Der nordkoreanische Atomtest vom Montag vergangener Woche hat die chinesische Führung in eine politische Krise gestürzt. Peking steht unter starkem Druck der Bush-Regierung, harten Sanktionen gegen Nordkorea zuzustimmen. Dies würde den Bruch mit dem langjährigen formellen Verbündeten beschleunigen.
Als Pjöngjang Anfang Oktober den bevorstehenden Test ankündigte, lehnte Peking diesen Schritt entschieden ab und unterstützte eine Stellungnahme des UN-Sicherheitsrats, die ihn verurteilte. Chinas UN-Botschafter Wang Guangya warnte in New York, niemand werde Nordkorea verteidigen und das Land müsse mit "schwerwiegenden Folgen" rechnen, wenn es einen nuklearen Sprengsatz zünde.
Die unausgesprochene Drohung, Nordkorea könnte die Unterstützung seines wichtigsten Geldgebers und Wirtschaftspartners verlieren, wurde durch den Besuch des neuen japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe in Peking unterstrichen. Abe und der chinesische Präsident Hu Jintao erklärten in einer gemeinsamen Stellungnahme, beide Länder würden den Atomtest mit Sorge betrachten.
Hus Unterstützung für Abe, der schon seit geraumer Zeit die nordkoreanische "Bedrohung" benutzt, um die Wiederbelebung des japanischen Militarismus zu rechtfertigen, war für Pjöngjang besonders bitter. Nordkoreanische Vertreter warfen China "Chauvinismus" vor und erklärten, sie bräuchten den Schutz des mächtigen Nachbarn nicht. Am Montag vergangener Woche informierte Nordkorea China nur zwanzig Minuten vor dem Atomtest über die bevorstehende Explosion.
Schon zwei Stunden später gab China eine scharfe Stellungnahme ab, in der Peking den Nukleartest "entschieden verurteilte". Das chinesische Außenministerium äußerte sich verärgert über Nordkorea, weil das Land "die universelle Ablehnung der internationalen Gemeinschaft ignoriert und den Nukleartest unverfroren durchgeführt hat". Gleichzeitig forderte China alle Seiten zur Zurückhaltung auf und setzte sich für eine Verhandlungslösung ein. In der UNO sprach sich der chinesische Botschafter für "Strafmaßnahmen" gegen Korea aus, wandte sich aber gegen Schlüsselaspekte des amerikanischen Resolutionsentwurfs.
China fürchtet, dass der Testversuch zu einem nuklearen Wettrüsten in Nordostasien führt und auch Japan und Südkorea eigene Atomwaffen bauen könnten. Abe beteuerte zwar am Mittwoch erneut, Japan strebe keine Atomwaffen an. Aber in herrschenden Kreisen Japans wird darüber diskutiert, die japanische Haltung in dieser Frage zu ändern. Erst vergangenen Monat meinte der ehemalige Ministerpräsident Yasuhiro Nakasone, dass Japan die Entwicklung von Atomwaffen erwägen solle. "Wir müssen uns derzeit auf amerikanische Atomwaffen verlassen, aber wer weiß schon, ob die USA bereit sind, uns diesen Schutz dauerhaft zu gewähren", sagte er.
Nordkoreas Atomtest stört Pekings stillschweigende Übereinkunft mit Washington, Pjöngjang von der Entwicklung von Atomwaffen abzuhalten, wenn die USA das gleiche in Bezug auf ihre Verbündeten Südkorea und Japan tun. Seit Nordkorea auf die zunehmend aggressive Haltung der Bush-Regierung mit eigenen Drohungen antwortet, vollführt China einen heiklen Balanceakt. Seit 2003 hat Peking Pjöngjang durch Druck dazu gebracht, an den Sechs-Parteien-Gesprächen mit den USA, China, Japan, Russland und Südkorea teilzunehmen und sich in Hinblick auf die multilateralen Gespräche nach Washingtons Forderungen zu richten.
Peking konnte die eigenen Beziehungen zu Washington verbessern, da China eine nützliche Rolle für die Bush-Regierung spielte. Aber diese Taktik war stets mit Gefahren verbunden. Die USA haben das nordkoreanische Atomprogramm benutzt, um die Spannungen in der Region zu verschärfen und die dominante Rolle der Vereinigten Staaten gegenüber ihren Konkurrenten zu verteidigen - insbesondere gegenüber Peking. Aus Sicht der USA waren die Sechs-Parteien-Gespräche nur ein Mittel, um die anderen Teilnehmer zu einer schärferen Haltung gegenüber Pjöngjang zu drängen.
Pekings Aufforderung an alle Seiten, "Zurückhaltung" zu üben, ist der verzweifelte Versuch, eine offene Konfrontation zu vermeiden. China hat eine diplomatische Delegation nach Pjöngjang entsandt und fordert Kim auf, an den multilateralen Verhandlungstisch zurückzukehren. Gleichzeitig telefonierte der chinesische Präsident Hu mit Bush, um seine entschiedene Ablehnung von Atomwaffen auf der koreanischen Halbinsel zu bekräftigen. Aber weil die bisherige chinesische Diplomatie in dieser Frage sichtbar gescheitert ist, muss Peking die eigene Strategie neu überdenken.
