Zum 150. Geburtstag von Clara Zetkin

Vorkämpferin des internationalen Sozialismus

Bekannt ist Clara Zetkin heute überwiegend als sozialistische Frauenrechtlerin, aber ihre Rolle als revolutionäre Sozialistin war weit umfassender. Sie gehört zu den bedeutendsten Vertreterinnen der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung des 19. und der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts.

Auch wenn es in einem Artikel nicht möglich ist, alle Aspekte ihres vielfältigen Wirkens zu schildern, bietet ihr 150. Geburtstag eine gute Gelegenheit, an diese großartige Frau zu erinnern, von der Franz Mehring meinte, dass "in der Kenntnis der marxistischen Theorie wenige Lebende sich mit Clara Zetkin messen können und sicherlich keiner ihr darin überlegen ist".(1) Mehring und die anderen Marxisten schätzen an Zetkin sowohl ihren Mut als auch ihre umfassende Bildung und ihren unerschütterlichen Internationalismus.

Als Kämpferin und Journalistin spielte sie eine wichtige öffentliche Rolle. Sie war eine enge Freundin Rosa Luxemburgs und Kampfgefährtin wichtiger Führungspersönlichkeiten der revolutionären Sozialdemokratie wie August Bebel und Wilhelm Liebknecht. Sie kannte die Töchter von Marx und war mit ihnen befreundet. Auch Friedrich Engels schätzte sie sehr. In späteren Lebensjahren verband sie eine enge Freundschaft mit Lenin und seiner Frau, die sie bereits auf Kongressen der Zweiten Internationale getroffen hatte.

Am 5. Juli 1857 wurde Clara Zetkin als Tochter des Dorfschullehrers Gottfried Eißner und seiner Frau Josephine geboren. Sie wuchs in einem armen Heimarbeiterdorf im Erzgebirge auf.

Ihr erster Mann, der Russe Ossip Zetkin (den sie nicht heiraten konnte, weil ihnen die Papiere dazu fehlten), war ein russischer Student mit sozialistischen Ansichten. Kennen gelernt hatte sie ihn während seines Studiums in Leipzig, als sie noch das Lehrerinnenseminar der Frauenrechtlerin Auguste Schmidt besuchte.

Schmidt brach mit ihrer Lieblingsschülerin, als sich diese sozialistischen Ideen zuwandte. Im Jahr 1878, in dem Bismarck die Sozialistengesetze erließ, trat sie der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) bei. Die SAP war 1875 aus dem Zusammenschluss der von August Bebel und Wilhelm Liebknecht geführten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein von Ferdinand Lassalle hervorgegangen. Bis auf Bruder Arthur brach nach dem Parteibeitritt auch Claras Familie den Kontakt mit ihr ab.

Ossip war auf Grund staatlicher Verfolgung 1880 gezwungen, Deutschland zu verlassen und nach Paris zu emigrieren. Clara versuchte vergeblich, eine Stallung als Lehrerin zu bekommen, und musste sich eine Zeitlang als Hauslehrerin in Sachsen und Österreich durchschlagen. Aber sie hielt diese Art der Betätigung unter der Fuchtel von bürgerlichen oder adligen Haustyrannen nicht lange aus.

Für Sozialismus und Internationalismus

Sie emigrierte in die Schweiz. Dort kam sie in engen Kontakt mit den sozialistischen Emigranten, die im Exil lebten. An der Seite des "roten Feldpostmeisters" Julius Motteler beteiligte sie sich an der Herstellung und Verbreitung der illegalen Zeitschriften und Flugblätter, die während der Geltung der Sozialistengesetze nach Deutschland geschmuggelt wurden.

Motteler war es auch, der ihr das Buch Die Frau und der Sozialismus von August Bebel zu lesen gab. Dieses Werk, das unmittelbar nach seinem Erscheinen 1879 in Deutschland verboten wurde, sollte bleibenden Einfluss auf die junge Sozialistin ausüben. Zu den Publikationen, die damals nach Deutschland geschmuggelt wurden, gehörte auch die Zeitschrift Der Sozialdemokrat, die von Eduard Bernstein in engem Kontakt mit Friedrich Engels herausgegeben wurde.

Die besondere politische Aufmerksamkeit Clara Zetkins galt von Anfang an dem sozialistischen Internationalismus und der Frage, wie die Masse der Arbeiterinnen für die sozialistische Bewegung gewonnen werden könne. Geprägt haben ihre Ansichten vor allem die Jahre, die sie in Paris verbrachte.

Als sie 1882 mit Ossip dort wieder zusammentraf, waren sie gezwungen, unter ärmlichsten Verhältnissen zusammen zu leben. Beide stürzten sich in die Arbeit unter sozialistischen Emigranten und schrieben Hunderte von Artikeln für deutsche und französische sozialistische Zeitschriften. Ossip war Mitglied der russischen Gruppe "Befreiung der Arbeit", der Clara ebenfalls beitrat. Sie knüpften wichtige internationale Kontakte zu zahlreichen Persönlichkeiten der internationalen sozialistischen Bewegung. Clara brachte zwei Kinder zur Welt und setzte ihre politische und journalistische Tätigkeit in vollem Umfang fort. Unter anderem schrieb sie eine Biographie der Anarchistin und Mitkämpferin der Pariser Kommune Louise Michel.

In einem Brief an Karl Kautsky beschreibt sie 1986 ihr damaliges Leben: "Ich bin Hofschneider, -koch, Wäscherin, etc., kurz ‘Mädchen für alles’. Dann kommen noch die beiden Pritschlinge, die mir keine ruhige Minute lassen. Wollte ich mich in den Charakter Louise Michels vertiefen, so musste ich No I die Nase putzen, hatte ich mich zum Schreiben gesetzt, so hieß es No II abfüttern. Dazu noch die Misere eines Bohemelebens." (2) Sie hat die Doppel- oder besser Vielfachbelastung der Frau also recht gut gekannt, von der sie später schrieb.

Als Ossip schwer an einer Rückmarksinfektion erkrankte, pflegte sie ihn aufopferungsvoll bis zu seinem Tode. Wegen der schwierigen materiellen Verhältnisse, in denen die Familie wohnen musste, erkrankte auch sie an Tuberkulose. Sie hatte seit dieser Zeit zeitlebens mit schweren gesundheitlichen Problemen zu kämpfen.

