Die Bush-Regierung hat den am Donnerstag fertig gestellten Bericht der Internationalen Atomenergieagentur (IAEO) umgehend zurückgewiesen. Der Bericht stellt fest, dass der Iran "deutliche Fortschritte" bei der Klärung der noch offenen Fragen seines Atomprogramms gemacht hat.
Die USA bekräftigten ihre Absicht, auf eine weitere Resolution des Weltsicherheitsrats zu drängen, die vom Iran verlangt, seine Urananreicherung und anderen Nuklearprogramme einzustellen. Der UNO-Botschafter der USA, Zalmay Khalilzad, erklärte, dass Washington "schmerzhaftere" Sanktionen gegen Teheran verlange, als die, die im Dezember vergangenen Jahres und im März verhängt worden waren.
Die Debatte über den jüngsten IAEO-Bericht ist nicht einfach eine Neuauflage früherer Argumente. Hinter Washingtons Forderung nach schärferen UN-Sanktionen steckt kaum verhüllt die Drohung mit einem einseitigen amerikanischen Militärschlag gegen die iranischen Atomanlagen. Als Reaktion auf die Erklärung des russischen Präsidenten Wladimir Putin vom vergangenen Monat, dass es "keine objektiven Beweise" für ein iranisches Atombombenprogramm gebe, hatte Bush erklärt, dass der Iran gehindert werden müsse, die Fähigkeit zum Bau der Bombe zu erwerben, "wenn man einen dritten Weltkrieg vermeiden" wolle.
Russland und China sind gegen eine neue Sanktionsresolution. Peking erklärte am Donnerstag, dass es das Recht des Iran auf ein friedliches Atomenergieprogramm unterstütze. Offene Fragen zu seinen nuklearen Ambitionen sollten durch Verhandlungen mit der IAEO geklärt werden. US-Botschafter Khalizad reagierte mit den Worten: "Ich glaube nicht, dass China daran interessiert ist, die Folgen eines Scheiterns der Diplomatie zu verantworten." Im Lexikon der Bush-Regierung bedeutet "das Scheitern der Diplomatie" nur eines: den Rückgriff auf militärische Gewalt.
Von Anfang an hat das Weiße Haus den im August zwischen der IAEO und Teheran vereinbarten "Arbeitsplan" kritisiert, der alle noch offenen Fragen zu Irans Atomprogrammen klären sollte. Die USA legten formell Beschwerde gegen IAEO-Chef ElBaradei ein, weil er seine Vollmachten überschritten habe. Als Russland und China ihre Zustimmung zu einer sofortigen neuen UN-Resolution verweigerten, zog Washington vorläufig zurück. Der Grund für die ablehnende Haltung der USA ist offensichtlich: Wenn die offenen Frage geklärt würden, dann fiele die formelle Anklage gegen den Iran in sich zusammen - nämlich der Vorwurf, dass Teheran früher nicht über alle seine nuklearen Aktivitäten ausreichend Auskunft gegeben habe.
Das Fehlen objektiver Beweise für ein iranisches Atomwaffenprogramm hat die Bush-Regierung allerdings nicht daran gehindert, ihre Propagandakampagne gegen Teheran hochzufahren. Vertreter der Bush-Regierung setzen regelmäßig die "Fähigkeit", eine Atombombe zu bauen, mit dem Fortschritt des Iran bei der Urananreicherung in seiner Fabrik in Natanz gleich. Die Urananreicherung ist nach dem Atomwaffensperrvertrag (NPT), dem der Iran beigetreten ist, erlaubt. Wenn man Bushs Erklärung, man müsse dem Iran das "Wissen" verweigern, wie man eine Atombombe baut, konsequent zu Ende denkt, dann müsste man ihm jedwede Nuklearforschung oder -aktivität verbieten.
