Bundestag stimmt Tornado-Einsatz in Afghanistan zu

Am vergangenen Freitag stimmte der Deutsche Bundestag der Entsendung von sechs bis acht Tornado-Kampfjets nach Afghanistan zu. Vorgesehen sind dabei auch Einsätze im heftig umkämpften Sünden des Landes, wo die Flugzeuge die Operationen der NATO-Truppen unter Führung der USA durch Aufklärungsflüge unterstützen sollen. Mit der Entsendung der Flugzeuge verbunden ist die Verlegung von bis zu 500 Soldaten - zusätzlich zu den 3.000 bereits dort stationierten Truppenangehörigen - in das Land. Der Einsatz soll bereits Anfang April beginnen und zunächst bis Mitte Oktober diesen Jahres dauern.

In der deutschen Bevölkerung indes steht eine deutliche Mehrheit den Einsätzen ablehnend gegenüber. Zwei Tage vor der Abstimmung im Parlament erbrachte eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts dimap nur 23 Prozent Befürworter des Einsatzes, während sich 69 Prozent gegen ihn aussprachen.

Die Uneinigkeit der Parlamentarier und ihre Hintergründe

Auch im Bundestag verlief die Abstimmung weitaus weniger einvernehmlich als zuvor erwartet. Bei 405 Ja-Stimmen votierten 157 Abgeordnete gegen den Antrag der Regierung, elf enthielten sich der Stimme. Das bedeutet die höchste Zahl von Gegenstimmen, die bislang ein Auslandseinsatz der Bundeswehr erhalten hat.

Die Fraktion der Grünen lieferte ein gespaltenes Votum. Die beiden Fraktionschefs Renate Künast und Fritz Kuhn befürworteten den Einsatz. Parteichefin Claudia Roth äußerte, von einer prinzipiellen Kritik des NATO-Krieges in Afghanistan weit entfernt, Deutschland werde "in immer stärkere und schärfere Kriegshandlungen hineingezogen". Grünen-Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele bleib seiner Rolle als pazifistisches Feigenblatt der Partei treu, indem er sagte: "Diese Tornados werden die verhängnisvolle Kriegsführung der USA im Süden Afghanistans unterstützen."

Aus der SPD-Fraktion kamen 69 Nein-Stimmen - das ist fast ein Drittel der Fraktion. Zuvor war mit weit weniger Ablehnung aus den Reihen der Sozialdemokraten gerechnet worden.

Neben den Abgeordneten der Linkspartei.PDS, die geschlossen gegen den Einsatz stimmten, taten sich besonders zwei Vertreter der Unionsfraktion durch heftige Kritik hervor: Der CDU-Mann Winfried Wimmer sowie sein christsozialer Fraktionskollege Peter Gauweiler kündigten gar eine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht an.

In der Begründung ihrer Ablehnung der Tornado-Entsendung trat deutliche Unzufriedenheit mit der Kriegsführung unter Leitung der USA in Afghanistan hervor. Sie prangerten die "völkerrechtswidrige Kriegführung der Vereinigten Staaten" an, die "längst nicht mehr durch das Recht auf Selbstverteidigung nach der Charta der Vereinten Nationen gedeckt sei" und an der sich Deutschland nun mehr und mehr beteilige. Die Entsendung der Flugzeuge sei "der letzte Schritt in einer sich über mehrere Jahre erstreckenden Politik durch die Bundesregierung, die an einer stillschweigenden und vom Gesetzgeber nicht gewollten Änderung der Substanz des Nato-Vertrages mitwirkt", erklärten sie weiter.

Besonders Wimmer zählt seit längerem zu den heftigsten Kritikern der Beteiligung der Bundeswehr an den Kämpfen in Afghanistan. Vor einigen Wochen sagte er, der Weg der Tornados führe von Afghanistan "direkt nach Den Haag" zum dortigen Kriegsverbrechertribunal, da die von ihnen gelieferten Aufklärungsergebnisse zur Tötung unschuldiger Zivilisten führe.

Aus der Kritik Wimmers, Gauweilers und vieler anderer spricht jedoch keineswegs eine generelle Ablehnung von militärischen Einsätzen der Bundeswehr und auch keine Anpassung an die Antikriegsstimmung in der Bevölkerung. Es handelt sich vielmehr um die Befürchtung, in einen militärischen Schlamassel hineingezogen zu werden, aus dem es dann kein Zurück mehr gibt.

Zu den militärischen Bedenken kommen politische hinzu - ausufernde Beteiligungen an den militärischen Unternehmungen der USA könnten die Bemühungen der bundesdeutschen Außenpolitik zunichte machen, selbst in der Region Fuß zu fassen.

Die Bundeswehr, die derzeit das Kommando der Schutztruppe Isaf für den Norden des Landes innehat, bemüht sich seit dem Sturz der Taliban-Rebellen Ende 2001 um eine enge Zusammenarbeit mit den ortsansässigen herrschenden Kreisen. Unter anderem bildet sie afghanische Polizei- und Militärverbände aus.

