Diesen Bericht hielt Barry Grey, ein führendes Mitglied der WSWS-Redaktion und der Socialist Equality Party (USA) im Rahmen einer erweiterten Redaktionskonferenz der World Socialist Web Site in Sydney vom 22. bis 27. Januar 2006.
David North warf in seinem einleitenden Bericht für dieses Treffen die Frage auf, ob sich der Weltkapitalismus im Aufschwung befindet oder ob er vielmehr einen Niedergang erfährt und auf explosive Umwälzungen zusteuert? Zur Beantwortung dieser Frage ist es überaus wichtig, die Entwicklung des amerikanischen Kapitalismus zu betrachten und Bilanz zu ziehen.
Die relative Stärke oder Schwäche, Robustheit oder Angeschlagenheit des amerikanischen Kapitalismus und seine Entwicklung über eine längere historische Periode ist im grundlegendsten und objektiven Sinne eine Frage, die die ganze Welt betrifft. Das Schicksal des Weltkapitalismus war im Verlauf des letzten Jahrhunderts stärker mit den Vereinigten Staaten als mit der nationalen Wirtschaft oder der Politik irgendeines anderen Landes verbunden.
Bereits 1924 fasste Leo Trotzki in einer berühmten Rede, die damals unter dem Titel "Die Voraussetzungen der proletarischen Revolution" publiziert wurde, die überragende Rolle des amerikanischen Kapitalismus für alle Fragen des Weltkapitalismus wie folgt zusammen:
"Wer jetzt den Versuch macht, sich über das Schicksal Europas oder des Weltproletariats klar zu werden, ohne die Bedeutung der USA in Rechnung zu ziehen, der macht die Rechnung ohne den Wirt. Wir müssen es uns einprägen: Der Wirt der kapitalistischen Menschheit ist New York und seine Regierungszentrale ist Washington."
Die Vereinigten Staaten wurden auf der Grundlage ihrer enormen industriellen und technologischen Stärke zur vorherrschenden kapitalistischen Macht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren sie zum Motor der Weltindustrie geworden und konnten dadurch zur Zeit des Ersten Weltkrieges Großbritannien in den Schatten zu stellen.
Selbst während der Großen Depression der 1930-er Jahre verfügte der amerikanische Kapitalismus weiterhin über enorme wirtschaftliche Reserven und erhielt sich vor allem seine industrielle Stärke. Diese ließ ihn im Zweiten Weltkrieg zur dominanten Militärmacht werden und maßgeblich die Gestaltung der Nachkriegsordnung bestimmen.
Es war zum allergrößten Teil der amerikanische Kapitalismus, der dem Weltkapitalismus inmitten der blutigen Ruinen, die der Krieg im größten Teil Europas und Asiens hintergelassen hatte, wieder auf die Beine half. Er stützte sich dabei auf die stalinistischen, sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Bürokratien, die Verrat an der Arbeiterklasse übten, und konnte so die revolutionäre Bedrohung des Kapitalismus in großen Teilen der Welt unterdrücken. Doch besaß der amerikanische Kapitalismus auch die industriellen und finanziellen Mittel, um den Weltkapitalismus wiederzubeleben, und setzte diese selbstverständlich in einer den eigenen Interessen förderlichen Weise ein.
Am Ende des Krieges befanden sich die USA in einer Position überwältigender wirtschaftlicher Stärke. Sie produzierten den überaus größten Weltanteil an Stahl, Elektrizität, Automobilen usw., und beinahe die gesamten Goldvorräte des Planeten befanden sich in ihrem Besitz. Dadurch waren die Vereinigten Staaten in der Lage, durch den Marshallplan und ähnliche Maßnahmen die wirtschaftliche Wiederbelebung in Europa und dem kapitalistischen Asien zu unterstützen und so ein zwei Jahrzehnte anhaltendes rapides Wachstum der Weltwirtschaft einzuleiten. Der Nachkriegsboom legte die wirtschaftliche Basis für soziale Reformmaßnahmen, die die Klassenantagonismen dämpften - zumindest in Nordamerika, Westeuropa und Japan.
Jedoch stieß der Versuch des amerikanischen Kapitalismus, den Weltkapitalismus wiederaufzubauen, unweigerlich auf die Widersprüche, die in dem grundlegenden Gegensatz zwischen Weltwirtschaft und Nationalstaatensystem angelegt sind. Indem sie die industrielle und finanzielle Wiederbelebung Europas und Japans förderten, stärkten die USA ihre imperialistischen Konkurrenten und Rivalen. Mit Beginn der 1960-er Jahre geriet der Dollar zunehmend unter Druck und Staaten wie Deutschland und Japan begannen, die amerikanische Dominanz auf den Weltmärkten in Frage zu stellen - einschließlich des amerikanischen Marktes.
Die gesellschaftlichen und politischen Schockwellen, die durch diese tektonischen Verschiebungen in der wirtschaftlichen Basis ausgelöst wurden, nahmen in den sechziger Jahren in den USA explosive Formen an. Man denke nur an das Attentat auf John F. Kennedy im Jahr 1963 und die politischen Morde im gleichen Jahrzehnt, an die Kämpfe der Bürgerrechtsbewegung, die militanten Arbeitskämpfe in nahezu jedem Wirtschaftszweig, die Straßenkämpfe in den Städten sowie die Massenbewegung gegen den Krieg in Vietnam. Diese sozialen und politischen Unruhen wiederum beeinflussten und verschärften die ihnen zugrunde liegende Wirtschaftskrise.
Die Erosion der amerikanischen Vorherrschaft über die Weltwirtschaft fand ihren deutlichen Niederschlag in den Maßnahmen, die Richard Nixon am 15. August 1971 verkündete. Unter den Bedingungen einer stürmischen Nachfrage nach dem Dollar und schwindender Goldreserven in Fort Knox beendete Nixon die Dollar-Gold-Konvertibilität - das Herzstück der globalen Finanzordnung, die mit dem Abkommen von Bretton Woods 1944 etabliert worden war.
Dies war ein entscheidender Wendepunkt, der allgemein gesprochen sowohl das Ende des Nachkriegsbooms als auch der industriellen und finanziellen Vorherrschaft Amerikas markierte. Es folgten der Ölpreisschock 1973/74, eine Inflationsspirale und die schwerste Rezession in den USA seit den dreißiger Jahren.
