Am Montag traf die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice in Beirut ein: Es ist die erste Station ihrer Nahost-Reise, deren Zweck darin besteht, das amerikanisch-israelische Kriegsbündnis gegen die Hisbollah zu festigen und der israelischen Armee die nötige Zeit zu verschaffen, den Libanon mit Hilfe amerikanischer Bomben und Waffen zu verwüsten.
Das Ziel der Reise von Rice besteht nicht darin, mäßigend auf das zionistische Regime einzuwirken, wie Presseberichte glauben machen möchten. In Wirklichkeit folgt Rice streng der außenpolitischen Logik der Bush-Regierung, die darin besteht, Israel dazu zu veranlassen, den Südlibanon noch brutaler anzugreifen, um so die besten Ausgangsbedingungen für ein gemeinsames US-israelisches Vorgehen zu schaffen und den Druck auf das syrische Regime von Präsident Bashar Assad zu verstärken.
Unbeabsichtigt enthüllte Rice die wahren Motive der US-Politik, als sie bei ihrer Ankunft im Libanon erklärte, die US-Regierung wolle einen "neuen Nahen Osten" schaffen. Washington hat Israel zum Angriff auf den Libanon ermutigt und es mit dem nötigen Waffenarsenal und dem internationaler Rückhalt ausgestattet, weil die Bush-Regierung diese Eskalation als Chance betrachtet, aus der strategischen Pattsituation im Irak auszubrechen und mit einem Schlag sowohl Syrien als auch den Iran zu schwächen.
Diese Perspektive ist ziemlich leichtsinnig und orientierungslos. Die Widersprüche in der amerikanischen Außenpolitik sind offensichtlich: Im Irak möchte die Bush-Regierung das vorwiegend schiitische Regime konsolidieren; gleichzeitig versucht sie, die schiitisch orientierte Hisbollah im Libanon zu liquidieren und bereitet Krieg gegen die schiitisch-fundamentalistischen Herrscher im Iran vor.
Nouri Maliki, der irakische Ministerpräsident von US-Gnaden, hat Israels Angriff auf die Hisbollah schon mehrfach verurteilt, und ein wichtiger Flügel der schiitischen Geistlichkeit hat ihn aufgefordert, seine geplante Reise nach Washington zu verschieben, um gegen den US-Bomben- und Raketenhagel zu protestieren, den die - in den USA gebauten - israelischen Kampfflieger auf die schiitische Bevölkerung im Südlibanon abwerfen.
Diese Widersprüche werden der Öffentlichkeit von der willfährigen amerikanischen Presse weitgehend verschwiegen, aber in politischen Kreisen in Washington sind sie gut bekannt, und im außenpolitischen Establishment ist bereits Kritik laut geworden. Robert Malley, ein ehemaliger Nahost-Experte der Clinton-Regierung, bemerkte, dass Rices Nahostreise in diplomatischer Hinsicht keinen Sinn mache. Nach Meinung der Bush-Regierung seien sechs Parteien in den aktuellen Konflikt verwickelt - Israel, die Palästinensische Autonomiebehörde, Hamas, Hisbollah, Syrien und der Iran - und die US-Regierung weigere sich, mit vier von ihnen Gespräche zu führen.
Noch vernichtender war die Einschätzung des früheren nationalen Sicherheitsberaters, Zbigniew Brzezinski, der sich über Rices Gerede von der Geburt eines neuen Nahen Ostens lustig machte. "Das war keine sehr glückliche Formulierung", sagte er im Interview mit einer deutschen Zeitung. "Wehen bringen manchmal auch eine Todgeburt. Man muss schon genau wissen, was diese Geburtswehen produzieren. Sonst ist das reine Spekulation, eine Art russisches Roulette mit der Geschichte. Das könnte für Amerika im Nahen Osten in einem Desaster enden." (Süddeutsche Zeitung)
Als erstes machte Rice auf ihrem Weg nach Jerusalem einen nicht geplanten Zwischenhalt in Beirut. Damit wollte sie dem libanesischen Premierminister Fouad Siniora den Rücken stärken, der letztes Jahr nach einer Kampagne zur Vertreibung der syrischen Truppen aus dem Libanon, bei der die Vereinigten Staaten die Fäden zogen, ins Amt gekommen war. Rice versucht, jede erdenkliche politische Kraft im Libanon für eine Koalition zur Zerstörung der Hisbollah zu gewinnen.