Die überhitzte Rhetorik des Weißen Hauses findet ihr Echo auch in den internationalen Medien. So titelt z.B. die Londoner Times unter Bezug auf den IAEO-Bericht: "Iran könnte in einem Jahr Atombombe bauen, sagt nukleare Überwachungsagentur". In Wirklichkeit sagt die IAEO nichts dergleichen, sondern berichtet schlicht und ergreifend, dass Teheran inzwischen 3.000 Gaszentrifugen in seiner Anlage in Natanz laufen hat. Diese Zahl an Zentrifugen wird als notwendig angesehen, um genug angereichertes Uran für eine Bombe zu produzieren. Sie ist von den USA und Israel zunehmend als die "rote Linie" für ein Vorgehen gegen den Iran propagiert worden.
In einer Stellungnahme gegenüber Le Monde hat IAEO-Direktor ElBaradei jüngst erklärt, dass der Iran noch drei bis acht Jahre vom Bau einer Bombe entfernt sei und keine unmittelbare Gefahr darstelle. Selbst ElBaradeis Schätzung unterstellt, dass der Iran seine Anlage in Natanz auf die Produktion hoch angereicherten Urans umstellt. Die Fabrik unterliegt gegenwärtig der Kontrolle durch die IAEO, die bestätigt, dass der Iran nur schwach angereichertes Uran für den Einsatz in Atommeilern zur Stromproduktion produziert.
Gesteuerte undichte Stellen
Der Bericht der IAEO von dieser Woche wird offiziell erst nach einem Treffen des Gouverneursrats der IAEO in der nächsten Woche veröffentlicht. Trotzdem stützt die Bush-Regierung sich schon auf Teile des Berichts, um ihre Kritik am Iran zu erneuern und die völlige Schließung seiner Nuklearanlagen zu fordern. Der US-Gesandte bei der IAEO, Greg Schulte, kritisierte die Kooperation des Iran mit der IAEO als "selektiv und unvollständig" und fügte hinzu: "Der Iran entspricht nicht der Erwartung der Weltgemeinschaft, Informationen über seine aktuellen und vergangenen Programme offen zu legen."
CNN hob in einem Artikel mit dem Titel "UN verlieren Kontrolle über iranischen Atomplan" die Bemerkung der IAEO hervor, dass sie seit Anfang 2006 "nicht mehr die Informationen erhalten hat, die der Iran bis dahin zur Verfügung gestellt hat" und dass sein "Wissen über das aktuelle Atomprogramm des Iran geringer wird". Er zitierte auch die Einschätzung der IAEO, dass "die Kooperation des Iran eher reaktiv als aktiv war. Wie schon früher erklärt, sind die aktive Kooperation des Iran und volle Transparenz unverzichtbar für eine volle und schnelle Umsetzung des Arbeitsplans."
Die Erwähnung von "geringer werdendem Wissen" und die Forderung nach besserer Kooperation sind schwerlich neu. Ähnliche Bemerkungen finden sich in jedem IAEO-Bericht der letzten beiden Jahre. In diese Zeit fallen die Bemühungen der USA für UN-Sanktionen, auf die der Iran mit einer Beschränkung des Zugangs für die IAEO zu seinen Atomanlagen reagierte. Nachdem die IAEO den Iran vor den UN-Sicherheitsrat gebracht hatte, beendete Teheran im Februar 2006 seine freiwillige Zustimmung zu intensiveren Inspektionen.
Andere Medien haben darauf hingewiesen, dass der jüngste IAEO-Bericht ein "gemischtes" Bild des iranischen Nuklearprogramms zeichnet. Auf der einen Seite fordert er mehr Kooperation, anerkennt aber gleichzeitig, dass der Iran den Kontakt zu wichtigen Personen seines Atomprogramms ermöglicht und befriedigend auf Fragen der IAEO geantwortet hat. Es wird berichtet, dass in großen Teilen des Berichts Details über den Erwerb von Zentrifugen über das so genannte Schwarzmarktnetzwerk des führenden pakistanischen Atomwissenschaftlers Dr. Abdul Kader Khan gegeben werden. Der Abschluss des "Arbeitsplan" ist nicht vor Ende nächsten Monats terminiert.
