Streit um US-Raketenpläne

Deutscher Außenminister warnt vor Rückkehr zum Kalten Krieg

Der Plan der US-Regierung, unter Umgehung der Nato eine Raketenbasis in Polen und eine dazugehörige Radarleitstation in Tschechien aufzubauen, hat in Europa Verärgerung hervorgerufen. Mehrere prominente europäische Politiker warnen inzwischen offen, dass die US-Pläne die Zukunft der Nato gefährden und die Gefahr einer Spaltung Europas heraufbeschwören.

In den letzten Tagen haben führende europäische Politiker den Raketenschild als einen offenkundigen Versuch der USA bezeichnet, einen Keil zwischen Europa und Russland zu treiben

In bilateralen Gesprächen, bei denen die Nato vollkommen umgangen wurde, signalisierten Polen und Tschechien ihre Bereitschaft, der Stationierung des amerikanischen Raketensystems auf ihrem Boden zuzustimmen.

Die offizielle Begründung der USA für das neue Raketenprojekt ist eine angebliche Bedrohung der USA durch Langstreckenraketen aus dem Nahen Osten - d.h. dem Iran - und/oder Nordkorea. Der russische Präsident Putin betrachtet dagegen Russland als das Hauptziel des neuen Raketensystems. Russland fürchtet, von amerikanischen Stützpunkten völlig eingekreist zu werden, schließlich sind mittlerweile auch zwei Länder des früheren russischen Einflussgebiets, Afghanistan und der Irak, von den USA besetzt. Amerikanische Militärplaner denken bereits über einen Ausbau des Raketensystems für die Zeit nach der Aufstellung in Polen und Tschechien nach.

Die ukrainische Regierung erhielt schon eine Anfrage wegen der möglichen Stationierung einer amerikanischen Einrichtung, und eine weitere Basis ist für den Kaukasus geplant, möglicherweise in Georgien. Die Regierungen in diesen beiden Ländern kamen mit erheblicher amerikanischer Unterstützung an die Macht - durch die so genannte "Orange Revolution" in der Ukraine und die "Rosenrevolution" in Georgien. Jetzt sollen sich die amerikafreundlichen Regierungen erkenntlich zeigen und eine Stationierung der neuen Waffensysteme auf ihrem Territorium zu erlauben. Auf der 43. Münchener Sicherheitskonferenz im vergangenen Monat sprach Putin das für Polen und Tschechien geplante Raketensystem in seiner Rede offen an. Gleichzeitig fand er scharfe Worte für den amerikanischen Militarismus und Unilateralismus.

In einem Artikel in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zeigt der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier unter der Überschrift "Wir wollen kein neues Wettrüsten in Europa: Nato und EU dürfen sich nicht spalten lassen - der Kalte Krieg ist vorbei" seine unmissverständliche Ablehnung hinsichtlich der amerikanischen Raketenpläne. "Ein Raketenabwehrsystem darf weder Ursache noch Vorwand für eine neue Rüstungsrunde sein", schreibt Steinmeier und stellt die Frage: "Kehrt die Zeit der Blockkonfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und Russland zurück?" Er beantwortet seine Frage mit Nachdruck: "Ich sage: Der Kalte Krieg ist vorbei!"

Steinmeier ermahnt die USA, an den traditionellen Verhandlungstisch bei der Nato zurückzukehren und meint: "Die einzig verbliebene Supermacht, Amerika, erlebt, dass militärische Überlegenheit allein weder Freundschaft noch Frieden erzwingen kann." Dann erklärt Steinmeier: "Europas Sicherheit ist unteilbar", und weist den Ausspruch des ehemaligen amerikanischen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld über "das alte und das neue Europa" zurück.

Vor Steinmeier hatte schon Ex-Kanzler Gerhard Schröder am 11. März noch deutlicher Stellung genommen. Schröder hatte in seiner Zeit als Regierungschef engste Beziehungen zu Präsident Putin gepflegt und leitet mittlerweile das russisch-deutsche Projekt einer Ölpipeline durch die Ostsee.

Schröder sagte gegenüber der Presse: "Das von den USA geplante Raketenabwehrsystem in Osteuropa ist politisch extrem gefährlich und es handelt sich um einen Versuch, eine unsinnige Einkreisungspolitik gegenüber Russland zu etablieren, die alles andere als im europäischen Interesse liegt". Weiter sagte er: "Wir brauchen das genaue Gegenteil: In unserem eigenen Interesse müssen wir Russland so eng wie möglich in Europa und in die europäischen Strukturen einbinden."

Nur einen Tag zuvor hatte der französische Präsident Jacques Chirac seine Besorgnis ausgedrückt, dass die neuen amerikanischen Raketenbasen Europa spalten könnten. "Wir sollten unbedingt eine neue Trennungslinie in Europa und eine Rückkehr der alten Ordnung vermeiden", sagte Chirac.

