Eine angebliche Terrorverschwörung wird von der herrschenden Elite Kanadas benutzt, um die Bevölkerung einzuschüchtern und einen dramatischen Rechtsruck in der kanadischen Außen- und Innenpolitik einzuleiten.
Die konservative Regierung, Spitzenvertreter der nationalen Sicherheitsdienste, die Massenmedien und eine fügsame offizielle Opposition versuchen mit vereinten Kräften den Eindruck zu erwecken, dass Kanada von Al Qaida und "hausgemachten" islamistischen Terroristen in die Zange genommen wird. So soll der Widerstand der Bevölkerung gegen die kanadische Beteiligung an Kriegen, eine engere Zusammenarbeit mit der Bush-Regierung, den stärkeren wirtschaftlichen und geopolitischen Zusammenschluss mit den Vereinigten Staaten sowie die zunehmenden repressiven Vollmachten des Staatsapparats gebrochen werden.
Der kanadische Ministerpräsident Stephen Harper führt die angebliche Terrorverschwörung in Toronto als Beweis für seine alte Behauptung an, Kanada sei gegen den Terrorismus nicht immun. Gleichzeitig dient sie ihm als Rechtfertigung für Kanadas stärkeres Engagement in Afghanistan, wo sich die Armee daran beteiligt, jede Opposition gegen die von den Vereinigten Staaten eingesetzte Marionettenregierung von Hamid Karsai zu unterdrücken.
"Dieses Land ist ebenso sehr ein Ziel für Terrorismus wie die Vereinigten Staaten", erklärte Harper jüngst in einem Radiointerview. "Darum handelt der Staat nicht nur auf nationaler Ebene gegen die Terrorgefahr, sondern wir arbeiten global in Afghanistan und überall auf der Welt daran, dieses Problem in den Griff zu bekommen."
Die Aufdeckung einer Terrornetzwerks in Toronto geschieht zu einem heiklen Zeitpunkt für die kanadischen Sicherheitskräfte und die konservative Regierung, die sich erst seit vier Monaten im Amt befindet. Im vergangenen Monat traf die Harper-Regierung die höchst umstrittene Entscheidung, die Aufstandsbekämpfungsmission der kanadischen Streitkräfte in Afghanistan zu verlängern und auszudehnen.
Das Parlament überprüft derzeit das kanadische Antiterrorgesetz. Das im Dezember 2001 verabschiedete Gesetz schuf eine neue Kategorie von politischen Verbrechen, die streng bestraft werden, es gewährte dem Staat die Vollmacht, Zeugenaussagen zu erzwingen, und erweiterte das staatliche Vorrecht, bei Terrorprozessen den Angeklagten, ihren Anwälten und der Öffentlichkeit Informationen über den Inhalt und die Quellen vorliegender Indizien und Beweise vorzuenthalten.
Und in der vergangenen Woche wurde vor dem Obersten Gerichtshof eine Verfassungsklage gegen die "Nationalen Sicherheitszertifikate" verhandelt - ein gesetzliches Instrument, mit dem der Staat Personen ohne Prozess und Anklage auf unbegrenzte Zeit einsperren kann.
Ein bekanntes Muster
Die herrschende Elite in Kanada folgt einem internationalen Muster. Sie bauscht die Terrorgefahr gewaltig auf, um ein bereits zuvor festgelegtes rechtes politisches Programm durchzusetzen.
Die Bush-Regierung nutzte die Ereignisse vom 11. September 2001, um die Pläne der US-Elite zur Eroberung strategischer Brückenköpfe in den ölreichen Regionen Zentralasiens und des Nahen Ostens Wirklichkeit werden zu lassen. Gleichzeitig setzte sie das Gesetzespaket namens Patriot Act durch, mit dem die staatlichen Befugnisse, innenpolitische Gegner auszuspionieren, enorm erweitert wurden. Bush, Vizepräsident Cheney, die Republikanische und die Demokratische Partei verweisen regelmäßig auf weitere drohende Terroranschläge, um die Wählerschaft zu beeinflussen und ihre Kritiker einzuschüchtern.
In Großbritannien nutzte Bushs engste Verbündete, die Labour-Regierung unter Tony Blair, die Londoner Bombenanschläge vom vergangenen Jahr, um weitere Antiterrorgesetze zu erzwingen, die die Polizei mit zusätzlichen Vollmachten ausstatten und effektiv das Ende der Habeaskorpusakte, des Rechts auf Haftprüfung, bedeuten. Zu den Schlüsselelementen der jüngeren Gesetzgebung zählte ein umfassender Einschnitt bei der Meinungs- und Redefreiheit, durch den vorgeblich der "Verherrlichung" von Terrorismus ein Riegel vorgeschoben werden soll.
