Die geplante Auslagerung von mehreren Zehntausend Mitarbeitern der Deutschen Telekom und die damit verbundene drastische Verschlechterung der Arbeitsbedingungen brachte für einen Berliner T-Com-Techniker das Fass zum überlaufen. Um seinen "Frust abzulassen" schrieb er kurzerhand eine Protestmail an den Telekom-Konzernvorstand, die in den letzten Tagen hohe Wellen schlug.
Anfang März hatte die Telekom bekannt gegeben, eine neue Service-Gesellschaft zu gründen, in die 55.000 Mitarbeiter ausgelagert werden sollen. Der Konzernvorstand verfolgt damit das Ziel, die Kosten pro Arbeitsstunde drastisch zu senken. Es ist geplant, die Wochenarbeitszeit von derzeit 34,5 auf 40 oder sogar 40,5 Stunden zu erhöhen, wobei die Monatsgehälter "etwa konstant" bleiben sollen.
Zur Information hatte der T-Com-Techniker die Mail auch an einige wenige Kollegen geschickt. Innerhalb kürzester Zeit fand sie Verbreitung unter Tausenden weiterer Kollegen bei der Telekom und in anderen Unternehmen. Wie eine Art Kettenbrief wurde sie immer weiter geschickt. Inzwischen ist sie auf den Web-Sites von verschiedenen Tageszeitungen und Spiegel-Online nachzulesen.
Täglich erhält der Techniker Briefe von Kollegen aus nahezu allen Sparten und Regionen der Telekom, die ihm beipflichten und zu seinem Mut gratulieren. Auch auf Betriebsversammlungen anderer Unternehmen werden Abschnitte des Briefes zitiert, in den Mittagspausen wird er heiß diskutiert. Offensichtlich fand der Brief die richtigen Worte und sprach Tausenden Telekom-Mitarbeitern und anderen Betroffenen aus dem Herzen.
Noch nie hat es in einem deutschen Großkonzern so etwas gegeben, so dass sich inzwischen Telekom-Chef René Obermann veranlasst sah, eine Antwort an alle Beschäftigen der Telekom zu verfassen. Er bekräftigt darin die Pläne des Konzernvorstands und preist sie als einzige Möglichkeit, die Telekom aus der Krise zu führen. Er beschwert sich außerdem, die Beleidigungsgrenze sei in dem Brief des T-Com-Technikers mehrfach überschritten worden, und mahnt "Fairness" an.
Erste Verhandlungen über die geplante Umstrukturierung zwischen Telekom-Vorstand und der Gewerkschaft Verdi haben vergangene Woche stattgefunden, wurden aber erst mal auf Anfang April vertagt.
Sein Berufsleben hat der Autor des Briefes vor über 30 Jahren bei der Post, aus der später die Deutsche Telekom hervorging, begonnen. Er bezieht sich deshalb zu Beginn seines Schreibens auf die zahlreichen Mitarbeiterbriefe des Konzernvorstands. In denen war immer wieder von der Notwendigkeit die Rede, die "Bindung der Mitarbeiter ans Unternehmen" zu verbessern, eine Floskel, die Manager gern benutzen, um den Beschäftigten harte Sanierungskonzepte zu verkaufen.
"Dazu kann ich ihnen nur erwidern, dass ich und die meisten meiner Kollegen im kleinen Finger mehr Unternehmensbindung haben, als ihre ganze Führungsriege zusammen", erwidert der Techniker. "Ich habe gesehen, wie aus der Post die Telekom und aus Teilnehmern Kunden wurden, aber leider auch, wie aus unserer Firma, in der jeder für jeden da war, ein Unternehmen geschaffen wurde, in dem jeder nur noch an sich denkt (denken muss); wo jeder Unternehmensteil nur noch versucht, den eigenen Bereich sauber zu halten und aus den anderen Teilen so viel wie möglich abzuschöpfen, auch wenn dort viel größere Lücken gerissen werden, als jemals wieder zu stopfen wären. Ich habe erlebt, wie aus uns Mitarbeitern Humankapital wurde und wie wir alle nur noch als Kostenfaktoren angesehen werden, von denen man sich - so schnell es nur geht - trennen muss und will. Sie und ihre Vorgänger jedoch geben sich im Vorstand die Klinke in die Hand; sie kommen und gehen. Von Unternehmensbindung kann hier wohl kaum die Rede sein."
Er wirft dem Konzernvorstand vor, für den schlechten Zustand der Telekom selbst verantwortlich zu sein: "Sie kommen, strukturieren um, und das mit einer Arroganz und Selbstherrlichkeit, ohne auf warnende Hinweise zu hören, dass sich so die Qualität und die Zuverlässigkeit nicht mehr halten lassen kann, geschweige denn besser wird. Es kümmert sich auch niemand von ihnen um die Folgen ihrer Entscheidungen. Sie ziehen mit voll gestopften Taschen weiter, um im nächsten Unternehmen das Gleiche zu tun, und sie hinterlassen skrupellos einen immer größer werdenden Scherbenhaufen."