Sie arbeitet dabei durchaus auch mit Warlords und Drogenbaronen zusammen, denen gegenüber sie eine Politik der gegenseitigen Toleranz betreibt. Sie dürfen weiter ihre Geschäfte mit Waffen und Drogen machen, unternehmen dafür aber nichts gegen die schwache Zentralregierung Hamid Karzais. Im Jahr 2006 wurde in Afghanistan soviel Opium produziert, wie niemals zuvor. Der ehemalige Bundesaußenminister Joseph Fischer hat stets betont, die Bekämpfung des Drogenanbaus sei eine Aufgabe der Polizei und nicht der Bundeswehr.

Auf dieser Art "friedlicher Koexistenz" beruht die viel beschworene "Sonderstellung" der Deutschen in Afghanistan. Diese beginnt jedoch mit zunehmendem Engagement der Bundeswehr in Kampfhandlungen zu schwinden. Gegenüber der ARD sagte Babak Khalatbari, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kabul: "Deutschland als Isaf-Mitgliedsstaat und auch Nato-Mitgliedsstaat, da verwischen in diesem Jahr 2007 immer mehr die Fronten. Und man nimmt nur noch den ausländischen Soldaten wahr, egal welcher Nation. ... Unser Bonus am Hindukusch wird schrumpfen und wird kleiner werden."

Durch zunehmende Einsätze der Bundeswehr-Truppen im Süden würde diese Entwicklung zweifellos stark beschleunigt. Hier kämpfen die Truppen der Operation Enduring Freedom unter Führung der USA einen blutigen Krieg, der nach Ansicht vieler Beobachter überhaupt nicht zu gewinnen ist.

Isaf und OEF

Bereits im Vorfeld der Entscheidung über den Tornado-Einsatz war es zu teils heftigen Kontroversen um dessen Charakter gekommen. Eine besondere Bedeutung wurde dabei der Unterscheidung zwischen der Tätigkeit der Isaf-Kräfte und denen der Operation Enduring Freedom (OEF) zugesprochen. Zwar arbeiten beide Missionen Hand in Hand und teilen sich neben ihren Aufgaben auch weite Teile ihrer Kommandostrukturen; doch wird die Isaf in der öffentlichen Diskussion eher mit "ziviler Aufbauhilfe" in Verbindung gebracht, die OEF dagegen eher mit aktiven Kampfhandlungen.

Um die Mitwirkung der Bundeswehr-Tornados an den Einsätzen letzterer notdürftig zu bemänteln, wurde die Formulierung einer "restriktiven" Weitergabepraxis der Informationen von Isaf an OEF in den Mandatstext aufgenommen. Mit irgendwelchen Einschränkungen hinsichtlich der Informationsvergabe ist allerdings kaum zu rechnen. Zudem ist die Isaf längst selbst in zunehmend heftige Kampfhandlungen verwickelt - so wird die weiter unten beschriebene Operation Achilles unter ihrer Leitung durchgeführt.

In der Frage, ob es sich beim Tornado-Einsatz um einen "Kampfeinsatz" handelt, zeigten sich Gegner wie Befürworter schon damals uneins. So beharrte Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) auf der strikten, militärisch aber sinnlosen Trennung zwischen Aufklärungsflügen und Kampfeinsätzen. Er versuchte sogar, den Einsatz als Beitrag zum Schutz der Zivilbevölkerung zu präsentieren: Gerade durch die bessere Identifizierung von militärischen Zielen würden "Kollateralschäden" vermieden.

Auf der anderen Seite betonten verschiedene Kenner der Materie den wesentlichen Zusammenhang zwischen Aufklärung und militärischen Schlägen. Jungs Vorgänger im Verteidigungsministerium, Peter Struck, erklärte, es handle sich "natürlich" um einen Kampfeinsatz. Andere forderten ein klares Bekenntnis zu Kampfeinsätzen - inklusive der Entsendung von Bodentruppen in den Süden.

Operation "Achilles"

Unterdessen ist die seit Wochen angekündigte "Frühjahrsoffensive" der NATO-Truppen in vollem Gange. Unter dem Titel "Operation Achilles" wurde am Morgen des 6. März eine großangelegte Offensive gegen die Taliban-Rebellen begonnen. Zuvor war wiederholt vor einer Angriffswelle durch die Taliban gewarnt worden, doch US-Außenministerin Condoleezza Rice hatte darauf geantwortet, wenn es überhaupt eine Frühjahrsoffensive gebe, "dann wird es unsere sein".

Bundesverteidigungsminister Jung dagegen wollte im Vorfeld der Abstimmung im Bundestag nichts von einer "Frühjahrsoffensive" wissen - es gebe lediglich die Ausweitung einer bereits seit längerem laufenden "Operation Adler", so Jung gegenüber Spiegel online. Von einer "Offensive" wolle er in diesem Zusammenhang nicht sprechen.