Für die proletarische Frauenbewegung

Nach dem Tod ihres Mannes 1889 referierte Clara Zetkin auf dem Gründungskongress der Zweiten Internationale in Paris, den sie mitvorbereitet hatte, über die proletarische Frauenbewegung. Sie fordert in ihrer Rede die vollständige berufliche und gesellschaftliche Gleichberechtigung der Frau sowie ihre aktive Teilnahme am Klassenkampf.

"Diejenigen, welche auf ihr Banner die Befreiung alles dessen, was Menschenantlitz trägt, geschrieben haben, dürfen nicht eine ganze Hälfte des Menschengeschlechtes durch wirtschaftliche Abhängigkeit zu politischer und sozialer Sklaverei verurteilen. Wie der Arbeiter vom Kapitalisten unterjocht wird, so die Frau vom Manne; und sie wird unterjocht bleiben, solange sie nicht wirtschaftlich unabhängig dasteht. Die unerlässliche Bedingung für diese wirtschaftliche Unabhängigkeit ist die Arbeit. Will man die Frauen zu freien menschlichen Wesen, zu gleichberechtigten Mitgliedern der Gesellschaft machen wie Männer, nun, so braucht man die Frauenarbeit weder abzuschaffen noch zu beschränken, außer in gewissen, ganz vereinzelten Ausnahmefällen." (3)

Mit den Ausnahmefällen meinte sie in erster Linie Arbeiten, die Frauen und die ungeborenen Kinder in der Schwangerschaft oder nach der Geburt gesundheitlich gefährden. Ihr Beitrag wurde von Eleanor Marx ins Englische und Französische übersetzt.

Sie verteidigte das Recht der Frau auf Arbeit und gleichen Lohn gegen reaktionäre Auffassungen, die in der Partei und den Gewerkschaften recht verbreitet waren und die noch lange auf heftigen Widerstand stießen. Viele Sozialisten denunzierten die schlechter bezahlten Frauen als "Schmutzkonkurrenz" für die männlichen Arbeiter und forderten, die Frauen sollten sich allein auf die häusliche Arbeit beschränken.

Zetkin wies dagegen nach, dass die ökonomische Entwicklung des Kapitalismus die Lohnarbeit der Frauen erforderlich gemacht habe und nicht mehr rückgängig zu machen sei. Die maschinelle Produktion habe die wirtschaftliche Tätigkeit der Frau in der Familie getötet und sie in das System der Lohnarbeit einbezogen. Ihre endgültige Befreiung und Gleichstellung aber sei ein Ziel, dass nur durch den gemeinsamen Kampf beider Geschlechter, also der gesamten Arbeiterklasse in einer sozialistischen Gesellschaft zu verwirklichen sei.

Die Gründerjahre nach dem deutsch-französischen Krieg hatten in Deutschland zu einem rasanten Anwachsen der Frauenarbeit geführt. Es war also dringend, dass die sozialistische Bewegung in dieser Frage eine prinzipielle Haltung einnahm. Doch auch wenn Clara und ihre Mitstreiterinnen sich allmählich in der Partei mit wichtigen Forderungen durchsetzen konnten, musste sie immer wieder feststellen, dass "Frauenfragen" auf den Kongressen der Sozialdemokratie nur eine geringe Rolle spielten und rasch abgehandelt wurden.

Clara Zetkin beklagte, dass die Genossinnen in der Theorie zwar schon gleichberechtigt seien, in der Praxis aber hänge "der Philisterzopf den männlichen Genossen noch ebenso im Nacken wie dem ersten besten Spießbürger". Gegen die Auffassung vieler Genossen, dass die Frauenarbeit verboten werden sollte, weil sie zu Lohnsenkung und Verelendung der Arbeiterfamilien führe, argumentiert sie, "dass es nicht die Frauenarbeit an sich ist, welche durch Konkurrenz mit den männlichen Arbeitskräften die Löhne herabdrückt, sondern die Ausbeutung der Frauenarbeit durch den Kapitalisten, der sich dieselbe aneignet. Die Sozialisten müssen vor allem wissen, dass auf der ökonomischen Abhängigkeit oder Unabhängigkeit die soziale Sklaverei oder Freiheit beruht." (4)

1890 wurden die Sozialistengesetze aufgehoben. Clara Zetkin konnte nach Deutschland zurückkehren. Sie wählt Stuttgart als Wohnort, weil die Gesetze in Baden-Württemberg Frauen erlauben, sich zu organisieren und an politischen Versammlungen teilzunehmen.

1892 überträgt ihr der Verleger Johann Heinrich Wilhelm Dietz die Redaktion der Frauenzeitschrift Die Gleichheit, die sie 25 Jahre lang bis zu ihrem Ausschluss aus der SPD 1918 herausgibt. Unter ihrer Leitung wird aus einem zweimonatlichen Rundbrief mit einer Auflage von 2.000 Exemplaren eine sozialistische Frauenzeitung, die 1914 an 125.000 Abonnentinnen gesandt wird. Außerdem ist Clara Zetkin Redakteurin der Frauenbeilage der Leipziger Volkszeitung. Mit diesen weit verbreiteten Organen prägte sie wesentlich die wachsende proletarische Frauenbewegung.

Mit dem Kampf für die ökonomische Unabhängigkeit der Frauen ist für sie untrennbar das Recht auf gleiche Löhne für gleiche Arbeit, auf gewerkschaftliche Organisation und staatliche Kinderbetreuung verbunden. Selbstverständlich sollten Frauen auch gleiche politische Rechte erhalten, obwohl sie den Kampf für das Frauenwahlrecht zunächst den bürgerlichen Frauen überließ. Später trat sie jedoch dafür ein, dass diese Forderung auch im sozialdemokratischen Programm verankert wird, was 1891 im Erfurter Programm geschah. (5)

Ihre Auffassung war dass, nur im Sozialismus, also durch die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln, die Gleichberechtigung der Frau endgültig verwirklicht werden könne, daher sei der Kampf für die Abschaffung des Kapitalismus vorrangig. Darin unterschied sich ihre Auffassung grundlegend von der bürgerlicher Frauenrechtlerinnen. Letztere kämpften gegen die Männer ihrer Klasse, während die Proletarierinnen gemeinsam mit den Männern für den Sozialismus kämpfen müssten.