Die ganzen siebziger Jahre hindurch blieben die USA im Würgegriff einer tiefen wirtschaftlichen Krise, die "Stagflation" getauft wurde - eine Kombination aus geringem Wirtschaftswachstum und steiler Inflation. Gleichzeitig erhielt der amerikanische Kapitalismus wachsende Konkurrenz durch seine wichtigsten Rivalen in Europa und Asien - allen voran Deutschland und Japan. Amerikanische Unternehmen büßten unter anderem in der Stahl-, Automobil- und Elektronikindustrie rapide ihre Weltmarktanteile ein. Gleichzeitig nahmen innerhalb der USA Automobil- und Stahlimporte aus dem Ausland zu und verringerten den Inlandsmarkt von amerikanischen Fahrzeugherstellern und Stahlgiganten wie US Steel.
Trotz ihrer politischen Unterordnung unter das kapitalistische Zweiparteiensystem, die von der Gewerkschaftsbürokratie noch verstärkt wurde, erhielt sich die amerikanische Arbeiterklasse viel von der Militanz, die das Entstehen der industriellen Massengewerkschaften in der Streikbewegung der 1930-er Jahre und auch die Arbeitskämpfe der Nachkriegszeit gekennzeichnet hatte. In den gesamten siebziger Jahren fanden erbitterte Streiks und eine merkliche Radikalisierung unter jungen Arbeitern in nahezu jedem Industriezweig statt.
Den Höhepunkt dieses militanten Aufbegehrens bildete der 111-tägige landesweite Bergarbeiterstreik 1977/78, bei dem die Kumpels Verträge zurückwiesen, denen die Gewerkschaftsspitze bereits zugestimmt hatte. Sie versetzten dem Demokratischen Präsident Jimmy Carter einen demütigenden Schlag, indem sie seine Arbeitswiederaufnahmeorder nach dem Taft-Hartley-Gesetz ignorierten. Schließlich akzeptierten sie widerwillig einen Kompromissvertrag.
Diese Militanz stand in Beziehung zu einer ganzen Reihe von Sozialreformen und arbeitnehmerfreundlichen Regulierungen, die auf Roosevelts Politik des New Deal zurückgingen. Diese wurden allgemein und zurecht als Zugeständnisse angesehen, die die Arbeiterklasse der herrschenden Klasse Amerikas abgetrotzt hatte. Konfrontiert mit einem steilen und unübersehbaren Niedergang ihrer weltwirtschaftlichen Stellung, stagnierendem Wachstum, wachsenden Staatsschulden, chronischer Inflation und fallenden Profitraten sah sich die herrschende Elite Amerikas gezwungen, einen Angriff auf die Reformen und Gesetze früherer Zeiten zu beginnen, die den kapitalistischen Markt und sein Handeln auf verschiedene Weise einschränkten. Hierdurch sollte die Position der Arbeiterklasse geschwächt und ihr militanter Widerstand gebrochen werden.
Deregulierung
Der erste größere Schritt in dieser Richtung war die Deregulierungspolitik, die von der Carter-Regierung eingeleitet und von liberalen Politikern wie Senator Edward Kennedy unterstützt wurde. Die herrschende Klasse ging in Gegenoffensive, indem sie mit der Deregulierung bei Massentransportindustrien wie den kommerziellen Flug- und Lastkraftverkehr begann. Die Deregulierungspolitik fußte auf der politischen und ideologischen Prämisse, dass der Markt von Natur aus staatlicher Regulierung und Kontrolle überlegen sei.
Der Sturz des Schahs und der darauf folgende Anstieg der Ölpreise im Jahr 1979 trieben die Wirtschaftskrise in den USA auf die Spitze; der entscheidende Wendepunkt kam mit der Ernennung des Wall Street Bankiers Paul Volcker zum Leiter der Zentralbank. Volcker, ein Mitglied der Demokratischen Partei, leitete die amerikanische Version der Schocktherapie ein, indem er die Zinsraten auf ein beispielloses Niveau anhob. Mit dem Ziel, die "Inflation aus der Wirtschaft zu wringen", wurden die USA absichtlich in eine tiefe Rezession gestürzt.
Dies war ein dramatischer und höchst bewusst vollzogener Schritt, um die Schließung von Betrieben und Fabriken zu erzwingen, die Arbeitslosenquote zu erhöhen und Bedingungen für einen Frontalangriff auf die alten Errungenschaften der Arbeiterklasse zu schaffen. Chrysler, der schwächste der drei amerikanischen Autogiganten, wurde an den Rand des Bankrotts getrieben. Das Unternehmen wurde nur durch das Eingreifen der Carter-Regierung gerettet, die der Automobilarbeitergewerkschaft United Auto Workers (UAW) die Zustimmung zu Lohnsenkungen und andere Zugeständnisse abverlangte. Die Führung der UAW gewährte dies bereitwillig und erhielt im Gegenzug einen Sitz im Aufsichtsrat von Chrysler.
Als im ganzen Land Automobil-, Stahl-, Strom- und andere Industriebetriebe ihre Tore schlossen, begannen Wirtschaftsmagazine wie Business Week offen von der "Deindustrialisierung" Amerikas zu sprechen. In kürzester Zeit wurden traditionelle Industriezentren wie Detroit, Cleveland, Pittsburgh, Youngstown und Teile von Los Angeles durch Betriebsschließungen und Massenentlassungen verwüstet. Ganze Städte wurden von wirtschaftlicher Abwanderung, Armut und Elend gezeichnet. Hunderttausende, schließlich Millionen von Arbeitern fanden sich beinahe über Nacht ohne eine anständig bezahlte Arbeit.
Dies war die Geburtsstunde des so genannten "Rostgürtels", der in weiten Teilen des Landes fortbesteht. In seinen verlassenen Monumenten aus Stein und Mörtel und sich selbst überlassenen menschlichen Wesen manifestierte sich der objektive Niedergang, den der amerikanische Kapitalismus in seiner Weltposition erfuhr.
Die Wahl des rechtsgerichteten republikanischen Präsidentschaftskandidaten Ronald Reagan im Jahr 1980 bedeutete eine Verschärfung der Offensive gegen die Arbeiterklasse, die von der vorhergehenden demokratischen Regierung eingeleitet worden war. "Reaganomics" wurde zum Schlagwort für eine rücksichtslose Politik, die aus der Zerschlagung von Gewerkschaften, Lohnsenkungen, dem Aushöhlen von Sozialprogrammen, Steuergeschenken für Unternehmen und Reiche, sowie der Aufhebung von Vorschriften zu Umweltschutz, Arbeitsplatzhygiene und -sicherheit bestand und darüber hinaus noch viele weitere Aspekte des Wirtschaftslebens betraf.
