Chinas Öldiplomatie: Hugo Chavez besucht Peking

Die Staatsvisite des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez Ende August in Peking ist Ausdruck von Chinas Interesse an erweiterten Beziehungen zu Lateinamerika, die in letzter Zeit die Spannungen mit den USA verschärfen.

Für Chavez bedeuten engere Verbindungen mit China ein Gegengewicht zur offenen feindseligen Haltung Washingtons. Venezuela wird mehr Öl nach China exportieren, um damit den rasch wachsenden Energiebedarf des asiatischen Wirtschaftsriesen zu decken. Im Gegenzug erhält Caracas politische Unterstützung und Wirtschaftshilfe von Peking.

"China ist einer der weltgrößten Verbraucher und Venezuela einer der größten Produzenten [von Öl], so ergänzen wir einander vollkommen", erklärte Chavez bei seiner Ankunft in Peking. Er rief zu einer "strategischen Allianz" mit China auf, um eine "multipolare" Welt zu fördern und die "Hegemonie" der Vereinigten Staaten in Frage zu stellen.

Seit er 1999 an die Macht kam, hat Washington schon mehrmals versucht, den venezolanischen Staatschef aus dem Amt zu treiben. Umgekehrt hat Chavez Beziehungen zu anderen Großmächten aufgebaut und eine Reihe lateinamerikanischer Länder ermutigt, das gleiche zu tun, um so die Kontrolle der Vereinigten Staaten über ihren "Hinterhof" zu untergraben.

Zweifellos teilt die chinesische Staatsführung Chavez' Auffassung, dass die amerikanische Hegemonie gebrochen werden sollte. Peking hat jedoch bislang diese Bemerkung nicht öffentlich kommentiert, um die Beziehungen zu Washington nicht über Gebühr zu strapazieren. Dennoch hat China mehrere Abkommen unterzeichnet, die die strategischen und wirtschaftlichen Interessen Amerikas tangieren.

In der Großen Halle des Volkes in Peking versprach Chavez, die Ölexporte nach China bis zum Jahr 2009 von aktuell 155.000 auf 500.000 und bis zum Jahr 2012 auf eine Million Barrel pro Tag zu erhöhen. Umgekehrt stimmte der chinesische Präsident Hu Jintao zu, Venezuelas Bewerbung um einen zweijährigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu unterstützen und umfangreiche Wirtschaftshilfe zu leisten. So sollen ein Glasfasernetz gebaut und ein 20.000 Häuser umfassendes Siedlungsprojekt mit 1,2 Milliarden Dollar finanziert werden.

Staatliche chinesische Ölgesellschaften arbeiten gemeinsam mit der venezolanischen Gesellschaft an einem Ölförderprojekt im Orinoco-Flussbecken und vor der Küste. China hat Venezuela außerdem Öltanker und Bohrausrüstungen verkauft und will 2008 für Caracas einen Satelliten ins Weltall schicken.

Am 28. August kündigte Venezuelas Energieminister Rafael Ramirez an, staatliche chinesische Ölgesellschaften seien bereit, bis 2012 in Venezuela etwa fünf Milliarden Dollar in Energieprojekte zu investieren, was die Abhängigkeit des Landes von Ölexporten in die USA erheblich verringern würde. Er sagte, die Investition werde dazu beitragen, die Produktion bis 2012 auf 5,8 Millionen Barrel pro Tag zu steigern.

Heute fördert Venezuela 3,3 Millionen Barrel pro Tag und ist damit der fünftgrößte Produzent der Welt. Das Land ist nach Kanada, Mexiko und Saudi-Arabien der viertgrößte Öllieferant der USA. Chinas kürzlich vollzogener Aufstieg zum zweitgrößten Ölverbraucher der Welt führt dazu, dass Peking mit den USA unmittelbar um die globalen Energieressourcen konkurrieren muss.

Die amerikanische Denkfabrik Stratfor betonte am 25. August, die venezolanisch-chinesische Ölkooperation werfe gewaltige Probleme auf: Erstens bringe Venezuelas Entfernung von China hohe Transportkosten mit sich, außerdem seien die Schiffe "auf der ganzen Strecke gefährdet, von den Vereinigten Staaten blockiert zu werden". Zweitens sei Venezuelas Öl schwer und schwefelhaltig und für die meisten chinesischen Raffinerien so lange untauglich, bis diese in erheblichen Umfang technisch nachgerüstet würden.

Stratfor kommt daher zu dem Schluss, Pekings Ausrichtung auf Venezuela sei von langfristigen strategischen Erwägungen bestimmt. "Chinesische Führer sind sich bewusst, dass im Laufe der Jahre schwereres und schwefelhaltigeres Öl in der globalen Rohölförderung überwiegen wird. [...] Trotz jahrelanger schleichender Abnutzung seiner technischen Anlagen verfügt Venezuela immer noch über die Technologie, um solches Material zu verarbeiten, und Peking weiß, dass man genau diese Fertigkeiten braucht, besonders wenn China letztlich Schwerölbestände vor der eigenen Festlandküste fördern wird."

Für Peking ist klar ersichtlich, dass die US-Invasionen im Irak und in Afghanistan sowie die Bedrohung des Iran darauf abzielen, die gewaltigen Öl- und Gasreserven im Nahen Osten und Zentralasien zu kontrollieren. Folglich wird China - ebenso wie die europäischen Mächte, Japan und Indien - dazu getrieben, sich woanders nach Energiequellen umzuschauen.