Sie betont die materiellen, ökonomischen Grundlagen für die Befreiung der Frau. "Die (bürgerlichen) Frauenrechtlerinnen sehen nicht oder wollen nicht sehen die für volle soziale, menschliche Freiheit oder Sklaverei entscheidende Tatsache, dass die bürgerliche Gesellschaft, die sich auf der kapitalistischen Produktionsweise aufbaut, durch den unüberbrückbaren Klassengegensatz von Bourgeoisie und Proletariat gespalten ist in Ausbeutende und Herrschende auf der einen Seite und Ausgebeutete und Beherrschte auf der anderen. Die Zugehörigkeit zu der einen oder der anderen Klasse ist letzten Endes ausschlaggebend für die Lage, die Lebensgestaltung der Frauen und nicht ihre Gemeinschaft als Geschlecht, das zugunsten der Vormacht- und Vorrechtstellung des Mannes mehr oder minder rechtlos und unterdrückt ist. Die formale Gleichstellung des weiblichen mit dem männlichen Geschlecht in Gesetzestexten sichert in der Folge den Frauen der ausgebeuteten und unterdrückten Klasse ebensowenig tatsächliche volle soziale und menschliche Freiheit und Gleichberechtigung, wie sie solche den Männern ihrer Klasse trotz ihrer Geschlechtsgemeinschaft mit den Männern der Bourgeoisie verleiht." (6)

Für Bildung und Erziehung

Clara Zetkin führte in ihren Artikeln die marxistischen Untersuchungen von Engels und Bebel in bezug auf die Familie fort und trat programmatisch in vielfältiger Weise für eine Verbesserung der Lage der Frau ein, die bisher eine untergeordnete Rolle zu spielen gehabt habe.

Für Kindererziehung und Haushalt sollten Mann und Frau gleichermaßen zuständig sein. Entsprechend müssten die Arbeitszeit verkürzt werden, neue Technologien im Haushalt Eingang finden und gesellschaftliche Einrichtungen geschaffen werden, die die Familien bei der Ernährung und Kindererziehung entlasten. Sie befürwortete auch die Ehescheidung und prangerte die doppelte Moral der bürgerlichen Ehe an. Sie selbst heiratete 1900 den 18 Jahre jüngeren Dichter und Maler Friedrich Zundel und lebte mit ihm und ihren beiden Söhnen in Stuttgart, bis Zundel sie einer anderen Frau wegen verließ.

Als ausgebildete Lehrerin trat sie auch für grundlegende Reformen des Bildungs- und Erziehungswesens ein. Sie forderte die Eltern auf, ihren Kindern nicht das Vorurteil zu vererben, dass es Arbeiten gebe, die eines Mannes unwürdig seien, die aber Frauen zu verrichten hätten. Ihre Auffassung vom "vollen Menschentum" der Frau bedeutet, dass diese dem Mann als Mensch gleich ist, aber deshalb seien die psychologischen und kulturellen Besonderheiten der Frauen nicht zu ignorieren. Aus der besonderen Lage der Frau leitete sie die Notwendigkeit einer gewissen Autonomie der sozialistischen Frauenbewegung ab.

Obwohl ihr die Mutterrolle auch persönlich alles andere als gleichgültig war, betont sie, dass diese keineswegs eine angeborene natürliche Eigenschaft der Frau sei, sondern der Ausbildung und Bildung bedürfe: "Den Beruf der Mutter feiert man als den höchsten und schwierigsten aller Berufe. Aber reif und würdig für die Erfüllung dieses Berufs soll jedes Gänschen sein, das gestern mit der Puppe spielte und heute seine ewigen weiblichen Reize auf dem Markte des Balles ausbietet. Reif und würdig für den Beruf, Menschen zu bilden!" (6)

Durch ihre Redaktionsarbeit bemühte sie sich um eine Bildung und Politisierung der Arbeiterinnen im Sinne des Sozialismus. Sie kritisierte das Schulwesen, die Kleinkinderziehung und hatte zahlreiche Aspekte einer fortschrittlichen Pädagogik im Blick: Freiheit statt Dressur, Koedukation, gleiche Bildungschancen für Mädchen und Jungen, Unterricht in Kunst, Musik, Literatur, Sport und richtige Schulernährung, Weiterbildung für Erwachsene. Vieles davon ist noch heute überaus aktuell und im Kapitalismus keineswegs verwirklicht. Im Gegenteil, bereits durch die Arbeiterbewegung Erkämpftes fällt heute dem Rotstift und der vorherrschenden, reaktionären, am kurzfristigen Profit orientierten Bildungspolitik zum Opfer.

Clara Zetkin versuchte sehr bewusst, in ihrer Zeitschrift auch politisch und kulturell anspruchsvolle Beiträge zu veröffentlichen, womit sie keineswegs bei allen führenden Sozialdemokraten auf Gegenliebe stieß. Sie betonte immer wieder die Bedeutung von Literatur, Kunst und Kultur für die Frauen und das Proletariat insgesamt.

Mit Rosa Luxemburg gegen Revisionismus und Militarismus

Clara Zetkin verstand ihre Zeitschrift Die Gleichheit als Organ der internationalen sozialistischen Frauenbewegung, deren Aufbau vor allem ihr Verdienst ist. Ihr Leben lang unterhielt sie Briefwechsel und regen politischen Gedankenaustausch mit Frauen in vielen Ländern. Sie organisierte am Vorabend des Internationalen Sozialistenkongresses 1907 die erste internationale sozialistische Frauenkonferenz in Stuttgart. Auf der zweiten Konferenz 1910 in Kopenhagen schlug sie einen Internationalen Frauentag vor, der 1911 zum ersten Mal stattfand und bis heute weltweit begangen wird.

Um diese Zeit entwickelte sich in der Sozialdemokratie eine starke revisionistische Tendenz, die Eduard Bernstein theoretisch zu begründen versuchte. Die Vertreter dieser Strömung behaupteten, es bedürfe keiner Revolution, um den Sozialismus zu erreichen, sondern es sei möglich, durch Reformen im Kapitalismus allmählich dahin zu gelangen.

Clara Zetkin trat zusammen mit ihrer engen Freundin Rosa Luxemburg von Beginn an kompromisslos gegen diese Tendenz auf. Die Themen Militarismus und Kolonialfrage standen 1907 im Mittelpunkt der internationalen Konferenz sozialistischer Parteien in Stuttgart.