Nachdem die USA und Israel seit zwei Wochen gemeinsam Krieg gegen die Bevölkerung des Libanon führen, steckt der direkte militärische Angriff offensichtlich in einer Krise: Israelische Soldaten die am Boden vorrücken, stoßen auf unerwartet harten Widerstand, und selbst die unablässige Bombardierung des Südlibanons hat bisher die Hisbollah-Kräfte nicht daran hindern können, Raketen auf Städte in Nordisrael abzufeuern.
Am Montag kämpfte sich eine starke Einheit israelischer Soldaten der Golan-Division einen Weg in die Hisbollah-Hochburg Bint Jbail frei. Hisbollah-Kämpfer kontrollieren die Stadt immer noch, doch die israelische Armee eroberte mit Panzern und gepanzerten Bulldozern eine Schlüsselstellung auf einem Hügel. Wie heftig die Kämpfe waren, zeigt sich an den Opferzahlen: vier israelische Soldaten wurden getötet und zwanzig verwundet, während nur zwei Hisbollah-Kämpfer in Gefangenschaft gerieten. Mindestens ein israelischer Panzer brannte aus.
"Um die Guerillas auszurotten, reicht es nicht, aus der Luft zu kämpfen, denn sie erweisen sich auch am Boden als harte Gegner", heißt es in einem Bericht der Associated Press. Und weiter: "Kleine Nadelstich-Operationen, um die Guerillapositionen entlang der Grenze zu vernichten, erweisen sich den Berichten der von der Front zurückkehrenden Soldaten zufolge als weit gefährlicher als erwartet. Die Truppen beschweren sich über schwieriges Gelände, und dass sie von Hisbollah-Guerillas überrascht worden seien, die hinter Büschen hervorspringen und Maschinengewehrsalven und Mörsergranaten abschießen."
Ein zweiter Reporter von Associated Press beschrieb die Szene wie folgt: "Am Montag vor Sonnenaufgang donnerten schwere Geschütze und schickten ihre tödlichen Geschosse in die libanesische Grenzstadt, um den vorrückenden israelischen Panzern und Soldaten den Weg zu bahnen. Bei Tagesanbruch strömten blutverschmierte verwundete Soldaten, die Gesichter tief vom Schock gezeichnet, über die Grenze nach Israel zurück.... Zwei israelische Soldaten waren am Montag getötet worden, und mindestens zwanzig verwundet, wie die Armee mitteilte, als Guerillas in der Hisbollah-Hochburg, ein vernichtendes Sperrfeuer aus Kugeln, panzerbrechenden Waffen und Mörsern entfesselten."
Dieser entschlossene Widerstand hat die israelischen Kommandanten wie die einfachen Soldaten der israelischen Armee sichtlich überrascht. Im Bericht von Associated Press wird der Einsatz eines Panzers als improvisierte Ambulanz beschrieben: "Ein Panzerfahrer, der seinen verwundeten Kameraden zurückgebracht hatte, saß im Geschützturm, den Kopf in seinen behandschuhten Händen, und weinte, während zwei Mannschaftskameraden ihn zu trösten versuchten."
In einem Krankenhaus in Nordisrael, wohin verwundete Soldaten gebracht werden, gab der 21-jährige Jischai Green im Krankenbett folgenden Kommentar zum Kampf um Bint Jbail: "Es ist ein wahrer Schlamassel, und ich darf nicht darüber reden."
