrücken und die Menschenrechte dieser Gruppe der Arbeiterklasse dem Profitstreben der US-Wirtschaft unterzuordnen. Dies trifft auf liberale Demokraten wie Obama und Clinton ebenso zu, wie auf diejenigen, die an den Fremdenhass der extremen Rechten appellieren, wie McCain.
Unternehmen der Landwirtschafts-, Bau- und Leichtindustriebranche in Kalifornien und auch in anderen Teilen des Landes äußern sich inzwischen besorgt über die zahlreichen Regierungsrazzien und die allgemeine Unterdrückung der Einwanderer. Der Los Angeles Times zufolge gab es im letzten Jahr 4.900 Razzien in Betrieben, das sind 21-mal so viel wie 2001. Die Zahl der verhafteten undokumentierten Einwanderer stieg von 2001 bis 2007 um 870 Prozent, von 510 auf 4.940. In einigen Fällen konnten Alleinerziehende nicht mehr nach Hause und ihre Kinder waren auf sich gestellt.
Schon über ein dutzend Kontrollen fanden in diesem Jahr im Bezirk Los Angeles statt. Im Vorort Van Nuys wurden 130 Einwanderer bei einer Razzia bei Micro Solutions verhaftet, einem Produzenten von Druckerzubehör. "Das ist nicht gut für das Geschäft", sagte Jack Kyser, Chef-Ökonom der Los Angeles County Entwicklungsgesellschaft. Eine neuere Studie ergab, dass zehntausende Jobs im Bereich Möbel-, Lebensmittel- und Modeindustrie verloren gingen, wenn nur einige dieser Firmen als Konsequenz der Einwanderer-Kontrollen gezwungen wären, den Staat zu verlassen.
Trotz der Proteste werden die ICE-Kontrollen fortgesetzt. Sogar als die Kundgebungen für Einwanderer überall in den USA stattfanden, schrieb Michael Chertoff, Chef der Homeland Security in einem Meinungsartikel im Leadership Journal des Ministeriums:
"In der Frage der illegalen Einwanderung sind die Amerikaner es müde, seit 30 Jahren mit Lippenbekenntnissen abgespeist zu werden. Sie wollen, das unsere Gesetze durchgesetzt werden. Ich habe meinem Ministerium Anweisung gegeben, diesem Mandat zu folgen und alle Instrumente zu nutzen, die das Gesetz zur Verfügung stellt." Er erklärte, das Ministerium werde "die Unternehmen zwingen, sich an die Gesetze zu halten, die die Beschäftigung Illegaler verbieten. Und wenn wir auf Illegale stoßen, dann werden wir sie abschieben."