Die Wirtschaftspolitik wurde recht unverhohlen gestaltet, um die gigantische Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von der arbeitenden Bevölkerung hin zu den wohlhabenden und privilegierten Schichten zu erleichtern. Dies geschah im Wesentlichen auf parasitäre Art und Weise, durch einen massiven Arbeitsplatzabbau in der Industrie und einen scharfen Anstieg der Staatsverschuldung. Der Aktienmarkt wurde mehr denn je zum Mittelpunkt der persönlichen Bereicherung für die Finanzelite und das Hochtreiben der Aktienkurse zur Hauptbeschäftigung der staatlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Die achtziger Jahre erlebten eine Rückkehr zu offenem und gewalttätigem Streikbruch, bei dem Schlägertrupps, private Sicherheitskräfte, staatliche Repression, Komplotte und Schikanen zum Einsatz kamen - Methoden, die in der Nachkriegsperiode größtenteils in den Hintergrund getreten waren. Die Arbeiterklasse leistete Widerstand und antwortete mit erbitterten Streiks in nahezu allen Wirtschaftssparten. Jedoch wurde jeder einzelne dieser Arbeitskämpfe vom Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO verraten, der die Streiks isolierte und anschließend die Niederlagen benutzte, um die militanten Traditionen der Vergangenheit zurückzuweisen und korporatistische Beziehungen zu den Arbeitgebern einzugehen. Gleichzeitig widersetzte sich die Gewerkschaftsbürokratie allem, was einen Bruch mit der Demokratischen Partei und eine Entwicklung hin zu einer unabhängigen politischen Partei der Arbeiter hätte einleiten können.
Am Ende des Jahrzehnts war die amerikanische Arbeiterbewegung als Instrument des sozialen Widerstands gegen das amerikanische Großunternehmertum im Wesentlichen zerstört worden.
Streichungen, Insolvenzen, Schmarotzertum
Der Abbau in der Basisindustrie und anderen Sektoren setzte sich zügig fort und wurde von einer Reihe spektakulärer Insolvenzen begleitet. Zahlreiche Flaggschiffunternehmen, die einst die Stärke des amerikanischen Kapitalismus symbolisierten, verschwanden: Pan American Airlines und Eastern Airlines fallen einem als erstes ein. Seit den späten neunziger Jahren gingen mehr als 50 amerikanische Stahlproduzenten Bankrott, einschließlich solcher Giganten wie Bethlehem, LTV, Republic, National und Wheeling-Pittsburgh. Die drei großen amerikanischen Automobilunternehmen schrumpften unablässig und reduzierten ihre Belegschaft um mehr als die Hälfte.
Man kann von einem "Entkernen" der amerikanischen Wirtschaft sprechen, in der sich das Erwirtschaften unternehmerischer Profite und die persönliche Bereicherung der herrschenden Elite in zunehmendem Maße von der Herstellung nützlicher Güter und dem Ausbau von Produktionsanlagen gelöst und sich stattdessen mehr und mehr mit der Aktienspekulation und anderen Aktivitäten verbunden hat, die im Wesentlichen als parasitär zu beschreiben sind. Regelrechter Betrug, Bilanzfälschungen und andere Formen von Unternehmenskriminalität haben in starkem Umfang zugenommen. Investitionen in Forschung und Entwicklung, den Erhalt und die Verbesserung der industriellen und sozialen Infrastruktur wurden hintangestellt - dies betrifft nicht nur das Bildungs- und Gesundheitswesen, sondern sogar die Straßen, Brücken, Häfen, Deiche, das Stromnetz, den Gebäudebestand und die Umwelt.
Um eine Vorstellung von dem Ausmaß des industriellen Niedergangs zu vermitteln, möchte ich ein paar Zahlen aus der Perspektivresolution des Internationalen Komitees der Vierten Internationalen vom Jahr 1988 zitieren:
"Der Anteil der USA an der Autoproduktion sank von 65 Prozent im Jahr 1965 auf 20 Prozent im Jahr 1980. Zwischen 1980 und 1984 verloren die USA 23 Prozent ihres Exportmarktanteils. Die Position der Stahlindustrie zeigt deutlich den Verlust der einst unbestrittenen Vormachtstellung Amerikas als erster Industriemacht. 1955 produzierten die USA 39,3 Prozent allen Stahls der Welt. 1975 war dieser Anteil auf 16,4 Prozent gesunken. 1984 waren es nur noch 8,4 Prozent. Zwischen 1973 und 1983 fiel die US-Stahlproduktion um 44 Prozent. In den fünfziger Jahren belieferten die US-Stahlunternehmen zusammengenommen mehr als 95Prozent des amerikanischen Marktes. Heute liegt ihr Anteil bei weniger als 60Prozent."
Dieser Prozess hat sich nach 1988 fortgesetzt und noch beschleunigt.
Die Erhebung des "freien Marktes" zum politischen Dogma, auf den Status einer säkularen Religion, bringt immer weitere katastrophale Ergebnisse hervor. In den letzten Jahren gab es eine neue Welle von Unternehmensinsolvenzen, von United Airlines bis zu Delphi, dem weltgrößten Automobilteilehersteller. Selbst General Motors - einst das größte Unternehmen der Welt und das Symbol amerikanischer Industriemacht schlechthin - liebäugelt mit dem Bankrott, ebenso Ford.
Diese tief greifenden Veränderungen wirkten sich stark auf das Verhältnis zwischen den Klassen und die soziale Physiognomie der verschiedenen Klassen innerhalb der USA aus. Die herrschende Elite Amerikas selbst hat sich verändert. Der allgemeine Verfallsprozess drückt sich auf üble Weise im politischen, intellektuellen und sogar moralischen Verfall der herrschenden Schichten aus. Im Allgemeinen sind die räuberischsten, ignorantesten, kurzsichtigsten und reaktionärsten Elemente an die Spitze aufgestiegen.
Ich werde später noch auf die aktuelle Liste des Forbes Magazins zu den 400 reichsten Amerikanern eingehen. Im Augenblick möchte ich nur anmerken, dass sich der derzeitige Haufen von Multimillionären und Multimilliardären, allgemein gesprochen, in einem wichtigen Aspekt von den Raubrittern unterscheidet, die vor hundert Jahren die amerikanische Gesellschaft beherrschten. Die Rockefellers, Carnegies, Fords, Edisons, Firestones, die damals das Wirtschaftsleben bestimmten, waren rücksichtslose und politisch reaktionäre Männer. Jedoch gelangten sie zu ihrem Vermögen, indem sie industrieller Imperien aufbauten. Ihre Namen sind mit einer gewaltigen Entwicklung der Produktivkräfte verbunden.