Das israelische Militärkommando schien das Ausmaß des Widerstands nur mit Mühe zu begreifen. Generalmajor Gadi Eisenkot, Einsatzleiter der Armee, sagte am Anfang, etwa hundert bis 200 Hisbollah-Kämpfer hätten sich in Bint Jbail verschanzt. Später schätzte Generalstabschef Dan Halutz die Zahl auf über 500.
Trotz der seit Beginn des Krieges am 12. Juli größten israelischen Bodenoffensive bei der israelische Truppen auf einem sechzig Kilometer langen Grenzstreifen bis zu acht Kilometer auf libanesisches Gebiet vordrangen, konnten die Hisbollah-Einheiten fast hundert Raketen abschießen und die Abschussdichte der vergangenen zwei Wochen aufrechterhalten.
Wie immer die aktuelle Grenzschlacht ausgehen wird - und niemand bezweifelt, dass die israelische Armee mit ihrer übermächtigen Feuerkraft und Luftkontrolle schließlich in jedem solchen taktischen Konflikt die Oberhand gewinnen wird - deutet dennoch vieles darauf hin, dass die von langer Hand geplante US-israelische Militäroperation in strategischer Hinsicht in Schwierigkeiten steckt.
Die Erwartung, dass schweres Bombardement alleine genügen werde, um Hisbollah zu schlagen, hat sich eindeutig nicht bestätigt. Der Widerstand ist bisher erheblich, kein prominenter Hisbollah-Führer ist getötet worden, und die Raketenabschüsse gehen unvermindert weiter.
Im Libanon wurde in erster Linie nicht die Hisbollah, sondern der größte Teil der zivilen Infrastruktur getroffen, die in den letzten fünfzehn Jahren, nach den umfassenden Zerstörungen des Bürgerkriegs, mühsam wiederaufgebaut worden war. Laut Medienberichten sind seit Montagabend neunzig Prozent der befestigten Straßen im Libanon und 95 Prozent der Brücken - lebenswichtige Einrichtungen im gebirgigen Terrain - durch israelische Bomben unpassierbar geworden.
Einer der schändlichsten Angriffe auf die Infrastruktur erfolgte Sonntagnacht, als zwei Fernsehtürme im libanesischen Hochland zerstört wurden. In dieser Region leben maronitische Christen, die bei früheren Invasionen im Libanon von den Israelis hofiert worden waren. Ein Turm diente dem Hisbollah-Netz zur Nachrichtenübermittlung, der andere wurde von der Lebanese Broadcasting Corporation der Maroniten betrieben. Der einzige Grund für seine Zerstörung ist die Ausschaltung jeder Quelle aktueller Vor-Ort-Berichte über die verheerenden Auswirkungen der israelischen Bombenabwürfe.
Daran zeigt sich, dass die Olmert-Regierung in Israel davon ausgeht, dass solche Berichte internationalen Widerstand gegen die Bombardierungen provozieren werden. Doch noch bedeutender sind die Auswirkungen solcher Berichte auf die öffentliche Meinung in Israel.
Auch wenn ständig behauptet wird, die Bevölkerung stehe wie ein Mann hinter dem Bombenkrieg, kennt das politische Establishment Israels die Geschichte der Libanon-Invasion von 1982 und weiß, welche Empörung der Massenmord der israelischen Armee und ihrer libanesischen Verbündeten, der faschistischen Falange, zur damaligen Zeit auslöste. Der damalige Verteidigungsminister Ariel Scharon, Organisator der Invasion, war in der Folge von einer israelischen Kommission als mitschuldig an diesen Verbrechen befunden und zum Rücktritt gezwungen worden.
