Der Vorsitzende der US-Notenbank Ben Bernanke kündigte bei einer Anhörung vor dem Wirtschaftsausschuss des Kongresses weitere Probleme an und präsentiert eine düstere Wirtschaftseinschätzung. Er sprach einen Tag nachdem die amerikanischen Aktienmärkte angesichts von wachsenden Verlusten der Banken, in die Höhe schießenden Ölpreisen und einem Rekordtief des US-Dollars stark nachgegeben hatten.
Bernanke gestand ein, dass sich die US Immobilien- und Kreditkrise, die sich aus dem immer häufigeren Kollabieren von zweitklassigen Hypotheken entwickelt hat, seit dem Austrocknen der Kreditmärkte im letzten August weiter verschlimmert hat. Er prognostizierte einen scharfen Rückgang des US-Wirtschaftswachstums im vierten Quartal 2007 und Anfang 2008.
Er erklärte, die Immobilienkrise werde sich in den kommenden Monaten noch verschärfen, da Millionen von Hausbesitzern mit wesentlich höheren Zinsen rechnen müssten, wenn die neuen Zinssätze wirksam werden. Er deutete an, dass sich die Krise an der Wall Street zu einer ausgewachsenen Rezession ausweiten könnte.
Am Mittwoch fiel der Dow Jones Index um 360,92 Punkte und machte damit alle Gewinne zunichte, die seit der Zinssenkung der US-Notenbank vom 18. September erzielt worden waren. Der Standard & Poors 500-Index fiel um 44,65 Punkte, während der Nasdaq Composite-Index 76,42 Punkte verlor. Der Absturz an der Wall Street wurde durch eine Reihe von Entwicklungen ausgelöst, welche die Tiefe der Finanzkrise unterstreichen.
Als der Dollar seinen tiefsten Stand gegenüber dem Euro und anderen Währungen erreichte, erklärten chinesische Regierungsbeamte, die Schwäche des US-Dollars könnte sie dazu veranlassen, ihre 1,43 Billionen Dollar an Devisenreserven in stärkere Währungen wie den Euro umzudirigieren. Ein Vizedirektor der chinesischen Zentralbank erklärte auf einer Konferenz, der Dollar sei dabei "seinen Status als der Weltwährung zu verlieren".
Die US-Wirtschaft, die unter massiven Handelsbilanz- und Leistungsbilanz-Defiziten leidet, hängt für das Funktionieren ihres Finanzsystems von tagtäglichen Kapitalzuflüssen in Milliarden-Höhe aus China, Japan und anderen Ländern ab. Jegliche signifikante Minderung dieser Kapitalzuflüsse würde zu einem Zusammenbruch des Dollars, massiven Zinserhöhungen, einer tiefen Rezession und der Möglichkeit einer US-amerikanischen und globalen Depression führen.
Ebenfalls am Mittwoch kritisierte der französische Präsident Nicolas Sarkozy in einer Rede vor dem US-Kongress die "Auswüchse" der Wall Street und den schwachen Dollar und warnte davor, dass "monetäre Störungen das Risiko bergen, sich in einen Wirtschaftskrieg zu verwandeln". Sarkozy spricht für die europäische Bourgeoisie, die in wachsendem Maße über die US- Währungspolitik verärgert ist, die die Preise für US-Exporte gesenkt und europäische Importe verteuert hat und allmählich ernste Auswirkungen für europäische Unternehmen zeigt.
Am selben Tag erreichten die Ölpreise auf dem Terminmarkt, die im letzten Jahr um mehr als 65 Prozent gestiegen waren, zum ersten Mal die Marke von 98 Dollar pro Barrel. Man erwartet jetzt, dass die Benzinpreise in den USA - die im letzten Monat schon erheblich höher lagen - dem Anstieg des Öls folgen und die Heizkosten für die Amerikaner in diesem Winter noch kräftiger steigen, als ursprünglich befürchtet wurde.
Der Niedergang der so genannten besicherten Schulddarlehen (Collateralized Debt Obligations, CDOs) und anderer an die zweitklassigen Kredite gebundenen Papiere setzte sich fort, als die Wall Street Investmentbank Morgan Stanley eine Abschreibung von 3,7 Milliarden Dollar für das vierte Quartal ankündigte und erklärte, ihre Verluste könnten auf 6 Milliarden Dollar steigen. Sie schloss sich damit anderen Größen wie Citigroup, Merrill Lynch und Goldman Sachs an, die Abschreibungen in Höhe von mehreren Milliarden Dollar auf dem Gebiet risikoreicher, hochverzinslicher Investitionen in Immobilien und in anderen Formen finanzieller Spekulationen angekündigt haben.