Ein nützlicher Puffer für China
Nordkorea war fünfzig Jahre lang ein nützlicher Puffer für China. Nach dem Ausbruch des Koreakriegs 1950 schickte Mao Zedong Millionen Soldaten über die Grenze, um die USA daran zu hindern, in direkter chinesischer Nachbarschaft ein Marionettenregime einzusetzen. Obwohl Nordkorea sich in dem chinesisch-sowjetischen Streit eher auf die Seite der Sowjetunion stellte, schloss Peking 1961 ein Militärbündnis mit Pjöngjang.
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 ist China der letzte Rettungsanker für das am Boden liegende Regime in Pjöngjang. Peking liefert Lebensmittel und Öl und ist Nordkoreas größter Handelspartner und Investor. Chinesische Führer drängen Kim Jong Il, sich auf den Weg der Marktreformen zu begeben und ausländischen Investoren billige Arbeitskräfte anzubieten. Südkoreas "Sonnenscheinpolitik", d.h. die Entwicklung von Wirtschaftsbeziehungen mit dem Norden, schien Ende 2000 die Spannungen erfolgreich abzubauen und die Aussicht auf eine spätere Wiedervereinigung der koreanischen Halbinsel zu eröffnen.
Nordkorea seinerseits hoffte auf Sicherheitsgarantien und eine Normalisierung der Beziehungen zu den USA. Pjöngjangs verantwortungsloses Gehabe hatte nie etwas mit einem wirklichen Kampf gegen den Imperialismus zu tun, sondern sollte Druck auf die USA ausüben und sie zu einem Abkommen bewegen. Einen Tag nach dem Atomtest bot Nordkorea die Beendigung seines Atomprogramms an, wenn die USA "entsprechende Maßnahmen" ergreifen würden. Aber die Bush-Regierung hat direkte Verhandlungen mit Pjöngjang über eine Beendigung der Konfrontation konsequent abgelehnt. 2002 drohte Bush einen "Regimewechsel" in Nordkorea an, als er das Land gemeinsam mit Irak und Iran als Bestandteil einer "Achse des Bösen" bezeichnete.
Eine friedliche Lösung der Konfrontation mit Nordkorea liegt nicht im Interesse der USA. China hat die USA schon als wichtigster Handelspartner Japans und Südkoreas abgelöst. Die Integration Nordkoreas in die dynamischen Volkswirtschaften der Region würde die Möglichkeit eines Handelsblocks gegen die USA erhöhen und könnte sich mit einer Forderung Südkoreas und Japans nach Schließung der amerikanischen Militärbasen verbinden. Ein stabileres Nordostasien würde es Japan und China auch erleichtern, die riesigen russischen Öl- und Gasvorkommen in Fernost anzuzapfen. Moskau nutzt die russischen Energiereserven schon jetzt als strategische Waffe, um als Gegengewicht zu den USA engere Beziehungen zu Ostasien und besonders China aufzubauen und zu pflegen. Die europäischen Mächte sind an engeren Handels- und Transportverbindungen mit Ostasien auf dem Landweg interessiert. Die koreanische Halbinsel wäre ein wichtiger Bestandteil dieser Transportroute.
Chinas Versuche, die Konfrontation mit Nordkorea durch die Sechs-Parteien-Gespräche zu überwinden, stießen immer wieder auf ein grundlegendes Problem. Für die Bush-Regierung erfüllen die ständigen Drohungen gegen Nordkorea die nützliche Funktion, Spannungen und Instabilität aufrecht zu erhalten und die Wirtschaftsvorhaben ihrer Rivalen zu durchkreuzen. Es gibt hier eine Parallele zum Iran. Washington weiß, dass jede friedliche Lösung der Konfrontation mit Teheran den europäischen und asiatischen Mächten nützt, die bereits umfangreiche Investitionen im Iran getätigt haben.
Der nordkoreanische Atomtest hat China in ein Dilemma gestürzt. Wenn es China nicht gelingt, Nordkorea zu zügeln, wird Peking selbst wegen Unterstützung eines "Schurkenstaats" stärker ins Schussfeld der Bush-Regierung geraten. Während der amerikanischen Präsidentschaftswahl 2000 machte Bush bereits Wahlkampf mit der Botschaft, dass China ein "strategischer Konkurrent" Amerikas sei. Wenn Peking andererseits die nordkoreanische Wirtschaft durch Sanktionen abwürgt, besteht das Risiko eines politischen Zusammenbruchs, der nicht nur die koreanische Halbinsel sondern auch China selbst destabilisieren könnte.