1909 bricht sie mit Karl Kautsky, als dieser sich den revisionistischen Auffassungen der Mehrheit der Parteiführung immer mehr annähert. Gleichzeitig engagiert sie sich zusammen mit Luxemburg gegen den wachsenden Militarismus und Nationalchauvinismus in Deutschland, die auch auf die Sozialdemokratie übergreifen, in der Personen wie Friedrich Ebert an die Spitze gelangen.

Auf dem Internationalen Sozialistenkongress im November 1912 in Basel und noch einmal im Juli 1914 bei der Sitzung des "Internationalen Sozialistischen Büros" in Brüssel tritt sie zusammen mit Rosa Luxemburg mit Nachdruck für einen aktiven Kampf gegen die Kriegsgefahr ein, kann sich aber gegen die Unentschlossenheit und den Opportunismus ihrer Genossen nicht durchsetzen.

Kämpferin für den Frieden

Als 1914 die Führungsspitze der Partei alle bis dahin vertretenen Prinzipien verriet, den Krieg befürwortete und im Parlament dem Kaiser die Kriegskredite bewilligte, widersetzte sich Clara Zetkin offen. Die Bewilligung der Kriegskredite durch die Reichstagsfraktion der SPD und der "Burgfrieden", zu dem sich Partei und Gewerkschaften bereit fanden, provozierten den energischen Protest der beiden engagierten Frauen Clara Zetkin und Rosa Luxemburg. Beide gehörten zu den wenigen führenden SPD-Mitgliedern, die die Politik des "Burgfriedens" ablehnten und Karl Liebknecht unterstützten, als dieser am 2. Dezember 1914 zusammen Otto Rühle im Reichstag die Kriegskredite ablehnte, für die noch im August die gesamte Fraktion gestimmt hatte.

Clara Zetkin ließ sich nicht beirren durch den aufgeheizten Nationalismus und Chauvinismus zu Beginn des Krieges, sondern tat alles, um trotz strenger Überwachung und unter heftiger Missbilligung der Parteiführung mit Hilfe ihrer Korrespondenz ihre internationalen Kontakte gegen den Krieg zu mobilisieren. Der strengen Zensur und den Intrigen der Parteiführung zum Trotz, die alles versucht, um ihre Abonnentinnen unter Druck zu setzen, fährt sie fort, Die Gleichheit herauszugeben. Nach anfänglichen Versuchen, die Zensur durch Umformulierungen zu umgehen, lässt sie demonstrativ die gestrichenen Stellen weiß.

Im März 1915 versammeln sich nach intensiven konspirativen Briefwechseln in Bern auf ihre Initiative hin internationale Sozialistinnen zu einer Antikriegskonferenz. Der von ihr verfasste sogenannte Berner Appell an die Frauen der ganzen Welt wird von der Konferenz verabschiedet. Er schließt mit den Worten: "Bisher habt ihr für eure Lieben geduldet, nun gilt es, für eure Männer, für eure Söhne zu handeln.... Nieder mit dem Kapitalismus, der dem Reichtum und der Macht der Besitzenden Hektakomben von Menschen opfert! Nieder mit dem Krieg! Durch den Sozialismus!" Dieser Appell wird hunderttausendfach illegal in den Krieg führenden Ländern verbreitet. (7)

Wegen der Einberufung der Internationalen sozialistischen Frauenkonferenz in Bern und der illegalen Verbreitung des Appells in Deutschland wird Zetkin 1915 inhaftiert. Aber zu diesem Zeitpunkt ist der Appell bereits auf fruchtbaren Boden gefallen, vor allem die Frauen beginnen sich gegen den Krieg aufzulehnen. Wegen der Einziehung der Männer zum Kriegsdienst müssen sie schwerste Arbeit in der Industrie verrichten, um ihre Familien zu ernähren, während die Versorgungslage immer katastrophaler wird. Es kommt zu großen Protestaktionen. Clara wird nach vier Monaten aus der Haft entlassen.

Sie ist Mitglied der Gruppe Internationale oder Spartakusgruppe um Karl Liebknecht, Franz Mehring, Hermann Duncker und Rosa Luxemburg. 1917 tritt die Spartakusgruppe der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) bei, aus der sie sich später wieder löst, als Keimzelle der Kommunistischen Partei Deutschlands. Zetkin zählt zu den Gründungsmitgliedern der KPD, kann allerdings wegen einer Erkrankung nicht am Gründungskongress teilnehmen.

Die Redaktion der Gleichheit wird ihr entzogen, als sie der USPD beitritt. In der Frauen-Beilage der Leipziger Volkszeitung vom 29. Juni 1917 schreibt sie unter der Überschrift Abschied von der Gleichheit über ihre Maßregelung durch die Führer der SPD:

"Es würde ein müßiges Beginnen sein, wollte ich mich über Recht oder Unrecht der Maßregelung mit Leuten auseinandersetzen, die meine sozialistische Sprache so wenig verstehen, wie ich mir ihr nationalistisches Reden zu eigen zu machen vermag. Da steht Weltanschauung gegen Weltanschauung und die darin wurzelnde Überzeugung von pflichtgemäßer Lebensbetätigung.....

Ich erkläre mich schuldig, dass Die Gleichheit sich vom ersten Augenblick an, wo die sozialdemokratische Reichstagsfraktion die Grundsätze des Sozialismus als hinderlichen Ballast über Bord warf, in bewussten Gegensatz zu der entsprechenden ‚Neuorientierung’ gestellt hat. Ich erkläre mich schuldig, dass Die Gleichheit die Mehrheitspolitik mit steigender Schärfe kritisiert und bekämpft hat - soweit Schärfe des geistigen Kampfes unter den heutigen Zuständen möglich ist - je mehr meiner Überzeugung nach diese Politik von dem granitnen Felsen der sozialistischen Grundsätze abirrte und sich zwischen den wandelnden Dünen bürgerlicher Auffassungen verlor; je offensichtlicher mit der Dauer des Krieges die Mehrheitspolitik die Sozialdemokratie innerlich und äußerlich zerrüttete, ihren kostbaren geistig-sittlichen Inhalt zum Spielball der Wolken und Winde des Kriegsgeschehens machte, ihren festgefügten Bau in Trümmer schlug; je verhängnisvoller die Mehrheitspolitik dem Erkennen, Wollen und Handeln des arbeitenden Volkes wurde. Denn mit all dem wirkte die Mehrheitspolitik kriegverlängernd und verdrängte das gemeinsame Ringen der Proletarier aller Länder für den Triumph des Sozialismus durch den Kampf der Proletarier aller Länder gegeneinander für einzelstaatliche Weltmachtziele des internationalen Kapitalismus. Ich erkläre mich schuldig, dass Die Gleichheit mit Zorn und Verachtung die Gewaltmaßregeln gebrandmarkt hat, die die sozialdemokratischen Mehrheitler an Stelle von überzeugenden, durchschlagenden Gründen gegen die Opposition einsetzten.