Der ausgesprochen selektive Gebrauch des IAEO-Berichts durch die Bush-Regierung und ihre aggressive Haltung gegen ElBaradei erinnern an die Lügenkampagne über die nicht existierenden Massenvernichtungswaffen des Irak vor der amerikanischen Invasion im Irak. Wie damals beim Irak behauptet das Weiße Haus auch jetzt, dass der Iran ein geheimes Nuklearprogramm betreibt, das er vor der IAEO verbirgt. Jeden Schritt Teherans, die Fragen der IAEO zu beantworten, beantwortet Washington mit neuen Fragen und Forderungen. Der Prozess ist endlos, da es für den Iran nicht möglich ist, ein Negativum zu beweisen, nämlich dass es auf seinem großen Territorium nirgendwo geheime Anlagen gibt.
Einem Artikel von Associated Press vom Dienstag war zu entnehmen, dass die USA, Großbritannien und Frankreich ihre Erwiderung auf den Bericht der IAEO schon längst in der Schublade hatten. Alle drei haben inoffiziell ein Dokument herumgereicht, in dem Dutzende neue Fragen zusammengestellt wurden, die die IAEO zu untersuchen habe.
Frankreich verlangt eine detaillierte "Chronologie der Kontakte" des Iran mit dem Netzwerk von Khan und will wissen, warum der Iran Komponenten der Zentrifugen in militärischen Anlagen herstellen lässt. Großbritannien zweifelte die IAEO an und stellte wiederholt ihre Schlussfolgerungen in Frage: "Was gibt der Agentur das Vertrauen, dass die Erklärungen des Iran jetzt soweit richtig und vollständig sind?" Die USA forderten "Zugang zu allen Personen, Anlagen, Ausrüstungen und Materialien", die Aufschluss über die Vermutung geben können, dass die früheren Anreicherungsaktivitäten weiter entwickelt waren, als Teheran zugibt, und in Verbindung zum Militär standen.
Eine andere Initiative, die nach einem schmutzigen Trick der Bush-Regierung riecht, ist ein Artikel in der New York Times von gestern, in dem behauptet wird, dass der Iran in den "letzten neun Jahren mindestens 75 Mal daran gehindert wurde, in Zusammenhang mit Nuklearaktivitäten stehendes Material zu kaufen, weil der Verdacht bestand, dass sie für den Bau von Bomben verwendet werden sollten." Die vertrauliche Information von der Nuklearen Versorgungsgruppe war praktischer Weise an die Zeitung "durchgesickert worden" von "Diplomaten eines Landes, das daran interessiert war, das Ausmaß der Anstrengungen des Iran zu entlarven, doppelt nutzbare Industrieprodukte zu erwerben, die auch für die Waffenproduktion verwendet werden können."
Ganz am Ende des Artikels war die Tatsache versteckt, dass die "in Zusammenhang mit Nuklearaktivitäten stehenden Materialien" so unschuldige Dinge wie Nickelpuder, Elektronenmikroskope, Massenspektrometer und Laser umfassten, die auf vielfache Weise Anwendung finden. Auch hier gibt es eine Parallele zum Irak. Vor 2003 nutzte die US-Regierung das UN-Verbot von Dual Use Waren um die irakische Ökonomie und Infrastruktur zu unterhöhlen.
Das Hochkochen der amerikanischen Propaganda gegen den Iran hat nichts mit seinen angeblichen Atomprogrammen zu tun, oder seiner "Einmischung" im Irak - dem anderen offiziellen Vorwand für einen neuen Krieg. In Wirklichkeit bereitet sich die Bush-Regierung aktiv auf eine militärische Konfrontation mit dem Iran vor, weil ihr nur noch ein Jahr im Amt bleibt.
Das Ziel einer amerikanischen Militäraktion gegen den Iran wäre nicht einfach die Zerstörung seiner Nuklearanlagen, sondern dahinter stehen die amerikanischen Ambitionen, ihre beherrschende strategische und ökonomische Rolle in der ganzen rohstoffreichen Region des Nahen und Mittleren Ostens und Zentralasiens zu sichern. Die sich verschärfenden Spannungen mit Russland und China deuten auf einen neuen Konflikt hin, der das Potential hat, sich in einen großen Krieg auszuweiten, in den auch die Großmächte hineingezogen werden.