Die gegenwärtigen Mogule haben zum größten Teil keine solche Verbindung zur Entwicklung der Industrie oder produktiver Kapazitäten. Warren Buffett, Kirk Kerkorian, Carl Icahn, Sumner Redstone hinterlassen keine Industrieimperien. In vielen Fällen sind sie und ihresgleichen an ihr Vermögen gelangt, indem sie das demontierten und abwickelten, was die Raubritter einst aufgebaut hatten. Sie sind die Nutznießer von Aufkäufen, Fusionen und von verschiedenen, oft esoterischen Formen des Spekulationsgeschäftes.
Dieses Schmarotzertum erreichte in den ungestümen Tagen der Clinton-Regierung neue Höhen, als der Aktienmarkt hochschnellte und Betrug sowie Bilanzfälschungen unheilvolle Ausmaße annahmen. Die allgemeine Plünderung der amerikanischen Wirtschaft durch die herrschende Elite ging mit der massenhaften Plünderung von Unternehmen durch ihre Spitzenmanager einher.
Soziale Ungleichheit
Die enorme Konzentration von Reichtum an der Spitze der amerikanischen Gesellschaft und das Anwachsen sozialer Ungleichheit sind Teil desselben Verfallsprozesses, der sowohl auf der Ebene des Weltmarktes als auch innergesellschaftlich stattfindet. Dass die amerikanische Gesellschaft immer offener die Form einer Plutokratie annimmt, ist kein Anzeichen von Gesundheit und Stärke, ganz im Gegenteil. Die frühere Fähigkeit der herrschenden Klasse Amerikas - unter enormem Druck von unten und gewiss nicht ohne innere Reibereien - eine allgemeine Erhöhung des Lebensstandards für die Arbeiterklasse zustande zu bringen und die ökonomische Ungleichheit zu dämpfen, war Ausdruck wirtschaftlicher Stärke und Zuversicht in die Zukunft.
Diese Voraussetzungen sind nicht länger gegeben. Inzwischen dokumentieren Hunderte von Studien und Tausende von Statistiken die überwältigende und immer größer werdende Kluft zwischen den obersten sozialen Schichten und der übergroßen Mehrheit des amerikanischen Volkes. Große Teile der Bevölkerung leben in einem Zustand der Hoffnungslosigkeit und an der Schwelle zur Armut. Allgemeiner gesehen wurde die arbeitende Bevölkerung wie auch der größte Teil der Akademiker, leitenden Angestellten und Freiberufler in den permanenten Malstrom wirtschaftlicher Unsicherheit und Verlagerung hineingerissen.
Um nur eine Statistik anzuführen: Die New York Times berichtete unlängst, dass die reichsten Amerikaner - etwa 45.000 Steuerzahler mit einem Einkommen von mehr als 1,6 Millionen Dollar, die die obersten 0,1 Prozent der Bevölkerung ausmachen - ihren Anteil am Nationaleinkommen seit den siebziger Jahren mehr als verdoppelt haben, auf 10 Prozent im Jahr 2000. Ein derartiges Niveau der Einkommenskonzentration hat es seit den 1920-er Jahren nicht mehr gegeben.
Dass derart obszöner Reichtum und groteske Ungleichheit existiert, wird von den Medien nur gelegentlich zur Kenntnis genommen und noch seltener von der Demokratischen Partei, die nach wie vor behauptet, die "Partei des Volkes" zu sein. Die in herrschenden Kreisen - "liberalen" wie konservativen - verbreitete Mentalität zeigte sich deutlich beim jüngsten Streik im New Yorker Nahverkehr. Während Arbeiter mit einem Jahreseinkommen von 50.000 Dollar von Politikern und Zeitungen als habgierige Schurken und "Ratten" beschimpft wurden, bereitete sich die Wall Street Berichten zufolge darauf vor, eine Gesamtsumme von rund 21,5 Milliarden Dollar in Jahresendprämien an die Vorstandsvorsitzenden auszuhändigen.
In den Medien und dem politischen Establishment rief diese Nachricht keine besondere Reaktion hervor. Sie wurde mehr oder weniger als die natürliche Ordnung der Dinge angesehen. Einige traten hervor, um die Weihnachtsgabe zu begrüßen und zu verteidigen.
"Die Leute hatten genug schlechte Nachrichten", sagte Glenn Mazzella von der World Wide Yacht Corporation. "Sie wollen segeln gehen, sie wollen Ski fahren und sie wollen einen Maybach [ein Luxusauto von Daimler-Chrysler mit einem Endkundenpreis von 325.000 Dollar] fahren. Sie sind es leid, sich schämen zu müssen."
"Es gibt an der Wall Street jemanden, der 20 seiner engsten Freunde zu seiner Junggesellenparty mitnimmt, eine Yacht mietet, in der Karibik auf Kreuzfahrt geht und den Golfplatz in Sandy Lane auf Barbados als Endpunkt wählt", sagte Tatiana Byron, Präsidentin des New Yorker Veranstaltungsplaners 4PM Events. Kostenpunkt: 200.000 Dollar.
Unter den größten weihnachtlichen Prämienempfängern an der Wall Street war der Chefmanager von Goldman Sachs, Henry Paulson Junior, der für das Jahr 2005 eine Vergütung in Höhe von 38 Millionen Dollar einheimste. Das sind umgerechnet 731.000 Dollar in der Woche oder 104.000 Dollar pro Tag oder 4.300 Dollar in jeder Stunde. Das ist das 330-fache des Stundenlohns eines durchschnittlichen amerikanischen Lohnempfängers.
Es ist nicht leicht, solche Summen auszugeben. Man muss kreativ sein und sich wahrlich dekadente Dinge einfallen lassen.
Doch so ist das Leben für eine prozentual gesehen sehr kleine Elite, wenn sie auch zahlenmäßig gar nicht so winzig ist in einer Stadt wie New York, wo die Enklaven spektakulären Reichtums von den verarmten Ghettos nur ein paar Häuserblocks entfernt sind.