Es sind jedoch die Ereignisse in Australien, die den kanadischen am nächsten kommen. Im vergangenen November machte sich die rechte australische Regierung unter John Howard daran, ein drakonisches Antiterrorgesetz durchzusetzen, während sie gleichzeitig mit einer wachsenden Opposition gegen ihre Reform zur Neuregelung der Arbeitsbeziehungen zu Lasten der Arbeitnehmer konfrontiert war. In dieser Situation stürmten 850 australische Polizisten und Geheimdienstmitarbeiter zahlreiche Häuser in Sydney und Melbourne, um 17 muslimische Männer unter einem vage formulierten Terrorverdacht festzunehmen.
In den darauf folgenden Tagen heizten Presse und Politiker die öffentliche Angst und Panik an. So behauptete Polizeiminister Carl Scully aus dem Bundesstaat New South Wales, der Staat habe "eine groß angelegte Operation gestört, die katastrophale Folgen gehabt hätte, wenn sie nicht vorzeitig gestoppt worden wäre". Später mussten die Polizeisprecher eingestehen, dass keine Hinweise auf bestimmte Orte oder Termine vorlagen und noch nicht einmal klar waren, welcher Art die angeblich geplanten Anschläge sein sollten.
Die Polizei und der australische Geheimdienst gaben auch zu, dass sie die Männer seit fast 18 Monaten im Visier gehabt, ihre Telefongespräche abhört, sie beschattet und bereits zuvor Hausdurchsuchungen durchgeführt hatten.
Sämtliche Umstände, unter denen die Razzien im vergangenem November in Australien stattfanden, deuten auf eine politische Motivation und manipulierende Absicht mit dem Ziel, die Howard-Regierung bei ihren Angriffen auf Arbeitsbedingungen und demokratische Rechte zu unterstützen.
Die unbewiesenen Behauptungen und Vorwürfe, welche die australischen Medien über die angebliche Terrorverschwörung verbreiteten, haben das Recht der Angeklagten auf einen fairen Prozess stark beeinträchtigt. Auch sieben Monate nach ihrer Verhaftung sind sie weiterhin für 20 Stunden pro Tag in Isolationszellen eingesperrt und haben nicht das Recht erhalten, sich öffentlich gegen die Vorwürfe zur Wehr zu setzen.
Howard, dessen Regierung sich mit eigenen Truppen an der amerikanisch-britischen Besatzung des Irak beteiligt und selbst Militärinterventionen in Osttimor und auf den Salomoninseln durchführt, war das erste ausländische Staatsoberhaupt, das seit dem Antritt der konservativen Regierung Kanada besucht hat. Auch hieran lässt sich ablesen, wie sehr die kanadischen Konservativen und Ministerpräsident Stephen Harper ihr australisches Gegenstück Howard und seine an die Bush-Regierung angelehnte Politik schätzen.
Bei allen oben erwähnten Terroranschlägen und angeblichen Terrorverschwörungen gibt es bedeutende Ungereimtheiten und Lücken in den offiziellen Erklärungen. Monate, und im Falle des 11. Septembers Jahre, nachdem unter Berufung auf die Terrorgefahr grundlegende Veränderungen in Staat und Politik vollzogen wurden, bleiben viele Schlüsselfragen, nicht zuletzt auch über die Rolle der Sicherheitskräfte, unbeantwortet.
In diesem Sinne passt die Terrorverschwörung von Toronto in das bekannte Muster. Selbst wenn man die Möglichkeit ausschließt, dass Polizeispitzel bei ihrem Zustandekommen eine Rolle spielten - was wir nicht tun -, ist doch klar, dass der kanadische Geheimdienst CSIS und die Bundespolizei RCMP mit dem Segen der liberalen und dann der konservativen Regierung manipulierend eingriffen.