Würde ich anders gehandelt haben, so hätte ich meine Grundsätze als internationale Sozialistin verleugnen, meiner Vergangenheit, meinem Lebenswerk, meinem Wesen ins Gesicht schlagen müssen." (8)

Verteidigerin der Oktoberevolution

Clara Zetkin gehört zu den ersten deutschen Sozialisten, die die Oktoberrevolution als "Triumph der konsequent festgehaltenen und durchgeführten grundsätzlichen und taktischen Auffassung der Bolschewiki" begrüßten. Diese hätten die Diktatur des Proletariats angestrebt, während Menschewiki und Sozialrevolutionäre sich als unfähig erwiesen hätten, die vor der Revolution stehenden Aufgaben - Herbeiführung des Friedens und Agrarfrage - zu lösen. (9) Etwa ein Dreivierteljahr später schloss sich auch Rosa Luxemburg in ihrer Schrift Zur russischen Revolution dieser Meinung an.

Gegen diejenigen, die die Oktoberrevolution in dem wirtschaftlich und gesellschaftlich rückständigen Russland verurteilten, weil ihr Verlauf angeblich nicht mit der Marxschen Analyse übereinstimmte, erklärte sie: "Die ‘notwendige’ Reife der Dinge und der Menschen zur Revolution ist eine Formel, die durch die geschichtliche Wirklichkeit Inhalt und Leben empfängt. Und diese geschichtliche Wirklichkeit lässt sich nicht in das Schema F pressen. Der historische Materialismus ist keine Sammlung fertiger Rezepte für soziale Ärzte, Kurpfuscher und Apotheker. Er ist das vollkommenste Werkzeug zur Erforschung und Durchleuchtung, zum Verständnis des geschichtlichen Werdegangs der Menschheit. Die Entwicklung der Wirtschaft und der gesellschaftlichen Dinge in Russland darf nicht an den Vorbildern der Länder alter europäischer Kultur gemessen werden. Diese Entwicklung fasst in vieler Hinsicht Asien, Europa und Amerika zusammen...

Doch davon abgesehen und vor allem: Die Dinge und Menschen sind reif zur Revolution, wenn breite Volksschichten bestimmte Zustände als unerträglich empfinden; wenn sie nicht mehr an die Fähigkeit übergeordneter Gesellschaftsmächte glauben, die unerträgliche Last von ihnen zu nehmen; wenn sie nur auf die eigene Kraft vertrauen." (10)

Besonders nach der Oktoberrevolution in Russland sah Clara Zetkin die einzige realistische Hoffnung auf Frieden in ganz Europa in einem von der Arbeiterklasse und großen Teilen der Mittelschichten und der Bauern getragenen revolutionären Umsturz und dem Aufbau einer internationalen sozialistischen Ordnung. Sie verteidigte diese Perspektive kompromisslos. Dabei wandte sie sich gleichzeitig gegen die aktionistische, linksradikale Politik, die von einem starken Flügel innerhalb der neu gegründeten KPD vertreten wurde. Sie beharrte darauf, dass ein geduldiger, prinzipieller Kampf geführt werden müsse, um die Massen zu gewinnen. Sie trat ein für die Teilnahme an Wahlen und wurde 1920 zusammen mit Paul Levi als erste Abgeordnete der KPD in den Reichstag gewählt. Von 1919 bis 1924 war sie Mitglied des Zentralkomitees der Partei.

Dort setzte sie sich für Solidarität mit der Sowjetunion ein, die sie im September des gleichen Jahres selbst bereiste. Sie wurde ehrenvoll von Tausenden begeisterten Menschen auf dem Bahnhof in Petersburg empfangen. Sie war beeindruckt von der ungeheuren Aufbruchstimmung in dem vom Zarismus befreiten Land, das von Hungersnot, Kriegszerstörungen, ausländischen Interventionstruppen und Bürgerkrieg bedroht war. Sie schilderte ihre Reiseeindrücke in zahlreichen Artikeln. Sie nahm auch an den Kongressen der neu gegründeten der Kommunistischen Internationale teil.

Trotz ihrer äußerst labilen Gesundheit bewältigte sie in den zwanziger Jahren ein ungeheures Arbeitspensum. Tief erschüttert durch die brutale Ermordung ihrer engsten Freundin Rosa Luxemburg und ihrer Mitkämpfer Karl Liebknecht, Leo Jogiches und dem Tod von Mehring, war sie als eine der wenigen erfahrenen revolutionären Kader recht isoliert in der jungen KPD mit ihren "Kinderkrankheiten". Neben der parlamentarischen Arbeit kümmerte sie sich um den Parteiaufbau, hielt Vorträge und Reden, reiste, schrieb Artikel.

Eine wichtige Rolle spielte sie bei der Vereinigung des linken Flügels der USPD mit der KPD, durch die die Partei mit einem Schlag über Masseneinfluss, zahlreiche Publikationsorgane und Parteihäuser verfügte. Mehrmals war sie von Angriffen der äußersten Rechten bedroht. Einmal konnte sie rechtzeitig Genossen benachrichtigen, die die Angreifer in die Flucht schlugen, die versucht hatten, in ihr Haus einzudringen. Ein andermal - während des Kapp-Putsches 1920 - versteckten sie Tübinger Studenten eine Woche lang.

Auch innerhalb der KPD hatte sie keineswegs nur Freunde. Sie war eine entschiedene Gegnerin des mitteldeutschen Märzaufstands von 1921, konnte ihn aber nicht verhindern. Nach dessen Niederschlagung diskutierte sie national und international unter anderem mit Lenin über diese verfehlte Politik. Sie versuchte, den Zickzackkurs der KPD-Führung zu beeinflussen und diese organisatorisch und politisch nach dem Muster der bolschewistischen Partei auszurichten. Da sie sich krankheitsbedingt meist in Sanatorien in der Sowjetunion aufhielt, waren ihre Möglichkeiten aber beschränkt.