Meinungsverschiedenheiten in Deutschland

Steinmeiers warnende Worte an die USA fanden bei führenden SPD-Politikern und den anderen etablierten Parteien Unterstützung. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck ging sogar noch weiter. Während Steinmeier forderte, alle Diskussionen über neue Raketensysteme in Europa sollten im Rahmen der Nato geführt werden, erklärte Beck, er lehne die Stationierung neuer Raketensysteme in Europa prinzipiell ab. In seiner Haltung wurde er von Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul unterstützt, die die amerikanischen Pläne "unverantwortlich" nannte.

Auch der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher von der FDP sagte gegenüber der Presse: "Entscheidungen von solcher Tragweite können nicht in bilateralen Verhandlungen getroffen werden: Sie gehören in die Nato und in die EU."

Kanzlerin Merkel (CDU) machte die Frage der US-Militärbasen vergangene Woche bei ihrem Staatsbesuch in Polen zum Thema. Sie erreichte allerdings lediglich ein vages Versprechen der polnischen Regierung, die Nato zu konsultieren. Vor dem deutsch-polnischen Gipfel hatte der polnische Verteidigungsminister Alexander Szczyglo Warschaus Prioritäten unmissverständlich deutlich gemacht: "Polens Sicherheit beruht auf drei Säulen", sagte er. "Auf der EU, der Nato und den USA, und ohne Zweifel sind die USA die stärkste Säule."

Nachdem es ihr nicht gelungen war, die Haltung der polnischen Regierung wesentlich zu verändern, gab Merkel nach dem Artikel ihres Außenministers in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung eine eigene sorgfältig formulierte Erklärung zu Deutschlands transatlantischem Partner ab. In einer Rede vor der Konferenz über transatlantische Wirtschaftskooperation am Montag in Berlin sagte sie: "Wir wollen immer darauf achten; vertrauensvoll über alle Dinge zu sprechen, um Spaltungen zu vermeiden." Mit deutlichem Bezug zu den die USA fügte sie hinzu: "Keiner allein wird die neuen Herausforderungen bewältigen können."

Die unterschiedlichen Gewichtungen, die Mitglieder der Koalition in dieser Frage vornehmen, spiegeln Differenzen über die Außenpolitik, die bei den deutschen Konservativen und der SPD schon seit Jahrzehnten vorhanden sind. In der gesamten Nachkriegszeit waren CDU und CSU entschiedene Vertreter eines starken transatlantischen Bündnisses und der Isolierung Russlands. Die SPD dagegen stellte zwar nie die Bedeutung guter Beziehungen zu den USA für die wirtschaftliche und politische Stabilität in Nachkriegsdeutschland in Frage. Gleichzeitig suchte sie aber schon relativ früh gute Arbeitsbeziehungen zum Ostblock, um ein Gegengewicht zu den USA zu schaffen und die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten auszubauen.

Zweifellos will der SPD-Vorsitzende Kurt Beck mit seinen deutlichen Äußerungen zu den amerikanischen Raketenbasen teilweise die innerparteiliche Opposition besänftigen. Allein jüngst seine Unterstützung für die Entsendung der Bundeswehr-Tornados nach Afghanistan ist ein Beleg dafür, dass Beck kein Pazifist ist. Doch Kanzler Schröder konnte 2003 die Opposition in der SPD gegen seine unternehmerfreundliche Politik des Sozialabbaus im Zaum halten, weil er sich gegen den Irakkrieg aussprach. Es gibt wenig Zweifel, dass Beck jetzt in diesem Sinne darauf abzielt, Kritik in seiner Partei zum Schweigen zu bringen: Indem er sich als Gegner des US-Militarismus ausgibt, will Beck davon ablenken, dass seine Partei massive Angriffen auf soziale Errungenschaften ausführt und die Interessen der Großkonzerne vertritt.

Es geht allerdings um mehr. Beck, Steinmeier und andere führende deutsche Politiker sind ernsthaft besorgt, dass die aggressive US-Außenpolitik in Europa, der weltweite Ansehensverlust Amerikas wegen dem Debakel im Irak und die Kriegsdrohungen gegen den Iran (einem wichtigen Handelspartner Deutschlands und anderer europäischer Länder) zu Lasten Deutschlands gehen. Sie fürchten, dass die deutsche Position zwischen den USA im Westen und Russland im Osten langfristig nicht mehr zu halten ist.