Vertreter von Polizei und Geheimdiensten haben zugegeben, dass zumindest einige der 17 angeblichen Terroristen aus Toronto bereits seit 2004 unter staatlicher Beobachtung standen und seit Monaten genug Beweise vorlagen, um viele oder alle von ihnen zu verhaften. Es wurde aber dagegen entschieden. CSIS und RCMP ließen die Terrorverschwörung weiterlaufen, um damit die offiziellen Behauptungen zu stützen, Kanada sei ein Frontstaat im Krieg gegen den Terrorismus, und schließlich die Verhaftungen zu einem Zeitpunkt vornehmen zu können, der Regierung und Sicherheitsbehörden ins politische Konzept passte.
Die Polizei schritt erst ein, um die "Terrorverschwörung zu zerschlagen", als einige der angeblichen Terroristen von V-Männern der Polizei eine Lieferung von drei Tonnen angeblich bombenfähigem Düngemittel entgegennahmen. CSIS und RCMP hatten den angeblichen Terroristen falsches Bombenmaterial in die Hände gelegt, um ihre Behauptung zu untermauern, die Toronto-Gruppe, die zum größten Teil aus jungen Männern und Jungen besteht, verfüge über die "Fähigkeit", ein Blutbad anzurichten.
In einem weiteren Akt des staatlich inszenierten Dramas begleitete eine große Zahl von Polizisten mit Maschinengewehren die Angeklagten vor Gericht. Während der gesamten Verhandlung blieben sie an Händen und Füßen gefesselt.
Die Massenmedien spielten eine Schlüsselrolle bei dem Versuch der konservativen Regierung und der Sicherheitskräfte, Ängste in der Bevölkerung zu schüren. Anstatt die Erklärungen der Regierung, des CSIS und der RCMP kritisch zu hinterfragen, haben die Medien die Behauptungen der Behörden in sensationalistischer Manier verstärkt und ausgeschmückt.
Die Medien sowie führende liberale und konservative Politiker beschweren sich seit Langem, die Kanadier begriffen den Terrorismus nicht - was bedeuten soll, dass sich die Öffentlichkeit widerspenstig gegen eine Ausweitung der Mittel und Befugnisse der kanadischen Sicherheitskräfte zeigt, es ablehnt, die kanadischen Streitkräfte (CAF) auf Kosten des Sozialsystem aufzurüsten, und sich nicht an der "tatkräftigeren" Außenpolitik der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Australiens orientieren will.
Eine Anhörung des Ständigen Senatausschusses zu Nationaler Sicherheit und Verteidigung, die im Februar 2005 in Victoria im Bundesstaat British Columbia stattfand, wirft ein Schlaglicht auf das Denken, das in den Kreisen des Establishments Einzug gehalten hat. Mitglieder aus dem Oberhaus des kanadischen Parlaments und ehemalige hochrangige CAF- und NATO-Offiziere beklagten, dass sich die Kanadier nicht ausreichend in ihrer Sicherheit bedroht fühlten und dass die Politiker des Landes angesichts der verbreiteten Opposition in der Bevölkerung bei der Erhöhung der Militärausgaben "versagt" hätten.
Der liberale Senator Tommy Banks gab zu Bedenken, dass die Haltung der Öffentlichkeit zum Militär und zur nationalen Sicherheit nur durch eine bessere politische Führung "oder durch einen Anschlag" verändert werden könne. Diese Aussage griff der pensionierte CAF-Konteradmiral Ken Summers auf und erklärte: "Ja, und dies bringt uns zurück zum 11. September. Wir haben das schon vergessen. ... Ich wünschte beinahe - Gott bewahre -, dass es hier einen kleineren Anschlag gäbe, der den Kanadiern vor ihrer Haustür zeigt, dass dies wichtig ist."
Die Harper-Regierung und das politische Programm des kanadischen Kapitals
Kurz nachdem die Bush-Regierung an die Macht gekommen war und ihr Programm des Militarismus und der massiven Steuererleichterungen für Unternehmer durchsetzte, begannen die Reichen und Superreichen sowie einflussreiche Teile der kanadischen Wirtschaft auf einen merklichen Wandel in der kanadischen Politik zu drängen.
In den vorausgegangenen acht Jahren hatte die liberale Regierung unter Jean Chrétien die größten Einschnitte bei Sozialleistungen in der kanadischen Geschichte durchgeführt und dann ein Steuersenkungspaket im Umfang von 100 Milliarden Dollar vorgestellt, von dem vor allem Unternehmen und wohlhabende Privatpersonen profitierten. Die Regierung hatte auch Beifall von der herrschenden Klasse erhalten, als sie auf die Beinahe-Niederlage der Gegner der Unabhängigkeit Quebecs beim Referendum im Jahre1995 mit neuen Gesetzen reagierte, die das nationale Parlament zum Schiedsrichter über die Gültigkeit jedes zukünftigen Referendums erheben und einem abtrünnigen Quebec mit der Spaltung drohen.