Bis jetzt belaufen sich die geschätzten Verluste von Finanzinstituten in diesem Jahr auf 55 Milliarden Dollar. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Der Chef-Kreditstratege bei der Royal Bank of Scotland gab am Mittwoch einen Bericht heraus, in dem geschätzt wird, dass die Kreditkrise zu einem Verlust von 250 bis 500 Milliarden Dollar bei Banken und Finanzmaklern überall auf der Welt führen wird. Der obere Wert dieser Schätzung entspricht dem Börsenwert der drei größten US-Banken Citigroup, JP Morgan Chase und Bank of America zusammengenommen.
Zur Stimmung von Angst und Krise an der Wall Street hat auch noch die Ankündigung der American International Group, der größten Versicherungsgesellschaft der Welt, beigetragen, sie habe im dritten Quartal Investitionen im Wert von fast 2 Milliarden Dollar im Zusammenhang mit Hypotheken abgeschrieben und erwarte im nächsten Quartal eine weitere Abschreibung von 550 Millionen Dollar; dazu kam noch eine Warnung der Spar- und Darlehensgesellschaft Washington Mutual, dass sie vor massiven Kreditverlusten stehe. Die Aktien von Washington Mutual fielen am selben Tag um 17 Prozent.
Und schließlich musste General Motors einen Verlust von 39 Milliarden Dollar bei seinen Ergebnissen im dritten Quartal hinnehmen, der vor allem steuertechnisch notwendigen Wertberichtigungen geschuldet ist.
Die Krisenstimmung bei Bernankes Auftritt vor dem Kongress wurde weiter angeheizt durch Zahlen über den Einzelhandelsumsatz, die am Donnerstagmorgen veröffentlicht wurden, und die niedriger ausgefallen sind als erwartet. Die Zahlen, die lustlosen Umsatz zeigen, deuten darauf hin, dass die Verbraucherausgaben - die 70 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmachen - aufgrund sinkender Immobilienwerte, vermehrter Zwangsvollstreckungen, in die Höhe schießender Kosten für Benzin und Heizung und einer tief greifenden wirtschaftlichen Unsicherheit stark zurückgehen. Die Berichte geben eine trostlose Prognose für die Weihnachtssaison, von der die Einzelhändler und die US-Wirtschaft im Ganzen in großem Maße abhängig sind.
Das Klima für Bernankes Auftritt vor dem Kongress wurde von der Eröffnungsrede des Senators von New York, Charles Schumer, dem Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses bestimmt. Der als verlässliches Sprachrohr der Wall-Street-Interessen bekannte Demokratische Senator, begann mit der Feststellung, dass seit dem letzten Auftritt von Bernanke vor dem Ausschuss im März, "der Hypothekenschlamassel im Gegensatz zu Ihrer damaligen Behauptung nicht in Schach gehalten’ wurde, sondern sich stattdessen als Seuche herausgestellt hat, die sich auf gefährliche Weise nicht nur im Immobilienmarkt, sondern in unserer Wirtschaft und dem globalen Finanzsystem ausgebreitet hat."
Schumer erklärte, dass, nachdem "die Kreditmärkte" im Sommer "erfasst wurden", "es jetzt auf allen Märkten einen Mangel an Vertrauen in die Kreditwürdigkeit gibt".
Er fuhr fort: "Obwohl wir den Sommersturm überstanden haben, bin ich dennoch sehr beunruhigt, dass ein noch größerer Sturm am Horizont auftauchen könnte. Offen gestanden glaube ich, dass die Wirtschaftskrise sich an einem Punkt befindet, der von vier Schlüsselbereichen bestimmt wird: von fallenden Immobilienpreisen, mangelndem Vertrauen in die Kreditwürdigkeit, dem schwachen Dollar und den hohen Öl-Preisen. Jedes dieser Probleme würde für sich allein schon ausreichen, unser wirtschaftliches Wohlergehen zu bedrohen. Aber zusammengenommen sind sie im Grunde die vier apokalyptischen Reiter der Wirtschaftskrise...