1921 wurde sie auf der Zweiten Internationalen Frauenkonferenz zur Leiterin des Westeuropäischen Internationalen Frauensekretariats der Komintern in Berlin bestimmt und gehörte in dieser Funktion dem Exekutivkomitee an.

Parteiarbeiterin und Botschafterin der Kommunistischen Internationale

Clara Zetkin nahm im Auftrag der Kommunistischen Internationale an den Gründungskongressen der Kommunistischen Parteien Frankreichs in Tours und Italiens in Mailand teil.

In Italien bezog sie scharf Stellung gegen den Pakt der italienischen Sozialdemokratie mit der bürgerlichen Regierung, der der Konterrevolution, den Faschisten zur Macht verhelfen sollte. Auf dem Rückweg von Italien musste sie auf abenteuerlichen Wegen unter großen körperlichen Strapazen illegal die Schweizer Grenze überqueren.

Auf dem Kongress in Tours, zu dem sie wegen staatlicher Verfolgung nur auf Umwegen gelangen konnte, entschärfte sie in ihrer Rede die verheerenden Auswirkungen eines ultimatistischen Telegramms von Sinowjew, dem Vorsitzenden des Exekutivkomitees der Komintern. Sie stimmte in dieser Frage mit Alfred Rosmer und seiner Frau Marguerite Thévenet überein.

Clara Zetkin war sich der Gefährdung der Russischen Revolution durch die Isolation und die ungünstige objektiven Lage des ersten Arbeiterstaates durchaus bewusst. Dazu rechnete sie die ökonomischen Bedingungen ebenso wie die technische Zurückgebliebenheit und die "verhältnismäßige Schwäche, Unerfahrenheit, mangelnde Schulung und geringe Arbeitsdisziplin des Industrieproletariats, die in der Vergangenheit verwurzelte Betriebsweise, Mentalität und Kulturarmut der ungeheuren Mehrzahl der schaffenden Massen überhaupt." (11)

Zum fünften Jahrestag der Oktoberrevolution erklärte sie auf dem IV. Weltkongress der Komintern 1922, die sowjetische Gesellschaft erinnere an eine auf die Spitze gestellte Pyramide. Auf der noch wenig entwickelten Großindustrie und einer kleinen, noch unerfahrenen Arbeiterklasse als schmaler Basis lagerten "die ungeheuren Massive einer kleinbäuerlichen Wirtschaft, einer kleinbäuerlichen Bevölkerung". Es sei ein geschichtliches Wunder, "dass diese Pyramide bis heute steht, obwohl fünf Jahre hindurch alle Mächte und Stürme der Gegenrevolution an ihr gerüttelt haben. Aber auf die Dauer ist ein solcher Zustand unhaltbar." (12) Dennoch war sie zuversichtlich dass es gelingen würde, in der Sowjetunion eine sozialistische Gesellschaft zu verwirklichen.

1923 analysierte sie in ihrem Bericht auf dem Erweiterten Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale die Gefahr des Faschismus, der seit 1921 in Italien an die Macht gelangt war und sich auch in Deutschland formierte. Sie warnte davor, ihn als bloßen bürgerlichen Terror oder als Rache der Bourgeoisie nach revolutionären Umsturzversuchen zu verstehen:

"Der Faschismus ist keineswegs die Rache der Bourgeoisie dafür, dass das Proletariat sich kämpfend erhob. Historisch, objektiv betrachtet, kommt der Faschismus vielmehr als Strafe, weil das Proletariat nicht die Revolution, die in Russland eingeleitet worden ist, weitergeführt und weitergetrieben hat. Und der Träger des Faschismus ist nicht eine kleine Kaste, sondern es sind breite soziale Schichten, große Massen, die selbst bis in das Proletariat hineinreichen. Über diese wesentlichen Unterschiede müssen wir uns klar sein, wenn wir mit dem Faschismus fertig werden wollen." (13)

Seit 1921 gehörte sie dem Zentralkomitee der Roten Hilfe an, einer Hilfsorganisation zur Unterstützung von Opfern der Klassenjustiz. 1925 wurde sie zur Präsidentin der Internationalen Roten Hilfe mit ihren weltweiten Sektionen ernannt. Daneben hatte sie bis zu ihrem Tod weitere Ämter in nationalen und internationalen Hilfsorganisationen inne.

Unfreiwillige Ikone der Bürokratie

Clara Zetkin galt in der KPD als "Rechte", denn sie lehnte jeden isolierten Aufstand ab, der nicht von einer breiten Unterstützung der Massen getragen war. Sie war mit Lenin der Meinung, dass auf Grund einer sorgfältigen Analyse der politischen Situation eine kluge Einheitsfront-Taktik entwickelt werden müsse, um die an der Sozialdemokratie orientierten Massen dazu zu bringen, mit dem Reformismus zu brechen. In dieser Frage stimmte sie vollkommen mit den Grundsätzen überein, die auf dem III. Kongress der Komintern 1921 festgelegt worden waren.

Allerdings barg ihr Festhalten an dieser Überzeugung auch die Gefahr, dass sie eine revolutionäre Situation nicht richtig einschätzte. So war sie skeptisch, ob ein revolutionärer Aufstand 1923 wirklich möglich gewesen wäre. Sie lehnte Trotzkis Position ab, der die Komintern- und die KPD-Führung wegen ihrer zögerlichen Haltung scharf kritisiert hatte. Die KPD- Führung unter Brandler und Thalheimer hatte im Herbst 1923 trotz einen breiten Mobilisierung der Bevölkerung die Vorbereitungen zum Aufstand gestoppt und die Entscheidung von einem Beschluss einer Betriebsrätekonferenz abhängig gemacht. Daraufhin war es in Hamburg zu einem isolierten Aufstand gekommen, der blutig niedergeschlagen wurde.

Mit der linksradikalen Politik der KPD-Führung unter Ruth Fischer und Arkadij Maslow, die Brandler und Thalheimer ablösten, ging sie hart ins Gericht, während sie zu letzteren auch nach deren Ausschluss aus der Partei Kontakt hielt. Ihr enges Verhältnis zu Bucharin spricht dafür, dass ihre politischen Sympathien im sich verschärfenden Kampf in der russischen Partei auf Seite der Rechten lagen.