Neben dem industriellen Niedergang, wirtschaftlichen Schmarotzertum und Anwachsen sozialer Ungleichheit ist die Krise des amerikanischen Kapitalismus ebenfalls im Verfall von grundlegender Infrastruktur der Vereinigten Staaten deutlich sichtbar. Die Rede ist hier nicht nur vom gesellschaftlichen Rückschritt in der Erziehung, Bildung, dem Gesundheitswesen, dem kulturellen, geistigen und künstlerischen Leben - sondern auch vom physischen Verfall der Brücken, Straßen und Deiche des Landes sowie des Stromnetzes, der Wasserwege und vielem mehr.
Zu den vielen Dingen, die der Hurrikan Katrina offen zutage treten ließ, gehörte an vorderer Stelle auch die schockierende Fehlverteilung und Vergeudung von Mitteln, in deren Folge New Orleans - eine Stadt mit 500.000 Einwohnern und einem einzigartigen Platz im Kulturleben der Vereinigten Staaten, zudem ein wichtiger Hafen - vollkommen schutzlos einem größeren Sturm ausgeliefert wurde. Es fehlte jegliche Art von Plan für die Evakuierung von hunderttausenden Bewohnern aus den tiefer gelegenen Stadtteilen, die zum größten Teil zur armen arbeitenden Bevölkerung zählen. Das Deichsystem für diese größtenteils unter dem Meeresspiegel liegende Stadt war nicht einmal dafür ausgelegt, einem Hurrikan standzuhalten, der stärker als die Kategorie drei ausfiel.
Und dies obwohl sich in den letzten Jahre die Hurrikane in den USA sowohl mehren als auch enorm an Stärke zugenommen haben und obwohl Experten seit Jahren vor einer Katastrophe in New Orleans gewarnt haben. Die Vernachlässigung der Deiche ist nur ein Beispiel dafür, wie sich ein Vierteljahrhundert der Deregulierung, Steuersenkungen für die Wohlhabenden und Kürzungen von Staatsausgaben für öffentliche Dienste auf die nationale Infrastruktur ausgewirkt haben. Hier ist exemplarisch zu sehen, mit welchen verheerenden Folgen die Finanzaristokratie ihren rücksichtslosen Feldzug geführt hat, um sich einen immer größeren Anteils am gesellschaftlichen Reichtum zur persönlichen Bereicherung anzueignen.
Ich habe zufällig einen Teil der Senatsanhörungen zum Katrina-Desaster mitbekommen, der auf einem der Nachrichtenkanäle übertragen wurde. Die Senatoren befragten ein Podium von Beamten, die für die Wartung der Deiche rund um New Orleans zuständig waren. Einer der Senatoren fragte, ob die Deiche physikalisch überprüft werden. Die Antwort vom Podium war "Nein".
In diesem Falle hatte Katrina, ein Sturm am oberen Ende der Kategorie drei bzw. im unteren Bereich der Kategorie vier, die Deiche um New Orleans überwältigt. Hunderttausende Menschen in der Golfregion waren auf sich allein gestellt. Nach offiziellen Schätzungen starben etwa 1.300 und mehr als 700.000 waren gezwungen, die Stadt zu verlassen und sich auf der Suche nach Obdach und Nahrung im ganzen Land zu verstreuen, nachdem ihre Häuser und ihr Lebensunterhalt zerstört worden waren.
Demokratische Rechte
Wie David North in seinem einleitenden Bericht zu diesem Treffen bemerkte, besteht ein Symptom des kapitalistischen Niedergangs im allgemeinen Angriff auf demokratische Rechte und dem Rückgriff auf diktatorischen Herrschaftsformen. Im Januar 2001, kurz nachdem sich Bush zu Unrecht die amerikanische Präsidentschaft angeeignet hatte, hielt ich auf einer Schulung hier in Sydney einen Vortrag zur Beziehung zwischen dem Aufstieg der USA als Industriemacht und der allgemeinen Ausweitung der demokratischen Rechte in den Vereinigten Staaten, die ihren wirtschaftlichen Aufschwung begleitete.
Es ist wirklich nicht überraschend, dass eine aufstrebende kapitalistische Macht sich hinreichend zuversichtlich und sicher fühlt, um innerhalb bestimmter Grenzen einen Ausbau demokratischer und rechtlicher Normen zu gestatten. Eine Gesellschaft jedoch, die sich im Niedergang befindet, deren herrschende Elite sich selbst von allen Seiten, im Innern wie Äußeren, bedrängt fühlt, wird andererseits dazu neigen, demokratische Rechte zu beschneiden.
In meinem früheren Vortrag wies ich darauf hin, dass die allgemeine Ausweitung der demokratischen Rechte zu Anfang und in der Mitte des 20. Jahrhunderts - die allgemeine Wahl der US-Senatoren, die Ausdehnung des Wahlrechts auf Frauen, die Beendigung des effektiven Wahlrechtsentzugs für Afroamerikaner im Süden durch das Wahlrechtsgesetz von 1965, die Absenkung des Wahlalters - in Folge der von Nixon am 15. August 1971 verkündeten Wirtschaftsmaßnahmen ein abruptes Ende fand. Die einzige bedeutende Ausnahme - das Verfassungsgerichtsurteil, das 1973 die Abtreibung legalisierte - markierte in der Tat, wie heute deutlich zu sehen ist, den Schlusspunkt dieser Entwicklung und nicht etwa den Beginn einer neuen Periode liberaler Reformen.
Mit der Bush-Regierung hat der Angriff auf demokratische Rechte einen scharfen, erbitterten Zug angenommen und ist derart allumfassenden geworden, das sich in der amerikanischen Geschichte kein Beispiel dafür findet.
Die politischen und rechtlichen Normen werden in Einklang mit der oligarchischen Gesellschaftsstruktur der Vereinigten Staaten gebracht. Und je mehr sich das politische System vom Volk entfernt, je weiter die soziale Basis der beiden kapitalistischen Parteien zusammenschrumpft, desto offener und ruchloser zeigen sich Verdorbenheit und Kriminalität in der offiziellen Politik. Die amerikanische Politik war niemals wirklich unschuldig. Doch das heutige politische Establishment in den Vereinigten Staaten ist von Grund auf verkommen. Die Redensart vom "Gestank der Korruption" mag etwas klischeehaft klingen, doch in diesem Falle ist sie treffend.
Der jüngste Bestechungs- und Einflussnahmeskandal um Jack Abramoff, einen rechten republikanischen Lobbyisten und Busenfreund führender Persönlichkeiten aus dem Weißen Haus wie Bushs politischem Berater und stellvertretendem Stabschef im Weißen Haus Karl Rove, ist nur die Spitze des Müllbergs. Ohne jede Scham kaufen Unternehmenslobbyisten Stimmen ein und bestechen Kongressabgeordnete. Regelmäßig schreiben sie die Gesetzesentwürfe, die anschließend verabschiedet werden.