Selbst unsere fundamentalsten Annahmen werden in Zweifel gezogen. Während die Immobilienpreise sinken, gibt es reale Befürchtungen, dass wir uns nicht darauf verlassen können, dass die Konsumenten - der Motor unserer Wirtschaft in den letzten Jahren - weiterhin kaufen. Und jetzt hören wir, dass ausländische Investoren möglicherweise kein Vertrauen mehr in den Dollar als Weltwährung haben. Ich wundere mich nicht, dass Experten wie Ihr Vorgänger Alan Greenspan vor einer drohenden Rezession warnen. Ich fange an, mir Sorgen um noch Schlimmeres zu machen.
Speziell wenn ich sehe, wie eine Bank nach der anderen schlechte Anlagen abschreibt, die an derart groteske Finanzinstrumente geknüpft sind, dass selbst erfahrene Anleger sie nicht verstehen, dann bange ich um die Stabilität unseres Finanzsystems."
Bernanke bot wenig Trost. Er stellte fest, dass das Bruttosozialprodukt im dritten Quartal kräftig um 3,9 Prozent gestiegen sei. Er warnte jedoch, dass eine solche Steigerungsrate wegen der "anhaltenden Wertberichtigungen" auf dem Immobilienmarkt nicht aufrechterhalten werden könne, und fügte hinzu, dass die Inflation wegen des "jüngsten Anstiegs der Energiepreise zwangsläufig steigen werde".
Er gab zu, dass die Finanzmärkte unter "erheblichem Druck" bleiben würden und erklärte, die "Finanzturbulenzen" seien durch die "Befürchtungen der Investoren in Bezug auf die Kreditqualität von Hypotheken ausgelöst worden, speziell der zweitklassigen Kredite mit variablen Zinssätzen". Er sprach von der "anhaltenden Zunahme der Fälle mit gravierendem Zahlungsverzug bei solchen Hypotheken", und warnte davor, dass diese Zahl noch weiter steigen werde, "da eine beträchtliche Zahl an zweitklassigen Krediten jüngeren Jahrgangs ihre erste Zinssatz-Anpassung erst jetzt durchmachen".
Er erklärte, dass von jetzt bis Ende 2008 in jedem Quartal durchschnittlich fast 450.000 zweitklassige Hypotheken entsprechend ihrem zeitlichen Ablauf ihrer ersten Zinssatz-Anpassung unterzogen werden, und dass der daraus resultierende "Abzahlungsschock" mit einem Sinken der Immobilienpreise und einer Verschärfung der Bedingungen bei der Kreditgewährung zusammenkommen wird. "Ein starker Anstieg an zwangsvollstreckten Häusern, die zum Verkauf angeboten werden", erklärte er, "könnte auch den schon angeschlagenen Immobilienmarkt weiter schwächen und auf diese Weise unter Umständen sogar die übrige Wirtschaft."
Bernanke setzte die Immobilien- und Hypotheken-Krise in Beziehung zur Krise auf den Kreditmärkten, indem er erklärte, früher seien die meisten Hypotheken von den Firmen gehalten worden, die sie ausgegeben hatten. Heute dagegen werden Hypotheken "für gewöhnlich in hypothekarisch gesicherten Wertpapieren oder Darlehensprodukten gebündelt, von Kreditagenturen bewertet und dann an Investoren verkauft".
Mit eher diplomatischen Worten kommentierte er den Zusammenbruch des daraus resultierenden Finanzspekulationsgefüges und erklärte: "Da die Hypothekenverluste angewachsen sind, haben die Investoren die Verlässlichkeit der Kreditbewertungen in Frage gestellt, speziell diejenigen von strukturierten Produkten" - wie z. B. CDOs.
Da niemand den wirklichen Wert dieser Anlagegüter kennt, "führte der Vertrauenslust in die Kreditbewertungen... zu einem starken Einbruch bei der Nachfrage nach diesen Produkten". Mit anderen Worten, Banken und andere Finanzinstitute, die im Besitz dieser Wertpapiere sind, sind nicht in der Lage sie abzustoßen, es sei denn zu Schleuderpreisen, was unter Umständen zu katastrophalen Verlusten in ihren Bilanzen führt.