Auf dem VII. erweiterten Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, auf dem es Ende 1926 zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Mehrheit um Stalin und Bucharin und der Vereinigten Opposition um Trotzki und Sinowjew kam, ergriff sie jedenfalls eindeutig Partei für Bucharin und gegen die Opposition, die sich ihrer Meinung nach in "Wunschvorstellungen über die proletarische Weltrevolution flüchten, die mit einem Schlag alle Probleme und Aufgaben lösen und alle Schwierigkeiten beseitigen wird".

Sie setzte sich in ihrem Beitrag zunächst mit den Argumenten Sinowjews und Kamenews auseinander und erklärte dann: "Genosse Trotzki hat allerdings versucht, die Frage über den Sieg des Sozialismus in der Sowjetunion etwas konkreter zu stellen. Er verwies auf die Verbindung, die zwischen dem Wirtschaftsleben der Sowjetunion und dem Markt der kapitalistischen Umwelt besteht und die dadurch bedingte Beeinflussung der sowjetischen Wirtschaftsentwicklung. Genosse Bucharin hat zu Trotzkis Darstellung vom marxistischen Standpunkt das Nötigste gesagt."

Sie vertrat die Auffassung, die wirtschaftliche Entwicklung der Sowjetunion könne auf Grund der riesigen Ausdehnung des Landes und des damit verbundenen Reichtums an Ressourcen auch bei völliger Isolation vom Weltmarkt aus eigener Kraft zum Sozialismus führen. Allerdings leugnete sie nicht, dass ihr für den erfolgreichen Aufbau bisher durchaus "Produktionsmittel aus dem kapitalistisch weiter fortgeschrittenen Europa" zugeflossen seien. Eine isolierte Entwicklung sei aber möglich, wenn auch langsamer und unter größten Opfern. Der Opposition fehle die "unerschütterliche Zuversicht, dass sich auch unter den heute gegebenen Bedingungen die Sowjetunion als sozialistisch aufbauender Staat behaupten könne". (14)

Zetkin stellt den Standpunkt der Vereinten Opposition hier offensichtlich falsch dar. Letztere bestritt nicht, dass sich die Sowjetunion unter den "heute gegebenen Bedingungen" behaupten könne - dazu hatte Trotzki als Oberbefehlshaber der Roten Armee einen entscheidenden Beitrag geleistet. Sie lehnte aber die Stalin-Bucharinsche Theorie ab, wonach eine sozialistische Gesellschaft "in einem Land", d.h. gestützt allein auf die wirtschaftlichen Ressourcen der Sowjetunion aufgebaut werden könne. Diese Theorie stellte einen grundlegenden Bruch mit dem marxistischen Internationalismus dar und hatte schwerwiegende Fehler in der sowjetischen Wirtschaftspolitik und eine zunehmend reaktionäre Rolle der Kommunistischen Internationale zur Folge. Sie entsprach den bornierten Interessen der Sowjetbürokratie, die sich zu einer privilegierten Kaste entwickelte und unter Stalins Führung die Staatsmacht usurpierte.

Ob es in den Archiven weiteres Material darüber gibt, wie Clara Zetkin den Kampf der Opposition gegen Stalin und seine Anhänger in der Folgezeit beurteilt hat, wäre noch zu untersuchen. In wieweit sie überhaupt angesichts ihrer Krankheit und der Abschirmung durch die Bürokratie den Fortgang der Auseinandersetzungen verfolgen konnte, ist nicht klar, denn ihre Schriften und Briefe wurden unter der Kontrolle der stalinistischen Bürokratie veröffentlicht, der sie in ihren letzten Lebensjahren zunehmend kritisch gegenüber stand. Ihre Briefe zeugen davon, dass sie Vieles kritischer sah, als sie dies in der Öffentlichkeit sagte. In einem Brief an Jossif Pjanitzki schrieb sie 1930 resigniert, sie wolle über die russischen Affären kein Urteil fällen, "weil mir das Vertrauen zu den Berichten von beiden Seiten fehlt". (15)

Zunehmend wurde die alte Revolutionärin in dieser Zeit von der Komintern- und der KPD-Führung zwar als Ikone hoch geehrt und ausgezeichnet, aber aus der aktuellen Politik herausgehalten. Trotzdem versuchte sie sich immer wieder einzumischen. Kritische Briefe nach Deutschland schickte sie manchmal in fünffacher Ausfertigung an verschiedene Personen, damit die Chance, dass einer sein Ziel erreichte, vergrößert wurde. Dass sie die Politik Stalins und seiner Anhänger in der KPD-Führung vor allem in der so genannten "Dritten Periode" nach dem VI. Weltkongress der Komintern 1928 als dumm und gefährlich ansah, das ist vielfach bezeugt.

Insbesondere aber lehnte sie die Politik des Thälmannschen Zentralkomitees in Deutschland ab, das seit 1928 den angeblichen "Sozialfaschismus", die Sozialdemokratie, zum Hauptfeind der Arbeiterklasse erklärt hatte und sich jeder Einheitsfront gegen die Nationalsozialisten widersetzte. Clara Zetkin dagegen befürwortete die Einheitsfronttaktik, so wie Lenin sie definiert hatte, als einziges Mittel, um die sozialdemokratische Führung und ihre prokapitalistische Politik zu entlarven und die in der SPD organisierten oder an ihr orientierten Arbeitermassen für die sozialistische Revolution zu gewinnen.

Sie ist entsetzt über Stalins Eingreifen zugunsten Thälmanns während der Wittorf-Affäre 1928. John Wittorf, ein enger Vertrauter von Thälmann, hatte Parteigelder veruntreut und war von letzterem gedeckt worden. Thälmann war zunächst gezwungen, seine Ämter niederzulegen, wurde jedoch auf Betreiben Stalins rehabilitiert und blieb Parteivorsitzender. Gegen das von Stalin an die Parteispitze gehievte Triumvirat Thälmann, Remmele und Neumann konnte die bereits schwer Erkrankte nichts mehr ausrichten.

1929 war sie nicht mehr in das Zentralkomitee der KPD gewählt worden, dennoch wollte die Partei auf ihr Prestige nicht verzichten und stellte sie 1930 erneut als Kandidatin für die Parlamentswahlen auf. Sie wurde wieder gewählt. Aus ihrer Ablehnung des Kurses der Parteiführung in Berlin und in Moskau jedoch machte sie in privaten Briefen keinen Hehl. Immer wieder betonte sie die Notwendigkeit einer Einheitsfront gegen den Nationalsozialismus.

