Pakistan: Bhutto wirft Militär Mitverantwortung am Attentat vor

Auch mehrere Tage nach der verheerenden Explosion im Autokonvoi der zweimaligen pakistanischen Ministerpräsidentin Benazir Bhutto in Karatschi hat noch keine Gruppe die Verantwortung für das Attentat übernommen.

Bhutto war am 18. Oktober nach achtjährigem Exil nach Pakistan zurückgekehrt. Sie blieb selbst unverletzt. Der Bombenanschlag gilt als schlimmster Terroranschlag in der Geschichte Pakistans. Die meisten der 136 Toten und mehreren Hundert Verletzten waren Mitglieder und Sympathisanten von Bhuttos Pakistanischer Volkspartei (PPP), darunter auch fünfzig Mitglieder einer Sicherheitsgruppe der PPP.

Die von den USA unterstützte Militärregierung Pakistans hat islamisch fundamentalistische Gruppen wie die Taliban, al-Qaida und ähnlich gesinnte pakistanische Gruppen für den Anschlag verantwortlich gemacht.

In den vergangenen Wochen hatten mehrere dieser Gruppen öffentlich zur Ermordung Bhuttos aufgerufen. Die Politikerin wird von der Bush-Regierung unterstützt, weil sie von den pakistanischen Streitkräften ein gnadenloses Vorgehen gegen die an Afghanistan grenzenden Stammesgebiete fordert und zur Zusammenarbeit mit General Pervez Musharraf bereit ist. Musharraf war 1999 durch einen Putsch an die Macht gelangt und hat entscheidende logistische Unterstützung für die amerikanische Besetzung Afghanistans geleistet.

Auf einer Pressekonferenz am 19. Oktober stellte Bhutto die Version der Regierung über die Verantwortlichkeit für den Bombenanschlag in Karatschi in Frage. Sie hielt es zwar für möglich, dass islamische Extremisten den Anschlag ausgeführt haben, bestand aber darauf, dass er von "gewissen Personen gelenkt wurde, die ihre Stellung missbraucht haben".

Bhutto fügte hinzu, sie habe kürzlich einen Brief an Präsident Musharraf geschrieben, der die Namen von Mitgliedern seiner Regierung und der Sicherheitskräften anführe, die sich gegen sie verschworen hätten.

Schon früher hatte Bhutto dem französischen Magazin Paris-Match gesagt: "Ich weiß genau, wer mich töten will Es sind Würdenträger des früheren Regimes von General Zia, die heute hinter dem Extremismus und Fanatismus stehen."

Zia - der den Vater Benazir Bhuttos, Zufilkar Ali Bhutto stürzte und erhängen ließ - stand an der Spitze einer brutalen Diktatur, die im Auftrag Washingtons Mudschaheddin-Kämpfer für den Kampf gegen die Sowjettruppen in Afghanistan organisierte, bis Zia 1988 ermordet wurde.

Bhutto vermied es aber sorgfältig, Musharraf oder das Oberkommando der Armee mit dem Anschlag in Verbindung zu bringen. Sie distanzierte sich damit von Äußerungen ihres Ehemanns Asif Ali Zadari, der sich noch in Dubai aufhält.

In den Stunden unmittelbar nach dem Anschlag hatte Zadari im Fernsehen erklärt: "Ich mache die Regierung verantwortlich." Er fügte hinzu, dass die PPP ihre Abmachung mit der Regierung Musharraf überdenken müsse.

Bhutto forderte eine Untersuchung, um festzustellen, warum die Straßenbeleuchtung entlang ihrer Fahrtroute Stunden vor ihrer Fahrt vom Flughafen zum Mausoleum des pakistanischen Staatsgründers abgeschaltet worden war. "Bei Sonnenuntergang", erklärte Bhutto, "stellten wir fest, dass die Straßenbeleuchtung ausgeschaltet worden war. Unsere Sicherheitsleute hatten Schwierigkeiten, Attentäter zu identifizieren, weil sie nichts sehen konnten."

Zusätzlich zu Bhuttos eigenen Sicherheitskräften hatte die Regierung Tausende Polizisten mobilisiert, um den Triumphzug der PPP zu schützen.

Es ist immer noch unklar, wie genau der Anschlag organisiert wurde. Laut Bhutto waren bis zu vier Attentäter beteiligt. Der Innenminister der Provinz Sindh, Ghulam Mohatarem, sagte dagegen auf einer Pressekonferenz am Freitag, der Anschlag sei von einem einzelnen Selbstmordattentäter verübt worden.

Laut einem Artikel der Zeitung Dawn vom Freitag glaubten Überlebende, die Explosion sei von einem Polizeiauto ausgegangen, und begannen, die Sicherheitskräfte der Regierung zu beschimpfen und anzugreifen.

Andere Presseberichte erklären, inzwischen werde allgemein akzeptiert, dass der Eindruck, das Polizeifahrzeug sei der Ausgangspunkt der Explosion, entstanden sei, weil es den Weg des Selbstmordattentäters zu dem gepanzerten Fahrzeug Bhuttos blockiert habe und dadurch mit voller Wucht von der Explosion getroffen worden sei.