Vieles deutet darauf hin, dass Peking sich in letzter Zeit von Nordkorea distanziert. Nach der letzten Runde der Sechs-Parteien-Gespräche im September 2005 unterstützte China das US-Finanzministerium bei dessen Vorgehen gegen die "unerlaubten Aktivitäten" Nordkoreas und beteiligte sich daran, eine Bank in Macao zum Einfrieren von Pjöngjangs Konten zu zwingen. Nachdem die USA nicht auf Nordkoreas Forderungen nach einer Beendigung der Finanzsanktionen eingegangen waren, schlug Pjöngjang im Juli mit dem Test einer Langstreckenrakete zurück. Wie der jüngste Nukleartest war dies ein verzweifelter Versuch, Zugeständnisse von Seiten Washingtons zu erzielen.
Der Bruch zwischen Nordkorea und China wurde in der "Raketenkrise" offensichtlich. Der nordkoreanische Führer Kim Jong Il weigerte sich, eine hochrangige chinesische Delegation zu empfangen, die nach Pjöngjang kam, um ihn zur Wiederaufnahme der multilateralen Gespräche zu bewegen. Die chinesischen Funktionäre wurden tagelang hingehalten, ehe ihnen ein Treffen gewährt wurde. China unterstützte daraufhin die Resolution 1695, mit der Japan die Verurteilung der nordkoreanischen Raketentests durch den UN-Sicherheitsrat erwirkte. Rasch verschlechterte sich die Beziehung zwischen den beiden Ländern, zwischen die früher "kein Blatt Papier passte", wie es in China hieß.
Der Atomtest hat in den herrschenden Kreisen Chinas eine Debatte entfacht. Zhang Liankui, Professor an der zentralen Parteischule der Kommunistischen Partei, sagte der Financial Times am 9. Oktober: "Dies ist die größte diplomatische Niederlage seit der Gründung der Volksrepublik [im Jahre 1949]. China hat sowohl Nordkorea als auch die USA vor den Kopf gestoßen und ist daher der größte Verlierer."
"Es war dumm von China, die koreanischen Nuklearwaffen als möglichen Hebel gegen die USA zu sehen. Die Atombombe wird sich in Wirklichkeit hauptsächlich gegen China richten", erklärte Zhang. Mit Letzterem meinte er nicht die primitiven Atomwaffen Nordkoreas, sondern viel stärkere und höher entwickelte, die recht schnell von Japan oder Südkorea gebaut werden könnten.
Shen Dingli, ein führender chinesischer Sicherheitsexperte von der Fudan-Universität in Schanghai, betonte, China könne sein Bündnis mit Nordkorea nicht einfach aufgeben. Er sagte der New York Times : "China muss Nordkorea immer durch das Prisma Taiwans betrachten. Man kann nicht erwarten, dass China seinen Verbündeten völlig fallen lässt, solange Amerika Taiwan unterstützt und die dortige Unabhängigkeitsbewegung munter sprießen lässt." Er warnte, Spannungen auf der koreanischen Halbinsel könnten Pekings Ziel einer Wiedervereinigung mit Taiwan untergraben und das notwendige friedliche Umfeld für Chinas interne Wirtschaftsentwicklung stören.
Ein Kommentar in der offiziellen Tageszeitung China Daily mit dem Titel "Sechs-Parteien-Gespräche immer noch Schlüssel für koreanische Nuklearfrage" verurteilte Nordkoreas Atomtest. Gleichzeitig argumentierte die Zeitung, es sei falsch, sich "auf die Seite Washingtons zu stellen". "Die Feindseligkeit der Vereinigten Staaten gegenüber der DPRK [Nordkorea] ist allgemein bekannt. [...] Zwar hat der Atomtest der DPRK unvermeidlich zu Spannungen in den Beziehungen Chinas zur DPRK geführt, das bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass China die traditionelle Freundschaft zwischen den beiden Ländern aufkündigt."
Ein möglicher Ausweg aus Chinas Problemen wird vorsichtig angedeutet: die Möglichkeit, dass Peking seine eigene Version von "Regimewechsel" in Pjöngjang betreibt. Ein Artikel in der Londoner Times meinte: "Die Argumente, Kim [Jong Il] rauszudrängen, bevor [in Nordkorea] Unzufriedenheit einer offener Revolte weicht, gewinnen für China daher täglich an Bedeutung. Peking hat unter dem Deckmantel eines langfristigen Militäraustausches ‘interessante’ Generäle umworben und könnte sogar den ältesten Sohn des Geliebten Führers, Kim Jong Nam, der sich in Peking aufhält und sich mit seinem Vater überworfen hat, als Pfand einsetzen, um im Rahmen einer ‘Kontinuitätsstrategie’ Kim durch pragmatischere und fügsamere Verbündete zu ersetzen."
Der Artikel merkt an, eine solche hoch riskante Strategie sei unwahrscheinlich, solange die Krise sich nicht wesentlich verschärfe. Mit dem Präzedenzfall eines "Regimewechsels" im Irak haben die USA jedoch andere Länder ermutigt, zum gleichen Mittel zu greifen, um ihre eigenen wirtschaftlichen und strategischen Interessen zu wahren. Solche Methoden können nur zu einer weiteren Steigerung der Rivalitäten und Konflikte zwischen internationalen und regionalen Mächten führen.