Auf allen Ebenen des Staates kaufen sich Multimillionäre in Ämter ein. Manche Posten sind von großzügigen Unternehmerspenden abhängig. Das Amt des Bürgermeisters in einer größeren amerikanischen Stadt kostet eine Betrag in mindestens zweistelliger Millionenhöhe, für den Erwerb einer politischen Karriere auf bundesstaatlicher Ebene sind oft noch weitere Millionen nötig und für die Präsidentschaft werden heutzutage Hunderte Millionen Dollar benötigt, um die Wahlkampfkosten auslegen zu können.
Zwischen hohen politischen Ämtern, Spitzenpositionen im Militärapparat und einträglichen Ruheposten in der Wirtschaft gibt es eine gut geölte Drehtür, die ständig rotiert.
Diese Vorgänge spiegeln sich in den Eigenschaften derer wider, die im öffentlichen wie im privaten Sektor führende Posten besetzen. Vor gar nicht so langer Zeit galt Enron-Chef Kenneth Lay als Inbegriff des Genies in der amerikanischen Geschäftswelt. In jüngerer Zeit wurde Kleingeistern wie dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von General Electric, Jack Welch, dieses Etikett angehängt.
Wie sehr das Führungspersonal des amerikanischen Kapitalismus an intellektuellem Niveau verloren hat, zeigt sich am besten in der Person des gegenwärtigen Oberbefehlshabers. Ich möchte eine Passage aus meinem Vortrag vom Januar 2001 zitieren:
"Die antretende Bush-Regierung ist ein ziemlich perfektes Beispiel für die Krise bürgerlicher Herrschaft in den Vereinigten Staaten. Bush ist eine politische und intellektuelle Null, der in seiner Person die Merkmale der sozialen Schicht vereint, deren wirtschaftlicher Aufstieg und gesellschaftliche Prominenz dem spekulativen Aktienboom der vergangenen zwei Jahrzehnte geschuldet sind - einem Boom, dessen Grundlage ein rücksichtsloser Angriff auf die Arbeiterklasse und ein überwältigendes Anwachsen von Korruption und Parasitismus war. Ignorant, kurzsichtig und habgierig, hat diese Schicht die Teile der Wirtschafts- und Finanzelite gestärkt, die die Abschaffung aller Hindernisse bei der Anhäufung von privatem Reichtum und Realisierung von Profit fordern."
Ich würde behaupten, dass diese Charakterisierung durch die Ereignisse der vergangenen fünf Jahre vollauf bestätigt wurde.
Wenigstens ein paar Worte müssen zum Zustand einer weiteren Institution des amerikanischen Kapitalismus gesagt werden - den Medien. Hier geht es ebenfalls nicht darum, ein idealisiertes Bild vom goldenen Zeitalter der US-Medien zu zeichnen. Es ist von einer Institution die Rede, die letztlich immer ein Instrument der herrschenden Klasse Amerikas war.
Nichtsdestotrotz ist die Art und Weise, wie die amerikanischen Medien - und zwar sowohl die so genannten liberalen wie auch die konservativen - den US-Imperialismus und Militarismus zu ihrer Politik gemacht, die Lügen der Bush-Regierung verbreitet und ihre zahlreichen Verbrechen verschleiert haben, ein vollkommener Ausdruck der Tatsache, dass die amerikanischen Demokratie in sich zusammengebrochen ist. Die Medien - die sich im Besitz und unter der Kontrolle von gigantischen Unternehmen befinden - sind nicht nur feige, verlogen und korrupt, sondern sie haben auch nahezu jeglichen Anspruch aufgegeben, objektive Informationen zu vermitteln oder eine unabhängige Haltung zu den Behauptungen der Regierung und der Wirtschaftselite einzunehmen.
Abweichende Meinungen von der Linken, ganz zu schweigen von echten marxistischen Ansichten, werden systematisch ausgeblendet und oppositionelle Stimmungen in großen Teilen des amerikanischen Volkes geflissentlich ignoriert.
Die Medien und die so genannte Unterhaltungsindustrie verbreiten, mit wenigen Ausnahmen, rückständige Auffassungen und fördern ein Ethos der Brutalität, des Egoismus und der Gewalt. Eines der aufschlussreichsten Symptome, an dem sich der Niedergang des amerikanischen Kapitalismus ablesen lässt, besteht in der Tatsache, dass seine offiziellen Einrichtungen, vom Weißen Haus abwärts, zunehmend die reaktionärsten und intolerantesten Formen religiösen Aberglaubens glorifizieren und wissenschaftliches Denken zu diskreditieren suchen. Der Angriff der Bush-Regierung auf die Evolutionstheorie, die Stammzellenforschung und die Ergebnisse der Umweltwissenschaft zeugen von einem gesellschaftlichen System im Zustand der Krise und des Zerfalls.
Eine Momentaufnahme der herrschenden Elite Amerikas
Kommen wir auf die Frage zurück, wie sich die herrschenden Elite Amerikas in Hinblick auf ihre Zusammensetzung verändert hat - eine wichtige Frage, die eine ernsthafte Analyse erfordert. Eine systematische Untersuchung dieses Themas würde den Rahmen dieses Berichts sprengen. Dennoch kann man einen Eindruck gewinnen, wenn man sich die jüngste Liste der 400 reichsten Amerikaner ansieht, die im Magazin Forbes veröffentlicht wurde.
Wenn wir uns auf die obersten fünfzig Milliardäre der Liste beschränken, dann fällt als erstes auf, wer nicht darunter ist. Es gibt keine Fords, Rockefellers, DuPonts. Keine Sprösslinge der "Industriekapitäne", die einen so wichtigen Platz unter den berühmten Sechzig Familien einnahmen, von denen Amerikas Industrie- und Finanzimperium über einen großen Teil des letzten Jahrhunderts hinweg beherrscht wurde.
Die Liste wird von Microsofts William Gates angeführt, der 51 Milliarden Dollar sein Eigen nennt. Danach kommt Warren Buffet mit 40 Milliarden. Als Quelle seines Reichtums wird Berkshire Hathaway angegeben, eine Investitionsfirma. Die nächsten drei Plätze nehmen Unternehmensleiter aus der Computerbranche ein. Dann folgen fünf Mitglieder der Walton-Familie, deren Vermögen auf den Einzelhandelsgiganten Wal-Mart zurückgeht, dem derzeit größten Unternehmen der Welt.