Als jedoch die US-amerikanische Bourgeoisie unter Bush begann, dem Niedergang ihrer internationalen Stellung durch verstärkten Militarismus und soziale Angriffe im Innern zu begegnen, betrachteten die einflussreichen Kreise in Kanada Ministerpräsident Chrétien mit anderen Augen. Wenn auch nur in Worten, vertrat Chrétien noch eine Art kanadischen Nationalismus im Stile der 1970er Jahre und setzte der militaristischen Dollarrepublik im Süden ein liberales, halbegalitäres und pazifistisches Kanada entgegen. Diese Staats- und Politikauffassung erwies sich in zunehmendem Maße als Hindernis für den Abbau der öffentlichen Gesundheitsversorgung Medicare und anderer Überbleibsel des Wohlfahrtsstaates und stand einer umfassenden Neuausrichtung der geopolitischen Strategie Kanadas im Wege.
Hinsichtlich der Außen- und Militärpolitik gab es in der herrschenden Klasse schnell Übereinstimmung über zwei miteinander verbundene Veränderungen: Man musste sich von der Vorstellung verabschieden, dass das kanadische Militär eine friedenssichernde Kraft sei, und die kriegerischen Traditionen wieder beleben und populär machen, damit die CAF öfter und offener in Kriegen und Aufstandsbekämpfungsoperationen eingesetzt werden konnte, um die Interessen des kanadischen Kapitals auf Weltebene zu vertreten. Und Kanadas nationale Sicherheits- und Außenpolitik sollte stärker mit derjenigen der Bush-Regierung abgestimmt werden, um den kanadischen Einfluss in Washington zu wahren und Kanadas volle Beteiligung an der Schaffung einer Festung Nordamerika sicherzustellen.
Angesichts der fehlenden Unterstützung für die Parteien Kanadische Allianz und Progressive Konservative und der Unstimmigkeiten zwischen diesen Parteien versuchten die einflussreichen kanadischen Wirtschaftskreise zunächst, die Bundesregierung stark nach rechts zu drücken. Zu diesem Zweck wurde Paul Martin, ein millionenschwerer Geschäftsmann, der als Finanzminister in der Chrétien-Regierung federführend die Austeritäts- und Steuersenkungspolitik der Liberalen ausgearbeitet hatte, ermuntert, einen Putsch innerhalb der Liberalen Partei durchzuführen.
Doch die herrschende Elite verlor schnell ihr Vertrauen in Martin. Nach nur wenigen Monaten im Amt des Ministerpräsidenten wurde er von den Medien als Zauderer verspottet. Martin geriet unter Beschuss, weil er die Sozialausgaben leicht anhob, um an Popularität zu gewinnen, und weil er versäumte "Führungsstärke zu zeigen" - d.h. sich über die öffentliche Meinung in Fragen wie der kanadischen Beteiligung am US-amerikanischen Raketenabwehrprogramm hinwegzusetzen.
Bei den landesweiten Wahlen im Januar 2006 stellte sich die kanadische Wirtschaftselite entschieden hinter den neokonservativen Ideologen Stephen Harper und seine neu zusammengesetzte Konservative Partei.
Trotz dieser mächtigen Wahlhelfer und der unkritischen Unterstützung der Medien für Harpers Aufruf, die Wahlen zu einem Referendum über die Korruption der Liberalen zu machen, schafften es die Konservativen nur äußerst knapp, als Minderheitsregierung die Macht zu übernehmen. Sie erhielten lediglich 36 Prozent der Stimmen und nicht einen einzigen Sitz in den drei größten städtischen Zentren Kanadas.
Nachdem nun vier Monate ins Land gezogen sind, scheint die Unterstützung der Wirtschaftselite für die konservative Harper-Regierung eher zugenommen als nachgelassen zu haben, wie den Leitartikeln der führenden kanadischen Tageszeitungen und den Pressemitteilungen des kanadischen Arbeitgeberverbandes zu entnehmen ist.
