Führende Mitglieder der Großen Koalition haben auf den Angriff auf indische Bürger, den eine betrunkene Meute jüngst in der ostdeutschen Stadt Mügeln verübt hat, mit einer Mischung aus Heuchelei und Leugnen reagiert. Sie behaupten unisono, solche Ausbrüche von Rückständigkeit hätten nichts mit ihrer eigenen Politik und Sozialpolitik zu tun. Stattdessen kritisierten sie die "Fremdenfeindlichkeit" der deutschen Bevölkerung und erlassen fromme Aufrufe an die Bürger, mehr "Zivilcourage" zu zeigen.
In den frühen Morgenstunden des 19. August, waren acht Inder, die an einem Straßenfest in der Kleinstadt Mügeln nahe Leipzig teilgenommen hatten, von einer fünfzigköpfigen jugendlichen Meute, die rassistische und nationalistische Sprüche skandierte, brutal angegriffen worden.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilte die Ereignisse in Mügeln als "außerordentlich betrüblichen und beschämenden Vorfall", der "sehr aufmerksam" im Ausland beobachtet werde und den internationalen Ruf Deutschlands schädigen könne. Laut Merkel kann der Kampf gegen Rechtsextremismus nicht darauf beschränkt werden, mehr Geld für soziale und kulturelle Programme zur Verfügung zu stellen. Jeder Bürger sei aufgerufen, einzugreifen und "so etwas wie persönlichen Mut zu zeigen".
Merkel erhielt Rückendeckung durch den Generalsekretär der CDU, Ronald Pofalla, der die Kanzlerin in der Ostsee-Zeitung mit den Worten unterstützte: "Wir brauchen nicht mehr Geld, sondern mehr Zivilcourage."
Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, sagte, Deutschland unterschätze das Ausmaß des Einflusses der extremen Rechten im Osten des Landes, und äußerte gegenüber der Leipziger Volkszeitung : "Es gibt eine unterschwellige Fremdenfeindlichkeit zumindest in Teilen der Bevölkerung."
Nach Meinung eines Kommentars in der Süddeutschen Zeitung bestätigt der Übergriff von Mügeln, wie tief verwurzelt die "Angst vor Fremdem" und die "Verbreitung autoritären Denkens" in der deutschen Bevölkerung ist.
Die Spitze der Grünen verurteilte die Gewalt ebenfalls, während der Vorsitzende des DGB, Michael Sommer, zu einem "Aufstand der Anständigen" aufrief, d.h. einer Widerauflage der schlaffen, mit dem Segen der Regierung veranstalteten Proteste, wie sie früheren Anschlägen auf Ausländer gefolgt waren.
Obwohl es keine direkten Beweise für eine Beteiligung der rechtsradikalen NPD an den Ereignissen vom 19. August gibt, reagierten der Vorsitzende der SPD, Kurt Beck, und der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz, auf die Ereignisse von Mügeln mit der Forderung nach dem Verbot dieser Partei, die ihre Aktivitäten im Osten des Landes in den letzten Jahren ausgedehnt hat.
Ein früherer Versuch, die NPD zu verbieten, war vom Bundesgerichtshof 2003 abgewiesen worden, weil sich herausstellte, dass die massive Infiltration der neofaschistischen Organisation durch Agenten des Bundesverfassungsschutzes ein Verbot unmöglich machte. Konservative Politiker haben in Deutschland wiederholt ein Verbot rechtsextremer Organisationen angestrebt, um die Macht des Staates gegen jegliche Opposition zu stärken, besonders gegen Opposition von Links.
Die Reaktion führender politischer Kreise und Medien auf die Ereignisse in Mügeln ist heuchlerisch. Jede nüchterne Analyse der siebzehn Jahre, die seit der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 vergangen sind, macht deutlich, dass die Hauptverantwortung für die Verbreitung nationalistischer und rassistischer Stimmungen bei den großen politischen Parteien des Landes liegt. Um von den sozialen Konsequenzen ihrer eigenen Politik abzulenken, hat die deutsche Regierung wiederholt fremdenfeindliche Kampagnen lanciert und dann die Bevölkerung getadelt, wenn es zu Ausbrüchen rassistischer Gewalt kam.