Es ist zweifellos möglich, dass der Bombenanschlag von Teilen der pakistanischen Sicherheitskräfte eingefädelt wurde, die über die zahlreichen Wendungen verstimmt sind, die Washington Islamabads Außenpolitik aufgezwungen hat. Dazu gehören das Fallenlassen des Taliban-Regimes in Afghanistan im September 2001 und der weitgehende Entzug der Unterstützung für islamistische Aufständische gegen Indien in Kaschmir und anderswo. Unter dem Druck der USA ist Pakistan gegen Aufständische in der Provinz Wasiristan vorgegangen, was schwere militärische Verluste zur Folge hatte, gar nicht zu reden von den Opfern unter der Zivilbevölkerung und der wiederholten Weigerung paschtunischer Soldaten und Offiziere, gegen ihre Stammesbrüder zu kämpfen.

Aber die Liste derer, die ein Interesse haben könnten, Bhutto zu ermorden, ist nicht auf islamistische Terroristen und Aufständische, Teile des militärischen Establishments, die diese decken, und Militärs, die ihre Stellung durch die Umbildung der pakistanischen Regierung bedroht sehen, beschränkt. Es ist bekannt, dass sich auch viele Verbündete Musharrafs, besonders in der Führung der vom Militär gesponserten PML (Q) [Pakistan Muslim League], heftig gegen das Machtteilungsabkommen mit Bhutto wehren, weil sie befürchten, an den Rand gedrängt zu werden.

Die Verwaltung der Provinz Sindh und ihrer Hauptstadt Karatschi wird vom Muttahida Quami Movement (MQM) gestellt, das schon früher gewaltsam mit der PPP aneinander geraten ist. Am 12. und 13. Mai vergangenen Jahres griff das MQM mit Billigung Musharrafs Sympathisanten der PPP in Karatschi gewaltsam an und tötete 40 von ihnen.

Der Bombenanschlag hat die schon äußerst angespannte politische Lage weiter verschärft.

Kurz vor der Scheinwahl des Präsidenten am 6. Oktober war es der Bush-Regierung gelungen, eine Übereinkunft zwischen Musharraf und Bhutto zustande zu bringen. Damit verhinderte sie, dass die PPP gemeinsam mit den anderen Oppositionsparteien die Legitimation der Wahl in Frage stellte, indem sie ihre Abgeordneten aus dem Parlament zurückzog. Aber es gibt immer noch große Differenzen über die Machtbefugnisse des Präsidenten. Bhutto erhebt außerdem für die Zeit nach den Wahlen im kommenden Januar Anspruch auf den Posten der Premierministerin. Das würde eine Verfassungsänderung voraussetzen, weil bisher niemand öfter als zweimal Premierminister sein darf.

Musharraf hatte an Bhutto appelliert, erst zurückzukehren, nachdem der Oberste Gerichtshof über die Verfassungsmäßigkeit der Präsidentschaftswahl und seines Anspruchs, gleichzeitig Präsident und Oberkommandierender der Streitkräfte zu sein, geurteilt hat.

Musharraf, seine Berater und Kumpane haben mehrfach angedeutet, Musharraf werde den Ausnahmezustand ausrufen, falls das Oberste Gericht gegen ihn entscheide - was angesichts dessen wiederholten Billigung des undemokratischen Vorgehens des Militärs ziemlich unwahrscheinlich, aber angesichts der scharfen Spaltungen in der pakistanischen Elite auch nicht ausgeschlossen ist.

Aber Bhutto setzte sich über Musharrafs Bitte hinweg, in der Hoffnung, so die Unterstützung wettzumachen, die sie wegen ihrer Kumpanei mit dem Militärregime verloren hatte.

Auf der Pressekonferenz am Freitag erklärte Bhutto: "Für mich war das kein Angriff auf eine Person, sondern der Angriff richtete sich gegen das, was ich repräsentiere - es war ein Angriff auf die Demokratie, ein Angriff auf die Einheit und Integrität Pakistans."

In Wirklichkeit ist ihre brüchige Vereinbarung mit Musharraf ein Hohn auf die Demokratie. Sie wurde von Washington vermittelt, das seit Jahrzehnten Militärregimes in Pakistan unterstützt, und dient den räuberischen Ambitionen des US-Imperialismus in Zentralasien und dem Mittleren Osten.

Das Abkommen wurde mit einem Nationalen Versöhnungsgesetz besiegelt, das Bhutto und zahllose andere korrupte pakistanische Politiker amnestiert und für die kommenden Jahre die führende Rolle des Militärs - verkörpert in der Person Musharrafs - in der pakistanischen Regierung verankert.

Bhutto verfolgt dabei zweierlei Interessen. Sie ist erstens daran interessiert, einen Fuß in die Tür zu Macht und Einfluss zu bekommen. Und sie versucht zu verhindern, wie sie selbst mehrfach gesagt hat, dass Massenproteste ausbrechen, die leicht der Kontrolle der politischen Elite entgleiten und das Militär destabilisieren könnten.

Die Bush-Regierung ihrerseits erwartet von Bhutto, der umgebildeten Regierung Musharraf eine größere Legitimität zu verleihen. Eine zivile Fassade soll verschleiern, dass das Militär und Washington weiterhin den beherrschenden Einfluss ausüben und das Land ein Dreh- und Angelpunkt für die Interessen und Aggressionen der USA in der Region bleibt.

Siehe auch:
Bush-Regierung droht mit Militärintervention in Pakistan
(27. Juli 2007)
Pakistan: Musharraf balanciert auf einem schmalen Grat zwischen Krieg und inneren Aufständen
(19. Januar 2002)
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