Die Wirtschaftsbosse begrüßten die Unternehmenssteuersenkungen der Konservativen, die Abschaffung des Kindertagesstättenprojekts der Liberalen, die faktische Zurückweisung des Kyoto-Protokolls zur Treibhausgasreduktion und das Versprechen, die Arbeit der Bundesregierung auf ihre Kernausgaben zu beschränken - d.h. vor allem die Sozialprogramme des Bundes massiv zurückzufahren. Vor allem aber applaudierte die kanadische Wirtschaftselite den Konservativen, weil sie Schritte zur Durchsetzung ihrer räuberischen Interessen und Ambitionen auf Weltebene unternahmen.
Die Konservativen haben eine bedeutende Erweiterung des Militärhaushalts angekündigt. Dies steht in Einklang mit Harpers Versprechen, die CAF so stark auszubauen, dass dies den Großmächten der Welt nicht entgehen kann, und engere Beziehungen zur Bush-Regierung anzustreben. Die Erweiterung der CAF-Mission in Afghanistan ist unter anderem auch eine Gefälligkeit gegenüber Washington, doch dies ist keineswegs der alleinige Grund für das stärkere militärische Engagement. Durch die öffentliche Kampagne für die CAF-Intervention in Afghanistan versuchen die Konservativen eine patriotisch-militaristische Stimmung anzuheizen und so die Bevölkerung auf die ersten Kriegstoten einzustimmen.
Ebenso wie die Bush-Regierung die Afghanistan-Intervention als wichtige Vorstufe für den Krieg im Irak benutzte, wollen die Harper-Regierung und die kanadische Elite die stärkere Beteiligung ihres Landes an der Aufstandsbekämpfungsmission in Südafghanistan nutzen, um den Weg für weitere Militärinterventionen und Kriege zu bereiten.
Doch dieser offen militaristische und imperialistische Kurs droht zum Brennpunkt der Opposition gegen die Regierung zu werden. In den Wochen vor der völkerrechtswidrigen amerikanisch-britischen Invasion im Irak, zu Beginn des Jahres 2003, hatten einige der größten Demonstrationen in der kanadischen Geschichte stattgefunden. Bush ist in der kanadischen Bevölkerung verhasst.
Daher sind die Konservativen und die herrschende Elite Kanadas ebenso wie Bush, Blair und Howard darauf angewiesen, Terroranschläge und angebliche Verschwörungen auszunutzen und zu manipulieren, um Angst und Verwirrung in der Bevölkerung zu säen und ein politisches Klima zu erzeugen, in dem jeder Gegner ihrer Politik als Verräter gebrandmarkt werden kann.
Gleichzeitig hat die Wirtschaftselite eine konzertierte Kampagne gestartet, um die Liberale Partei rundzuerneuern. Als ihr neuer Favorit für die nationale Führung der Partei gilt nunmehr Michael Ignatieff, der als prominenter "liberaler" Befürworter der US-Invasion im Irak Aufsehen erregte und Bushs These unterstützte, der "Terrornotstand" gebiete die Einschränkung und Aufgabe traditioneller Freiheitsrechte.
Ignatieff trug auch im vergangenen Monat die Entscheidung der Harper-Regierung mit, die kanadische Militärintervention in Afghanistan stark auszudehnen. Er fordert zudem von den Liberalen, ihre "heiligen Kühe" zu schlachten, womit er sich unter anderem auf die US-kritische Haltung der Partei und ihr Festhalten an Sozialprogrammen wie Medicare bezieht.
Bob Rae, der andere aussichtsreiche Kandidat für das Amt des Liberalen Parteichefs, bringt - wenn auch auf etwas andere Art - den scharfen Rechtsruck des gesamten politischen Establishments zum Ausdruck. Als Vertreter der Neuen Demokratischen Partei (NDP) und Landesvater von Ontario hatte Rae in den Jahren 1990-95 starke Einschnitte bei den Sozialausgaben sowie Lohnkürzungen und Stellenabbau im öffentlichen Dienst durchgesetzt. Er führte den Arbeitsdienst ein und bereitete mit seiner Politik den Weg für die Machtübernahme der erzkonservativen Harris-Regierung.
Rae kritisiert nun seine Taten als Regierungschef in Ontario und betont, er hätte noch frühere und schärfere Einschnitte bei den sozialen Leistungen und öffentlichen Diensten vornehmen sollen. Heute habe er ein weitaus besseres Verständnis für die Bedeutung der "Wachstumsförderung" - d.h. einer Regierungspolitik, die vollständig im Dienst der Wirtschaftselite und Großkonzerne steht.