In einem Brief an ihre Freundin Rosa Grimm schrieb sie über eine Freundin, die alles glaube, was die Parteipresse schreibe, "während in mir der revolutionäre Skeptizismus steckt, namentlich für alle Fragen, die sich nicht a priori vom grünen Tisch aus entscheiden lassen, sondern die nur die Praxis lösen kann.... die schlimmste Krankheit, die in mir zehrt, ist die innere Zerrissenheit u. Unsicherheit, das Ringen, Suchen, Tasten um Antwort auf die alte, ewig neue Pilatusfrage: Was ist Wahrheit, was ist Pflicht als oberstes Gebot meiner Treue zur proletarischen Revolution: Reden oder Schweigen." Diese "Krankheit", der Zweifel an der Parteilinie, hat mit Sicherheit dazu beigetragen ihre physische Gesundheit weiter zu untergraben.

1929 stellte sie fest, dass die Parteipresse ihr Buch "Erinnerungen an Lenin" totschwieg, in dem sie über die intensiven Gespräche berichtet, die sie mit diesem und seiner Frau Nadeschda Krupskaja gerade auch über Fragen der Bildung und Erziehung geführt hatte.

Selbst was ihr ureigenstes politisches Betätigungsfeld anging, machte sich zunehmend Enttäuschung bei ihr breit. Sie hatte immer wieder versucht, so genau wie es ihr möglich war, die Lage der Frauen in der Sowjetunion zu erforschen. Auch dabei stellte sie durchaus viele Defizite fest. Sie entwickelte sogar einen Fragebogen, mit dem sie eine soziologische Untersuchung zur Situation der sowjetischen Frauen plante. Es ist aber nicht bekannt, ob er jemals verteilt und ausgewertet werden konnte. 1928 schrieb sie an ihren Sohn Kostja, dass die Frauen es in der Sowjetunion schwer hätten, sich als Gleichberechtigte durchzusetzen. (16)

Als Alterspräsidentin eröffnete sie trotz ihrer Gebrechlichkeit - sie war fast gelähmt und so gut wie blind - im März 1932 den deutschen Reichstag mit einer Rede. Sie warnte vor dem Nationalsozialismus, dessen Gefährlichkeit sie viel früher und genauer erkannt hatte als die damalige Führung der KPD, die zeitweilig die Parole ausgegeben hatte: "Nach den Nationalsozialisten sind wir an der Reihe!"

Zetkin forderte im Gegensatz zur Parteiführung: "Das Gebot der Stunde ist die Einheitsfront aller Werktätigen, um den Faschismus zurückzuwerfen, um damit den Versklavten und Ausgebeuteten die Kraft und Macht ihrer Organisationen zu erhalten, ja sogar ihr physisches Leben. Vor dieser zwingenden geschichtlichen Notwendigkeit müssen alle fesselnden und trennenden politischen, gewerkschaftlichen, religiösen und weltanschaulichen Einstellungen zurücktreten. Alle Bedrohten, alle Leidenden, alle Befreiungssehnsüchtigen gehören in die Einheitsfront gegen den Faschismus und seine Beauftragten in der Regierung!"

Die Nazipresse giftete am nächsten Tag gegen die "kommunistische Jüdin" und "Moskowiterin", die des Hochverrats schuldig sei.

Clara Zetkin starb am 20.Juni 1933 im Sanatorium von Archangelskoje bei Moskau und wurde mit großem Pomp an der Kremlmauer beigesetzt. Auf einem Foto sieht man wie Stalin und Molotow ihren Sarg tragen, ein Symbol für das tragische Ende ihres revolutionären Lebens. Immerhin ist ihr durch ihren Tod vielleicht das schlimmere Schicksal erspart geblieben, das zahlreiche Marxisten im Zuge der Stalinschen Säuberungen erlitten.

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Anmerkungen

1) F. Mehring: Gesammelte Schriften, Bd. 4, Berlin 1963, S. 506.

2) zitiert nach Gilbert Badia: Clara Zetkin, Eine neue Biographie, Berlin 1994, S. 26

3) Clara Zetkin: Die Befreiung der Frau, Rede auf dem Internationalen Arbeiterkongress zu Paris (19. Juli 1889) http://www.marxists.org/deutsch/archiv/zetkin/1889/07/frauenbef.htm

4) C. Z. Rede auf der sozialdemokratischen Reichs-Frauenkonferenz in Mainz 1900

5) Dort heißt es in Punkt 4: "Abschaffung aller Gesetze, welche die Frau in öffentlich- und privatrechtlicher Beziehung zum Mann benachteiligen."

6) Clara Zetkin: Die bürgerliche Frauenbewegung, Aus: Zetkin, Clara: Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, Frankfurt am Main 1979, S. 146 - 152 http://www.marxistische-bibliothek.de/zetkin2.html

7) Gilbert Badia: a.a.O.,S. 143

8) http://www.marxists.org/deutsch/archiv/zetkin/1917/06/abschied.htm

9) C. Zetkin: Für den Frieden. In: Für die Sowjetmacht, Berlin 1977, S. 33ff

10) ebd., S. 44f

11) Zetkin: Die russische Revolution auf dem IV. Weltkongress der Kommunistischen Internationale. In: Die Kommunistische Internationale, 4. Jg., H. 24/25, S. 11

12) C. Zetkin: Fünf Jahre russische Revolution und die Perspektiven der Weltrevolution. in : Für die Sowjetmacht , Frankfurt/Main, 1977

13) http://www.marxists.org/deutsch/archiv/zetkin/1923/06/faschism.htm

14) Clara Zetkin: Über die Gesetzmäßigkeit des Sieges des Sozialismus in der UdSSR, In: Für die Sowjetmacht,, S. 388-405

15) Badia, a.a.O. S. 259

16) ebd, S. S. 235

Siehe auch:
Die Frauenfrage im Lichte des Marxismus (11. September 1997)

Rosa Luxemburgs Haltung gegenüber Lenin (7. Dezember 2002)

Ein Beitrag zur Neubewertung von Vermächtnis und Stellenwert Leo Trotzkis in der Geschichte des 20. Jahrhunderts (6. Juli 2001)

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