Bernanke erklärte weiter, dass der Zusammenbruch des Vertrauens in hypothekarisch gesicherte Wertpapiere sich auf so gut wie alle Bereiche des Kreditmarktes ausgedehnt habe, darunter auch auf Wertpapiere, gesichert durch Jumbo-Hypotheken von an sich kreditwürdigen Immobilienkäufern, und auf kommerzielle Wechsel, die zwischen Firmen gehandelt werden. Der Markt für Firmenaufkäufe mit Kreditmitteln, der in den letzten Jahren in hohem Maße den Börsenboom angeheizt hatte, ist ausgetrocknet, und die Banken sind bei der Kreditvergabe an Kunden und untereinander zunehmend zurückhaltend.
"Diese Ereignisse" erklärte der Vorsitzende der Notenbank, "bedeuten eine starke finanzielle Bremse für das Wirtschaftswachstum, da Kredite teurer werden und schwer zu bekommen sind."
Die kurzfristigen Folgen, erklärte Bernanke, seien ein weiterer Rückgang im "Immobilienbereich" und ein langsameres Wachstum bei den Konsumausgaben." Insgesamt "erwarte" die Notenbank, "dass sich das Wachstum der Wirtschaft im vierten Quartal gegenüber dem dritten Quartal deutlich verlangsamen wird". Mit einem optimistischen Ausblick angesichts dieser trostlosen Situation erklärte er, das Wachstum werde zwar zu Beginn des Jahres 2008 "schleppend" bleiben, sich aber steigern, "wenn die Auswirkungen der strikteren Kreditvergabe und der Immobilienbereinigung nachlassen werden".
Er räumte jedoch das "Risiko eines Kursrückgangs" angesichts der sich verschärfenden Finanzkrise ein, das "dazu führt, dass die Kreditbedingungen noch restriktiver werden als erwartet". Auch das stärker als erwartete Nachgeben der Immobilienpreise berge weitere Risiken, weil es "die Bereitschaft der Konsumenten zum Geld ausgeben verringert und die Bedenken der Investoren in Bezug auf Hypothekenkredite erhöht".
Er erwähnte auch die "Risiken eines Kursaufschwungs" mit einer wesentlich höheren Inflation wegen steigender Ölpreise und einem immer schwächeren Dollar.
Er schloss mit seiner üblichen Erklärung, die Notenbank werde "auch weiterhin sorgfältig die Folgen der neuen wirtschaftlichen Daten und der Entwicklungen auf den Finanzmärkten für die Zukunftsaussichten abschätzen und entsprechend handeln, um die Preisstabilität und ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu unterstützen".
Die anfängliche Reaktion der Wall Street auf Bernankes Anhörung war ein starker Kursrückgang - der Dow Jones fiel um mehr als 200 Punkte. Am Donnerstagabend hatte der Dow Jones den größten Teil seiner Verluste wieder aufgeholt und schloss mit -33,7 Punkten. Der Technologie-Index Nasdaq fiel jedoch um 52,76 oder 1,3 Prozent. Dies war vor allem zurückzuführen auf eine negative Prognose des Netzwerk-Riesen Cisco, dessen Aktien um 10 Prozent fielen, was dazu führte, dass in größerem Umfang Hi-Tech-Aktien abgestoßen wurden.
Die Erholung speziell bei Bank- und Finanz-Aktien könnte auf die verbreitete Annahme zurückzuführen sein, dass Bernankes Bericht so düster war, dass er auf eine erneute Senkung des Zinssatzes hindeutet, wenn sich der Offenmarktausschuss der Notenbank das nächste Mal am 11. Dezember trifft. Obwohl viele an der Wall Street nach weiteren Zinssenkungen rufen, weil sie hoffen, dass ein größerer Zufluss an billigen Krediten sie vor den Auswirkungen jahrelanger finanzieller Manipulationen und offener Betrügereien retten möge, können solche Maßnahmen die wachsende Krise des amerikanischen und des globalen Kapitalismus nicht lösen.
Kurzfristig wird das die Krise des Dollars nur verschärfen und die Bedingungen für eine galoppierende Inflation schaffen. Und in noch grundlegenderem Sinne verschlimmert eine solche Politik die zugrunde liegende Instabilität und Überschuldung des Finanzsystems.
Bernankes Anhörung weist auf den Tag der unausweichlichen Abrechnung hin, an dem das enorme wirtschaftliche Ungleichgewicht, die dem kapitalistischen Markt innewohnende Anarchie und das zügellose Schmarotzertum, speziell des amerikanischen Kapitalismus, eine wirtschaftliche und soziale Katastrophe hervorbringen.