Den Kommandeuren der tatsächlich stattfindenden Operation dürfte dies neu sein. Die vor Ort tätigen Militärs sprechen klar und offen von einer Offensive und nennen als Ziel, die Taliban aus der Provinz Helmand im Süden zu verdrängen, die der Kontrolle der NATO-Truppen völlig entglitten ist. Der Isaf-Regionalkommandeur für Südafghanistan, der niederländische Generalmajor Ton van Loon, bezeichnete "Achilles" laut Süddeutscher Zeitung als "bislang größte gemeinsame Operation von Isaf- und afghanischen Truppen". Auch der UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan, der Grünen-Politiker Tom Koenigs, teilt diese Auffassung.

Dem umkämpften Helmand wird große Wichtigkeit zugesprochen, da sich hier u.a. ein für die Energiegewinnung bedeutender Staudamm befindet.

"Achilles" soll auf dem Höhepunkt der Aktivitäten um die 4.500 Isaf-Soldaten und zusätzlich etwa 1.000 Afghanische Truppen umfassen. Eine zeitliche Begrenzung ist nicht vorgesehen. Experten bezeichneten die nächsten zwei Monate als entscheidend für die weitere Zukunft des Landes.

Bereits in den Tagen vor dem offiziellen Beginn der Operation kam es bei Einsätzen der Koalitionstruppen zu zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung. Durch Bomben auf "vermutete Feindpositionen" starben nördlich von Kabul neun Menschen in ihrem Wohnhaus. Bereits zwei Tage zuvor waren in der ostafghanischen Stadt Dschalalabad zehn Menschen ums Leben gekommen und 34 weitere verletzt worden, als US-Soldaten aus Angst vor einem Selbstmordattentat das Feuer auf Umstehende eröffneten.

Beiden "Vorfällen" waren Angriffe von Rebellen vorausgegangen. Diese richteten zwar keine größeren Schäden an; die Häufung der Angriffe auf die Besatzungstruppen hat jedoch zu einer zunehmenden Nervosität unter deren Soldaten geführt, mit dem Ergebnis, dass oftmals Unbeteiligte von den in Panik geratenen Truppen unter Beschuss genommen werden. Augenzeugen berichteten, in Dschalalabad hätten die Soldaten wahllos und in Panik auf alles geschossen, was ihnen verdächtig vorgekommen sei.

Unter den 4.000 im Jahr 2007 in Afghanistan Getöteten waren mindestens.000 Zivilisten, was wiederholt den Zorn der örtlichen Bevölkerung erregte. Gemeinsam mit den vielerorts stagnierenden oder gar sich verschlechternden Lebensbedingungen hat dies zu dem immer offensichtlicheren Wiedererstarken der Taliban-Rebellen geführt. Inzwischen mehren sich deren Anschläge auch im Osten des Landes und in der Hauptstadt Kabul.

In einem Kommentar zu Jungs Leugnung einer "Frühjahrsoffensive" schrieb Spiegel online am 6. März: "Die Nato, allen voran noch immer die Amerikaner, kämpft nicht mehr gegen einen Widerstand von Wenigen im Land. Die Taliban und die vielen von Luftangriffen und getöteten Zivilisten aufgestachelten Sympathisanten der Krieger von Mullah Omar im Land sind mittlerweile ein Gegner auf Augenhöhe."

Die Operation "Achilles" steht selbst in einem breiteren Zusammenhang: Sie soll in Afghanistan ein für allemal das Terrain bereinigen, das derzeit noch bedeutende Mittel der amerikanischen Streitkräfte bindet. Verschiedentlich wurde hervorgehoben, dies solle den Strategen des Pentagon erlauben, sich ganz der Beherrschung des völlig auseinander fallenden Irak zu widmen.

Die "Säuberung" des afghanischen Terrains hat noch eine weitere bedrohliche Dimension: In Südafghanistan verläuft eine fast 1.000 Kilometer lange Grenze zum Iran, der in den vergangenen Wochen und Monaten zum Ziel heftiger verbaler Angriffe von Seiten der USA geworden ist. Auch die Verlegung eines weiteren Flugzeugträgers in den Persischen Golf verweist auf die fortgeschrittenen Vorbereitungen zu einem Angriff auf den Iran.

Die Entsendung von Tornados und zusätzlichen Soldaten zur Unterstützung der Operation "Achilles" kann nur in diesem Kontext richtig eingeschätzt werden. Trotz der Beteuerungen vom "friedlichen Wiederaufbau" wird hier dem US-Imperialismus bei der gewaltsamen Durchsetzung seiner geopolitischen Ziele unter die Arme gegriffen.

Siehe auch:
Kabinett beschließt Tornado-Einsatz für Südafghanistan
(9. Februar 2007)

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