Er klagt den jetzigen Konzernvorstand und seine Vorgänger an, im Laufe der Jahre ein funktionierendes Unternehmen zerstört zu haben. Dabei schildert er, wie bereits in der Vergangenheit erfahrene Techniker und Servicepersonal massenhaft abgebaut und durch schlecht ausgebildete und noch schlechter bezahlte, externe Kräfte ersetzt worden sind. Er beschreibt dies als den Hauptgrund für den oft beklagten, schlechten Service der Telekom und den großen Verlust von Kunden. "Nun wollen sie mit dem Service auch noch die dritte direkte Schnittstelle zu unseren, noch verbliebenen Kunden kastrieren, auch hier wieder massiv Personal reduzieren und den Rest mit weniger Gehalt und längeren Arbeitszeiten zu besserem Service motivieren."
Wütend mache ihn, dass die Mitarbeiter nun auch noch beschimpft würden, schlecht, teuer, nicht motiviert, faul und unproduktiv zu sein: "...dann steigt ob dieser Unverschämtheit eine ungeahnte Wut in uns auf. Doch als wenn es ihnen nicht reicht, uns so zu beleidigen, verbreiten sie das auch noch in aller Öffentlichkeit und fügen so unserem Ansehen und somit natürlich auch unserem Aktienkurs einen immensen Schaden zu. Sie beschmutzen rücksichtslos das eigene Nest, nur um kurzfristig ihre (oder wessen auch immer) Abbau- und Auslagerungspläne durchsetzen zu können und von den Fehlern ihrer Vorgänger abzulenken. Das ist eine Unglaublichkeit sondergleichen und ein Vertrauensbruch, der durch nichts zu entschuldigen und wieder gut zu machen ist."
Aus dem gesamten Brief klingt große Sorge, aber auch enorme Verbundenheit mit der Telekom an. "Wir Mitarbeiter sind das Unternehmen! Wir haben aber den Zustand des Unternehmens nicht zu verantworten."
Der Briefschreiber appelliert immer wieder an das soziale Gewissen des Konzernvorstands und fordert ihn auf, einzulenken und mit der Belegschaft zusammen zu arbeiten. "Reden Sie mit uns...wir wissen wo es knackt im Gebälk!... wir würden lieber heute als morgen die Telekom wieder an die Spitze bringen...wir wissen wie das geht...nutzen Sie unserer Ideen, unser Engagement, unserer Bereitschaft für Veränderungen und unsere Flexibilität!"
Sofort zeigt sich aber wieder Hoffnungslosigkeit, wenn er schreibt: "Sie hören lieber auf externe Berater wie z.B. McKinsey, die nicht das geringste Interesse an der Telekom haben und jeder Firma den gleichen Mix aus Zerteilung und Personalabbau überstülpen und immer wieder frustrierte und arbeitslose Mitarbeiter hinterlassen."
..."Wundern sie sich aber nicht, wenn sie, nachdem sie das immer schneller sinkende Schiff Telekom - wie ihre Vorgänger sicherlich mit einer großzügigen Abfindung für ihre hervorragenden Verdienste für die Telekom - verlassen haben, beim Blick in den Spiegel eine Heuschrecke sehen."
Die Gnadenlosigkeit von Unternehmensberatern wie McKinsey und internationalen Investment-Gruppen, den so genannten "Heuschrecken", bekommen die Arbeiter heute massenhaft zu spüren. Vorrangiges Ziel solcher Investment-Gruppen ist es, in ein Unternehmen einzusteigen, um es bis aufs Blut auszuquetschen und dann dicht zu machen und die Überreste zu verscherbeln.
Die Investment-Gruppe Blackstone hat im vergangenen Jahr Anteile des Bundes an der Telekom gekauft und einen Sitz im Aufsichtsrat erworben. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hatte dies euphorisch begrüßt. Seither treibt sie die Umstrukturierung des Unternehmens heftig voran und hat sich für René Obermann als neuen Vorstandsvorsitzenden eingesetzt.
Der T-Com-Techniker hat in seiner berechtigten Wut einige Wahrheiten aufgezeigt und ausgesprochen, was viele Kollegen denken. Er zeigte sich selbst überrascht von dem, was er ausgelöst hatte: "Die Welle hat mich überrollt" Eigentlich habe er keinen offenen Brief schreiben wollen, wird er in Spiegel-Online zitiert. Er glaube, dass die Telekom ihre Probleme intern lösen könnte und sollte; Vorstand und Beschäftigte müssten dies gemeinsam tun.
Das ist sicherlich eine Illusion. Die Interessen international agierender Konzerne wie der Telekom, die ihrerseits unter dem Druck der Aktien- und Finanzmärkte stehen, lassen sich nicht mit den Interessen der Belegschaften versöhnen. Es gibt kein gemeinsames Konzerninteresse mit den Vorständen. Die Probleme, vor denen die Arbeiter stehen, sind ein Ausdruck der Krise des kapitalistischen Gesellschaftssystems. Nur die Arbeiterklasse kann über Konzern- und Ländergrenzen hinweg gemeinsam diese Errungenschaften verteidigen und erreichen, dass weltweit alle Menschen von dem technologischen und gesellschaftlichen Fortschritt profitieren können.
Noch versteht die Mehrheit der Arbeiter dies nicht. Aber die Geschwindigkeit, mit der eine Protestmail verbreitet wurde, in der einige Wahrheiten ausgesprochen werden, zeigt, dass sie nach neuen Antworten zu suchen beginnen.