Der Wettlauf um Rohstoffe

Der endgültige Zusammenbruch der stalinistischen Regimes in Osteuropa 1990/91 stärkte damals schlagartig das politische und ökonomische Gewicht der USA in Europa. Gleichzeitig gewann das wiedervereinigte Deutschland in Europa enorm an Einfluss. Das Ende des Kalten Krieges beraubte die Nato im Grunde ihrer Existenzgrundlage. Seither haben Europa und besonders Deutschland ihren politischen und ökonomischen Einfluss in Osteuropa beträchtlich ausgeweitet.

Deutschland ist gegenwärtig einer der wichtigsten Handelspartner Russlands. Der Handel zwischen den beiden Ländern beläuft sich auf etwa 40 Milliarden US-Dollar im Jahr. Deutsche Investitionen in Russland betrugen in den ersten neun Monaten des Jahres 2006 zwei Milliarden US-Dollar, was eine Steigerung von 53 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Gleichzeitig ist Deutschland, ähnlich wie viele andere europäische Länder, stark von russischen Öl- und Gaslieferungen abhängig. Russisches Öl und Gas macht mehr als ein Viertel der Gesamtenergieversorgung Europas aus.

Der größte Teil dieses Öls und Gases wird in Pipelines durch Weißrussland und die Ukraine transportiert. Aber in enger Zusammenarbeit mit deutschen Firmen verfolgt Russland das Projekt (bei dem Gerhard Schröder den Vorsitz führt), eine Pipeline durch die Ostsee direkt nach Deutschland zu bauen.

Die neue Ostseepipeline hat schon zu heftigen Verstimmungen zwischen Russland, Polen und Deutschland geführt. Die Pipeline umgeht Polen und mindert dadurch sowohl die polnischen Einnahmen aus den Transitgebühren wie auch den Einfluss Warschaus auf die europäische Energiepolitik. Der polnische Verteidigungsminister hat das Pipelineprojekt in hysterischen Tönen verurteilt und mit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939 verglichen. Polen blickt jetzt nach Kasachstan als alternativen Öllieferanten, um die Energieabhängigkeit von dem übermächtigen Nachbarn Russland zu verringern.

Merkels Besuch in Polen sollte neue Brücken zu Deutschlands östlichem Nachbarn bauen und die Spannungen verringern, welche die deutsch-polnischen Beziehungen prägen, besonders seit die Kaczynski-Brüder an der Regierung sind. Die Polenreise war auch eine Vorbereitung auf ihr Treffen mit dem russischen Präsidenten im Kurort Sotschi am Schwarzen Meer, das am kommenden Wochenende stattfindet. Die Tatsache, dass dies bereits das sechste Treffen der beiden Staatsführer seit Merkels Amtsantritt im November 2005 ist, unterstreicht die Bedeutung der deutsch-russischen Beziehungen.

Als EU-Ratspräsidentin und Gastgeberin des G8-Gipfels führender Industrienationen hat Merkel eine umfangreiche Themenpalette mit Putin zu bereden. Ganz vorne auf der Liste aber steht die sichere Energieversorgung Deutschlands und der EU durch Russland.

Putin verfolgt derweil seine eigenen außenpolitischen Interessen und stützt sich dabei auf Russlands Rohstoffreichtum. Nach einem jüngsten Besuch beim italienischen Ministerpräsidenten Prodi traf Putin vergangene Woche mit führenden Mitgliedern der griechischen Regierung zusammen. Putin will die Pläne für eine Ölpipeline abschließen, die letztlich Öl vom Schwarzen Meer ans Mittelmeer transportieren soll. Die Pipeline, die den Bosporus umgeht, soll direkt mit der von den USA forcierten Schwarzmeer-Ceyhan-Pipeline konkurrieren

Der Wettlauf um Rohstoffe beschleunigt sich auf dem ganzen Kontinent. An diesem "Großen Spiel" - einem Wettstreit um größeren politischen Einfluss und neue Allianzen - sind Europas führende Mächte und Russland beteiligt. Die jüngsten amerikanischen Raketenpläne, mit denen Europa gespalten und der militärische Einfluss Amerikas in der strategisch entscheidenden und unruhigen Region Osteuropa gestärkt werden soll, sind rücksichtslos und bergen die Gefahr katastrophaler Folgen für die europäische Bevölkerung. Das europäische Vorhaben, die eigenen militärischen Kapazitäten in Konkurrenz zu den USA auszubauen, erhält durch die jüngsten Pläne für neue Waffensysteme in Europa nur weiteren Aufschwung und geht gänzlich auf Kosten des Lebensstandards und sozialer Errungenschaften.

Siehe auch:
Ex-Außenminister Fischer plädiert für europäische Großmachtpolitik unter deutscher Führung
(22. März 2007)
Merkel hofiert Bush
( 6. Januar 2007)
Die Sackgasse des europäischen Kapitalismus und die Aufgaben der Arbeiterklasse
( 16. März 2006)
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