Zurzeit importiert China 2,3 Millionen Barrel Rohöl am Tag, hauptsächlich aus Angola, Saudi-Arabien, dem Iran und Russland. Venezuelas Verpflichtung, die Exporte nach China zu steigern, verschafft Peking eine weitere Option. Es ist nicht ohne Bedeutung, dass Angola im Februar Saudi-Arabien als Chinas Hauptöllieferant überholt hat. Pekings Annäherung an Venezuela ähnelt der an andere Länder in Lateinamerika, Afrika, Zentralasien und dem Nahen Osten: Im Tausch gegen Öl, Bodenschätze und andere Rohstoffe wird Wirtschaftshilfe und die Verwirklichung von Infrastrukturprojekten angeboten.

Ein Artikel in der Los Angeles Times vom 29. August verweist darauf, dass China gewaltige Energieinteressen in Lateinamerika hegt. China plant acht Milliarden Dollar in den Bau einer Eisenbahnlinie in Argentinien zu investieren und einen Anteil an der Öl- und Gasfirma Pluspetrol zu erwerben. Mit Brasilien hat China Energie- und Verkehrsprojekte im Umfang von zehn Milliarden Dollar vereinbart. Die Projekte umfassen eine Gaspipeline, Kraftwerke und eine Transamazonasstraße, die Sao Paulo mit Lima verbinden soll. In Bolivien plant Peking, 1,5 Milliarden Dollar in die staatliche Öl- und Gasfirma YPF Boliviano zu investieren. In Ecuador hat China für 1,4 Milliarden Dollar Anteile an einer kanadischen Ölfirma gekauft, die zwei große Ölpipelines betreibt.

Enge Beziehungen mit Venezuela werden die Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und China in ganz Lateinamerika verschärfen. Mehrere "linke" nationalistische Führer, wie Evo Morales in Bolivien oder Chavez in Venezuela, sind im Zuge der sich verschärfenden sozialen Krise in der Region an die Macht gekommen. Sie suchen die Annäherung an Washingtons asiatischen und europäischen Rivalen, um sich dadurch ein gewisses Maß an ökonomischer und politischer Unabhängigkeit von den USA zu sichern.

Diese Beziehungen finden einen Ausdruck in Chavez' antiamerikanischer Rhetorik. Nach der Zusicherung Chinas, die venezolanischen Ambitionen bezüglich eines Sitzes im UN-Sicherheitsrat zu unterstützen, sagte Chavez in Peking zu Reportern: "Die US-Regierung hat alles versucht, mein Land aus dem Sicherheitsrat fern zu halten. Die amerikanischen Imperialisten versuchen uns aufzuhalten."

Chinas Außenpolitik ist nicht "antiimperialistisch", sondern reflektiert das Bestreben der aufstrebenden kapitalistischen Klasse in China, ihre nationalen Interessen zu wahren. China unterstützt Venezuela in Hinblick auf den rotierenden Sitz für Lateinamerika gegen Washingtons bevorzugten Kandidaten Guatemala, um die eigene Stellung im Sicherheitsrat zu stärken. Washington hat deutlich gemacht, dass Venezuela "kein Konsens schaffendes Mitglied" im Sicherheitsrat wäre und in Augen der USA auf einer Stufe mit den "Schurkenstaaten" Iran und Kuba steht.

Chavez' linkes Gehabe soll verschleiern, dass seine Innenpolitik gegen die Arbeiterklasse gerichtet ist, und dient ihm gleichzeitig bei der Suche nach weiteren Verbündeten im Nahen Osten, Asien und Europa. In China erklärte er sich zu einem Bewunderer Mao Zedongs und sagte: "Die chinesische Revolution war eines der größten Ereignisse im 20. Jahrhundert."

Jocelyn Henriquez, frühere Botschafterin Venezuelas in Peking, erklärte gegenüber der Financial Times am 24. August, dass Chavez die am schnellsten wachsende Volkwirtschaft beobachten wolle, um Erkenntnisse für die ökonomische Entwicklung seines eigenen Landes zu gewinnen. "Chavez spricht immer von seinem eigenen 'Großen Spring nach vorn'. Deswegen hält er es für nützlich, zu schauen, wie China seine Wirtschaft entwickelt", sagte sie.

Chavez interessiert sich nicht für Maos Bauernradikalismus oder für seinen 'Großen Sprung nach vorn' in den 1950er Jahren, der eine ökonomische Katastrophe war. Mit Maos Erben, die den Weg der kapitalistischen Marktwirtschaft eingeschlagen und China in den größten Ausbeuterbetrieb der Welt verwandelt haben, hat er aber einiges gemeinsam.

Chavez' "Sozialismus" hat bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem Sozialismus der Pekinger "Kommunisten", die sich von dem berüchtigten Slogan leiten lassen, "Es ist ehrenvoll, reich zu werden". So heißt es in einem Artikel in der Financial Times vom 16. August unter der Überschrift "Bankiers bereichern sich an Chavez' Revolution": "Die 'revolutionäre' Verteilung des Ölgelds hat reiche Personen hervorgebracht, die Caracas zunehmend zu einem Magneten für Schweizer und internationale Bankiers machen. Und es sind nicht nur Privatbankiers, die auf die Revolution setzen."

Siehe auch:
Chinas Mittelklasse-Traum zerrinnt: Millionen Hochschulabgänger arbeitslos
(8. Juni 2006)
China und die Aussichten des internationalen Sozialismus
( 13. April 2006)
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