Politische und ökonomische Folgen der kapitalistischen Wiedervereinigung
Das Schüren von Nationalismus war von Anfang an ein Kennzeichen der Einführung des Kapitalismus im früheren Ostdeutschland. Schon 1989 arbeitete eine Koalition führender westdeutscher Politiker mit Teilen der stalinistischen Bürokratie in Ostdeutschland zusammen, um die demokratischen Demonstrationen gegen das ostdeutsche Regime in deutschnationale Kanäle umzuleiten.
Das Zentrum dieser Kampagne war Sachsen. Bei den Montagsdemonstrationen von 1989 in Leipzig tauchten bald Flaggen der Bundesrepublik auf, und mit der Unterstützung führender Mitglieder der stalinistischen SED in Ostdeutschland, die später zur PDS wurde, wandelte sich der ursprüngliche Slogan der Demonstranten von "Wir sind das Volk" zu "Wir sind ein Volk".
Seit der Wiedervereinigung haben alle Regierungen als Antwort auf sozialen Unfrieden wiederholt fremdenfeindliche Kampagnen lanciert. Sowohl die CDU-geführte Regierung von Helmut Kohl als auch deren Nachfolgerin, die rotgrüne Koalition von SPD und Grünen, haben systematisch das Recht auf Einwanderung und das Recht auf Asyl beschnitten, das im deutschen Grundgesetz verankert ist.
Grenzkontrollen wurden verstärkt, um Einwanderer daran zu hindern, ins Land zu kommen, mit dem Ergebnis, dass mehr Ausländer ihr Leben an der deutschen Grenze verloren als durch rechtsradikale Gewalt.
Die wiederholten Angriffe auf die Rechte der Immigranten, kombiniert mit der fremdenfeindlichen Propaganda der Regierung, bildeten den Hintergrund der rassistischen Anschläge in den westdeutschen Städten Mölln (1992) und Solingen (1993), die ganze türkische Familien das Leben kosteten. Damals wie heute haben die verantwortlichen Politiker jede Verantwortung für die Förderung rassistischer und nationalistischer Gefühle abgelehnt und ihre Hände in Unschuld gewaschen. Sie haben versucht, die breite Empörung und den Widerstand gegen die Angriffe in harmlose Lichterketten-Demonstrationen umzuleiten, die unter den Parolen "Einheit aller Demokraten" und "Aufstand der Anständigen" standen.
Politiker von SPD und CDU haben die Forderung der extremen Rechten nach einem Einwanderungsstopp, "Das Boot ist voll", in eine Sprache übersetzt, die für deutsche Parlamentarier angemessener ist. Mit den Worten, "die maximale Kapazität ist erreicht", gab der frühere Innenminister Otto Schily (SPD) zu verstehen, dass Einwanderer in Deutschland nicht länger willkommen sind. Der frühere Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, Friedrich Merz, verkündete 2001: "Wir müssen die Einwanderung im Einklang mit den Interessen des Staates regulieren, nicht mit den Interessen der Einwanderer... Es kann keinen gesetzlichen Anspruch auf Einwanderung geben."
Merz gehört auch zu den Urhebern der Kampagne für eine so genannte "deutsche Leitkultur", die auf die Rehabilitierung eines deutschen Nationalismus abzielt. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 waren Anhänger der Kampagne von Merz schnell bei der Hand, den Islamismus als die neue "ausländische Gefahr" zu identifizieren, die "Deutschlands Identität" bedrohe.
Während sie die Bevölkerung zu "mehr Zivilcourage" auffordern, sind die Politiker auf beiden Augen blind, wenn Justiz und Polizei einen wirksamen Kampf gegen den Einfluss rechtsradikaler Extremisten untergraben.
Eine ganze Anzahl von Organisationen und viele junge Leute haben wiederholt und mit viel persönlichem Mut gegen Rassismus und Gewalt von rechts protestiert, nur um mit ansehen zu müssen, wie Gerichte skandalös milde Strafen gegen Rechtextreme oder Polizisten verhängten, die Verbrechen gegen Einwanderer und Asylsuchende begangen hatten. Gleichzeitig werden den Organisationen, die aktiv gegen Rassismus auftreten, die Fördermittel entzogen, die sie für eine wirksame Arbeit benötigen.