Auch wenn Rae formal mit den Sozialdemokraten der NDP gebrochen hat, befinden sich diese ebenso wie die Gewerkschaften auf dem gleichen politischen Kurs und arbeiten immer offener und vertraulicher mit der Wirtschaftselite und der politischen Rechten zusammen, wenn es um weitere Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne und demokratische Rechte geht.
In Quebec halten die Gewerkschaften durch ihre Unterstützung für den Bloc Québécois (BQ) effektiv die Konservativen an der Macht. (Der BQ liefert die notwendigen Stimmen, um die Minderheitsregierung von Harper im Parlament zu stützen.)
Während die Beschäftigten im Automobilsektor einen massiven Angriff auf ihre Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen erleben, hat die Gewerkschaft der Automobilarbeiter ihre über Jahrzehnte gewachsenen Verbindungen zur NDP gekappt, um sich stärker an die Liberalen anzulehnen.
Im letzten Parlament, als die herrschende Klasse noch damit beschäftigt war, Harper und seine Konservativen aufzubauen, stützte die NDP die Liberalen unter Martin. Später schwenkte sie dann um und half den Konservativen bei ihrer Kampagne gegen die Korruption der Liberalen, die nichts weiter als ein Deckmantel für ihre rechten Konzepte war.
Harper war von der wiederholt bekräftigten Bereitschaft der NDP, mit einer konservativen Regierung zusammenzuarbeiten, derart beeindruckt, dass er den Sozialdemokraten im Februar ein Abkommen anbot, seine Regierung für "eine längere Periode" von etwa zwei Jahren zu unterstützen.
Die Reaktion der NDP auf die angebliche Terrorverschwörung von Toronto unterstreicht, wie sehr sie sich am Schüren von Angst durch Regierung, Polizei und Medien beteiligt und sich dieser Hetzkampagne unterwirft. NDP-Chef Jack Layton überhäufte die kanadischen Sicherheitskräfte mit Lob, während ein anderer prominenter Sozialdemokrat die sensationslüsternen und skurrilen Behauptungen von Presse und Polizei wiederholte, dass die angeblichen Terroristen den Plan hegten, Parlamentarier zu köpfen.
Die Sozialdemokraten waren von der Stimmung des nationalen Notstands, die Anfang Juni vorherrschte, derart eingeschüchtert, dass sie im Parlament "versehentlich" für den Haushaltsentwurf der Konservativen stimmten.
Die Ereignisse der vergangenen Wochen müssen der Arbeiterklasse als Warnung dienen. Über Jahrzehnte hinweg haben die Sozialdemokraten und Gewerkschaften den Mythos eines sanfteren und freundlicheren kanadischen Kapitalismus verbreitet. Aber wenn im Namen der "internationalen Wettbewerbsfähigkeit" um Märkte, Ressourcen und geopolitischen Einfluss gekämpft wird, wendet sich die kanadische Bourgeoisie ebenso dem Militarismus und dem gesellschaftlichen Rückschritt zu wie ihre Gegenspieler in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Deutschland oder Frankreich.
Da dieser politische Kurs den Interessen der großen Mehrheit der Kanadier vollkommen zuwiderläuft, sieht sich die kanadische Elite gleichsam gezwungen, zur Politik der Provokationen zu greifen und außerparlamentarische Wege zu finden, um den Widerstand in der Bevölkerung zu brechen.
Bei den letzten landesweiten Wahlen trat der Wendepunkt ein, als höchste Stellen der Bundespolizei bekannt gaben, dass sie wegen möglichen Insidergeschäften im Zuge eines Haushaltsentwurfs der Liberalen ermittelten, und damit die Vorwürfe der Konservativen bekräftigten, es habe unter der liberalen Regierung systematische Korruption gegeben.
Vor einem Jahr lieferte der Oberste Gerichtshof mit seiner Entscheidung im Fall Chaouilli der herrschenden Klasse die Vorlage, um ihr lange verfolgtes Ziel zu erreichen und das allgemeine Gesundheitsprogramm Medicare abzubauen.
Als Verteidigerinnen der kapitalistischen Ordnung sind die Gewerkschaften und die NDP ebenso unwillig und unfähig, demokratische Rechte zu wirksam zu verteidigen, wie sie dies im Hinblick auf Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen, Sozialleistungen und öffentliche Dienste tun. Eine neue Partei der Arbeiterklasse muss daher auf sozialistischen und internationalistischen Prinzipien aufgebaut werden.