Neben der Computerbranche ist der Öl- und Energiesektor auf der Milliardärsliste herausragend vertreten. Ganze sechs der obersten 50 haben als Quelle ihres Reichtums Aktivitäten rein spekulativen Charakters angegeben: Kirk Kerkorian (10 Milliarden aus den Bereichen Investment und Casinos), Carl Icahn (8,5 Milliarden aus Geschäftsaufkäufen), Philip Anschultz (7,2 Milliarden aus Investments), George Soros (7,2 Milliarden aus Hedge-Fonds), Ronald Perelman (6 Milliarden aus Geschäftsaufkäufen) und Eli Broad (5,5 Milliarden aus Investments).
Dies verschafft einen Eindruck vom zugrunde liegenden Verfall des amerikanischen Kapitalismus. Und dieser Niedergang, der sich konkret in massiven Haushalts-, Handelsbilanz- und Zahlungsbilanzdefiziten niederschlägt, hat sehr reale Konsequenzen für die USA auf internationaler Ebene. Der Niedergang in der globalen wirtschaftlichen Stellung des amerikanischen Kapitalismus hat eine verstärkte Hinwendung der herrschenden Elite zu Militarismus und Krieg ausgelöst. Wall Street und Washington versuchen, ihre militärische Übermacht einzusetzen, um ihren wirtschaftlichen Niedergang wettzumachen.
Doch die Schwächung ihres wirtschaftlichen Fundaments bereitet dem US-Imperialismus echte und wachsende Schwierigkeiten. Die jüngste Asienreise von Bush nach warf ein Schlaglicht auf diese Probleme. Auf jeder Station seiner Tour wurde Bush von den sowohl innen- als auch außenpolitischen Konsequenzen der katastrophalen Militärintervention der USA im Irak verfolgt.
Die Reise, die eigentlich dazu gedacht war, die Führungsrolle Washingtons zu demonstrieren und die amerikanischen Verbündeten in der asiatischen Region, besonders Japan und Südkorea, gegen Nordkorea und, noch entscheidender, China zu mobilisieren, entpuppte sich als eine Art diplomatisches Debakel. Bush konnte keines der wichtigen kurzfristigen Ziele seiner Reise erreichen, ob in Bezug auf Washingtons maßgebliche Partner Japan und Südkorea oder seinen stärker werdenden Rivalen in der Region, China. Schlimmer noch: Bush wirkte isoliert und schwach, während der chinesische Präsident Hu Jintao die wachsende Wirtschaftsmacht und den politischen Einfluss seines Landes zur Schau stellte.
In einem Kommentar mit dem Titel "Aufstieg und Niedergang der pazifischen Nationen" schrieb die Londoner Financial Times : "Präsident Bushs Asienreise vermittelt einen lebhaften Eindruck vom schwindenden Einfluss der USA in der Region." Und die New York Times bemerkte in ihrem Kommentar zur Reise wehmütig: "Die Pekinger Führung ist nicht in der Stimmung, sich von einer amerikanischen Regierung belehren zu lassen, die von chinesischen Überschüssen und Ersparnissen abhängig ist, um ihre aufgeblähten Defizite zu finanzieren."
Es wäre selbstverständlich ein schwerwiegender Fehler, Bushs Schwierigkeiten in Asien einseitig zu betrachten. In gewisser Hinsicht steckt die US-Regierung im Dilemma: Die amerikanische Wirtschaft will und braucht normalisierte Beziehungen zu China, um Zugang zu dem enormen Vorrat an billigen Arbeitskräften und dem potentiell riesigen Markt für amerikanische Güter zu erhalten. Sie kann es sich nicht erlauben, von ihren Rivalen in Europa und Japan beiseite geschoben zu werden. Ohne Zweifel wurde Bush angewiesen, im Rahmen der öffentlichen Diplomatie mit der chinesischen Führung seine Neigung zu Einschüchterungen und Drohungen im Zaum zu halten, was ihn anscheinend in arge Verlegenheit brachte.
Dennoch hat der US-Imperialismus nicht die Absicht, den Aufstieg Chinas zum ernsthaften Konkurrenten um Einfluss in Asien und darüber hinaus einfach hinzunehmen. Hinter Bushs Reise standen auch Militärabkommen mit den Staaten der Region - unter anderem auch mit der Mongolei, der letzten Station seiner Reise - um China letztlich mit militärisch abhängigen oder verbündeten Staaten und Militäranlagen einzukreisen.
Zum Schluss möchte ich etwas ausführlicher aus einem außergewöhnlichen Artikel zitieren, der in der Nullnummer vom Herbst 2005 einer neuen amerikanischen Zeitschrift für Außenpolitik namens The American Interest erschienen ist. Diese Publikation wird von wohlbekannten Persönlichkeiten aus gehobenen außenpolitischen Kreisen der USA herausgegeben, darunter auch rechte Gestalten wie Francis Fukuyama, die der Entscheidung für die Invasion im Irak und noch mehr der Kriegsführung durch die Bush-Regierung kritisch gegenüberstehen. Sie stehen in Konflikt mit den neokonservativen Ideologen, die die Kriegspolitik maßgeblich gestaltet haben.
Der wichtigste Artikel ist von Zbigniew Brzezinski und trägt den Titel "Das Dilemma des letzten Souveräns". Er vermittelt einen Eindruck davon, wie die scharfsinnigeren Vertreter und Strategen des amerikanischen Imperialismus denken. Brzezinski präsentiert eine ätzende und vernichtende Kritik an der gesamten Außenpolitik der Bush-Regierung und des so genannten "Kriegs gegen den Terror", der ständig als Rechtfertigung vorgebetet wird.
Er schreibt mit einer für einen Mann in seiner Position bemerkenswerter Offenheit: "Die Betonung des 'weltweiten Kriegs gegen den Terror' war in symbolischer Hinsicht zentral, förderte die patriotischen Mobilisierung und rechtfertigte Handlungen, die andernfalls als außerhalb der Legalität stehend oder sogar als gänzlich illegal angesehen werden könnten. Für die Schöpfer der neuen Strategie legitimierte der 11. September die faktische Aussetzung des Rechts auf Haftprüfung (habeas corpus) selbst für amerikanische Staatsbürger, 'Verhöre unter Druck' (auch Folter genannt) von Festgenommenen sowie unilaterale Militäraktionen - ganz so wie Hiroshima in der öffentlichen Meinung letztlich durch Pearl Harbor legitimiert wurde."