Nicht eine angeborene Fremdenfeindlichkeit der deutschen Bevölkerung bereitet den fruchtbaren Boden für kulturelle Rückständigkeit und das Anwachsen rechtsextremer Organisationen, sondern die gezielte Ermutigung rassistischer und nationalistischer Vorurteile durch die herrschende Elite, kombiniert mit der wachsenden Armut, die von den Rechten demagogisch ausgebeutet wird.
Ein Bericht der sächsischen Regierung vom vergangenen Jahr vermittelt eine Vorstellung von dem sozialen Niedergang in diesem früheren Teil der DDR.
2005 war ein Achtel der Bevölkerung Sachsens von Hartz IV-Geldern abhängig, die von der rotgrünen Bundesregierung eingeführt wurden. Die Arbeitslosigkeit belief sich auf 420.000, d.h. auf zwanzig Prozent der Bevölkerung. In einigen kleinen Städten und Dörfern ist die Zahl nahezu doppelt so hoch wie im landesweiten Durchschnitt.
Gleichzeitig sind Zehntausende Arbeiter in Billiglohnverhältnissen beschäftigt - im so genannten zweiten Arbeitsmarkt (2007 mindestens 36.000). Das heißt, dass Armut nicht auf arbeitslose Familien beschränkt ist. Der Bericht der sächsischen Regierung enthüllt, dass 24 Prozent der Haushalte in Armut leben - im Vergleich dazu waren es bundesweit 15 Prozent.
Während die Armut sowohl in Sachsen als auch in Gesamtdeutschland wächst, steigt die Armutsrate in Sachsen seit Ende der 1990er Jahre schneller. Die unbarmherzige Offensive gegen Jobs und Arbeitsbedingungen in diesem Bundesland fällt mit der Schließung sozialer Einrichtungen zusammen - das trifft die Bevölkerung insgesamt und junge Leute im Besonderen.
Solche ökonomischen Bedingungen sind für die Ausbrüche von Gewalt wie in Mügeln durchaus relevant. Laut Presseberichten ist einer der Haupttäter bei den Gewalttätigkeiten ein 17-jähriger deutscher Jugendlicher, eines von fünf Kindern einer allein erziehenden Mutter, die von Sozialhilfe lebt.
Während blasierte selbstgerechte Politiker, einschließlich Angela Merkel, in gesalbten Worten zu mehr "Zivilcourage" aufrufen und erklären, dass Geld allein die Probleme nicht löse, hat ihre eigene Wirtschaftspolitik zu einem gewaltigen Transfer von Vermögen von den arbeitenden und sozial benachteiligten Menschen zur ökonomisch privilegierten Elite beigetragen.
Dieser Prozess ist nicht auf den Osten des Landes beschränkt. Unter der rot-grünen Bundesregierung wurden im ganzen Land Sozialabbau und massive Angriffe auf Löhne und Jobs in einem in der Nachkriegszeit nicht da gewesenen Maß eingeleitet. Die vorrangige Spaltung in Deutschland besteht nicht zwischen Ost und West, sondern zwischen der kapitalistischen und der arbeitenden Klasse.
Die Partei Die Linke in Sachsen
Eine Untersuchung der Rolle der Parteien beim Anwachsen von Armut und der Förderung des Nationalismus wäre unvollständig, ohne die Rolle der Linkspartei zu beleuchten, die aus einer Verschmelzung von PDS und WASG hervorgegangen ist.
Führende Mitglieder der Linken haben ebenfalls die gewaltsamen Ausschreitungen in Mügeln verurteilt und versucht, ihre Hände in Unschuld zu waschen, indem sie behaupten, dass ihre Partei in Sachsen nicht an der Regierung beteiligt sei. Tatsächlich hat die Linke in anderen ostdeutschen Bundesländern wie Berlin und bis vor kurzem in Mecklenburg-Vorpommern eine führende Rolle dabei gespielt, die regionalen Dienstleistungen zu demontieren und über Jobs und Löhne herzufallen. Sie hat darum ihren Anteil an der Verantwortung für die sozialen Folgen zu tragen.
Tatsächlich stellt der sächsische Landesverband der Linken den rechten Flügel der Gesamtpartei. Er hat immer versucht, seine Glaubwürdigkeit als "verantwortliche" Partei zu beweisen und eine bessere Behandlung Ostdeutschlands und der Interessen ostdeutscher Kleinunternehmen gefordert.