Der heutige Angriff auf den Libanon ist schon jetzt ein Kriegsverbrechen von vergleichbarem Ausmaß. Zwar plappern die amerikanischen und ein Großteil der internationalen Medien die Propaganda Israels und der Bush-Regierung kritiklos nach, bezeichnen Hisbollah als eine terroristische Organisation, die mutwillig die Zivilbevölkerung angreife, während Israel nur auf die terroristischen Kämpfer ziele und zivile Opfer tunlichst vermeide. Doch zeigen folgende Zahlen den wahren Sachverhalt:
Bis Montag wurden 39 Israelis getötet, von denen 22 als Soldaten in der Schlacht starben, während es 17 zivile Opfer gab. Auf der libanesischen Seite gab es mindestens 384 Tote, von denen nur 31 libanesische Soldaten (die meistens von israelischen Bomben in ihren Kaserne getroffen wurden) oder Hisbollah-Kämpfer waren, während 353 Zivilisten waren.
Mit andern Worten sind bei den Israelis 42 Prozent der Opfer Zivilisten, während bei den Libanesen 91 Prozent der Opfer Zivilisten sind. Außerdem benutzt Israel laser-gesteuerte Bomben und andere Kriegsgeräte, die in den Vereinigten Staaten hergestellt wurden und weit präziser zielen, als die relativ primitiven Katjuscha-Raketen der Hisbollah. Es ist Teil einer bewussten Strategie, wenn die israelischen Präzisionswaffen Hunderte libanesische Zivilisten töten.
Weil das Ausmaß von Tod und Zerstörung unter der libanesischen Bevölkerung immer offensichtlicher wird, und die Opferzahl unter israelischen Soldaten ebenfalls zu steigen beginnt, ist ein scharfer Umschwung in der öffentlichen Meinung Israels unvermeidlich.
Die Mobilisierung von Reservisten wird ebenfalls große direkte Auswirkungen auf die israelische Bevölkerung haben. Etwa 18.000 Reservisten sind einberufen worden - was in den USA einer Mobilisierung von 750.000 zusätzlichen Soldaten entspräche. Fast zehn Prozent der Gesamtbevölkerung Israels, Männer, Frauen und Kinder, sind entweder in der Armee oder ihren Reserveeinheiten. Wie es in der Los Angeles Times heißt, hat eine derartige Mobilisierung schon in der Vergangenheit Widerstände in der Armee gegen Militäraktionen hervorgerufen, zum Beispiel bei den Strafaktionen in palästinensischen Städten im Westjordanland: "Möglicherweise sind Reservisten dank ihres Alters und der Erfahrung, die sie mitbringen, eher geneigt, als ihre Kameraden von der regulären Armee, Fragen zu stellen, ob die israelischen Militäraktionen auch wirklich durch die Bedrohung, vor der das Land steht, gerechtfertigt sind."
Die israelische Regierung ist offensichtlich in der Krise, weil Olmert ohne Konsultation des Kabinetts die Entscheidung getroffen hat, einen Zwischenfall - die Entführung zweier Soldaten -, der früher über die üblichen Kanäle durch Verhandlungen gelöst worden wäre, mit einer umfangreichen militärischen Reaktion zu beantworten. Das Kabinett ist sich über die nächsten Schritte nicht einig, weil man allgemein erwartet, dass die Hisbollah es auch weiterhin ablehnen wird, die zwei Soldaten freizulassen, sich aus der Grenzregion zurückzuziehen und ihr Raketenarsenal abzubauen.
In der Frage eines internationalen Truppeneinsatzes in der Grenzregion hat die Olmert-Regierung ihre Haltung verändert, ein Zeichen der Schwäche und inneren Unordnung. Regierungssprecher, die anfangs eine internationale Truppe kategorisch ablehnten, würden mittlerweile eine NATO-Truppe akzeptieren.
Es ist jedoch auch sehr gut möglich, dass Israel unter dem Druck von Rice und der Bush-Regierung auf seine Schwierigkeiten in der Form reagiert, dass es die Gewalt im Libanon noch ausweitet und gegenüber Syrien und dem Iran eine noch provokativere Haltung einnimmt.