Zu den Folgen dieser Politik schreibt er, dass "ein von Selbstvertrauen geprägtes Amerika in eine von Angst bestimmte Nation verwandelt wurde", und fährt fort:
"Potenziell sogar noch gefährlicher für die langfristigen Interessen Amerikas ist das Auftreten eines globalen Trends zu regionalen Koalitionen mit kaum verhüllter antiamerikanischer Tendenz. Sich von der US-Regierung und allem Amerikanischen zu distanzieren, ist in Asien, Europa und Lateinamerika politisch populär geworden. Diese Stimmung begünstigt Chinas Bemühungen, auf der Basis einer wachsenden panasiatischen Identität in Ost- und Südostasien die Vereinigten Staaten stillschweigend aus der Region auszuschließen; sie bewirkt zudem eine erheblich geringere transatlantische Ausrichtung der voranschreitenden europäischen Anstrengung, eine stärker politisch ausgerichtete Europäische Union zu gestalten; und sie ermutigt einen Haufen neuer, demokratisch gewählter doch eher linksgerichteter lateinamerikanischer Präsidenten, engere Beziehungen mit Europa und China zu pflegen. Das Auftauchen machtvoller paneuropäischer und panasiatischer Gemeinschaften, im Gegensatz zu transatlantischen und transpazifischen, würde Amerikas globale Isolierung intensivieren."
Zusammenfassend schreibt er: "Kurz gesagt, ist Amerikas Außenpolitik nach dem 11. September in ihrem Fokus zu kurzfristig, in ihrer Rhetorik zu alarmistisch und in ihren immer noch frühen Ergebnissen zu kostspielig. Insgesamt erhöhte sie das nationale Gefährdungspotenzial und untergrub dabei gleichzeitig die Legitimität von Amerikas internationaler Vorherrschaft."
Noch bemerkenswerter als diese für den US-Imperialismus vernichtende Kritik und unheilvolle Vorhersage bezüglich der weltweiten Entwicklungen ist die zentrale These Brzezinskis: Dass der wichtigste Faktor in der Weltpolitik in einer Tendenz bestehe, die er "globales politisches Erwachen" nennt.
Er schreibt: "Amerika muss einer neuen globalen Realität von zentraler Bedeutung offen ins Gesicht sehen: Die Weltbevölkerung durchläuft ein in Ausmaß und Intensität beispielloses politisches Erwachen mit dem Ergebnis, dass die Politik des Populismus die Machtpolitik verändert."
Er führt aus: "Es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass jetzt im 21. Jahrhundert die Bevölkerung eines Großteils der Entwicklungsländer sich politisch regt und in vielen Orten vor Unruhe brodelt. Es handelt sich um eine Bevölkerung, die sich der sozialen Ungerechtigkeit in einem noch nie da gewesenen Maße bewusst ist und die oftmals aufgebracht ist, weil ihr ihrer Ansicht nach die politische Würde abgesprochen wurde. [...] Diese Energien überschreiten Staats- und Herrschaftsgrenzen und stellen bestehende Staaten ebenso wie die bestehende globale Hierarchie in Frage, an deren Spitze immer noch Amerika steht."
"Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das sich fortsetzende politische Erwachen seinem geographischen Ausmaß nach jetzt global ist, wobei kein Kontinent, ja keine Region sich noch größtenteils politisch passiv verhält; es ist umfassend in seiner sozialen Breite, wobei sich nur die sehr entlegenen ländlichen Gebiete politischen Stimuli gegenüber noch immun zeigen; es ist seinem demographischen Profil nach auffällig von der Jugend geprägt und deswegen äußerst empfänglich für rapide politische Mobilisierung; und es ist seinem Ursprung nach größtenteils transnational inspiriert in Folge der sich gegenseitig verstärkenden Wirkung von Bildung und Massenkommunikation."
In etwas äsopischer Sprache spricht dieser altgediente Berater des US-Imperialismus von nichts anderem als von Weltrevolution, die er für die echte Gefahr hält, der die herrschende Klasse Amerikas gegenübersteht, im Gegensatz zu den Anstrengungen einer relativen Handvoll islamischer Terroristen. Um ja keinen Zweifel an der Bedeutung seiner Sätze aufkommen zu lassen, stellt er das "globale politische Erwachen" in den Kontext der Französischen Revolution, der Revolutionen von 1848, der Bolschewistischen Revolution, sowie der antikolonialistischen Massenbewegungen in der Folge des Zweiten Weltkriegs.
Er unterstreicht diese Aussage, indem er schreibt: "Die sich daraus ergebende politische Diagnose akzeptiert die These von dem historischen Bruch nach dem 11. September, doch sie behauptet, dass die zentrale Herausforderung unserer Zeit nicht der globale Terrorismus darstellt, sondern vielmehr der sich intensivierende Aufruhr, der von dem Phänomen des globalen politischen Erwachens verursacht wird. Dieses Erwachen ist gesellschaftlich massiv und politisch radikalisierend."
Der Erzreaktionär Brzezinski hat seinen Finger auf die entscheidende Tatsache der Weltpolitik gelegt: Eine neue Periode antiimperialistischer und antikapitalistischer revolutionärer Auseinandersetzungen bricht an, die weitaus stärker einen internationalen Charakter annehmen wird als alles, was ihr vorausgegangen ist.
Unsere Aufgabe besteht darin, diese historisch entstandene Massenbewegung bewusst vorzubereiten und die politischen Mittel zu entwickeln, durch die sie ein Bewusstsein von ihrer Aufgaben erreichen und diese durchführen kann. Das zentrale Instrument für diesen Kampf bleibt die World Socialist Web Site, die wir weiterentwickeln müssen als Mittel für die Erziehung neuer, in den Kampf eintretender Generationen und zum Schmieden einer marxistischen Führung unter ihren fortgeschrittensten Schichten.
Die bevorstehende Zwischenwahl in den Vereinigten Staaten wird der Socialist Equality Party eine Möglichkeit bieten, auf breiter Front in die zweifellos größte politische Krise der neueren Geschichte der USA einzugreifen. Wir beabsichtigen, das Augenmerk auf das historische Scheitern des Kapitalismus zu richten - nicht nur in den USA, sondern als Weltsystem - und programmatisch die internationale Vereinigung der Arbeiterklasse im Kampf für den Sozialismus in den Vordergrund zu stellen.