In den frühen 1990er Jahren versuchte eine führende Figur der PDS in Dresden, Christine Ostrowski, die gleichen sozialen Schichten zu mobilisieren, die nun von der extrem rechten NPD bearbeitet werden. Ostrowski rief zur Bildung einer ostdeutschen Partei auf, in der Art der konservativen Regionalpartei Bayerns, der CSU, die auf "bodenständigen Kleinunternehmen" beruht. Sie rief auch zu einem Dialog zwischen der PDS und extrem rechten Parteien auf.
Während Die Linke bisher noch nicht an der Regierung des Bundeslandes Sachsen beteiligt war, kooperieren eine Reihe ihrer Vertreter auf kommunaler Ebene mit Bürgermeistern und Gemeindevorständen aus SPD und CDU beim Sozialabbau. Die Parteiführung machte im Frühjahr außerdem klar, dass sie bereit ist, den Platz der SPD in der gegenwärtigen Koalition einzunehmen und eine CDU geführte Minderheitsregierung zu "tolerieren".
Um ihre Verlässlichkeit als Verbündete der konservativen Rechten zu beweisen, votierte die Hälfte der parlamentarischen Fraktion der Linken in Dresden für einen Antrag der Regierungskoalition, den im Besitz der Stadt befindlichen Wohnungsbestand an die US-Spekulantengruppe Fortress zu verkaufen, die bald danach einen Anstieg der Mieten um 15 Prozent verfügte.
Die führenden Parteien Deutschlands spielen immer wieder die national-chauvinistische Karte aus, um die soziale Opposition auszuschalten. Derselbe Reflex lässt sich bei der Linken beobachten. 2005, auf dem Höhepunkt der Massendemonstrationen gegen die von Rot-Grün verabschiedeten Hartz IV Gesetze in Ostdeutschland, nutzte der jetzige Vorsitzende der Linken, der frühere SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine, den Marktplatz in Chemnitz für einen Angriff auf ausländische Arbeiter.
Oskar Lafontaine sprach auf einer Demonstration, die gegen die Sozialpolitik der Koalition gerichtet war, und erklärte - mit einem Auge auf die nahe Staatsgrenzen zu Polen und Tschechien -, es sei die Pflicht des Staates, deutsche Väter und Mütter davor zu schützen, dass ihnen die Arbeit von ausländischen Arbeitern weggenommen werde. Lafontaines Aussage war kein Ausrutscher. In seinem jüngsten Buch spricht er von "erzwungener Einwanderung" - die der Nation anscheinend von der herrschenden Elite aufgezwungen wird - und erklärte seine Absicht, allen die Staatsbürgerschaft zu entziehen, die "nicht die deutsche Sprache sprechen, nicht ihren Anteil an Steuern zahlen oder helfen, den Sozialstaat zu finanzieren".
Die offiziellen politischen Kreise mögen die deutsche Bevölkerung noch so sehr wegen ihrer angeblichen Fremdenfeindlichkeit tadeln. In Wirklichkeit hat die explosive Kombination von Sozialabbau und nationalistischer Politik, die seit der Wiedervereinigung von der deutschen Elite - sowohl der konservativen Rechten als auch der offiziellen Linken - propagiert wird, einen fruchtbaren Boden für das Anwachsen des Rechtsradikalismus und für Ausbrüche wie den in Mügeln geschaffen.
Jüngste Umfragen zeigen, dass die deutsche Bevölkerung keineswegs "fremdenfeindlichen Gefühlen" erliegt, sondern extrem beunruhigt über das Anwachsen sozialer Ungleichheit ist und sich nach links bewegt. Als Reaktion versucht das politische Establishment von seiner Wirtschaftspolitik abzulenken, indem es bestimmte Gruppen, wie etwa die islamische Minderheit oder Arbeiter aus Osteuropa, verteufelt und die polizeilichen Vollmachten des Staats stärkt. Dies ist die wahre Bedeutung der Forderung Kurt Becks und anderer nach einer Verstärkung der Machtbefugnisse des Staates, angeblich um mit der extremen Rechten fertig zu werden.